Donnerstag, 28. März 2024
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Ersatzmigration & Überrollung #1

Flüchtlingstreck 2015

Mehr als eine Million Flüchtlinge sind im vergangenen Jahr nach Deutschland gekommen. Die Debatte um Migration und Zuwanderung hält an. Die Positionen in der Politik verändern sich. Europa ist politisch zerrissen zwischen Ländern, die eine Zuwanderung als Lösung denografischer Problemlagen sehen – und jenen Ländern, die eigene Wege für ihre Bürgerinnen und Bürger suchen wollen. Alt-Kanzler Dr. Helmut Kohl ergreift nun das Wort, und warnt.

Flüchtlingstreck 2015
Flüchtlingstreck 2015 – Foto: Christian Hlade

Kohl sieht die Europäische Union wegen der Flüchtlingskrise in einer „Zerreißprobe“: Durch den „Rückfall in altes, nationalstaatliches Denken“ würden „unser Frieden und unsere Freiheit existenziell gefährdet“. Der Ex-Kanzler mahnt, neben den humanitären Aspekten müsse Europa zugleich „wohlbegründete kulturelle und sicherheitspolitische Interessen berücksichtigen“. Viele Flüchtlinge kämen „aus unterschiedlichen Kulturkreisen.

CDU 2002: Ende der Zuwanderung in Sozialsysteme gefordert

Wir erinnern uns: noch 2002 forderte die CDU das Ende der Zuwanderung in die Sozialsysteme, weil sonst der innere Friede gefährdet sei. Unter der Überschrift „Identität Deutschlands bewahren“ hieß es im Wahlprogramm:

„Das demokratische Deutschland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten weltweites Ansehen erarbeitet und Vertrauen gefunden. Zusammengehörigkeitsgefühl und ein aufgeklärter Patriotismus, also ein positives Verhältnis zur Nation, sind eine Grundlage, auf die für die gemeinsame Gestaltung einer guten Zukunft nicht verzichtet werden kann.“

Zuwanderung steuern und begrenzen

Die CDU forderte 2002 auch:

„Deutschland ist ein weltoffenes und gastfreundliches Land. Mit einem Anteil der Ausländer an der Bevölkerung von 9 % nimmt Deutschland unter den großen westlichen Industrienationen den Spitzenplatz ein. Die Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer hat seit 1972 von 3,5 Millionen auf 7,3 Millionen zugenommen, die der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ausländer ist dagegen von 2,3 Millionen auf 2,0 Millionen zurückgegangen. Die Ausländerarbeitslosigkeit hat sich in dieser Zeit massiv erhöht und liegt heute mit rund 20% doppelt so hoch wie in der Gesamtbevölkerung. Die Zuwanderung erfolgte also überwiegend nicht in Arbeitsplätze, sondern in die sozialen Sicherungssysteme. Drei Viertel der Menschen aus anderen Ländern, die in Deutschland leben, kommen aus Staaten außerhalb der Europäischen Union. Deutschland kann aufgrund seiner historischen, geographischen und gesellschaftlichen Situation aber kein klassisches Einwanderungsland wie etwa Australien oder Kanada werden.

Deutschland muss Zuwanderung stärker steuern und begrenzen als bisher. Zuwanderung kann kein Ausweg aus den demografischen Veränderungen in Deutschland sein. Wir erteilen einer Ausweitung der Zuwanderung aus Drittstaaten eine klare Absage, denn sie würde die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft überfordern. Verstärkte Zuwanderung würde den inneren Frieden gefährden und radikalen Kräften Vorschub leisten.“

In der Folge hat die CDU jedoch verabsäumt, einem Zuwanderungsgesetz zuzustimmen, das eine geordnete Zuwanderung ermöglicht hätte.

SPD für Einwanderungsgesetz

Die SPD-Bundestagsfraktion setzt sich für ein neues Einwanderungsgesetz in Deutschland ein. In einem Positionspapier wurde die aktuelle Auffassung dokumentiert. Dabei wird vor allem die funktionale wirtschaftliche Perspektive betont:

„Wohlstand und Lebensqualität in Deutschland beruhen auf der Leistung der Menschen und einer starken Wirtschaft. Aber unsere Gesellschaft altert und schrumpft. In den nächsten Jahrzehnten werden deutlich weniger Menschen in unserem Land leben und zum Wohlstand beitragen können. Tatsache ist: Aufgrund der demographischen Entwicklung verlieren wir in den kommenden zehn Jahren bis zu 6,7 Millionen Erwerbsfähige. Dies ist aktuell die größte Herausforderung für unsere Volkswirtschaft, auf die wir Antworten geben müssen.
Ziel muss es sein, den erwarteten Rückgang des Arbeitskräftepotenzials zu verhindern. Anderenfalls laufen wir Gefahr, unseren Wohlstand zu verlieren und unsere sozialen Sicherungssysteme nicht mehr finanzieren zu können. Rente und Gesundheitsversorgung sind nur sicher, wenn wir auch die demographische Lücke schließen. Deshalb gilt: Jede und jeder in unserem Land wird gebraucht!“

Die Sozialdemokraten befinden sich dabei in einer elitären „politschen Erzählerposition“, die der Sprache von „Volkswirtschaftlern“ oder „Arbeitsdirektoren“ entspricht, die gern als „neoliberale Position“ tituliert wird. Doch überspitzt klingt es wie eine exoterrestrische „Mars-Attack“, bei der Aliens vom Planet Sozialdemokratie über „die Menschen“ verfügen und planen.

Von Bürgerrechten, demokratischer Willensbildung, Verfassung, gar Mitbestimmung und Interessenwahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger – keine Spur.

Offenbar ist man sich bei den Sozialdemokraten doch auch existierender Gegensätze und gegensätzlicher Interessenlagen bewußt, denn man stolpert zwischen zwei Prioritäten herum:

„Vorrangiges Ziel der deutschen Sozialdemokratie ist es, die in Deutschland lebenden Arbeitskräfte besser zu mobilisieren und zu qualifizieren. Aber wir müssen zugleich bessere Rahmenbedingungen für die Einwanderung von Fachkräften aus dem Ausland schaffen. Entscheidend ist: Hier gibt es kein „Entweder-oder“. Beides ist notwendig.“

Eine Grundbedingung wird anerkannt:

„Das Beispiel Kanada zeigt: Einwanderungspolitik ist dann erfolgreich, wenn sie von einem gesellschaftlichen Konsens getragen wird. Einwanderung lässt sich nicht gegen, sondern nur mit breiter Unterstützung der Gesellschaft gestalten. Diesen Prozess müssen wir gemeinsam mit Gewerkschaften und Arbeitgebern organisieren und darauf achten, dass soziale Konflikte vermieden werden. Mit geeigneten Maßnahmen wie dem Mindestlohn und der Tarifbindung muss ausgeschlossen werden, dass Einwanderung dazu benutzt wird, das Lohnniveau zu drücken und die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern.“

Ersatzmigration und UN-Bevölkerungpolitik

Im Sommer 2000 hat die Bevölkerungsabteilung der Vereinten Nationen den Volltext des Berichts „Replacement Migration: Is it a Solution to Declining and Ageing Populations?“ im Internet veröffentlicht. Dessen Ergebnisse wurde vor 16 Jahren in den deutschen Medien ausführlich berichtet. Die Studie definierte „Ersatzmigration“ als das Ausmaß von Zuwanderung, welches ein Land brauchen würde, um die Auswirkungen von Bevölkerungsrückgang und Alterung als Folgen geringer Fruchtbarkeit und zunehmender Lebenserwartung zu kompensieren.

Die Zahlen der Studie haben es in sich, zitiert wird die englische Fassung, die deutsche Version wurde aus dem Netz entfernt:

„The population of the European Union, which in 1995 was larger than that of the United States by 105 million, in 2050, will become smaller by 18 million.“

„Ausgehend von den regelmäßig durch die UN-Bevölkerungsabteilung durchgeführten Bevölkerungsprojektionen stellen die Autoren eingangs fest, dass bei Fortsetzung aktueller Trends alle europäischen Staaten und Japan in den nächsten 50 Jahren einen Bevölkerungsrückgang erleben werden. So wird z.B. für Italien zwischen 1995 und 2050 ein Bevölkerungsrückgang von 28% erwartet. Parallel dazu wird sich die Altersstruktur gravierend verändern. Das Medianalter wird auf eine bisher nicht erreichte Höhe steigen, so wird z.B. im Jahre 2050 jeder zweite Italiener älter als 53 Jahre sein.“

Für Deutschland gibt es ähnliche Zahlen. Im Exexutive Summary des „UN-Report 2000 REPLACEMENT MIGRATION“ sind Zahlen von jährlich 498.000 Zuwanderern aufgeführt, die erforderlich sind, um die Arbeitsbevölkerung stabil zu halten. Wobei auch ein späteres Renteneintrittsalter von bis zu 75 Jahren berechnet wird, um das Unterstützungsverhältnis von Wohnbevölkerung zu Arbeitsbevölkerung stabil zu halten.

Flüchtlingslager des UN World Food Programm (WFP) in Nizip, Türkei - Foto: WFP Sabine Starke
Flüchtlingslager des UN World Food Programm (WFP) in Nizip, Türkei – Foto: WFP Sabine Starke

Demografische Situation

Im Exexutive Summary des UN-Report 2000 REPLACEMENT MIGRATIOn heißt es weiterhin:

In der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts dürfte die Bevölkerung in den meisten Industriestaaten auf Grund von unterhalb der Bestandserhaltung liegenden Fruchtbarkeitsraten und steigender Lebenserwartung zurückgehen.

„Ohne Zuwanderung wird die Bevölkerung noch drastischer zurückgehen und noch rascher altern als nach den bisherigen Prognosen.

Obwohl die Fruchtbarkeitsrate in den nächsten Jahrzehnten durchaus wieder ansteigen könnte, glauben nur wenige Experten, dass sie ein Niveau erreichen wird, das in den meisten Industriestaaten in absehbarer Zukunft den Bevölkerungsbestand sichern kann. Daher wird ohne Bestandserhaltungsmigration ein Rückgang der Bevölkerung unvermeidlich sein.

Der prognostizierte Bevölkerungsrückgang und -alterungsprozess wird tiefgreifende und weitreichende Folgen haben und die Regierungen zwingen, zahlreiche überkommene Maßnahmen und Programme im wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bereich, so auch soweit sie die Zuwanderung aus dem Ausland betreffen, neu zu bewerten.

Die Zahl der Einwanderer, die notwendig ist, um ein Schrumpfen der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter auszugleichen, übersteigt diejenige, die einen Rückgang der Gesamtbevölkerung ausgleichen würde, um ein Erhebliches. Ob solche höheren Einwanderungszahlen zu den Optionen gehören, die den Regierungen zur Verfügung stehen, hängt zum großen Teil von den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen des jeweiligen Landes beziehungsweise der jeweiligen Region ab.“

UN: Report 2000 REPLACEMENT MIGRATION
Ersatzmigration: 6000 Zuwanderer pro Million Einwohner werden von 2000-2050 benötigt, um Arbeitsbevölkerung stabil zu halten = 498.000 / Jahr

Die von der UN-Bevölkerungsabteilung für Deutschland ermittelte Zahl von 6000 Zuwanderer pro Million Einwohner würde eine Zuwanderung von jährlich rund 498.000 Menschen bedeuten. Das wären rund 24 Mio. Menschen bis zum Jahr 2050.

Fortsetzung folgt:

Ersatzmigration und Überrollung #2

Der Streit um die Bewältigung der Zuwanderung und der kommenden Migrationskrisen