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„Kapital“ nach Berlin

„Beuys-Group“ holt
„Kapital“ nach Berlin

"Beuys-Group" in der Nationalgalerie am 23.2.2015

Berlin hat noch immer 60 Milliarden Euro Schulden, und nur Kreativität kann die Metropole retten. Eine Meilenstein auf diesem Weg ist der Coup der „Beuys-Group“, eines der Hauptwerke des großen Künstlers Joseph Heinrich Beuys nach Berlin zu holen.

"Beuys-Group" in der Nationalgalerie am 23.2.2015
„Beuys-Group“ in der Nationalgalerie am 23.2.2015: v.l.n.r. Hermann Parzinger, Michael Eissenhauer, Monika Grütters, Erich Marx, Eugen Blume – Foto: Anne Schäfer-Junker

In der bereits wegen Sanierung geschlossenen Nationalgalerie wurde gestern die Sensation verkündet: „Das Kapital Raum 1970‒1977“, ein Schlüsselwerk von Joseph Beuys, wird Dauerleihgabe für die Nationalgalerie. Das Werk soll ab 2016 zunächst im Hamburger Bahnhof modellhaft ausgestellt werden.

Die Rauminstallation entstand ursprünglich 1980 für die Biennale in Venedig und wurde danach 1984 von Beuys selbst in den damals neu eröffneten Hallen für Neue Kunst, einer einstigen Kammgarnspinnerei, in Schaffhausen eingerichtet.

Die Beuys-Group

Die „Beuys-Group“, das sind Prof. Dr. Eugen Blume, Leiter des Hamburger Bahnhofs – Museum für Gegenwart Berlin, der Kunstsammler und Mäzen Erich Marx, Berlin „regierende“ Kulturstaatsministerin D. Monika Grütters, Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und Michael Eissenhauer, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin.

Wer hatte die Inspiration? Es war wohl Blume, der den Sammler Marx überzeugt hat, das Werk für einen Preis im zweistelligen Millionenbereich zu erwerben, und für die Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin als Dauerleihgabe zur Verfügung zustellen.
Blume lebt in Pankow, und ist eine feste Größe in der neuen Pankower Kunstszene. Für den 1951 in Bitterfeld geborenen Kunstkenner und Beuys-Experten ist die neue Dauerleihgabe auch ein Stück Krönung seines Lebenswerks, das zu einem großen Teil in der nun schon über 33 Jahre währenden Auseinandersetzung mit der Kunst von Joseph Heinrich Beuys besteht.

Schon seit seinem Studium der Kunstgeschichte, Archäologie, Ästhetik und Kulturwissenschaften (1976-1981) an der Humboldt-Universität in Berlin faszinierte ihn Beuys – Blume schloss sein Studium mit einer Diplomarbeit über den Kunstbegriff bei Joseph Beuys ab.
Noch vor seinem Wechsel zur Leitung des Museums Hamburger Bahnhof 1995 ist Blume für den Aufbau des Medien-Archivs Joseph Beuys verantwortlich.
Dies verschaffte ihm auch die intimen Kenntnisse über das Lebenswerk des Künstlers und dessen Verbleib und über den laufenden Rechtsstreit um den Besitz des Kunstwerkes in der Schweiz.

Streit um „Das Kapital Raum 1970-1977“

Ein Besitzstreit in der Schweiz ging voraus: ein Urteil des Kantonsgerichts hatte bestätigt, wonach drei Kunstsammler im Besitz des Kunstwerks „Das Kapital Raum 1970-1977“. Nachdem das Urteil das Schaffhauser Obergericht den Spruch bestätigte, mußten Urs und Christel Raussmüller die in den Hallen für Neue Kunst ausgestellten Werke abzubauen und die Aktivitäten künftig an den Standort der Raussmüller Collection in Basel zu verlegen. Ohne das Herzstück der Dauerausstellung wurde der Kunstort in Schaffhausen quasi „sinnentleert“. Die daraus für Berlin erwachsende Chance wurde zur rechten Zeit erkannt.

Viel Freude und Dankbarkeit

Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, dankte dem Sammler: „Es ist ein großes Glück, dass der Neubau für die Kunst des 20. Jahrhunderts im vergangenen Jahr beschlossen wurde – für die Nationalgalerie, für die Kunststadt Berlin. Und dieser Beschluss entwickelt schon jetzt eine wahre Sogwirkung: Nur deshalb hat sich Erich Marx entschlossen, der Nationalgalerie diese Ikone des Beuys’schen Werkes zu überlassen. Was für eine Nachricht! Die Stiftung ist ihm zu größtem Dank verpflichtet.“

Michael Eissenhauer, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, ergänzte: „Mit ‚Das Kapital‘ wird der bedeutende Werkkomplex von Joseph Beuys in der Sammlung Marx mit einem Schlüsselwerk bekrönt. Mit der Leihgabe an die Staatlichen Museen zu Berlin schließt sich für uns ein Kreis: Vor dreißig Jahren stand Erich Marx am Anfang unseres Hamburger Bahnhofs. Mit ihm an der Seite brechen wir nun auf zu unserem Museum der Moderne.“

Krönung einer Kunstsammlung

Auch für Kunstsammler Erich Marx ist das ein Höhepunkt seiner Sammlertätigkeit. Es sammelt seit Ende der 50er Jahre und hat auch viele Werke von Beuys erworben.

Natürlich hat Marx sich auch gleich „Sottisen“ anhören müssen: „Marx bringt Kapital nach Berlin“. Tatsächlich bringt Marx „einzigartiges Kapital“ nach Berlin, und liefert damit zugleich das Grundmuster moderner Kulturökonomie mit.

Beuys hatte zu Lebzeiten als Künstler, Reisender und Denker nach einem dritten Weg gesucht. „Aktive Neutralität, die Überwindung von Kapitalismus und Kommunismus“ – so lautete etwa der Titel eines seiner Vorträge. Beuys ist deshalb bis heute zugleich eine Herausforderung für Ökonomen und Marxisten, die noch nicht ausreichend verstanden und verarbeitet ist.

Beuys Credo „Kreativität = Kapital“ hat seit den achtziger Jahren die moderne Kunst beflügelt, und sein Werk wird künftig auch Berlin beflügeln. Moderne Kulturökonomien – vom Crowdfunding bis zur Kartoffelsalatökonomie – sind ohne Beuys Inspirationen kaum zu verstehen. Aber die Zeit ist längst reif für „performative Ökonomien“, die den Einzelen vom Joch der „Economies of Scale“ und des Kapitals befreien.

Erich Marx erklärte seine neue Leihgabe: „Aus tiefer Verbundenheit mit der Kunststadt Berlin habe ich mich schon vor Jahren dazu entschlossen, meine Sammlung der Nationalgalerie als Dauerleihgabe zur Verfügung zu stellen. Nach der lange anhaltenden guten Zusammenarbeit freue ich mich, diese Dauerleihgabe nun durch ein weiteres Schlüsselwerk von Joseph Beuys ergänzen zu können, einem Künstler, mit dem mich auch persönliche Freundschaft verband. Mit dem Ankauf dieses Werkes hat meine Sammlertätigkeit einen abschließenden Höhepunkt gefunden.“

Beuys: Kapital - Raum 1970-1977
Beuys: Kapital – Raum 1970-1977 – Screenshot aus der Tageswoche v. 6.6.2014

Neuer Erfolg der Kulturstaatsministerin

Für Monika Grütters, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin, ist das Ereignis ein weiterer Erfolg, der auch dem geplanten „Museum zur Kunst des 20. Jahrhunderts“ Glanz verleihen wird.

„Das neue Museum zur Kunst des 20. Jahrhunderts ist ein Projekt, das seine Entstehung nicht zuletzt bedeutenden Schenkungen und Leihgaben verdankt. Das großzügige Angebot der drei Sammler Marx, Pietzsch und Marzona uns ihre Konvolute zu überlassen, war neben dem Wunsch mehr von der eigenen Sammlung der Neuen Nationalgalerie zeigen zu können, der maßgebliche Anstoß für die Planung des Museums der Moderne.
Die wunderbare Entscheidung für den Bau des Museums zieht nun schon weitere Gaben nach sich: Mit der neuen Dauerleihgabe von Erich Marx, ‚Das Kapital Raum 1970-1977‘ von Joseph Beuys, kommt jetzt ein Schlüsselwerk hinzu. ‚Das Kapital Raum 1970-1977‘ ist ja allein schon in seinen Ausmaßen ein gewaltiges Kunstwerk, das 8 Meter hohe Wände erfordert und eine Fläche von mindestens 100 qm.“

Grütters würdigte auch die einmalige neue Chance:

„Das Museum der Moderne, das wir gerade auf den Weg bringen, erlaubt es uns, diese Erfordernisse von Beginn an im Raumprogramm zu berücksichtigen. Das ‚Kapital‘ ist aus Formresten anderer Arbeiten und Relikten seiner ‚documenta‘-Beiträge wie eine künstlerische Bilanz Joseph Beys. Es ist auch in seinem gesellschaftlichen Anspruch und in seiner spirituellen Dimension überwältigend. Wir können diese Arbeit dann in nicht allzu ferner Zukunft hier nebenan im neuerbauten Museum an der Potsdamer Straße sehen – und zwar in dem Kontext, der ihr gebührt: in der Sammlung der Nationalgalerie, in Nachbarschaft vieler anderer bedeutender Werke des 20. Jahrhunderts. Ich danke Herrn Marx dafür, dass er mit dieser Leihgabe ein weiteres starkes Zeichen für das neue Museum setzt.“

„Das Kapital Raum 1970‒1977“

Joseph Beuys Environment „Das Kapital Raum 1970‒1977“ ist eine große, multidimensionale Inspiration. Für den einst als zentralen Raum des internationalen Pavillons der Biennale von Venedig 1980 verwendete Beuys unter anderem Elemente aus früheren Performances wie der Aktion „Celtic (Kinnloch Rannoch)“ und „Celtic + ~~~~“ sowie 50 Kreidetafeln, die im Zuge der documenta V 1972 und der documenta VI 1977 entstanden.

„Das Kapital Raum 1970‒1977“ kann damit als Summe der wichtigsten Stationen und Impulse der vorangegangenen zehn Schaffensjahre des Künstlers interpretiert werden. Das Environment besteht aus 27 Objekten, teilweise Doppelobjekten, sowie den bereits erwähnten mit Kreide beschrifteten, schwarz gefassten Holztafeln. Ein den Raum bestimmender Gegenstand ist ein geöffneter Konzertflügel (Modell „Imperial“ Austria Bösendorfer Wien Nr. 33686), an den eine Axt gelehnt ist. An einem in die Wand gestochenen Klappmesser lehnt ein Speer, dessen Spitze aus rotem Klebeband geformt ist. Ebenfalls an eine Wand gelehnt sind zwei Holzlatten. Eine halb mit Wasser gefüllte Zinkbütte, in der ein Stück weißes Leintuch schwimmt, zwei an den Griffen der Bütte befestigte Taschenlampen, eine ebenfalls mit Wasser gefüllte Zinkgießkanne, eine weiße Emailleschüssel, in der ein Stück Kernseife liegt und zwei Handtücher mit blauen Streifen bilden eine Objektgruppe.

Auf einem versilberten runden Deckel sind kleine Gelatinestücke angehäuft. Zum Environment gehören außerdem eine Holzklappleiter, auf deren Sprossen weitere Gelatinespäne liegen, ein Holzstock, zwei leere Milchglasflaschen und neun kleine Kieselsteine. Die Kreidetafeln liegen teilweise am Boden (10 Stück), zum anderen Teil hängen (36 Wandtafeln) oder lehnen (4 große Standtafeln) sie an der Wand.

Zum Werk gehören auch technische Geräte, so zwei Filmprojektoren, eine Projektionswand, ein Mikrofon, Tonbandgeräte, Lautsprecherboxen und Kopfhörer. Sie sind über Steckdosen an der Wand an den Stromkreis angeschlossen, teilweise auch untereinander mit Kabeln verbunden. Sie sind jedoch nicht in Betrieb, auf der Leinwand ist nichts zu sehen, aus den Lautsprechern nichts zu hören. In Schaffhausen nahm Werk einen Raum von 11,93 x 12,61 x 8,40 Metern ein.

Berlin wird künftig zum bedeutenden Anlaufpunkt für die Kunst von Beuys. Zugleich ist nun auch der Schlüsselstein für eine große Beuys-Ausstellung gelegt, die nun ganz folgerichtig konzipiert werden muss. Viele berühmte Werke drängen nun schon quasi neu ans Licht: etwa die Arbeit „Richtkräfte“, die aus 100 schwarzen, beschrifteten Schultafeln besteht.

Auch die berühmten Werke „Das Ende des 20. Jahrhunderts“ (1982-1983), „Unschlitt/Tallow“, und „Straßenbahnhaltestelle“ sowie die 456 Zeichnungen des „The secret block for a secret person in Ireland“ sind schon in Berlin beheimatet.

Doch Kunstliebhaber müssen sich noch gedulden, denn erst im Frühjahr 2016 beginnt der Architektenwettbewerb für das neue Museum zur Kunst des 20. Jahrhunderts, das vermutlich zeitgleich mit der dann neu sanierten Nationalgalerie von Mies van der Rohe zum Wallfahrtsort der modernen Kunst wird.

Weiterführende Links

www.smb.museum/museen-und-einrichtungen/hamburger-bahnhof/home.html
www.smb.museum/museen-und-einrichtungen/nationalgalerie/home.html
www.preussischer-kulturbesitz.de

m/s

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