Mittwoch, 24. April 2024
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versus Beton

BLN: Schmetterling
versus Beton

Mauerpark: Simulation der Bebauung am Moritzhof

Die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz e.V. (BLN) hat zum Bebauungsplanverfahren Mauerpark eine gemeinsame Stellungnahme der nach dem Berliner Naturschutzgesetz anerkannten Naturschutzverbände abgegeben. Diese Stellungnahme wurde auf der gemeinsamen Internet-Plattform veröffentlicht. Doch inzwischen wurde die Stellungnahme wieder zurückgezogen. Was war passiert?

Mauerpark: Simulation der Bebauung am Moritzhof
Mauerpark: Simulation der Bebauung am Moritzhof – Foto: www.kohlhas-3d.de

Die Pankower Allgemeine Zeitung wurde über die veröffentlichte Stellungnahme von einer stellvertretenden Bürgerdeputierten in der Pankower BVV informiert. Andrea Geldner aus Weißensee verfolgt aufmerksam alle Planverfahren und kam so auch dem Vorgang zum Mauerpark auf die Spur.

Der inzwischen zurückgezogene Text der BLN-Stellungnahme hatte es in sich. Der prekäre Vorgang hat eine für Berlin grundsätzliche stadtentwicklungspolitische Bedeutung, und so wurde von der Redaktion nachrecherchiert.

Die anerkannten Naturschutzverbände haben als „Träger offentlicher Belange“ eine überaus wichtige Rolle bei der Beurteilung von Bebauungsplan-Entwürfen, und nehmen routinemässig stellvertretend für viele Bürgerinnen und Bürger die Belange von Naturschutz und Umweltschutz in Bebauungsplanverfahren war. Doch die ehrenamtlich arbeitenden Verbände geraten durch das Wachstum der Stadt und durch die steigende Zahl der Bebauungsplanverfahren unter Druck, ein Umstand, der Besorgnis auslöst.

Was ist die BLN?

Die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz (BLN) ist ein Zusammenschluß von 14 Natur- und Umweltschutzverbänden. Sie wurde 1979 gegründet und ist als gemeinnützig und nach § 60 (ehemals §29) Bundesnaturschutzgesetz und § 39 Naturschutzgesetz Berlin anerkannt. Sie repräsentiert damit etwa 30.000 Einzelmitglieder! Ihre Geschäftsstelle ist in den Räumen der Stiftung Naturschutz Berlin in der Potsdamer Straße im Stadtteil Tiergarten beheimatet.

Die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz ist somit eine Serviceeinrichtung der Berliner Naturschutzverbände. Sie koordiniert die Stellungnahmen der Verbände und Bürgerinitiativen zu Vorhaben der öffentlichen Hand und von Privaten Bauherren.

Die anerkannten Naturschutzverbände haben das Verbandsklagerecht, das seit 2002 im Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) verbindlich geregelt ist. Die anerkannten Naturschutzverbände werden werden regelmässig als „Träger offentlicher Belange“ in Planverfahren beteiligt und um Stellungnahme gebeten. Die BLN ist erfüllt somit eine wichtige Koordinierungsfunktion, indem sie die fachlichen Stellungnahmen der Naturschutzvereine koordiniert, die meist von ehrenamtlichen Spezialisten für Flora, Fauna und Landschaftsschutz sowie Verkehr ausgearbeitet werden.

Stellungnahme zum „Bebauungsplan-Entwurf 1-64a VE: Öffentliche Auslegung “ mit dem Zeichen 1/1502.2/B/5 hatte die BLN durch ihren Geschäftsführer Manfred Schubert stellvertretend für die von ihr vertretenden Verbände eingericht. Deren verantwortliche Bearbeiter wurden aber nur „benannt“, und mit dem Vermerk „gez.“ für „gezeichnet eingereicht.

Fatale Terminprobleme

Der Abgabetermin für die Stellungnahme am 16.3.2015 kollidierte jedoch mit den internen Terminplänen der BLN, denn die Verbände wollten sich routinemässig erst drei Tage später treffen und abstimmen.
Schubert hatte deshalb eine Stellungnahme verfaßt, die er in eigener Verantwortung abgab, die jedoch inhaltlich nicht ausreichend mit den Verbänden abgestimmt war.

Dies war verwunderlich, denn der BLN-Geschäftsführer war zumindest telefonisch über die Brisanz des Planverfahrens in Kenntnis gesetzt worden.

Die schriftlich eingereichte Stellungnahme der BLN sprach sich u.a. für eine Bebauung mit 700 Wohnungen aus:

„Wenn man den Bebaungsplan im Zusammenhang mit dem Durchführungsvertrag zum vorhabenbezogenen Bebauungsplan 1-64a VE zwischen dem Land Berlin und der Groth u-invest Elfte GmbH & Co. Gleimstraße KG betrachtet, ist der Bebauungsplan als akzeptabler Kompromiss zu betrachten. Wohnungsbau ist ein wichtiges Thema für die Stadt und die Schaffung weiterer 700 neuer Wohnungen
sicherlich ein guter Schritt.“

Mit der nachfolgenden Argumentation wurde in der (zurückgezogenen) Stellungnahme der BLN die schon von Baustadtrat Carsten Spallek (CDU) angeführte Argumentation praktisch wortwörtlich übernommen. Völlig sachwidrig wird dabei angeführt, die betreffende Baufläche sei Bestandteil einer Wohnungsbaufläche W 1. In der (zurückgezogenen) Stellungnahme übernahm die BLN überdies eine „wohnungspolitische Argumentation“, die ihre „naturschutzfachlichen Zuständigkeiten“ übersteigt.

Die Zuordnung des Mauerparks zu einer übergeordneten Grünachse und dessen Einordnung geltenden Landschaftsprogram wurde übersehen. Ferner werden grundlegende Fehler in der Planaufstellung übersehen, die bereits öffentlich beanstandet wurden. So müßte es anerkannten Naturschutzverbänden eigentlich auffallen, ob ein vorhabenbezogener Bebauungsplan bei Veränderung der Grundzüge der Planung (FNP) nach §13 Bau unzulässig ist.

Abstimmungs-Gau für die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz e.V. (BLN)

Unmittelbar nach Nachfragen der Redaktion wurde bei einigen Naturschutzverbänden reagiert. Tilmann Heuser vom BUND-Berlin e.V. klärte noch während einer Vorstandssitzung den Vorgang und teilte mit, „Die Stellungnahme der BLN zum Mauerpark wird so vom BUND Berlin nicht mitgetragen. Der BUND lehnt den vorgelegten Bebauungsplan ab. Entscheidend ist die Sicherung des auch im Flächennutzungsplan geplanten Grünzuges.“

Auch seitens des NABU-Berlin e.V. wurde die Panne der BLN bestätigt, „dass eine unabgestimmte Stellungnahme herausgegangen ist, die so nicht mitgetragen wird!“. Die Grüne Liga Berlin wird die BLN-Stellungnahme nicht unterstützt.
Seitens der Baumschutzgemeinschaft Berlin wurde fernmündlich bestätigt, dass keine ausreichende Abstimmung vorlag, und die „Stellungnahme“ im Vertrauen auf sachgerechte Arbeit eingereicht wurde, so Frau Solmsdorf.

Besonders problematisch: die BLN-Geschäftsstelle hatte keinerlei planungsrechtliche Prüfung durchgeführt, und keinerlei Unregelmässigkeiten im Planverfahren moniert, obwohl ihr Geschäftsführer telefonisch vorgewarnt war.

Umwelt Beteiligung - Screenshot
Umwelt Beteiligung – www.umwelt-beteiligung.de – Stellungsnahme entfernt – Screenshot

Veröffentlichte Stellungnahme zurückgezogen

Die auf der Internet-Plattform Umwelt-Beteiligung (www.umwelt-beteiligung.de) veröffentlichte Stellungnahme wurde erst gestern im Verlauf des Tages aus dem Netz genommen (Linkadresse: https://umwelt-beteiligung.de/berlin/sites/default/files/statements/dokumente/b-plan_1-62a_ve_mauerpark_oeffentlich.pdf ).
Bei der BLN fand gestern eine mehr als dreistündige Krisensitzung statt, nach der eine Stellungnahme der BLN erfolgen sollte. Diese liegt bis heute noch nicht vor.

BLN Stellungnahme vom 15.3.2015
BLN Stellungnahme vom 15.3.2015 aus dem Netz genommen am 17.3.2015

Naturschutzeinwände

Die Einwände zum Naturschutz wurden offenbar sorgfältig erstellt. In der Stellungnahme wurde etwa das Fehlen von Ausgleichsmaßnahmen für die Fällung von 69 schutzwürdigen Bäumen moniert. Ferner wurden Hinweise auf die Verwendung einheimischer Pflanzenarten gegeben.
Auch zum Vogelschutz wurde wie vielfach üblich ein detaillierter Einwand vorgetragen:

„Da im Plangebiet Standorte für Boden-,Busch- und Baumbrüter verloren gehen werden, müssen Nistkästen als Ausgleich mindestens 1:1 zu den Brutvogelpaaranzahlen geschaffen werden. Es darf nicht vergessen werden, die Reinigung der Kästen zweijährig festzuschreiben, da diese bei Verschmutzung durch Kot und Nistmaterial des Vorjahres sonst von den Vögeln nicht mehr angenommen werden.“
Auch wird auf Rahmengutachten zur „Stechimmenfauna“ verwiesen, die im Plangebiet 66 Arten, davon 2 Rote Liste Arten vermuten lässt. Ergebnisse einer Ortsbegehung „vor und nach Rodung“ der Baufläche im Februar 2014 lagen offensichtlich nicht vor; ein schweres naturschutzrechtlich relevantes Versäumnis, das noch bei einer späteren Normenkontrolle von Bedeutung ist.

Offensichtlich sind hier rund 40.000 Quadratmeter Grünfläche einfach „durchs Raster“ gefallen.

In der BLN-Stellungnahme werden auch übliche Ausgleichsmaßnahmen gefordert, etwa die Dachbegrünung von 50% der Dachflächen. Auch eine Forderung innerhalb der Mauerparkerweiterungsfläche wir gestellt:

„Wir fordern im Ausgleich dieses Bebauungsplanes eine Schaffung einer beruhigten Zone mit ruderalem Halbtrockenrasen und ruderalen Staudenfluren innerhalb der Erweiterung des Mauerparks zur Schaffung eines neuen Lebensraumes für die vertrieben Arten.
.
Im gestelzten Deutsch der Naturschützer heisst es weiter:
Speziell auf die Wertigkeit des Gebietes für die Avifauna durch das Vorkommen der bodenbrütenden Art Nachtigall möchten wir hinweisen, welches in der Begründung ebenso erwähnt wurde. Da im Bebauungsgebiet aller Wahrscheinlichkeit nach kein Ausgleichshabitat für die Nachtigall geschaffen werden kann, muss dies in der Erweiterung des Mauerparks geschehen.
Da dieser Bebauungsplan indirekt mit der Planung der Erweiterung verknüpft ist, muss es an dieser Stelle bereits erwähnt werden, um Beachtung zu finden.“

Überlastung der Naturschutzverbände und der BLN?

Die hochnotpeinliche Angelegenheit um die zurückgezogene BLN-Stellungnahme wird die Berliner Naturschutzverbände noch grundsätzlich beschäftigten. Wer die Arbeitsweise und das Engagement der zumeist ehrenamtlich verfaßten Vereine kennt, weiß dass hier zuweilen bis zum Rand der Selbstaufgabe gearbeitet und recherchiert und begutachtet wird.

Die recherchierten Abläufe deuten auf eine „organisatorische Überlastung“ der Geschäftsführung hin. Diese mußte die vorliegenden Basisrecherchen und festgestellten Schutzgüter pünktlich zum Abgabetermin einreichen. Offenbar wurde ein Abwägungstext aus vorliegenden Dokumenten einfach in den „Entwurf“ übernommen, und dann unter Zeitdruck eingereicht.

Offenbar müssen nun die Träger der Öffentlichen Belange in den anerkannten Naturschutzverbänden nun ihre Arbeits- und Abstimmungsprozesse optimieren, denn es ist im Interesse von Natur, Umwelt und schutzwürdigen Interessen der Bürgerinnen und Bürger nicht hinnehmbar, wenn nur mit „Textbausteinen“ ohne ausreichende Einsichtnahme und Fachbeurteilung gearbeitet wird.

Ehrenamtlichkeit, personelle und finanzielle Ausstattung der BLN

Stadtentwicklungspolitisch müssen Konsequenzen gezogen werden. Die wichtige Arbeit der BLN und der Naturschutzverbände muß finanzielle und organisatorisch mit dem „Wachstum der Stadt“ Schritt halten können.
Durch die personelle Ausdünnung der Bezirksämter und Fachämter im Umweltschutz ist in Berlin längst eine Situation eingetreten, in der eine sorgsame Bearbeitung von Stellungnahmen zu Eingriffen in Stadt, Natur und Umwelt nicht mehr mit letzter Sicherheit gewähleistet ist.

Charakter der Ehrenamtlichkeit wandelt sich

Dazu kommt ein sozialpolitisch brisantes Problem: gestiegene Mieten, KV-Pflicht und gestiegene Fahrtkosten verändern den Charakter der „Ehrenamtlichkeit“. Die privaten Kosten einer ehrenamtlichen Tätigkeit sind heute durch einen Tageskostensatz von 40-50 € bestimmt. Diese Kosten sind immer selbst zu tragen, wenn ehrenamtliche Tätigkeit ANSTELLE von Erwerbsarbeit geleistet wird. Der Charakter ehrenamtlicher Arbeit ist dadurch grundlegend verändert.

Zum Ausgleich wird heute mindestens eine steuerfreie „Übungsleiterpauschale“ von bis zu 2.400 e/Jahr zwingend als Ausgleich benötigt, um ein zeitweises Ehrenamt nicht zum „Opferamt“ werden zu lassen.

Bei der Übernahme von Regelaufgaben des Staates, wie etwa bei der Abstimmung gesetzlicher und schutzwürdiger Belange, kann es in einer Metropole wie Berlin nicht nur um Ehrenamtlichkeit gehen, es muß auch ausreichende Personalstellen gehen.

Für die BLN und Berliner Naturschutzverbände kommt deshalb die Frage einer hinreichenden Personal- und Sachausstattung neu auf die Agenda.

Es genügt nicht, Nachtigallen „trapsen“ zu hören, und dabei die Planprüfung auszulassen. Es muss künftig sichergestellt werden, dass auch eine planungsrechtliche Prüfung erfolgt.

Weitere Informationen:

Unabhängiges Institut für Umweltfragen e.V. | www.umwelt-beteiligung.de

Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz e.V. (BLN) | www.bln-berlin.de

m/s