Dienstag, 19. März 2024
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im Berliner Wohnungsbau

Das Primat trialogischer Verschwörungen
im Berliner Wohnungsbau

Allianz-Forum am Pariser Platz

/// Kolumne /// – Die landeseigene GESOBAU AG wirbt mit dem Slogan „Partizipation im Wohnungsbau“ auf ihrer Internetseite. Offensichtlich ist man bei der GESOBAU um noch weitere Innovationen in Beteiligungsverfahren bemüht, obwohl man als erste landeseigene Wohnungsgesellschaft schon 1984 Mieterbeiräte eingeführt hat.

Dies soll nun in einer landesweiten Kooperation erfolgen:

„In Kooperation mit der gemeinnützigen HUMBOLDT-VIADRINA Governance Plattform starten die Berliner landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften degewo, GESOBAU, Gewobag, HOWOGE, STADT UND LAND sowie WBM eine Trialog-Reihe zum Thema „Partizipation im Wohnungsbau“, heißt es in einer gemeinsamen Presseerklärung.

Stefanie Frensch, Geschäftsführerin der HOWOGE erklärte dazu: „Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften wollen eine stadtgesellschaftliche, gemeinwohlorientierte und ergebnisoffene Diskussion anstoßen, in die auch die umfangreichen Erfahrungen der Unternehmen im Bürger- und Quartiersdialog einfließen.“

Governance – die neue Demokratie?

Governance – das Wort kommt aus dem Französichen von gouverner, „verwalten, leiten, erziehen. In der Politiksprache bedeutet es nach Wikipedia: „Regierungs-, Amts- bzw. Unternehmensführung –, auch Lenkungsform, bezeichnet allgemein das Steuerungs- und Regelungssystem im Sinn von Strukturen (Aufbau- und Ablauforganisation) einer politisch-gesellschaftlichen Einheit wie Staat, Verwaltung, Gemeinde, privater oder öffentlicher Organisation.“
Das Ansinnen, partizipative Strukturen in die Unternehmensführung einzubauen, ist im Grundsatz löblich, wären da nicht Grundsatzkonflikte der Wohnungsbaupolitik, die Mieter in ihrer „Mietzahlungsfähigkeit“ völlig überfordern. Auch die bei der Gesobau AG im Herbst 2016 bekannt gewordene Nichtzulassung von 108 Kandidaten ( taz | 3.8.2016 )für die Wahlen der Mieterbeiräte weckt Mißtrauen darüber, was sich hinter dem Wort „Governance“ wirklich versteckt.

Wie das Primat trialogischer Verschwörungen über die Politik entsteht

Partner und organisatorischer Dienstleister ist die „HUMBOLDT-VIADRINA Governance Plattform gGmbH“, die am Pariser Platz 6 im Allianz Forum ihren Sitz hat. Die Allianz SE ist einer größten Versicherungskonzerne der Welt, mit Hauptsitz in München und einem jährlichen milliardenschweren Jahresüberschuss mit Versicherungen, Immobilienfinanzierungen und privaten Vermögensverwaltungen und Pensionsfonds. Ohne die Details kennen zu können, darf unterstellt werden, dass die Allianz SE auch mittelbare wirtschaftliche Interessen gegenüber landeseigenen Wohnungsbauunternehmen verfolgt, die insgesamt über 16 Mrd. € Verbindlichkeiten in ihren Bilanzen tragen (Stand 2015).

Legitim ist dabei vor allem auch das Interesse, eine Rückzahlung von Verbindlichkeiten der landeseigenen Wohnungsunternehmen durch beratende Hinweise und ThinkTank-Lobbyarbeit zu unterstützen. Fragwürdig ist jedoch das „Marketing“ für Public-Private-Geschäftsmodelle, die letztlich im Hintergrund von Diskussionsforen der Hauptstadt kultiviert wird.

Problematisch ist es obendrein, wenn in den Bilanzen einzelner landeseigener Wohnungsgesellschaften große Anteile der Mieten für den „Schuldendienst“ verwendet werden müssen. Hohe Verbindlichkeiten zwingen die landeseigenen Wohnungsbauunternehmen zur konsequenten Ertragsverbesserung, wodurch Konflikte mit dem Mieterschutz und sozialpolitischen Zielsetzungen unausweichlich werden.

Das Leitbild der HUMBOLDT-VIADRINA Governance Plattform will „Transparenz und Partizipation“ stärken. Doch der Ansatz ist höchst fragwürdig, weil hier ein falsches, neoliberales Verständnis von „Gemeinwohl“ hinterlegt wird: „Unsere Trialoge organisieren eine gemeinwohlorientierte Verständigung von Stakeholdern aus Politik, Wirtschaft, organisierter Zivilgesellschaft und Wissenschaft zu aktuellen gesellschaftlichen Fragen.“

Der erste Fehler liegt darin, die Trialoge auf „Stakeholder“ zu beschränken, jene Personen, die „Teilhaber“ ein berechtigtes Interesse am Verlauf oder Ergebnis eines Prozesses oder Projektes haben. Das „Gemeinwohl“ fällt so leicht unter den Tisch, weil sich hierfür keine direkten „Stakeholder“ finden lassen. „Gemeinwohl“ lässt sich aber nur aus sytemaren, volkswirtschaftlichen und strukturellen Betrachtungen ableiten, die auch Interessen von Stakeholdern zuwider laufen können. Das Gemeinwohl wird daher mangels neutraler Vertreter faktisch ausgeklammert, zumal wenn auch noch die Einladungsliste durch die Stakeholder eingeengt wird.

Transparenz und Partizipation hinter der Chatham House Regel versteckt

Wie es eine prominente Sozialdemokratin fertig bringt, Transparenz und Partizipation in ein Leitbild zu fassen, und gleichzeitig die Teilnehmer der Trialoge auf die Chatham House Rule zu verpflichten ist so denkwürdig, dass Prof. Dr. Gesine Schwan es sogar als „Trialog®“ patentiert haben möchte. „Unter Beachtung der Chatham House Regel und mit einer erfahrenen Moderation schaffen die Trialoge einen vertraulichen Raum.“

Der Clou des Verfahrens wird im Claim sichtbar: „Trialoge®: Ein deliberatives Diskussionsformat als Wegbereiter für gemeinwohlorientierte Verständigung“. Offenbar verbindet Frau Prof. Schwan ihr Format mit der Hoffnung, dass die Konferenzen zwischen „Vermietern“ und „Mietern“ nach einem Muster laufen können, wonach man endlich „befreiend“ mit „Weihnachtsgänsen über die Zubereitung von Festbraten“ diskutieren kann. Ein Grundsatzproblem entsteht dabei neu: die großen „Stakeholder“ und die „Köche“ und „Gäste des Festessens“ organisieren dabei einen „konzertierten Politikansatz“, der zur Vorlage für die Politik und Wohnungspolitik „deklariert“ wird, ohne klären zu können, ob „Wohlstand und Nutzen“ des Staates gemehrt – oder gemindert werden.

Think-Tank-Demokratie, Verfassung und Grundlagen der EU

Die Etablierung des Allianz-Forums dient natürlich mittelbaren Interessen, um beispielsweise „Public-Private-Partnership“-Modelle zu fördern. Das Problem für Berlin: die hoch verschuldeten landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sind eines der bundesweit einträglichsten „Public-Private-Partnership-Geschäfte“ für Anleger, Fonds und Gläubiger. Als Stakeholder haben sie natürlich ein Interesse, immer weitere relativ mühelose Zinseinnahmen zu sichern, die zu Lasten der Mieter gehen.
Die landeseigenen Wohnungsgesellschaften haben in Gestalt ihrer Geschäftsführungen und als Stakeholder im „Trialog®“atürlich das Interesse, ruhiger schlafen und zinsgünstiger umschulden zu können. Doch gleichzeitig steigt der Verwertungszwang, weil die allgeneinen Kennziffern des überhitzen Immobilienmarktes auf die Geschäftspolitiken der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften durchschlagen müssen.
Es ist somit vorhersehbar, dass in den „Trialogen®“ eine Art gemeinsame „Vorabsprache“ und „Konzertierung“ von Wohnungsbaupolitik entsteht, die von den mächtigen Stakeholdern geprägt wird.

Nachdem die Besuchsrechte für Lobbyisten im deutschen Bundestag im Herbst 2015 eingeschränkt wurden, erlebt die „Think-Tank-Demokratie“ einen regelrechten Aufschwung. Doch es ist keine Demokratie „itself“, sondern „orchestrierte Lobbyarbeit“, vor der sich Politik in Acht nehmen muss.

In Bezug auf Verfassung, Verfassungsartikel und Gewaltenteilung der Bundesrepublik Deutschland haben wir es mit nicht demokratisch legitimiertn „informellen Vorlaufbehältern“ der Denokratie zu tun, die „Partizipation und Transparenz“ á la Gusto organisieren.

Besonders problematisch in der Berliner Wohnungspolitik: wir haben es mit „orchestrierten und moderierten Absprachen“ vom Monopolisten zu tun, denn 86% aller Wohnungen in Berlin sind „Mietwohnungen“ – bei einem gemischten „Knappheitsmarkt“, in dem sich „Verknappungspolitik“ für alle kapitalanlegenden Stakeholder lohnt. Die überschaubare Zahl von weniger als 500 Personen im Berliner Immobilien- und Wohnungsmarkt, die kapitalstarke Stakeholder-Interessen wahrnehmen, dominiert informell auch die Wohnungspolitik der großen Parteien SPD und CDU in Berlin. Die aktuelle 100.000 € – Spende der Groth-Gruppe illustriert, wie sich dabei landeseigene und private „Knappheitsprofiteure des Berliner Wohnungsmarktes“ offenbar gegenseitig ergänzen können.

Mieterinteressen kommen so praktisch nicht vor, die „Anlegergeneration“ nutzt „Trialoge®“ allenfalls zur Konflikterkennnung, und um „Marktanpassungsprodukte“ zu entwickeln, wenn unlösbare Verdrängungseffekte entstehen, und die Mietzahlungsleistungsfähigkeit der Mieter überfordert wird.

Rechtlich höchst problematisch und gemeinwohlgefährdend ist die Tatsache, „Trialoge®“ sich prinzipiell eignen, komplexe Kartellabsprachen zu organisieren. Weder mit dem Wettbewerbsrecht, noch mit dem Primärrecht der EU, dem „Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)“ ist das Modell der „Trialoge® im Kreise von Monopolisten“vereinbar.

Gemeinwohlgefährdende Berliner Wertschöpfungsnetzwerke und -ketten im Wohnungsbau

Die „Berliner Wertschöpfungskette“ aus „Grundstückskauf per Shared-Asset-Deals“ sorgt für Wettbewerbsverzerrung auf dem Grundstücksmarkt, weil eigenkapitalstarke private Erwerber gegenüber „GmbH & Co-Netzwerken“ mit 34 Objektgesellschaften im Preisnachteil sind. Private Erwerber müssen die Grunderwerbssteuer einpreisen – die Initiatoren von Shared-Asset-Deals nicht. Wenigstens 960 Mio. € Grundsteuer sind in Berlin dem Steuerzahler bisher vorenthalten worden.

Landeseigene Wohnungsgesellschaften müssen sogar teuer entwickelte Grundstücke der Groth-Gruppe am Mauerpark aufkaufen, weil Bauland inzwischen gänzlich knapp geworden ist. Mieter Berlins, ob arm, ob reich, zahlen damit mehrere Zechen einer völlig klandestínen Berliner Wohnungspolitik:

– Altschulden belasten die Mieten bei landeseigenen Gesellschaften
– landeseigenen Gesellschaften müssen sich neu verschulden
– Baukosten sind in Berlin aufgrund künstlich verlängerter Wertschöpfungskette 30-50% teurer
– Neubürger zahlen überhöhte Mieten, um nach 2-3 Jahren überteuertes Eigentum zu erwerben
– Altmieter und ortsansässige Mieter werden durch Verknappungspolitik und Modernisierung verdrängt
– landeseigene Gesellschaften entwickeln eine „Neben-Wohnungspolitik“ mit eigenen Höchtspreismodellen.

Inzwischen können sich selbst Normalverdiener das Wohnen in der Stadt nicht mehr leisten. Und einkommensschwache Mieter werden bei 30% Mietbelastungsquoten zum „gerichtlich anerkannten Sozialfall“. Vor allem ältere Menschen geraten mit Renteneintritt in die implizit vorausberechenbare Überschuldung aufgrund steigender Mieten.

Private und landeseigenen Knappheitsmonopole im Berliner Wohnungsmarkt entfalten im Zusammenspiel mit unterdurchschnittlicher Kaufkraft und Mietenentwicklung gro0e Fliehkräfte. Die Digitalisierung im Einzelhandel wird zusätzlich für Leerstand und höhere Kosten sorgen. Die wachsende Stadt kommt damit schnell in ökonomische Schieflagen, die dem weiteren Wachstumstrend gefährden.

Wohnen am Lokdepot in Kreuzberg
Roter Städtebau nach dem Muster der Berliner Gründerzeitbauten – ein Modell für Wohnen & Arbeiten 5.0

Volkswirtschaft und Gemeinwohl

Prosperität und Wachstum sind Ergebnis ausgewogener ökonomischer Verhältnisse in der Stadt. Der Berliner Wohnungsmarkt ist in einer dramatischen Schieflage, weil vor allem jungen Menschn der Weg zur Eigenkapitalbildung und zur Wohneigentumsbildung systematisch verwehrt wird. Die Macht des alten Kapitals und der Altkredite schränken die Zukunftstchancen un die „bootom-up“-
Neugründungsquoten ein.

Im Interesse von Volkswirtschaft und Gemeinwohl muss die weitere weÜberteuerung des Wohnungsmarktes gestoppt werden. Die Politik muss dafür selbst wieder ihr Primat beanspruchen, und die fatale Baulandpolitik in Berlin reformieren.

Richtig wäre es, die landeseigenen Wohnungsgesellschaften zu „Stadtentwicklungsgesellschaften“ umzubauen, die auch schnell auf landeseigenen Industrieflächen aktiv werden können, und Eigenkapitalbildung zulassen und fördern. Auch die Entschuldung ließe sich so konsequenter verringern, weil Gewerbe und Industrie mit zur Bilanz beitragen.

Die Berliner Gründerzeit liefert Beispiele, wie mit „Gewerbehof-Typologien“ mit stabilen Deckenbelastbarkeit zuerst Wohnungsnot beseitigt wird, und zeitlich nachfolgend Wohnen und Arbeiten im Einklang mit Gewerbe- und Inustrieflächennutzung zu bringen sind.

Die Berliner SPD und insbesondere ihre Protagonistin Prof. Dr. Gesine Schwan sind nun gefordert, ihre Aufassungen zu Demokratie und Gemeinwohl in Berlin näher zu konkretisieren und die Widersprüche zum Primärrecht der EU zu beseitigen!