Freitag, 29. März 2024
Home > Themen > Bessere Bürgerbeteiligung
in der Stadt?

Bessere Bürgerbeteiligung
in der Stadt?

Dialog: Berliner Abgeordnetenhaus am 12.6.2014

Raed Saleh, SPD-Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus hatte eingeladen, ein neues „Format“ für den Bürgerdialog soll nun den Neuanfang in der Stadtentwicklungspolitik bringen. Schon eine Woche vorher hatten SPD-Landesvorsitzender Jan Stöß und Saleh ganz kurz nach Europawahl und dem Volksentscheid die neue Initiative zum Bürgerdialog angestoßen.

Dialog: Berliner Abgeordnetenhaus am 12.6.2014
Chancen und Herausforderungen der wachsenden Stadt – „Öffentlicher Diskurs der Stadtgesellschaft und des Gesetzgebers“ am 12.6.2014 – Michael Müller und Raled Saleh

Am Donnerstagabend, dem 12.6.2014 um 19 Uhr, waren Vertreter der „Stadtgesellschaft“ von der SPD-Fraktion ins Abgeordnetenhaus eingeladen, der Konferenzsaal im 3. Stock war gut besetzt. Das Thema: „Chancen und Herausforderungen der wachsenden Stadt.“

Die Initative für dieses neue „Format“ war erst wenige Tage alt. Die SPD-Abgeordnetenhausfraktion hatte zwei Tage nach dem verlorenen Volksentscheid zur Tempelhofer Freiheit den neuen Vorstoß zum Bürgerdialog auf einer Fraktionsklausur beschlossen.

Wie berichtet, wurde ausgerechnet an dem Tag, an dem Klaus Wowereit in China weilte, am 30.5.2014 der Neustart in der Stadtentwicklungspolitik öffentlich verkündet. Treibende Kräfte waren wohl Fraktionsvorsitzender Saleh und auch Torsten Schneider, die wieder die Initiative zurück erlangen wollten.

Eingeladene „Stadtgesellschaft“ – unvollständiges Forum

Am 12.6.2014 waren viele sozialdemokratische Vertreterinnen und Vertreter der „Stadtgesellschaft“ anwesend. Insgesamt rund 40 Personen waren gekommen, darunter waren einige SPD-Abgeordnete, die Bürgerbeauftragte des Berliner Senats, Berliner Aidshilfe, Landesschülerausschuß, Diakonisches Werk, Landessportbund, Gewerkschaftsbund, Handwerkskammer, Paritätischer Wohlfahrtsverband, der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Vertreter des Bauindustrieverbandes, der Fachgemeinschaft Bau, die Geschäftsführerin des BBU e.V., der Berliner Energietisch, der Berliner Wassertisch und ein Vertreter des BUND, ein Vertreter des Behindertenverbandes und ein Vertreter der Stiftung Zukunft, die besondere Kompetenz in Sachen Bürgerdialog für sich beansprucht.

Es war wohl auch der Eile der Terminsetzung geschuldet, denn weder die Opposition, noch der Koalitionspartner CDU waren namhaft vertreten. Im Vorfeld gab es auch Irritationen und Verärgerung über den überraschenden Alleingang der SPD.

Die Fraktionschefs Ramona Pop und Antje Kapek (Bündnis90/Grüne), Udo Wolf (Linke) sowie Martin Delius und Alexander Spiess (Piratenpartei) hatten abgesagt. Sie monierten, insbesondere das Ansinnen, die politische Kultur zu verändern. Auch die von Saleh angesprochenen Änderung zur Berliner Verfassung stießen nicht auf unmittelbare Zustimmung, und bekundeten an die Fraktionschefs von SPD und CDU, Saleh und Graf: „… das von Ihnen vorgeschlagene Format überzeugt uns nicht“.

Dialog im Abgeordnetenhaus am 12.6.2014
Offener Dialog mit der „Stadtgesellschaft“ im Abgeordnetenhaus am 12.6.2014

Saleh will mehr Bürgerdialog und Bürgerbeteiligung

Der Volksentscheid zum Tempelhofer Feld hatte SPD und vor allem Stadtentwicklungssenator Müller offensichtlich „schwer traumatisiert“, denn in fast jedem Redebeitrag von Saleh und Müller wurde zunächst Bezug auf das Thema genommen.

Die Erkenntnis ist offensichtlich gereift, dass die Bürger stärker als bisher einbezogen werden müssen. Raed Saleh nahm auffällig oft das Wort „proaktiv“ in den Mund, welches ein wenig danach klang, als ob hier ein verzweifelter Versuch unternommen wird, wieder die stadtpolitische Initiative zurück zu erlangen.

Saleh will weiter diskutieren, wie man in Zukunft zu Entscheidungen kommen und Konflikte „proaktiv“ entschärfen kann. Er kann sich dabei auch vorstellen, die Meinung der Berliner zu wichtigen Themen künftig per Volksbefragung durch Senat und Parlament ermitteln zu lassen.

In der lebendigen Diskussion wurde jedoch sehr schnell klar: „Es gibt bereits genug Bürgerbeteiligung in der Stadt!“ – sie müsse vor allem „besser“ werden, wie Stefan Richter, Vorstand der Stiftung Zukunft Berlin einwarf.

Allen Ernstes wurde nach einem Redebeitrag von Stadtentwicklungssenator Müller diskutiert, ob der Volksentscheid anders ausgegangen wäre, wenn man das Vorhaben nicht mit einem großen Masterplan, sondern mit einer ein Jahr zuvor präsentierten kleineren Randbebauung am Tempelhofer Damm präsentiert hätte.

Offene Tagesordnung mit dennoch wichtigen Teil-Fragen

Die Überlegungen, wie „die Stadtgesellschaft“ stärker vor politischen und administrativen Entscheidungen einbezogen werden soll und wer mit dem Begriff Stadtgesellschaft überhaupt gemeint ist, ist noch unklar, die Diskussion dürfte daher noch eine ganze Weile anhalten.

Salehs Wunsch nach der Einsetzung einer Enquete-Kommission ist zumindest ein erstes Eingeständnis, dass hier eine grundlegendere Betrachtung notwendig ist.

Eine feste Tagsordnung gab es mit Absicht nicht. Dennoch kamen dabei wichtige Themen auf, die Raed Saleh wohl unter inneren Druck stehend nun quasi nebenbei in die Debatte einwarf:

Raed Saleh meinte, bei Großprojekten wie dem „Ringschluss der Autobahn A 100“ oder einer „Olympia-Bewerbung 2024“ müssten „die Menschen früh befragt werden, ob sie das Projekt unterstützen.“ Zwei stadtpolitische „Großbaustellen“ in einem Satz, quasi nebenbei in eine Debatte eingeworfen – das war ein starkes Stück!

Saleh fragte vorsichtig in die Runde, ob eine Olympia-Bewerbung anzustreben sei, und man war recht einhellig der Meinung: ohne Zustimmmung der Bürgerinnen und Bürger geht es kaum.

Hierzu wurde von mehreren Teilnehmern Widerspruch angemeldet. Wegen der langen Planungsphase bei Großprojekten könne sich auch Widerstand später formieren, und Initiativen für neue Volksbegehren können nun eben nicht mit Verweis auf bereits frühere Bürgerbeteiligungen abgewiesen werden.

Stefan Taschner, ein Vertreter des Berliner Energietisch regte an, „… möglicherweise müssten mehrere Befragungen in den unterschiedlichen Planungsphasen durchgeführt werden.“ Aber auch ein derartiger Ansatz dürfte kaum überzeugen. Niemand sprach es aus, aber eine Handlungsunfähigkeit der Stadtentwicklungspolitik steht als Menetekel an der Wand.

Marion Kern, Geschäftsführerin des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V. war auffällig ruhig, sie hielt sich bewußt zurück, wie sie später im Gespräch bekundete.

Dialog im Abgeordnetenhaus am 12.6.2014
Offener Dialog: „Chancen & Risiken der wachsenden Stadt im Abgeordnetenhaus am 12.6.2014

Vertrauensverlust der Politik

Im Kern ging es um die Frage, wie Bürgerbeteiligung intensiviert und neu gestaltet werden kann, um „die Menschen“ bei kommunalen Projekten und Planungen „mitzunehmen“. Neben einer „besseren Bürgerbeteiligung“ war auch von Vertrauen die Rede, besser von verloren gegangenen Vertrauen, das erst wieder hergestellt werden müsse.

Oliver Wiedmann vom Verein „Mehr Demokratie“ gab zu bedenken, es gebe im Bereich der direkten Demokratie in Deutschland ausreichende Verfahren. Er mahnte, direkte Demokratie müsse die parlamentarische Demokratie ergänzen, und solle sie nicht ersetzen.
Wiedmann regte auch an, das aus Hamburg bekannte „fakultativen Referendums“ in Betracht zu ziehen, mit dem Beschlüsse des Parlaments zu vom Volk beschlossenen Gesetzen überprüft und notfalls korrigiert werden können.

Volksbefragungen ersetzen keine Planung

Martin Matz, Vorstand des Diakonischen Werkes holte die Teilnehmer wieder auf den Boden zurück: Er erklärte, dass eine frühe Bürgerbefragung eine vorherige Planung und Diskussion nicht ersetzen könne.

Tilmann Heuser vom BUND warnte sogar und nannte Volksbefragungen hochproblematisch. Es komme auf die Art der Fragestellung und der Informationen an. Er nahm auch wieder die Politik in die Pflicht: „Senat und Regierungskoalition sind dafür verantwortlich, auszuloten, ob ein bestimmter Plan zustimmungsfähig ist oder nicht.“

Auch andere Teilnehmer sahen die Politik und das Abgeordnetenhaus in der Pflicht, Entscheidungen zu treffen, vor denen jedoch ein intensiver Dialog mit Bürgern stehen müsse.

Bessere Bürgerbeteiligung als Ziel

Die Diskussion machte deutlich, die Teilhabe der Stadtgesellschaft an politischen Entscheidungen wird zum zentralen Thema der „wachsenden Stadt“. Ob Volksbefragungen oder eine Verfassungsänderung sinnvoll sind, die es auch dem Parlament ermöglichen würde, Volksentscheide zu initiieren, blieb offen. Weitgehende Einigkeit gab es in einem Punkt : die Berliner sollen künftig bei großen Projekten frühzeitig befragt werden.

Lob von Stadtentwicklungssenator Müller

Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) lobte das von Saleh ins Leben gerufene „offenes und großes Format“, und mühte sich aber gleich danach, die Debatte in seinem Sinne einzufangen. Selbstkritisch merkte er zum Tempelhofer Volksentscheid an, dass die Vorgehensweise mit dem großen Masterplan den Widerstand möglicherweise erst hervorgerufen hat.

Er zog für sich drei Schlüsse aus dem Volksentscheid:

Zuerst: „“Wir müssen alle miteinander gelassener werden, …“; „Politik reagiere oft hysterisch auf Volksentscheide, die Ablehnung einer konkreten Planung löse aber noch keine Regierungskrise aus.

Zweitens bestätigte Müller selbst ein großes Misstrauen gegenüber Politik und Verwaltung, dem begegnet werden müsse. Drittens streben nach Müllers Meinung etliche Berliner nicht Beteiligung an, sondern wollten wollten sich über direkte Demokratie durchsetzen.

Stefan Richter von der Stiftung Zukunft erinnerte in einer Erwiderung daran, dass der Stadtentwicklungssenator mit dem Stadtforum Berlin 2030 längst eine gute Vorarbeit geleistet und in Gang gesetzt habe. Das Stadtforum Berlin 2030 steht im Internet und sammelt Anregungen, die bisher vorwiegend von Fachleuten und engagierten Bürgern stammen.

Müller erinnerte auch daran, dass nach seiner Erfahrung nicht die Anzahl oder Ausgestaltung von Bürgerforen bei der Planung eines Großprojekts ausschlaggebend sei, sondern der Zeitpunkt der Diskussion.

Lars Oberg (MdA-SPD) forderte bei großen politischen Vorhaben mehr Ehrlichkeit im Umgang miteinander. Er erinnerte daran, dass in aller Regel immer nur Kompromisse möglich seien. Oberg: „Positionen sind nie zu einhundert Prozent gut oder schlecht, richtig oder falsch!“

Fortsetzung des neuen Format folgt

Saleh wertete den begonnenen Dialog mit „Akteuren der Stadtgesellschaft“ als Erfolg und sagte zu, ihn fortzusetzen und zu institutionalisieren. Die Runde soll auch weiter offen sein, und weitere Teilnehmer seien willkommen.

SPD-Fraktionschef Saleh schlug auch vor, die Arbeit des Abgeordnetenhaus-Ausschusses für bürgerschaftliches Engagement weiter auszubauen und eine Enquête-Kommission zu bilden, die sich in längeren Zeiträumen als einer Legislaturperiode mit den Zukunftsaufgaben Berlins beschäftigt.

Um 21 Uhr endete die Veranstaltung, und die Teilnehmer konnten sich rechtzeitig vor dem Eröffnungsspiel der Fußball-WM auf den Weg zu den Bildschirmen machen.

Nachtrag: Wowereits Olympia

Nur einen Tag später meldete sich Klaus Wowereit ohne Bezugnahme auf seine SPD-Fraktion im Berliner Rundfunk zu Wort, und wurde „proaktiv“, der TAGESSPIEGEL berichtete.

In dem Radiointerwiew sagte Wowereit, Berlin werde eine Bewerbung abgeben. Ob es um das Jahr 2024 oder um 2028 geht, ist noch nicht klar. Spätestens Anfang Juli will der Senat über die Grundzüge einer Bewerbung beraten. Dazu gehört an vorderer Stelle die „Akzeptanz der Bevölkerung“, wie Wowereit es formulierte.

Zwischen Begeisterung, Zustimmung, und Akzeptanz gibt es der Bürgerbeteiligung breite Unterschiede. Wowereits ex cathedra Ankündigung einer Olympia-Bewerbung dürfte Saleh und SPD-Landesvorsitzenden Jan Stöß nicht sehr erbaut haben, weil sie so verlorenes Vertrauen nicht wieder neu aufgebaut bekommen.

Für die Berliner sehen Wowereits „Zukunftsankündigungen“ ohnehin unglaubwürdig und wie eine Flucht vor der Tagespolitik aus. m/s

m/s

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert