Mittwoch, 24. April 2024
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Krieg gegen den „Error“ #1

Anschlag auf das World Trade Center

/// Essay /// – Mit den Terror-Anschlägen auf das World-Trade-Center in New York am 11. September 2001 begann eine gewaltige Anstrengung, die unter dem Namen „Krieg gegen den Terror“ entfaltet wurde. Der Krieg gegen nichtstaatliche Akteure, auch als „asymmetrischer Krieg“ bezeichnet, führte jedoch nicht zu dem erhofften nachhaltigen Sieg – sondern hat eine gewaltige Schneise der zivilisatorischen Verwüstung auf dem Planeten Erde geschaffen.

Mit hundertausenden Tonnen Explosiv-Stoffen in Form von Sprengfallen, Minen, Granaten, Raketen, Bomben und Bomblets und mit Millionen Tonnen Treibstoffen wurde versucht, ein „ideologisches Denkmuster“ von der Erdoberfläche zu „versprengen“. Mit Abermillionen Schuß aus Maschinenkanonen, schweren Maschinengewehren, Sturmgewehren und Maschinenpistolen wurde versucht, Siege über eine Ideologie zu erzielen, die ihre Kraft aus Wut, Rache und verzweifelter Unterlegenheit bezieht.

Osama Bin Laden hat es vorhergesehen: die Reaktionsmuster der westlichen Staaten und der kriegführenden Parteien haben einen weltweiten Abnutzungskrieg in Gang gesetzt, der überhaupt nicht geeignet ist, zivilisatorischen Nutzen zu stiften, oder irgendein ein geplantes Ziel zu erreichen.

Im Gegenteil: eine wütende und von politischer Überheblichkeit, Hybris und Superioritätsdenken geprägte US-Regierung hat sich in eine „Überreaktions-Spirale“ hineinbegegen, die immer neue Aktionen, Reaktionen und Eingriffe und eine „Logik des gezielten Bombardierens“ auslöste.

Mit Folter, Guantanomo-Haft und weit reichenden Eingriffen in Sicherheitsgesetze und Persönlichkeitsrechte wurden auch jeglich moralischen und politischen Kategorien einer demokratisch verfaßten Staatsordnung suspendiert und umdefiniert. Überdies wurde ein weltumspannendes Abhörsystem in Gang gesetzt, das noch dazu Motivation und Handlungsfelder für weltweite Cyberkriegsführung eröffnete.
Die USA haben sich dabei als Weltmacht selbst um das gewichtige Vertrauenspotential gebracht, das eine friedliche Entfaltung von „Soft-Power“ ermöglichte, die immerhin geeignet war, in großen Welt-Regionen Frieden zu wahren.

Europa hat davon 50-60 Jahre lang profitiert – heute gerät der Subkontinent Europa unter den Druck der Nach- und Auswirkungen des „Krieg gegen den Terrors“.

Bin Ladens ideologische Taschenspieler-Tricks

Bin Laden nahm die islamische Lehre von Dar al-Harb und Dar al-Islam auf. Diese zwei Begriffe finden sich aber weder im Koran noch in der Hadithtradition. Systematisiert wurden sie bereits im 8. Jahrhundert unter dem Kalifen Hārūn ar-Raschīd.
Muslimbruder Azzam gab Bin Laden dazu als unmittelbarer Lehrer die wichtigen Inspirationen. Es geht um die Herrschaft über die Welt nach dem Muster eines „muslimischen Weltstaates“.
Sayyid Qutb hat diese Lehre in der islamischen Welt neu populär gemacht. Das Mittel zur Schaffung des muslimischen Weltstaates ist der Dschihad, der als Kampf gegen die Ungläubigen und damit als vornehmste Aufgabe verstanden wird, für die zu sterben höchstes religiöses Ziel ist.
Der ideologische Taschenspielertrick besteht darin, ein unerreichbares irdisches „Kriegsziel“ mit einer jenseitigen Heilseerwartung zu verknüpfen – denn es ist wohl praktisch kaum vorstellbar, dass ca. 1,4 Mrd. Muslime weltweit rund 7,4 Mrd. Menschen vom Planeten „vertilgen“ können. Der „ideologische Taschenspielertrick“ macht die indoktrinierten „Gotteskrieger“ unbesiegbar, weil sie entweder im Kampf – oder im Tod als Märtyrer siegen.

Bin Laden hat daraus eine „geistig-moralische Grundausstattung“ gemacht, mit der man zehntausende junge erwachsene Männer als fanatisch überzeugte Kämpfer und als Kanonenfutter ins Feld schicken kann.

Konversionsprojekt: Moscheen werden zu Fabriken für Klon-Kämpfer

Für einen Krieg um die Weltherrschaft braucht es Geld, Waffen und Soldaten.

Geld ist kein grundsätzliches Problem, denn in allen Krisenregionen fließen Profite immer durch Erpressung, Waffenhandel, Drogenhandel und durch „politische Sponsoren“, die meist sogar Geld und Waffen geben. Waffen waren insbesondere in Afghanistan mit seiner jahrhundertealten Waffenschmiede-Tradition nie ein Problem. Von der Kalashnikwow bis zur raketengetriebenen Granate für Panzerfäuste reichte die Erfahrung der klassischen Waffenschmiede immer aus. Auch die Herstellung von Sprengfallen, im NATO-Jargon „Improvised Explosive Device“ (IED) genannt, war nur an höhere handwerkliche Fähigkeiten gebunden.

Wichtiger als Geld und Waffen war jedoch die Rekrutierung von Kämpfern. Um einen unerschöpflichen Quell von ideologisch treuen und aufopferungswilligen Kämpfern zu schaffen, wurden Moscheen zu „Fabriken für Klon-Soldaten“ umfunktioniert.

Es genügte dazu, jeweils geistige Führer als Prediger und Imame einzusetzen, die sich über bisherige friedliche religiöse Traditionen des Islam erhoben, und ein krudes Konzept des „radikalen Islamismus“ mit dem Konzept des Dschihad verbanden. Diese mussten nur über Koranschulen den massenhaften Zugriff auf junge Männer sicherstellen, was in traditionellen muslimischen Kulturen aber nicht schwer ist, weil Imame normalerweise eine unhinterfragbare Autorität besitzen.

Moscheen wurden so in „Universitäten des Jihad“ umfunktioniert. Besonders gelang es in den Madrasas (Koranschulen) in Pakistan, Afghanistan und in den wahabitischen und salafistischen islamischen Gemeinden.

Ideologische Indoktrination: junge Männer werden fanatische Glaubenskämpfer

Der Unterricht in Koranschulen basiert in nahezu allen Gemeinden und Vereinen auf demselben Lehrplan: Die Schüler lernen dort das arabische Alphabet als Vorbereitung auf das Lesen des Korans. Neben dem Auswendiglernen der kleineren Suren des Korans und den Hadithen, den Überlieferungen und Traditionen des Propheten, wird oft auch die islamische Rechtstradition der Scharia als allein gültige Rechtsordnung gelehrt.
Dazu kommt eine Unterweisung in sittlich-moralischem Benehmen (Akhlak) und lernen was „halal“ und was „haram“ ist, die Ge- und Verbote im Islam. Es ist dabei nicht wichtig, Gott zu verstehen. Gefragt ist nur eines: die völlige Unterwerfung gegenüber Allah. So müssen die Schüler den Koran durch fortwährendes Wiederholen in arabischer Sprache auswendig lernen, egal ob sie die Sprache verstehen oder nicht. Nicht einmal lesen können muss der Talib, wie der Koranschüler auf Arabisch heißt.

Im Grundmuster bediente Bin Laden sich klassischer Werkzeuge der politischen Agitation und spielte mit den Bedürfnissen und unerfüllten Wünschen seiner Adressaten.
Kriegerische Traditionen, die Verherrlichung des Todes im Kampf für den Islam schufen einen Heldemmythos, und individuelle Allmachtsphatasien. Dazu kommt ein verbreitetes Gefühl der Verunsicherung und Kränkung bei vielen Muslimen, die sich von der westlichen Welt zurückgesetzt und ausgebeutet fühlen. Es entsteht ein brisantes ideologisch und psychologisch wirksames Produkz im Kopf der indoktrinierten Koranschüler, die diese praktisch immun gegen Kritik und äußere Einwände machen.

Ein ideologisches Konstrukt: Perfide wie ein zivilisatorischer Virus

Die Ideologie des radikalen Islamismus wird so in mehreren psychologisch wirksamen Schichten zu einem „zivilisatorischen Virus“, für den es kein „Virusabwehr-Programm“ zu geben scheint. Radikalisierte Islamisten sind praktisch perfekte Waffen, die ihr „Programm“ nicht aufgeben, und bis in den Tod verfolgen.

Bin Laden und anderen nachfolgenden Predigern gelang es, religiöse mit gesellschaftlich-sozialen Motiven zu verbinden. Die Etablierung eines nicht religiösen Ehrbegriffs, nach der sich die Integrität des (arabischen) Mannes auf seine Aufgabe bezieht, sein eigenes Ansehen und das der Familie zu schützen, stärkt den Glauben, zumal wenn dies noch Herkunft aus Stammes- und Großfamilien-Gesellschaften verstärkt wird. Auch gebildete Muslime radikaliseren sich aufgrund der Zusammengehörigkeits-Motive, nachdem zum Teil sie im Westen an Universitäten studiert haben.

Zusammen mit der Aufforderung, sich von der westlichen Zivilisation nicht „der Männlichkeit berauben“ zu lassen und „das größte Heiligtum auf der Welt, die heilige Kaaba“ gegen die westlichen Eindringlinge zu verteidigen – entwickelt sich praktisch eine „psychologische Immunisierung“ gegen Kritik. Diese wird durch die Aufforderung bestärktz, die „muslimischen Brüder“ überall auf der Welt müssen zusammenzuhalten, und die islamische Ehre im Kampf gegen die Ungläubigen vom Vater zum Sohn weiterzuvererben.
Damit ist eine weitere, typische Vermischung familiär-partikulatorischer Konzepte mit religiös motivierten Zielen hergestellt.

Der ideologisch und pädagogisch radikalisierte Islamist kann sich so in einer multikulturellen Welt nicht mehr integrieren – er sieht sich praktisch immer einer Umwelt aus „Ungläubigen“ ausgesetzt, mit der er sich „im Krieg“ wähnt.

Indem die „Nichtmuslime“ gegen diese Ideologie und Haltung selbst den „Krieg gegen den Terror“ erklären, wird ein ewiger, sich immer nur bestärkender Kreislauf in Gang gesetzt, der immer nur Schrecken, Terror, neue Wut und neue „Klonkrieger“ erzeugt.

Als eine Strategie für die Befriedung des scheinbar unauflöslichen Konfliktes taugt der „Krieg gegen den Terror“ nicht. In der Realität hat sich die Zahl der extremen Islamisten mit zunehmender Dauer des „Krieg gegen den Terror“ sogar verzehnfacht oder verhundertfacht. Schon Immanuel Kant wußte: „Der Krieg ist darin schlimm, daß er mehr böse Menschen macht, als er deren wegnimmt.“

Die Strategie gegen den „Terror“ muss damit beginnen, dessen Ursachen als großen „Error“ – als Irrtum zu begreifen.

Für Abonnenten der Pankower Allgemeine Zeitung geht es weiter im nächsten Teil:

„Krieg gegen den „Error“ #2
– vom asymmetrischen Krieg zur systematischen „Error-Bekämpfung.“-

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