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Thälmann thront gelassen am 15. Juni 2013

Demonstration der Jung-Liberalen am Thälmann-Denkmal am 15.06.2013

Was der Mensch im Innersten sein Leben lang empfindet, wahrnimmt, fühlt, denkt, begehrt – das erlebt ihm keiner nach, so lautet eine seiner Erkenntnisse, die Ernst Thälmann im Zuchthaus Bautzen formulierte. Das Thälmann-Denkmal aus dem Vorwende-Jahr 1986 hat schon viele Kilo Sprayerfarbe und Reinigungsmittel ertragen. Am 15.6.2013 kam nun ein Trupp Jungdemokraten aus Reinickendorf und Pankow hinzu und sorgte mit einer symbolischen „Sprengung“ für ein Politspektakel, das dem Denkmal weiteren Ewigkeitswert zukommen lässt.

Demonstration der Jung-Liberalen am Thälmann-Denkmal am 15.06.2013
Demonstration der Jung-Liberalen am Thälmann-Denkmal am 15.06.2013

Gedacht als weltanschauliche Provokation, kamen die „Jungliberalen“ unter der Leitung ihres Bundestagskandidaten Helmut Metzner und in Begleitung einer Polizeihundertschaft zum vom Bildhauer Lew Kerbel erschaffenen Thälmann-Denkmal an der Greifswalder Strasse. Rote Dynamit-Attrappen sollten eine symbolische Sprengung des Denkmals andeuten. Gleichzeitig forderten sie eine Umbenennung des Stadtquartiers in „Ella-Kay-Park“. Sie wollen den Namen der sozialdemokratischen Widerstandskämpferin Ella Kay aus Prenzlauer Berg in Erinnerung rufen.

Gegendemonstration am 15-06-2013
Gegendemonstration am 15.06.2013

Auch DKP, Antifa-Gruppen und Thälmann-Freunde aus den umliegenden Wohngebieten waren zur Gegendemonstration gekommen und brachten mit rund 160 Personen das größte „rote Fahnenmeer“ der jüngeren Geschichte vor dem Denkmal zusammen.

Natürlich war und ist Ernst Thälmann als historische Figur umstritten – doch umstrittene Denkmäler lassen diese Figur wieder quicklebendig werden.

Die 54 Tonnen schwere Großplastik steht unter Denkmalschutz. Der Künstler Lew Kerbel hat die durchaus umstrittene konkrete historische Person zum verallgemeinerten Symbol umgeformt. Der historische Politiker Ernst Thälmann wurde zum Typus des permanenten Revolutionärs gestaltet. Studenten der Bildhauerei finden hier ein eindrucksvolles Lehrbeispiel wirksamer Bildhauerkunst. Graffitti-Sprayer versuchen daran stetig, ihre eigene Flüchtigkeit in dauerhafte Bilder zu verwandeln.

Das Denkmal sollte zu Beginn der 1990er Jahre nach der Empfehlung einer im Auftrag des Berliner Senats gebildeten Historiker-Kommission abgerissen werden. Es wurden aber nur Teile des Ensembles, große bronzene Schrifttafeln mit alten Propaganda-Texten, demontiert und eingelagert.
Auch eine eigens einberufene Tagung in Prenzlauer Berg im Jahr 1993 führte zu keinen neuen Erkenntnissen im Umgang mit dem Denkmal. Der Tagesspiegel schrieb damals: „Derzeit ist der Umgang mit diesem ungeliebten Geschichtsdenkmal weniger von Souveränität gekennzeichnet als von Hilfslosigkeit.“

In den Folgejahren wurde das zwischenzeitlich in die Berliner Denkmalliste eingetragene Denkmal nicht mehr gepflegt bzw. gereinigt – und es wurde zum Objekt zahlreicher Graffiti-Sprühereien. Mitte der 1990er Jahre wurde von privater Seite die Losung „Eingekerkert, Ermordet, Beschmiert“ angebracht, um gegen den Verfall des Denkmals zu protestieren.

Im Jahr 2000 gründete sich das Aktionsbündnis Thälmann-Denkmal, das es sich zum Ziel setzte, einen aus der Sicht des Bündnisses würdigen Umgang mit dem Denkmal zu finden. Es besteht aus linken Berliner Parteien, Gruppen und Organisationen, darunter die damalige PDS, die DKP, KPD, KAZ, VVN-BdA, FDJ.

Das Aktionsbündnis hat seit 2000 jeweils zwei Kundgebungen im Jahr vor dem Denkmal veranstaltet, immer zum Geburtstag (16. April 1886) und dem Tag der Ermordung von Ernst Thälmann (18. August 1944).

Bei dieser Gelegenheit haben Mitglieder des Bündnisses das Denkmal jeweils wieder gesäubert. Seit 2006 kommt die Stadt Berlin für die Reinigung des Denkmals auf.

Offensichtlich waren die Reinigungszyklen nicht intensiv genug, denn nach jeder Reinigung ist das Thälmann-Denkmal schon nach wenigen Wochen neu beschmiert.

So hat die Pankower Bezirksverordnetenversammlung auch gerade in diesem Monat einen neuen Antrag „Graffiti – Denkmale besser schützen“ mit Mehrheit beschlossen.

Stadtrat Jens-Holger Kirchner forderte auf dem letzten „1. öffentlichen Workshop Thälmannpark“ einen kreativen Umgang mit dem Denkmal – und plädierte dafür, es stehen zu lassen. Und es gab auch erste Anzeichen seitens der Workshop-Teilnehmer, den als „Leerstelle im Stadtraum“ begriffenen Platz um das Thälmann-Denkmal mit neuen Nutzungsideen zu füllen.

Die neue Stammtisch-Idee der „Jungliberalen“ war vielleicht als „kreativer Akt“ erdacht worden, aber die „Sprengung ohne Knall“ ist nun wohl eine klasssiche „Fehlsprengung“ geworden, die nicht einmal Kratzer hinterlassen hat.

„Wer kämpft um eine Idee, um eine große und gewaltige Idee, der muß alle Leiden in diesem unvermeidlichen Kampf ruhig, bewußt und, wie es einem ehrlichen Revolutionär gebührt, mit einer größten Energie zu ertragen wissen.“

Hätten die Jungliberalen dieses Thälmann-Zitat gekannt, wären sie wohl besser selbst in das offene Planungsverfahren zum integrierten Stadtentwicklungskonzept hinein gegangen. Nun bleibt ihre Aktion ein „elitär-dämlicher Akt“.

„Zwei Erziehungen empfängt jeder Mensch: Die eine erteilen ihm Eltern und Lebenserfahrungen, die zweite, wichtigere, er sich selbst“ – Ernst Thälmann gibt den modernen Jungliberalen nun eine neue Denkarbeit auf.

Wie künftig kreativ mit dem Ort des Thälmann-Denkmals, vielleicht auch mit dem gesamten Thälmann-Park umgegangen wird – auch dazu kann man den Arbeiterführer und Revolutionär befragen:

„Die größten Aufgaben, die das Leben stellt, werden nicht nur durch Arbeit und Fleiß gelöst, sondern es muß eine Lust hinzukommen,
die diese Arbeit zwingend macht.“

Und damit hat Ernst Thälmann auch dem Planungsverfahren für das integriete Stadtentwicklungsverfahren zu dem großen Stadtquartier einen wichtigen Stempel aufgedrückt.

Das Denkmal von Ernst Thälmann thront gelassen am 15. Juni 2013 auf seinem Sockel.

Und Thälmann spricht: „Immer jünger werden, je älter man wird, das ist die rechte Lebenskunst“. m/s

Politikerstimmen:

Der Pankower Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich bezeichnete den Vorschlag der Jungen Liberalen, das Thälmann-Denkmal in Prenzlauer Berg abzureißen, als „Geschichtsvergessene Bilderstürmerei“.

Liebich weiter:
„Die Idee eines Happenings mit symbolischer Sprengung der Bronzeplastik ist wohl vor allem der Verzweiflung der FDP-Jünger darüber geschuldet, in Berlin seit Jahren keinerlei politische Akzente setzen zu können. Das Monument von Ernst Thälmann, der als Vorsitzender der KPD 1944 von den Nazis in Buchenwald hingerichtet wurde und dessen politisches Wirken in der DDR verklärt und heute bei der LINKEN auf Grund seiner Nähe zum Stalinismus deutlich differenzierter bewertet wird, taugt nicht für einen Stellvertreterkrieg. Das Denkmal mitten in Berlin symbolisiert in anschaulicher Weise die wechselhafte und widersprüchliche Geschichte unserer Stadt.“

Bezirksbürgermeister Mathias Köhne (SPD) ist dafür, das Denkmal zu erhalten: „Meine Position ist unverändert: Das Denkmal soll stehen bleiben.“

In der CDU äußerte sich der Fraktionsvorsitzende Johannes Kraft: „Wir warten auf ein Gesamtkonzept für den Park“. Die städtebauliche Voruntersuchung zur künftigen Gestaltung des Wohnviertels hat gerade erst begonnen.

Den ersten kreativen Vorschlag brachte Andreas Otto, Bundestagskandidat von Bündnis 90/Grüne ein:

„Das monumentale Denkmal des Kommunisten mitsamt dem betonierten Aufmarschplatz ist keine Zierde des Prenzlauer Berges. Aber archaische Bilderstürmerei ist in der Geschichtspolitik selten der beste Weg. Kreativer Umgang mit den Hinterlassenschaften der SED ist gefragt.
In den 90ern gab es schon einmal die Debatte um das Denkmal. Der beste Vorschlag: Den Giganten vom Sockel heben und daneben stellen. In den Park eben. Als Symbol für das Ende der Diktatur.“

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m/s

4 thoughts on “Thälmann thront gelassen am 15. Juni 2013

  1. Klaus Schröder im Tagesspiegel vom 03.05.13:
    „Thälmann war ein KPD-Funktionär der ersten Stunde; schon unmittelbar nach der Gründung der Partei wurde er in den Zentralausschuss gewählt. Knapp drei Jahre später beteiligte er sich – wenn auch nicht als Barrikadenkämpfer – am sogenannten Hamburger Aufstand, einem gewaltsamen Putschversuch der KPD gegen die junge Weimarer Republik. 1925 übernahm er den Vorsitz der KPD und kandidierte bei der Reichspräsidentenwahl. Mit seiner Kandidatur im zweiten Wahlgang verhinderte er einen Wahlsieg des demokratischen Zentrumpolitikers Wilhelm Marx und verhalf Hindenburg zum Sieg.
    In den nachfolgenden Jahren bekämpften Thälmann und die KPD die Demokratie, wo immer sie eine Möglichkeit hierfür sahen. Dabei scheute Thälmann auch nicht die Zusammenarbeit mit den erstarkenden Nationalsozialisten. Im August 1931 versuchten NSDAP und KPD gemeinsam, durch einen Volksentscheid die sozialdemokratische Landesregierung Preußens zu stürzen. Ein Jahr später organisierten die beiden antidemokratischen Parteien gemeinsam einen BVG-Streik. Thälmann sah kein Problem in der Zusammenarbeit von Kommunisten und Nationalsozialisten in Streikkomitees. Sein vorrangiges Ziel war die Zerschlagung des bürgerlichen Staates.
    Für Thälmann waren nicht Nationalsozialisten die Hauptfeinde, sondern Sozialdemokraten, die er als Sozialfaschisten bezeichnete. Die SPD würde die Arbeiter vom Klassenkampf abhalten und an das bestehende System binden. „Faschismus und Sozialfaschismus stehen in einer Klassenfront und arbeiten beide an der Durchführung der faschistischen Diktatur mit“ – so Thälmann, der 1931 forderte: „Man kann den Kapitalismus nicht schlagen, ohne die Sozialdemokratie zu vernichten.“ Dies gelang bekanntlich erst 1946 in der SBZ mit der Gründung der SED.
    Die KPD, die die von der NSDAP ausgehende Gefahr unterschätzte, wurde nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten schnell zerschlagen und Thälmann am 3. März 1933 verhaftet. Gut ein Jahrzehnt später wurde er im KZ Buchenwald ermordet.
    Thälmanns Tod hätte freilich verhindert werden können. Wenn Stalin 1939 nach Abschluss seines Paktes mit Hitler auf der Freilassung des KPD-Führers bestanden hätte, wäre er vermutlich in die Sowjetunion entlassen worden. Doch die Kommunisten brauchten einen Märtyrer und verzichteten auf diese Forderung.
    Thälmann war in seinem politischen Wirken in erster Linie nicht Antifaschist, sondern Antidemokrat. Mit der von ihm geführten kommunistischen Partei bemühte er sich nach Kräften, die Weimarer Republik zu zerstören und an ihrer Stelle eine kommunistische Diktatur nach sowjetischem Vorbild zu errichten.
    Wer Thälmann durch Straßen, Plätze, Kindertagesstätten, Schulen und Denkmäler ehrt und in seinem Sinne „kämpft“, möchte die freiheitliche Demokratie in Deutschland abschaffen oder steht ihr gleichgültig gegenüber. Wer sich aber den Werten dieser Demokratie verpflichtet fühlt, kann nur fordern, den Namen „Thälmann“ aus dem Straßenbild deutscher Städte und Gemeinden zu tilgen.“

  2. Ich bin dafür, dass das Denkmal stehen bleibt, wie es ist. Nur muss es die Graffities „ruhig, bewusst und mit größter Energie ertragen“ lernen. Auf der „Osten ungeschminkt“-Tour von Berlin on Bike kommen wir regelmäßig am Denkmal vorbei. Wir brauchen es um Geschichte(n) zu erzählen!

  3. Ernst Thälmann hat gegen den Faschismus gekämpft und hat versucht die Nazi-Regierung zu stürzen. Er wurde für diese Haltung von den Nazis verfolgt und ermordet. 11 Jahre lang musste Thälmann in Einzelhaft in verschiedenen Gefängnissen verbringen, bis sie ihn letztendlich ermordet haben.
    Und heute soll man ihn laut dieses Artikels von einem gewissen Herrn Klaus Schröders nicht mehr ehren, weil er ein Kommunist war? Entfernen wir dann demnächst auch Rosa Luxemburg Denkmäler und Strassen? Wer solche Denkmäler abreißen möchte, der sollte mal eingehend darüber nachdenken wo er politisch steht. Ein sehr demokratischer Standpunkt ist das nämlich nicht, wenn man jeden der anders denkt gleich „verschwinden“ lassen möchte.

  4. Jungdemkraten wollen Thälmann-Denkmal sprengen und dann auch noch mit dem FDPler Metzner im Schlepptau? Was für ein Unsinn. Die radikaldemokratische Jugendorganisation von denen viele der Partei DIE LINKE angehören und die sich dem antikapitalistischen Spektrum zurechnen, waren sicherlich am 15.6.2013 nicht am Thälmann Denkmal. Offensichtlich lebt der Autor in der weit zurückliegenden Vergangenheit. Die Jungdemokraten hatten bereits vor über 30 Jahren die Zusammenarbeit mit der rechtsliberalen FDP aufgelöst. Die FDP hatte zuvor eine Konkurrenzorganistation, die Jungen Liberalen, herangezüchtet. Die JungdemokratInnen vereinigten sich nach dem Zusammenschluss der beiden deutschen Staaten mit den Jungen Linken. Einer ihrer Bundesvorsitzenden war z.B. Benjamin Hoff.

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