Mittwoch, 24. April 2024
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nervt Pankower bis 2015

Flughafen-Chaos
nervt Pankower bis 2015

BER aus der Vogelperspektive Foto: Günter Wicker/ Flughafen Berlin-Brandenburg

Das Bau- und Planungschaos am Flughafen BER verlängert sich – und inzwischen steht auch ein Starttermin im Jahr 2014 gänzlich in Frage. Bundesverkehrsminister Ramsauer erwägt nun sogar öffentlich, die Flughafen-Terminal noch vor einer Inbetriebnahme auf eine Kapazität von 27 Millionen Fluggästen zu erweitern. Für den Berliner Norden und die in den Einflugschneisen befindlichen Bezirke Pankow, Reinickendorf und Spandau bedeutet dies nun bis zu drei weitere Jahre wachsende Fluglärmbelastung.

Nach dem Rücktritt von Klaus Wowereit als Chef des Aufsichstrats der Flughafengesellschaft in der letzten Woche, geht nun die Suche nach den Verantwortlichen für die schweren Mängel in der Planung und Projektdurchführung weiter. Die bündnisgrüne Fraktion forderte im Berliner Abgeordnetenhaus auch Wowereits Rücktritt und Neuwahlen – konnte sich aber in einem gemeinsamen Mißtrauensvotum nicht mehrheitlich im Berliner Abgeordnetenhaus durchsetzen.
Die Suche nach Aufklärung geht im Untersuchungsausschuss zur Flughafenplanung weiter. Insbesondere Andreas Otto, MdA und Bundestagsdirektkandidat von Bündnis 90/Die Grünen in Pankow sowie Sprecher im Untersuchungsausschuss BER, macht Druck. Er berichtete auf der Kreismitgliederversammlung vom Stand der Dinge im Untersuchungsausschuss.

 BER aus der Vogelperspektive  Foto: Günter Wicker Flughafen-Berlin-Brandenburg

Nachdem nun klar ist: der Flughafen Berlin Brandenburg „Willy Brandt“ (BER) wird auch in 2013 nicht eröffnet, wachsen sich die Mehrkosten und Schadensersatz-Forderungen in immer größere Höhen. Angesichts knapper Kassen in Berlin ist das ein schweres wirtschaftliches und auch psychologisches Desaster.

Im Untersuchungsausschuß stellte sich in der letzten Woche der ehemalige Referent in der Senatskanzlei, Alexander Straßmeir den Fragen der Abgeordneten. Wesentliches Thema der Sitzung war die Vorbereitung und Planung im Umfeld der Standortentscheidung.
Dabei stellte sich heraus: die Flughafengesellschaft war bereits seit 1995 schlecht organisiert – die Zusammenarbeit von Aufsichtsrat und Geschäftsführung der Flughafengesellschaft war bereits Mitte der 90er Jahre problematisch.

Der heutige Staatssekretär beim Justizsenator Alexander Straßmeir erläuterte im Untersuchungsausschuss seine damaligen Erfahrungen: „Der Informationsfluss zwischen den Gremien gestaltete sich so schwierig, dass die Aufsichtsräte durch die Geschäftsführung meist schlecht informiert wurden. Daraus entstanden bei dem Zeugen damals sogar Zweifel, ob die öffentliche Hand überhaupt das Projekt BBI realisieren kann, oder ob nicht vielmehr dazu nur Private in der Lage wären.“

Das liegt nun fast 18 Jahre zurück – doch es klingt so, wie die die aktuellen Mängelrügen der Soko des Bundesverkehrsministeriums.
Eine Sonderkommission (SoKo) des Bundesverkehrsministeriums hatte den Flughafen Mitte Dezember 2012 besucht und rügte in ihrem Protokoll: „… die Arbeit der Betreibergesellschaft zeige „keine Struktur beziehungsweise Zielführung“ – das Management falle durch „permanente Schlechtleistung“ auf. Die vorgelegten Terminpläne für den Starttermin von Oktober 2013 seien „bislang gänzlich ungeeignet gewesen“.

In der Nachbetrachtung fügt sich nun Baustein um Baustein ein Mosaik zusammen, das ein bezeichnendes Licht auf Geschäftsführung, Aufsichtsrat und politische Verantwortungsträger in Bund, Land Brandenburg und Berlin wirft.

Der schlimmste Verursacher der Krise war seit 2004 für die Berliner Flughäfen tätig: Manfred Körtgen. Bis 2008 war er als Bereichsleiter und Prokurist für Planung und Bau des Flughafen Berlin Brandenburg zuständig, und stieg im selben Jahr zum betrieblichen Geschäftsführer des neuen Flughafens auf. Als Absolvent der RWTH Aachen, der langjährig in Heidelberg und Düsseldorf tätig war, ist Manfred Körtgen auch seit 1982 Mitglied der Architektenkammer Baden-Württemberg. Erst 2010 promovierte Körtgen an der Universität Kassel, Institut für Bauwirtschaft, zum Dr.-Ing.. Körtgen ist auch Mitautor des 2008 erschienen Buches „Partnering in der Bau- und Immobilienwirtschaft – Projektmanagement und Vertragsstandards in Deutschland“.
Nach der dritten Verschiebung des Eröffnungstermins von BER geriet Chefplaner Manfred Körtgen (59) in seiner zentralen Funktion in die Kritik. „Er hat sich nicht richtig um die Baufirmen und Planer gekümmert“, sagte ein anderer Flughafen-Manager. Seine Mitarbeiter haben nicht rechtzeitig bemerkt oder klargemacht, dass die Brandschutzanlage – Hauptgrund für die Verzögerungen – nicht genehmigungsfähig sein werde. Besonders brisant: Körtgen hatte während der heißen Bauphase am BER seine Doktorarbeit geschrieben, die er um 2004-2006 begonnen hatte, als er einen Lehrauftrag für Baubetriebslehre an der Uni Kassel annahm. In der Doktorarbeit geht es ausgerechnet darum, wie man komplexe Baumaßnahmen „schneller und kostengünstiger abwickelt“. Ende Mai 2012 wurde Körtgen entlassen.

Vor seiner Kündigung mußten rund 340 Ingenieure, Fachplaner und Bauleiter gehen: Kurz vor dem Richtfest im Mai 2010 ging die PLanungsgesellschaft für Haustechnik mit rund 70 Ingenieuren Konkurs. Grund waren Planungsänderungen, Versäumnisse und Fehler – aber auch ausstehende Zahlungen der Flughafengesellschaft. Im Nachhinein wird sich dieser Fall als zentraler Baustein erweisen, weshalb es zu vielen bedeutsamen Baufehlern und Mängeln in der Bauausführung gekommen ist. Man kann einen derartigen Aderlass an Wissen, an Berechnungswissen und bauaufsichtlicher Kompetenz nicht über Nacht ersetzen.

Weitere 170 Ingeniere, Architekten, Fachplaner und Bauleiter wurden von der Baustelle geschickt, als der PLanungsgemeinschaft des Flughafenarchitekten Meinard von Gerkan und JSK Architekten im Mai 2012 gekündigt wurde. Beim Bau des Flughafens Berlin Brandenburg war gmp führend, zusammen mit JSK Architekten, an der Planungsgemeinschaft Berlin-Brandenburg International (pg bbi) beteiligt, wobei gmp die technische und JSK die kaufmännische Leitung übernahm. Wegen zahlreicher Kosten- und Terminüberschreitungen – vor allem bei der Sicherheitstechnik – kündigte die Flughafengesellschaft der pg bbi am 23. Mai 2012 und reichte im Juni Klage vor dem Landgericht Potsdam ein. Dabei wird gmp, die auch das Fluggastterminal des BER entworfen hat, und weiteren an der Planung Beteiligten vorgeworfen, dass das technische Konzept „unnötig komplex“ sei, geplant unter „rein optischen Gesichtspunkten“, sodass es sich bei der Umsetzung „als kaum beherrschbar“ erwiesen habe.

Die im Flughafenbau erfahrenen Planer haben mit dem Terminal des BER einen hochproblematischen Bau entworfen – der wegen seiner Größe und kostensparenden Bauweise nur ein leichtes Dach tragen kann. Innen weiträumig und luftig – ohne störende Stützen und Zwischenwände. Zentraler Nachteil: Die Brandschutz-Entrauchung kann nicht wie bei Großbauten üblich über Dach geführt werden – sondern wird technisch aufwändig über ein Brandschutzsystem gelöst, das mit langen Leitungen durch Kellergeschosse führt.
Dieses Brandschutzsystem soll eine rauchfreie Luftschicht im Terminal garantieren – und dabei den von Außen auf das Gebäude einwirkenden Wind- und Luftdruck aussteuern, der durch Fenster, Türen und Gebäude-Fugen drückt.
Hier wurde ein weltweit einmaliges, technisch sehr fehleranfäliges System entworfen – das für den Flughafen BER ein zentrales Betriebsrisiko darstellt. Dieses Risiko ist für den Betrieb eines einzigen Flughafens BER in der Hauptstadtregion zu groß – man wird den Flughafen Tegel als „Resevere-Flughafen“ benötigen – wenn diese Brandschutzanlage jemals in Betrieb geht.
Mit den Konsequenzen für die Flughafenplanung hat man sich deshalb noch nicht öffentlich befasst – aber es ist heute kein Tabubruch mehr, wenn man das Brandschutzkonzept des Terminal völlig verändert – und den Terminal dafür umbaut.
Wenn man eine ausreichende Betriebssicherheit für BER herstellen will, kann es nur einen Rückbau der viel zu komplexen Brandschutzanlage geben.

Die Architekten schlagen nun ihrerseits öffentlich zurück: Flughafenarchitekt von Gerkan legte öffentlich eine 99-seitige Klageschrift vor und beanstandet: „die ehemaligen Auftraggeber haben das Termin- und Finanzchaos selbst verursacht! 286 Planänderungsanträge hätten bis Mai 2012 zu einer „fortdauernden Behinderung der eigenen Baustelle“ geführt. „Die Manager hätten mit ihren Umbauwünschen den Bauablauf „regelrecht zerschossen.“

Die Entscheidung, den Terminal zu einem Shopping-Center auszubauen, dürfte wohl die fatalste Entscheidung gewesen sein, weil sie zur Verkleinerung der Abfertigungskapazität und zur Komplexitätssteigerung der Brandschutztechnik beigetragen hat. Hier hat ein Flughafenmanagement am Ende nicht nur die Architekten, sondern auch das „Terminal-Gebäude“ überfordert.

Als Troubleshooter und neuer technischer Chefplaner wurde 2012 der Tiefbauingenieur Horst Amann von FRAPORT berufen, der dort für den Bau einer Landebahn in Frankfurt 3 Jahre länger benötigte, als geplant. Überdies übersah er dabei einen Chemiebetrieb in der Einflugschneise, der nun für einen dreistelligen Betrag entschädigt und abgerissen wird.

Seit Juni 2012 versucht der neue technischen Flughafenmanager Amann sich Durchblick zu verschaffen und verspielt dabei viel Zeit mit der Fehlersuche. Im Nachhinein als Einzelmanager die Arbeit von rund 340 Ingenieuren, Fachplanern Bauleitern und Projekmanagern nachzukontrollieren – die Vermessenheit dieser Aufgabenstellung scheint bis dato noch niemanden aufgegangen zu sein. Allein das Sichten der Pläne und Bauschäden nimmt Mannjahre in Anspruch.
Horst Amann gefällt sich in der Rolle des Aufklärers – statt anzupacken: „Die Mängel, die wir entdeckt haben, sind viel schlimmer als wir das vermuten konnten“, sagte Amann dem Hessischen Rundfunk. „Heftig, sehr heftig“ und „gravierend, fast grauenhaft“ seien die Probleme. Deswegen sah er sich außer Stande, einen Nachfolgetermin für den verschobenen 27. Oktober 2013 zu nennen. Er werde einen neuen Zeitplan erst in einem halben Jahr nennen können, so Amann. Keine besonders vertrauenerweckende Position für einen Technikchef – der noch dringend auf die Zusammenarbeit mit den Baufirmen angewiesen ist.

Verabsäumt wird nun, parallel einen neuen Baufortschrift aufzubauen – und die unmittelbare Fehlerbeseitigung zu organisieren.

Im Ergbnis ist bislang weder eine ausreichende neue Planungskapazität, noch eine ausreichende kompetente neue Bauleitungskapazität auf dem Flughafen aufgebaut worden. Nicht einmal dort – wo man mit kleinem Aufwand weiterbauen könnte, werden erste Schritte organisiert.
Es ist auch gar nicht klar, wer personell die Kündigung von insgesamt 340 Ingenieuren, Architekten, Fachplanern und Bauleitern ersetzen soll.
Die Flughafengesellschaft ist wie von einem „Schlaganfall“ getroffen – und hat weite Teile der technischen Intelligenz lahmgelegt.
Die Aufsichtsräte haben auch bis heute keine Konsequenz gezogen, sich ein starkes unabhängiges Projektcontrolling oder einen „Quality- and Quantity-Surveyor“ nach britischen Muster aufzubauen – der alle Bauprozesse technisch, qualitativ und wirtschaftlich kontrolliert.

Stattdessen wird nun ein kaum durchschaubares Geflecht von Schadensgutachten, Rechtsgutachten und Planungsstreitigkeiten erschaffen – das alle künftigen Baufortschritte stören wird – und jegliche kooperativen Neuansätze verhindert bzw. zeitlich erheblich verzögert. Experten sprechen bereits von einem verlorenen Jahr allein für die „forensische“ Aufarbeitung und Neuorganisation.

Nachdem die Generalplanung für den Willy-Brandt-Flughafen dem Konsortium PGBBI entzogen wurde, soll die Flughafengesellschaft diese Aufgaben selbst übernehmen. Die Personalsuche dürfte dabei schwierig werden – und die Stimmung in der Flughafengesellschaft ist angesichts der Größe der Aufgabe völlig im Keller – weil einzelne Mitarbeiter überfordert sind.

Die klügste Entscheidung steht daher noch aus: die Einsetzung eines Mediators, der die lähmenden Streitigkeiten zwischen Auftraggebern und Architekten und Planern löst – und die teilweise Wiederbelebung der Fachverantwortung für den derzeitigen Terminal-Bau herstellt – damit eine Inbetriebnahme neu organisiert werden kann.

Prognose:

Die Krise am Flughafen-Terminal wird daher noch fortdauern – und eine Inbetriebnahme verzögert sich. 2013 wird das Jahr der Reorganisation und Umplanung. Gebaut und umgebaut wird erst 2014. Und erst zum Frühjahrs-Flugplan 2015 ist eine Teil-Inbetriebnahme des Flughafen BER denkbar. Gleichzeitig wird 2014 und 2015 an einer Erweiterung gebaut werden müssen – und Teile des Flughafens werden deshalb Baustellen sein. Der Flughafen Tegel wird daher frühestens ab Winter 2015 geschlossen werden können.

Für die Pankower und alle Nordberliner sind das unschöne Aussichten – das Flughafen Chaos wird bis Ende 2015 nerven. m/s

m/s