Freitag, 29. März 2024
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Bullshit-Castle: Künstlersozialversicherung

Künstlerin beim Plain-Air am Meer

/// Kolummne /// – Die Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU) hat in dieser Woche ein Positionspapier zur Künstlersozialversicherung veröffentlicht, in dem die Alternative „entbürokratisieren – oder abschaffen“ zum Thema gemacht wird.
Volker Fasbender, Hauptgeschäftsführer des VhU: „Die deutsche Künstlersozialversicherung belastet die Unternehmen mit unerträglichen Bürokratiekosten und höchster Rechtsunsicherheit.“

Fasbender weiter: „ Der Aufwand bei den Unternehmen beläuft sich inzwischen auf einen zusätzlichen Euro für jeden tatsächlich gezahlten Euro Künstlersozialabgabe. Dieser weltweit einmalige Sonderweg gehört dringend entbürokratisiert, andernfalls abgeschafft. Eine einfachere Künstlersozialabgabe verlangt von Künstlern und Publizisten nur das, was für andere Selbständige selbstverständlich ist.“

Fasbender stellte klar, es gehe auch keineswegs darum, dass die Unternehmen einen geringeren Beitrag zu dieser Versicherung entrichteten, sondern um eine grundlegende Entlastung der Unternehmen von unnötigem und teurem Verwaltungsaufwand.

Auftraggeber müssen bei Angebot und Rechnung Abgabepflicht erkennen können

Die Forderung des VhU: Angebot und Rechnung von allen selbständigen Künstlern und Publizisten müssten zukünftig einen Hinweis auf die mögliche Künstlersozialabgabepflicht enthalten, unabhängig davon, ob tatsächlich eine Mitgliedschaft in der Künstlersozialversicherung vorliege oder nicht. Die künstlersozialversicherungspflichtigen Selbständigen sollten die Abgabe auch selbst abführen. Mit diesen Reformen würde die Künstlersozialversicherung auch verfassungsrechtlich auf sicherere Füße gestellt, weil die völlig ausgeuferten Bürokratielasten für Unternehmen sinken. „Wenn nicht einmal diese Erleichterungen möglich sein sollten, muss die Politik ernsthaft darüber nachdenken, die Künstlersozialversicherung notfalls abzuschaffen. Denn Künstler und Publizisten sind generell nicht schutzbedürftiger als andere Selbständige und können genau wie diese auch selbst für ihre soziale Absicherung sorgen“, sagte Fasbender.

Verwaltungskosten-Belastung verfassungswidrig?

Fasbender geht sogar noch einen Schritt weiter! Gegenwärtig belaste die Künstlersozialversicherung die Unternehmen in völlig unverhältnismäßiger Weise mit Bürokratie: Denn nicht der selbständige Künstler, sondern der Auftraggeber müsse beurteilen, ob Künstlersozialabgabe zu zahlen ist. „Dieses Missverhältnis zwischen der Verwaltungskostenbelastung der Unternehmen und der erzielten Künstlersozialabgabe ist in der gesamten Sozialversicherung einmalig und wohl verfassungswidrig“, so Fasbender.

Bullshit-Castle in der Kunst-, Kreativ- und Kulturwirtschaft

Das System der Künstlersozialversicherung gehört auf den Prüftstand, weil es rund 50% der Einnahmen für die Verwaltung verbraucht und hohe externe Bürokratiekosten verursacht. Richtiger wäre es, wenn die in der Künstlersozialversicherung Versichterten die anderen 50% der Einnahmen auch als Rentenbeiträge ausgeschüttet bekommen.

Doch wie soll das System reformiert werden? Künstler und entsprechende Berufe dürfen nicht schon bei der Angebotsabgabe diskriminiert werden können. Ein System aus „Gleichstellung im Markt und Wettbewerb“ und eine an der Einkommenshöhe orientierte Abgabenpflicht sind bei einer Reform sicher unstrittige Eckpunkte, denn viele Künstler verdienen jährlich sogar weniger als das steuerfreie Existenzminimum von 8.652,00 € (2016).
Nach Angaben des BBK-Berlin verfügen in Berlin fast 70% über ein Einkommen von unter bzw. bis maximal 12.000 € im Jahr. Viele sind von Zuwendungen von Lebenspartnern und Eltern abhängig, ebenso viele – nämlich etwa 10% – von Hartz IV. Nur bei etwa 20% reichen die Einnahmen aus Berufsfeldern der Bildenden Kunst aus, um auch nur die Kosten der eigenen Produktion zu decken.

Konstruktionsfehler der ausgehenden Arbeits- und Industriegesellschaft

Die durch Lohnarbeit und Sozialversicherungspflicht geprägte Arbeitsgesetzgebung in Deutschland weist in der Kunst-, Kreativ- und Kulturwirtschaft gravierende Konstruktionsfehler auf, die aas das System kreativer Wertschöpfung in der digitalen Netzwerkwirtschaft und Kollaboration nicht mehr hinreichend abbilden.

Der freie Bildende Künstler stirbt als Archetypus aus, die Hochschulen bilden den individuellen Mehrsparten-Kreativ- und Designunternehmer aus. Kunstämter und Kulturämter fördern dagegen eher den prekär beschäftigten Archetypus der Künstler, die sich von Projekt zu Projekt kämpfen.

Als die Wirtschaftsministerkonferenz (WMK) 2009 den Begriff der „Kultur- und Kreativwirtschaft“, definierte, griff sie die damalige internationale Diskussion um den Begriff der „cultural industries“ auf. Dies mündete in der Initiative „Kultur- und Kreativwirtschaft“, die von der Bundesregierung aufgegriffen wurde, und ein wirtschaftliches Feld von 11 Branchen beschrieb.

Ein Feld, das von autonomer individueller Kunstproduktion über eine Vielzahl von Auftrags- und Werkauftragsverhältnissen, Aktien-Optionen und freiwilliger Mitarbeit bis hin zu Medien-, Lizenz- und Verlagsökonomien reicht. Ein Feld, das konzeptionelle Konstruktionsfehler enthält, die bei fortschreitender Digitalisierung unauflösbare Konflikte herbeiführen (siehe: ArtCity, Creative City & Kulturstadt #1 | 7.4.2015).

Digitalisierung ohne Ordnungspolitik?

Neue digitale Plattformökonomien sorgen heute für kaum überschaubare Verhältnisse, in denen ein Indiviuum und Künstler sein Einkommen nicht mehr planvoll aussteuern kann: „kostenlos-Ökonomien“ verhindern die Bildung stabiler, regulierbarer Wertschöpfungsketten mit sozialer Beschäftigungsabsicherung.
Soziale Netzwerke sorgen für steigenden „Kommunikationsaufwand und Interaktionsaufwand“ bevor bezahlte Arbeit in Gang kommen kann.
Innovationen stellen jede Einkommensart stetig neu in Frage. GEZ-Gebühren und staatliche Aufgaben-Übernahme sorgen auch für ungleiche Bedingungen für gleiche Arbeit im Sektor Medien und für beliebige und kaum kalkulierbare Marktverdrängungsprozesse –

Statt einer Reform der Künstlersozialversicherung ist auch deren vollständige Abschaffung eine Option.

Will man künftig das „Subjekt der Versicherung“ und versicherbare Einkommensarten von Künstlern und „Kreativ-Urhebern“ brancheneinheitlich behandeln, wäre eine branchenbezogene „Künstler-und Kreativ-Mehrwertsteuer“ ein möglicher Denk-Ansatz.

Ein tragfähiges Zukunftsmodell für den Bereich freier und selbstständiger Arbeit im Sektor Kunst-, Kreativ- und Kulturwirtschaft fehlt ausgerechnet jetzt, wo die Digitalisierung immer weiter ausgreift und Arbeit immer unsicherer macht.

Weitere Informationen:

www.vhu.de

Pressemitteilung 29.8.2016

VhU-Positionspapier: Künstlersozialversicherung für Unternehmen entbürokratisieren – andernfalls abschaffen – PDF-Link