Freitag, 19. April 2024
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Berlins brutalste Sanierer

Bau-Sanierung Kopenhagener Str. 46

In der Kopenhagener Strasse 46 soll ein Gründerzeithaus energetisch saniert werden. Die Mietergemeinschaft im „Jahnke-Haus“ zählt zu den langjährig gewachsenen Nachbarschaften in Prenzlauer Berg, in der Studenten, Familien mit Kindern und Rentnern unter einem Dach leben.

Bau-Sanierung Kopenhagener Str. 46
Energetische Sanierung am Mietshaus Kopenhagener Str. 46: Mietergemeinschaft in Baufolien verpackt!

Bedroht ist die Mietergemeinschaft nun durch einen Investor, der hier mit Kündigungsdrohungen, fristlosen Kündigungen und überhöhten Mieterhöhungsankündigungen Angst und Schrecken verbreitet hat.

Das „Jahnke-Haus“ gehörte einem eher sozial eingestellten Eigentümer, der jedoch 2012 verstarb. Jens Jahnke hatte das Haus nach der Wende erworben. Unter seiner Ägide war ein Mehrfamilienhaus mit einer Hausgemeinschaft geworden, in der Jung und Alt zusammen leben. Noch immer wohnen hier 45 Menschen in dem Haus, unter ihnen 15 Kinder.

Werte erhalten – Werte erschaffen

Die Erbengemeinschaft hat das Haus Kopenhagener Strasse 46 an eine „Investorengruppe“ verkauft, die nun auf ihre „energische Art“ eine „energetische Sanierung“ betreiben will. Investor ist die Christmann-Gruppe, eine Holding GmbH mit mehreren Projektgesellschaften, die mit ihrer Internetadresse schon einmal den Eindruck einer „Aktiengesellschaft“ hervorrufen möchte: www.christmann.ag.. Die Firma sitzt jedoch nicht in der Karibik, sondern im gutbürgerlichen Berlin-Charlottenburg.
Der Claim der Firma klingt in den Ohren der betroffenen MieterInnen wie Zynismus und Hohn:

„Die CHRISTMANN UNTERNEHMENSGRUPPE bietet Ausnahme-Immobilien in Berliner Top-Lagen und kann Ihnen durch beispielhafte Kompetenzen in der Altbausanierung besonderen Wohnraum präsentieren. Jedes unserer Objekte ist einmalig- und somit jede Wohnung unsere individuelle Limited Edition. Von der Projektplanung bis über die Bauausführung Ihrer Wunschwohnungen sehen wir unseren Anspruch, gewachsene Werte zu erhalten und neue Werte zu gestalten. Der Umbau und die Erweiterung historisch gewachsener Gebäude setzt weitreichende Kenntnisse voraus. Rechnen Sie mit uns.“

Mieter mit fristlosen Kündigungen traktiert

Die Investoren begannen schon kurz nach der Übernahme damit, die hier langjährig wohnenden MieterInnen mit fristlosen Kündigungen, Räumungsandrohungen und Mieterhöhungsankündigungen zu traktieren. Die Christmann-Gruppe agiert dabei mit der Rechtsanwaltskanzel Steinpilz, die nach Aussage der MieterInnen völlig „überaschend und brutal“ agiert.

So wurde etwa bei Eigentümerwechsel entstehende 3-tägig verspätete Mietzahlungen auf das neue Konto des neuen Vermieters als Kündigungsgrund für sofortige fristlose Kündigungen verwendet. Inzwischen sind auch die Sanierungsankündigungen und entsprechende Duldungsvereinbarungen vorgelegt worden, die allesamt auf exorbitante Mieterhöhungen und Verdrängung der MieterInnen hinauslaufen.
Die Betrofenheit in der Mietergemeinschaft ist groß: ein Rentnerehepaar mit gemeinsam 1.500 € Rente soll künftig 900 € Miete zahlen. Beide sind noch nicht bedürftig, wären aber nach der Modernisierung „anerkannte Sozialfälle“, die weniger zum Leben verfügbar haben, als der Hartz4-Regelsatz.
Im Haus wohnt auch eine Energieberaterin, die nach Sanierung des Hauses voraussichtlich mehr Energie benötigt, und dann über 50% ihres Netto-Einkommens für Wohnkosten aufbringen muß. Auch sie wird zum „Sozialfall“.
Und es wohnen Familien in dem Haus, die nach Modernisierung 335% mehr Miete zahlen sollen. Sie werden vermutlich zum Notfall werden, weil sie mit 2-3 Kindern auch keine angemessene Wohnung mehr im Kiez finden.
Die Hausgemeinschaft hat die nun schon über ein halbes Jahr andauernde Leidensgeschichte in einem Blog festgehalten, dessen Web-Adresse auch am inzwischen aufgestellten Baugerüst prangt: http://kopenhagener.wordpress.com/.

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Energetische Sanierung Kopenhagener Str. 46:
Innenhoffassade mit Folien abgedichtet

Baugenehmigung erteilt – Mieter in Baufolien verpackt

Stolz präsentierte Wulf Christmann am 6. März seiner Internet-Seite die „städtebauliche Genehmigung“, für das Haus, das obendrein im Millieuschutzgebiet „Falkplatz“ liegt.
„Die Genehmigung nach § 173 Abs 1 BauGB in Verbindung mit § 172 Abs. 4 BauGB wird erteilt“, lautet der zentrale Satz des Genehmigungsschreibens der Abteilung Stadtentwicklung des Bezirksamtes Pankow.

Genehmigt werden:“Einbau einer Zentralheizung mit Warmwassererzeugung, Fassadendämmung und Kellerdeckendämung, Einbau von hochwärmedämmenden Fenstern, Einbau einer Wohnraumlüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung, Verstärkung von Elektrosteigeleitungen und Zählerzentralisierung, Einbau Videospreechanlage und Instandsetzung Steigeleitungen.

Schon einen Tag später wurden die Gerüste aufgebaut – und die gesamte Hausgemeinschaft in blickdichte, weiße Bauplanen „verpackt“. Nicht etwas sichtdurchlässige Gerüst- und Bauschutznetze‎ wurden an dem Gerüst befestigt, sondern undurchsichtige Gerüstschutzplanen aus LDPE-Folie mit stabilisierendem HDPE-Gewebe.
Die MieterInnen empfinden die ungewöhnliche Maßnahme als „reine Schikane“, denn sowohl Straßenfront als auch Innenhof wurden gleichzeitig „vollverpackt“.

Brandgefahren ignoriert

Familien und Kinder sollen nun über 60 Tage ohne Tageslicht auskommen, und hinter den weißen Planen auf das Abschlagen des Putzes und die Fassadensanierung warten.

Die Brandgefahren der „Gebäudeverpackung“ wurden vom Investor offensichtlich völlig ignoriert, denn die Planen sind praktisch „winddicht“ und „rauchdicht“ und erschweren im Brandfall sowohl Frischluftzufuhr wie auch Rauchabzug. Eine Riesengefahr, die hier ignoriert wird.

Bausanierung Kopenhagener Str. 46
Bausanierung in der Kopenhagener Str. 46: Protest gegen Verdrängung mit Grillwurst und Kiezinfos

Mieter suchen Unterstützung von Politik und Öffentlichkeit

Nach den gesetzlichen Bestimmungen dürfen die Vermieter die Kosten der energetischen Sanierung auf die Miete umlegen – trotz Mietpreisbremse. Doch was sich Mieter gefallen lassen müssen, und was nicht, das ist nur nach umfangreichen Detailprüfungen herauszufinden.
Vertreter der Mietergemeinschaft haben deshalb die Öffentlichkeit gesucht, und seit Mitte Februar gelangt der „Fall Kopenhagener Straße 46“ immer mehr in die Öffentlichkeit.
Der Fall der schwangeren Mutter, die kurz vor der Entbindung eine Räumungsandrohung bekam, schaffte es sogar auf die Schlagzeilen und Zeitungstitel.

Am letzten Montag kümmerte sich nun sogar Heiko Maas, Minister für Justiz und für Verbraucherschutz und sein Staatssekretär Gerd Billen um das Problem. Sie diskutieren mit dem Geschäftsführer, des Berliner Mieterbundes, Reiner Wild und betroffenen Mieterinnen und Mietern über die Mietpreisbremse und eigene Erfahrungen zur Mietpreisentwicklung.

Politik hinkt hinterdrein

Heiko Maas machte dabei deutlich, dass er in ersten Jahreshälfte ein Gesetzentwurf zur Mietpreisbremse durchbringen will, der Miethöhen bei Neuvermietungen auf maximal 10 % über Vergleichsmiete begrenzen soll.
Ferner soll das Bestellprinzip für Makler (wer bestellt, der zahlt) umgesetzt werden. Erst in der zweiten Jahreshälfte will die Politik sich mit Modernisierung und deren Auswirkungen auf die Mieten befassen.

Immerhin: Heiko Maas erkennt die von den Mieterinnen vorgetragenen Probleme an und meinte, das was sich fallweise abspielt .. „wäre vom Gesetzgeber so nicht gewollt“.

Für die Mieterinnen und Mieter in der Kopenhagener Straße ist das zwar gut zu hören – aber alle geplanten Initiativen kommen für sie zu spät.

Energetische Sanierung als soziales Problem

Wohnungspolitisch erweisen sich „energetische Sanierungen“ immer mehr als soziales Problem: Investoren nutzen die ENEV-Vorschriften um Baukosten und Umlagen hochzutreiben.

Anders als bei landeseigenen Wohnungsgesellschaften, bei denen das Berliner Mietenbündnis soziale Härtefälle ausnimmt, haben Mieter bei privaten Investoren praktisch keine Chance, einer Verdrängung zu entgehen.
Ob eine „Videosprechanlage“ auch in jedem Fall eine Moderisierung darstellt, ist fraglich. Eine Deckenabhängung und der Einbau ständig laufender, elektrisch betriebener „Wohnungslüftungsanlagen“ ist auch nicht unbedingt eine Wohnwertverbesserung. Und der Einbau von 24cm Styropor-Dämmplatten ist fragwürdig, zumal der Baustoff absehbar ab 2016 grundsätzlich verboten wird.
Besonders problematisch: die umlagefähigen Baukosten übersteigen die Netto-Beträge von Energie-Einsparungen und machen den Mieter zum „ewigen Renditebringer“ und treiben immer mehr Normalverdiener in die soziale Bedürftigkeit. m/s

m/s

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