Freitag, 29. März 2024
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2 Billionen € für die deutsche Einheit

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Die Kosten der deutschen Einheit werden vom Forschungsverbund SED-Staat an der FU Berlin ermittelt und bilanziert. Aktuell legen die Wissenschaftler um Klaus Schröder neue Zahlen vor, wie WELT am Sonntag berichtet.

Demnach belaufen sich die Kosten der deutschen Einheit mittlerweile auf netto knapp zwei Billionen Euro zwischen 1990 und 2014.

In der Bilanz sind alle Finanztransfers zusammengerechnet, die den östlichen Bundesländern zugute kamen: Wirtschaftsfördertöpfe, Solidarpakt, Länderfinanzausgleich und EU-Fördermittel sowie Transfers über die Sozialsysteme abzüglich selbst erzeugter Steuern und Sozialabgaben.

Renten und Sozialbereich machen Löwenanteil aus

Rund 60 bis 65 Prozent der Finanzmittel flossen nach den den Angaben des Forschungsverbundes in den Sozialbereich, davon wiederum ein Großteil in die Rente.

Das Dresdner ifo-Institut gab gegenüber der WELT an, zwischen 1991 und 2013 seien jährlich acht bis 14,5 Milliarden Euro allein in wachstumsfördernde Maßnahmen im Osten investiert worden.

Insgesamt hätten sich die direkten und ausschließlichen Finanztransfers seit 1991 auf rund 560 Milliarden Euro belaufen. Darin enthalten seien Mittel aus dem Fonds Deutsche Einheit, der Treuhandanstalt, die Investitionszulage und wachstumsorientierte Ausgaben des Bundes.

Geringere Wirtschaftskraft im Osten

Nach den Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag der „Welt am Sonntag“ haben die Regierungen der fünf Ost-Länder und ihre Bevölkerung seit der Wiedervereinigung rund 1,5 Billionen Euro mehr verbraucht, als sie selbst produziert haben.
Experten rechneten zudem damit, dass die Wirtschaftskraft eines Ostdeutschen auch künftig bei gut zwei Drittel eines Westdeutschen stagnieren werde.

„Der Osten wird auf absehbare Zeit den Anschluss an den Westen nicht schaffen“, sagte Joachim Ragnitz vom Dresdner ifo-Institut der Zeitung WELT am Sonntag.

Kommentar: Fehlende Diskussion um Disparitäten

Die zusammengetragenen Zahlen bilden statistische Wahrheiten für die Politik ab, die jedoch den Blick auf bedeutsame Unterschiede und Disparitäten verstellen und einebnen.

Vergleicht man etwa das alte Industrie- und Bundesland Nordrhein-Westfalen mit ganz Ostdeutschland, so haben wir bei annähernd gleicher Zahl der Haushalte (NRW 8,4 Mio. : 8,8 Mio. in Ostdeutschland plus Berlin) beachtliche Disparitäten:

Hohe Verwaltungsdichte & Bürgernähe
Im Osten ist die „Verwaltungs- und „Ministerpräsidenten-Dichte“ und damit die „Bürgernähe“ größer als in NRW. So gibt es im Osten für ca. 8,8 Mio.Haushalte ganze 6 Bundesländer (Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen, Sachsen und Berlin). Es regieren hier 5 Ministerpräsidenten plus ein Regierender Bürgermeister.

Instabile Industrielle Kerne
Während NRW ein altes, über viele Standortde vernetztes Industrieland ist, entstanden weite Teile der Industrie in Ostdeutschland erst in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Hier fehlt bis heute der tief vernetzte handwerkliche Mittelstand, der wirtschaftliche und industrielle Wertschöpfung erst stabil macht.

Die industrieellen Kerne in der DDR wurden nach dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen einer nationalen Autarkiepolitik und einer internationalen Arbeitsteilung im RGW mit der Sowjetunion ausgebaut. Viele Betriebe dienten trotz fehlender Wirtschaftlichkeit als „Devisenbringer“ in der DDR und hatten gewaltige „Energie- und Materialverluste“.

Teurer Verwaltungsaufbau im Osten
Der Neuaufbau der Verwaltung und Infrastruktur im Osten erfolgte in dichter Standortkonkurrenz der „Neuen Bundesländer“. Vieles was geplant und erdacht wurde, entstand völlig am Bedarf vorbei. Leerstehende neue Finanzämter und Arbeitsämter, wie etwa in Finsterwalde werden noch jahrzehntelang mit Kommunalkrediten bezahlt. Steigende Verwaltungsetats und Gehälter, Renten und Pensionen wachsen sich zum Strukturproblem aus.

Kredite und Steuersubventionen
Der Aufbau-Ost war zu weiten Teilen durch Steuersubventionen, Investitions- und Kreditförderung angetrieben. Doch wie sind diese Mittel tatsächlich verteilt worden. Große Teile dieser Mittel haben einen wachsenden Wohlstand in ganz Deutschland bewirkt, weil Waren und Dienstleistungen eingekauft wurden.
Zudem: Unternehmen und „Landeskinder“ aus Süddeutschland haben überdurchschnittlich profitiert, weil sie die größeren Kreditsicherheiten mobilisieren konnten, und durch eine „unternehmerische Kreditvergabepolitik“ ihrer Landesbanken gefördert wurden. Weite Teile der Wohlstandsgewinne der Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg beruhen heute auf „Gewinnen“ und „Abschreibungen“ aus dem Aufbau-Ost und den neu investierten Immobilienvermögen.

Angleichung der Lebensverhältnisse

Die Zahl von 2 Billionen € entspricht ziemlich genau dem gesamten Schuldenstand Deutschlands. Die Neuordnung des Länderfinanzausgleich beschäftigt heute die Politik. Die Analyse dessen, was am Aufbau-Ost gelungen, und was schief gelaufen ist, steht noch insgesamt aus.
Zwar war Politik der „Angleichung der Lebensverhältnisse“ im Ansatz und als Staatsziel bislang immer richtig angelegt. Doch neue Weltwirtschaftsstrukturen, neue Sichtweisen der Menschen und neue Wirtschaftsfaktoren beeinflussen die Wirksamkeit von Politik.
Internet und weltweite Vernetzung begünstigen heute urban-vernetzte Räume mit schnellen Wissenszugang, Kultur- und Freizeitausgleich. In der Fläche wird man nicht mehr gegen diesen Trend investieren können. Kreditvergabe und der Kapitalzugang bestimmen heute auch in neuer Weise Innovationen und Erfolgsaussichten.

Neue urbane Kerne entfalten sich heute um Städte mit Fachhochschulen und Universitäten. Lernen kann man ausgerechnet vom Bundesland Bayern, das 30 Jahre für den Strukturwandel vom Agrarland zum High-Tech-Standort brauchte.
Einst hat dort ein Ministerpräsident Franz Josef Strauß gegen den Willen des Bundes 12 Fachhochschulstandorte durchgesetzt, an denen der heutige bayrische Wirtschafterfolg anknüpft, um um dies sich moderne „Industrie- und Innovations-Cluster gruppieren.

Wenn die Politik sich neu besinnt, und über die Angleichung der Lebensverhältnisse nachdenkt, wird man auch darüber nachdenken müssen, ob im Osten die „Ministerpräsidenten-Dichte“ und „Bürgernähe“ verringert, und die „Universitätsprädidenten-Dichte“ erhöht werden muß.

„Kredit, Zukunftsinvestitionen und Innovationen“ – statt „Verwaltung, Renten und Pensionen“ – so könnte es weitergehen!

Auch politische Begriffe müssen überdacht werden, wenn es um künftigen Länderfinanzausgleich geht:

Die Forderung im Grundgesetz nach „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ in ganz Deutschland, muß heute auch um die Forderung nach „gleichwertigen Lebenschancen“ ergänzt werden. m/s

m/s

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