Donnerstag, 28. März 2024
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Das hyperlokale Loch

Das hyperlokale Loch - Glosse von Michael Springer

/// Glosse /// Hyperlokal – so lautet das neue Schlagwort des Lokaljournalismus. Blogs und Content-Manage-mentsysteme machen es möglich. Das hyperlokale Paradigma erlaubt einen journalistischen Perspekiv-Wechsel: statt großer Zeit- und Weltenläufte blickt der Redakteur durchs Brennglas – auf Themen unterhalb des weiten Horizonts.

Die Bezirkspolitik ist ein unerschöpflicher Themen-Quell, doch leider ist diese Quelle seltsam unlebendig: Vor allem Ankündigungen, Vorhaben und Pläne befassen politische und journalistische Köpfe. Die Leser werden davon oft nicht richtig berührt.

Erst wenn Bagger tanzen, Sägen kreischen und die gewohnte Realität ein bewegendes Momentum bekommt, werden Leser zu „Betroffenen“ – und geben Laut und Echo.

Das hyperlokale Loch - Glosse von Michael Springer

Kritische hyperlokale Nachbetrachtungen dagegen machen Arbeit, auch die Detailarbeit bleibt manchmal liegen – kommunale Politik bleibt daher am Besten im Ungefähren – oder eben im hyperlokalen Ungefähren. Manches fällt dabei ins Loch der Vergessenheit.

Manchmal offenbart der Blick durchs hyperlokale Brennglas auch ein „Nichts“ – das beobachtete Objekt ist nicht zu schauen, weil nicht da.

Und so wird zum nächsten Ort gestrebt – erneut nach einem brennenden Thema gesucht. Manchmal gibt es dabei einen Kurzschluß im Redakteursgehirn. Das geht so: eine alte Geschichte wird neu hochgeschrieben, aus dem Loch des Vergessens hochgeholt. Ein zwei Anrufe geben aktuelle Bestätigung – einen Input der dem Angerufenen als Nebensache entfleucht.

Ein alter Pachtvertrag, macht 5 Cent, zwei Promis, einer in Sachen Schönheit, der andere ehemals Ballsport – dazu eine exklusive Sportart und eine Prise Sarrazin – und schon ist wie nach alter „Trapper-Art“ eine Geschichte geschrieben – die gut klingt – aber nicht stimmt. Schlimm wenn darin auch noch viele Golflöcher liegen, insgesamt sogar 36 hyperlokale Löcher – inclusive Übungsplatz und Kurzbahn. Promis, Golf, Gemeinnützigkeit – das geht eigentlich gar nicht – so fällts dem Redakteur ein. Aber was ist mit dem Verein – zumal mit „Zwein“?

„Daß die wichtigsten Dinge durch Röhren gethan werden. Beweise: erstlich die Zeugungsglieder, die Schreibfeder und unser Schießgewehr“ – so textete einst Lichtenberg und warnte vor falschen Kausalen, die Löcher und heute Golflöcher überbrücken.

Manchmal aber hat das Redakteursgehirn auch einen „Burn-Out“ – es fällt kein Thema ein.

Im Hyperlokaljournalistengehirn gähnt ein „inspiratives Loch“.

Insbesondere Freitags ist das fatal: alle machen schon in Wochenende – niemand kann noch angerufen werden. Das „journalistische Stethoskop“ am Puls der hyperlokalen Zeit bleibt ohne Laut.

Aber irgendeine Story muß noch hinein – sonst gähnt ein hyperlokales Bildschirmloch.

Nun wird das Brennglas ganz dicht ans Auge genommen, so dass jede Kacke ins Auge springt: „Hundekacke“ macht sich gut – bringt unschätzbaren Traffic in der Hauptstadt des Bello-Dialogs. Dazu wird ein Grossfoto übers Themenloch gedeckt „Kacke auf dem Schirm“ überdeckt das inspirative Loch.

Auch Mülltüten gehen immer – im Grossfoto bekommen sie besondere Bedeutung. Kacke und Müll in Prenzlauer Berg – was für ein Wochenend-Thema!

Selbst weibliche Redakteure schrecken nicht mehr vor dem Loch zurück und schlagzeilen – Eva hin oder her – ganz unchristlich „Am Anfang war das Loch“.

Gezeigt werden 12 hyperlokale Löcher und die „mobile Warnbaken-Ausstellung“ im Bötzwo-Kiez – natürlich als opulente Diashow.

Prenzlauer Berg – statt Nachrichten drohen hyperlokale Löcher, die Redakteure verschlingen können, denn die Kraft und Langeweile des Lochs droht jeden Tag.

Schon Kurt Tucholsky hat gewarnt: „Manche Gegenstände werden durch ein einziges Löchlein entwertet; weil an einer Stelle von ihnen etwas nicht ist, gilt nun das ganze übrige nichts mehr. Beispiele: ein Fahrschein, eine Jungfrau und ein Luftballon.“

„… und eine Zeitung, ein hyperlokales Medium – oder sogar der ganze Prenzlauer Berg? /// Michael Springer ///.

m/s