Donnerstag, 28. März 2024
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Berlin – Strategie 2.0

Berlin Strategie 2.0

„Ziegelrot-rostig-feinstaub-stickoxidbraune“ Flecken markieren den Berliner Stadtplan der neuen Berlin-Strategie 2.0. von Stadtentwicklungssenator Geisel. Sie markieren sogenannte Transformationsräume und städtebauliche Impulse, die man setzen will, um dem Phänomen „wachsende Stadt“ zu entsprechen. Die Entwicklungslogik ist auf Zahlen und Erwartungen gegründet, die jedoch gar nicht hinterfragt sind. Man geht einfach von einer Fortschreibung eines aktuellen Wachstums der Einwohnerzahlen aus.

Berlin Strategie 2.0
Berlin Strategie 2.0 – Transformationsräume, in denen Berlin zukünftig Schwerpunkte setzt? Grafik: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt

Die Rhetorik dazu ist daher auch numinos, unhinterfragbar konzipiert:

„Berlin wächst mit großer Dynamik. Nach aktueller Prognose wird die Bevölkerung bis zum Jahr 2030 um 220.000 Personen zunehmen, hinzukommen zahlreiche Geflüchtete.
Dieses Wachstum stellt die Stadt vor eine Vielzahl von Herausforderungen. Daher erweist es sich als notwendig, Leitbilder und Steuerungsansätze der Stadtentwicklung weiterzuentwickeln.“

So schreibt es die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt auf ihrer Internetseite, auf der die Berlin – Strategie 2.0 vorgestellt wird.

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Selbstbetrug mit dem Begriff „wachsende Stadt“

Die Strategie 2.0 entstammt Senator Geisels Handschrift, der den handlungsorientierten Senator gibt: „Auf das außerordentliche Tempo der Veränderung reagieren wir mit einer Aktualisierung der BerlinStrategie. Die Steuerungsansätze der Stadtentwicklung sind zu schärfen, um das Wachstum aktiv zu lenken, es sozial und solidarisch zu gestalten und Planungen zu beschleunigen. Mit Blick auf das Jahr 2030 wollen und müssen wir steuernd eingreifen, wenn wir Berlins hohe Lebensqualität für alle erhalten
und weiter verbessern wollen.“

Doch Geisels „wachsende Stadt“ wächst gar nicht! Mit dem Begriff der „wachsenden Stadt“ wird ein großer politischer Selbstbetrug organisiert, denn Berlin bleibt nach den bisherigen Strategien 891,68 km² groß – und wächst in der Fläche nicht. Tatsächlich platzt Berlin aus allen Nähten, und eine allzu etatistische Stadtentwicklungspolitik betreibt nur Provisiorien und aktionistische Programm-Entscheidungen.

Wäre Geisel Architekt oder Städtebauer, so würde er ehrlicherweise von der „zu verdichtenden Stadt“ reden, und von wachsenden Zielkonflikten – denn wo mehr Menschen hinziehen, wächst nicht nur der Bedarf an Infrastruktur, sondern auch an Frei- und Grünflächen. Genau diese Freiflächen will Geisel aber bebauen, weil aus rein finanzpolitischer Erwägung auf Neubau auf landeseigenen Freiflächen gesetzt wird.

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Leitbild wachsende Stadt upgedatet

Schon im Herbst 2014 wurde die „BerlinStrategie | Stadtentwicklungskonzept Berlin 2030“ vom Senat als Leitbild für die wachsende Stadt verabschiedet. Um den wachsenden Herausforderungen gerecht zu werden, erarbeitet die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt daher ein Update der BerlinStrategie. Die BerlinStrategie 2.0 setzt nun mit ihrer Aktualisierung auf die Schwerpunkte „Arbeiten“, „Wohnen“ und „offene Stadtgesellschaft“.

Immerhin: man scheint begriffen zu haben, dass man nicht nur Wohnen und Infrastruktur – sondern auch Arbeiten planen muss. Das Thema Grünflächen, Freiräume und Sport- und Bewegungsflächen fehlt, doch diese gehören zur notwendigen Infrastruktur der Stadt.

Offensichtlich will man so Bürgervorschläge provozieren, und ist noch nicht mit allen Überlegungen weit genug gediehen. Zu letzt hatte sich das dritte Stadtforum am 22. Juni 2015 im Tempodrom eingehender mit der Bedeutung der Freiflächen befasst.

Überredende Kommunikation ohne bindende Substanz, weiße Flecken und Knackpunkte

Was will die Berlin-Strategie 2.0 erreichen?
Zitat: „Eine ausdifferenzierte soziale Mischung, Nutzungsmischung und die Ausrichtung auf nachhaltige Mobilitätsformen sind das Ziel. Gleichzeitig muss es gelingen, den heutigen und zukünftigen Anforderungen mit Blick auf die architektonische und städtebauliche Qualität zu entsprechen.“

Konkret bedeutet das den Verzicht auf Stellplätze für PKW, und eine Verkleinerung von Wohnungen, um „bezahlbare Mietens“ bei gleichzeitig höheren Erträgen je Quadratmeter Wohnfläche erzielen zu können.

Zitat:“ Im Zuge des Wachstums rückt die äußere Stadt in den Fokus der Aufmerksamkeit: Brachen, ehemalige Bahnflächen, Wohnsiedlungen oder diffuse städtebauliche Situationen entlang der Ausfallstraßen sollen entwickelt, mit Augenmaß verdichtet
und qualitativ aufgewertet werden. Die soziale und funktionale Vielfalt soll erweitert, Maßnahmen für Klimaschutz und Klimawandelanpassung umgesetzt und öffentliche Räume attraktiver gestaltet werden.“

Konkret bedeutet das, in Pankow wird der Stadtrand neu bebaut, auf der Elisabethaue soll eine Großsiedlung entstehen. in Buch wird es eine große Stadterweiterung geben. Und am Pankower Tor soll ein neuer Stadtteil entstehen, vorausgesetzt der Investor will das noch.

Zitat:“ In Berlin werden mindestens zwölf, über die gesamte Stadt verteilte, neue Quartiere mit insgesamt etwa 50.000 Wohnungen
geschaffen, von denen ein erheblicher Teil kostengünstig zu mieten sein wird.“

Konkret: Der aktuelle Regelsatz für SGB II Leistungen sieht eine Miete von 5,71 €/m² bei durchschnittlicher Wohnfläche vor. Der vom Senat im Rahmen der Baulandentwicklung angestrebte Satz für „bezahlbare Mieten“ beginnt aber bei 6,50 €/m² – bei der GESOBAU sogar bei 6,90 €/m² im Monat vor. Das bedeutet: Stadtentwicklungsenator setzt weiter auf Verdrängungspolitik und will die Not der Mieter in der Berlin-Strategie 2.0 praktisch alternativlos „sozial begraben“.

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Mehr Stadt in der Stadt ermöglichen

Zitat: “ Berlin setzt darauf, die bestehende Stadt zu verdichten. Durch Aufstockungen, Dachgeschossausbauten und Verdichtungen
wird der Wohnungsbestand ergänzt. Eingeschossige Super- oder Fachmärkte oder überdimensionierte Verkehrsflächen werden intensiver genutzt. Berlin schafft so neue urbane Qualitäten und Identitäten, vermehrt auch in der äußeren Stadt, ohne den Erhalt bzw. die Schaffung qualitätsvoller Freiräume zu vernachlässigen. In bestimmten Bereichen der Stadt, etwa in Hauptzentren oder im Umfeld von Halte- und Knotenpunkten des öffentlichen Nahverkehrs, wird durch weitere planerische Konzepte vertieft, inwieweit höhere bauliche Dichten oder punktuelle städtebauliche Akzente wie Hochhäuser sinnvoll sind.“

Die Verdichtung im Bestand ist an vielen Stellen sinnvoll. Allein ca. 15.000 Wohnungen könnten durch die Aufstockung von Super- oder Fachmärkten erfolgen. Am Pankower Tor wäre Gelegenheit, so etwas auszuprobieren. Die Kita auf dem Dach gibt es schon auf Einkaufszentren – warum nicht auch auf Möbelmärkten Künstler- und Studentenwohnungen. Rund 76.000 Wohnungen könnten nach einem Gutachten noch im Altbaubestand durch Aufstockung gebaut werden. Das sind bei normaler Belegung 91.000 Wohnungen für bis zu 227.500 Menschen. Würde man noch etwa 9.000 kleine Wohnungen für Senioren bauen, und ein entsprechendes Umzieher-Programm auflegen, könnten kleine 1-2 Personenhaushalte aus zu großen Wohnungen und Immobilien umziehen und so Platz für nachziehende Familien machen. 1000 Wohnungen für zwei Personen könnten Raum für 4.000 Personen werden lassen, etwa Familien mit zwei Kindern.
Und der Auszug eines alleinstehenden älteren Villenbesitzers könnte u.U. Platz für 4-8 Personen schaffen, wenn eine Villa mit Einliegerwohnung nach Sanierung im Bestand entsteht.
In Einfamilienhausgebieten könnte sogar durch Freizug eines Hause Platz für Doppelhäuser und Mehrfamilienhäuser entstehen. Viele Villengebiete könnten nachverdichtet werden, wenn man älteren Eigentümern den Umzug erleichtert, und Zwischenkredit-Hürden abfedert. Hier liegt noch ein ungenutztes Potential, das durch intelligende Förderprogramme kostenneutral für den öffentlichen Haushalt gehoben werden kann.

Werkswohnungsbau statt Freiflächen der Bäder bebauen

Die neueste Idee, die Freiflächen der Bäder mit Wohnungen zu bebauen ist eine schlechte Idee. Sie nimmt den Bädern die Entwicklungsmöglichkeiten, denn für Kinder und Senioren werden auch öffentliche Infrastrukturen, medizinische Einrichtungen und Sportanlagen benötigt.
Richtiger wäre es, in den Gewerbe- und Industriegebieten neuen Werkswohnungsbau zu beleben, und auch Atelierhäuser und Kulturräume zu schaffen.

Online-Beteiligung
Immerhin fordert die Senatsverwaltung zu Online-Beteiligung auf. Die kompakt dargestellten Inhalte sind in einer achtseitigen Kurzfassung „BerlinStrategie 2.0“ zu finden ( Download „BerlinStrategie 2.0“ (pdf; 5,9 MB).

Die Aufforderung ist allerdings einseitig:

„Sie haben die Gelegenheit, uns Hinweise zu geben und Ihre Meinung zu den neuen und modifizierten Handlungsfeldern der BerlinStrategie 2.0 sowie zu den teilweise erweiterten und ergänzten Transformationsräumen mitzuteilen.“

Wie mögliche Antworten und Argumente zu eingereichten Online-Beteiligungen aussehen, ist noch offen.

Terminhinweis aus dem vergangenen Jahr mit Dokumentation zum Thema Freiflächem:

Stadtforum Berlin am 22. Juni 2015 | 18 Uhr
2. Stadtforum 2015 – Wem gehört der öffentliche Raum?
Programm und Link

Tempodrom, Kleine Arena | Möckernstraße 10 | 10963 Berlin | Eintritt frei

m/s