Freitag, 29. März 2024
Home > Kultur > Kunst statt Leere

Kunst statt Leere

Bet´Kindlein bet. morgen kommt der Schwed´ - Installation: Peter Johansson

/// Glosse /// Bezirkspolitiker haben einen besonderen Blick für das Detail. Als Menschen wie Du und Ich gehen sie durch Straßen und Geschäftsstraßen, bekommen kritische Hinweise aus der Bevölkerung – oder werden einfach selbst auf störende Phänomene aufmerksam. Besonders im Blick: leere Läden, weil sie von Niedergang, Geschäftsaufgabe und möglicher Verwahrlosung künden.

Bet´Kindlein bet. morgen kommt der Schwed´ - Installation: Peter Johansson
Bet´Kindlein bet. morgen kommt der Schwed´ – Installation: Peter Johansson

Der besorgte Blick gilt leeren Schaufensterfronten, die verdreckt, mit Plakaten verklebt werden, und eine unansehnliche Aura entfalten. Geronnener Kleister und Leim mischt sich mit Dreck auf Rahmen und Gesims. Manchmal sind es auch dicke Plakatschichten, die ein Schaufenster beschweren. Heruntergelassene Rolladen, mit Grafitti und Tags beschmiert, künden von Niedergang, vergangenen Pleiten und Schicksalen.

Sind es steigende Mieten? Marktumschwünge? Oder hat die Politik gar etwas falsch gemacht, ist ein leeres Schaufenster eine stiller Affront für die Politik? Verletzen hier Eigentümer und Verwalter ihre Pflichten? Ist es gar Spekulation? Oder hat jemand angesichts steigender Abgaben sein Gewerbe einfach aufgegeben?

Jedes leere Geschäft in einer florierenden Einkaufsstraße ist scheinbar eine Mahnung an die Politik, eine stille Aufforderung, etwas zu tun. Stehen irgendwie 10 Läden leer, so muß auch über politische Programme nachgedacht werden.

Leerstand beseitigen, aber wie?

Ein Antrag von Bündnis 90/Grüne mit dem Zeichen IV-0161/01 „Unterstützung der Gewerbetreibenden in der Schönhauser Allee“ ist längst elektronisch gelöscht und Vergessenheit geraten. Auch im Jahr 2002 schien man sich Sorgen gemacht zu haben, eine Große Anfrage V – 0127 / 2002 befasste sich mit dem “ Leerstand von Läden“ und „Erhalt von kietznahen Versorgungseinrichtungen“.

Insbesondere in der SPD in Prenzlauer Berg wurde über leere Läden nachgedacht. Die SPD-Falkplatz-Arnimplatz brachte die Initiative ein. Die Kleine Anfrage KA-0287 des Bezirksverordneten Roland Schröder vom 6.2.2013 klang sehr besorgt:

„Zwischen Eberswalder Straße und Bornholmer Straße stehen auf der Schönhauser Allee derzeit ca. 20 Ladengeschäfte leer. Welche Daten hat das Bezirksamt über Leerstände von Ladengeschäften im beschriebenen Bereich? Welche liegen über andere bezirkliche Zentren vor?“

Im Frühjahr 2013 schien ein Absturz in der Schönhauser Allee zu drohen. Doch Bürgermeister Matthias Köhne, ganz der ruhige Marktwirtschaftler, kannte seine Pappenheimer, und sah im Frühjahr 2013 keinen besonderen Handlungsbedarf. Er antwortete:

„Das Bezirksamt verfügt über keine Ressourcen zur kontinuierlichen Erfassung von Leerständen, so dass keine entsprechenden Daten vorliegen.“ – „Das Bezirksamt wird die Gespräche mit den Eigentümern der leerstehenden Immobilien erst suchen, wenn der Leerstand dauerhaft ist und besorgniserregende Größenordnungen annimmt. Dies ist derzeit nicht der Fall.“

Tatsächlich gibt es in Geschäftsstrassen kleine Konjunkturen, gute und schwache Lagen. Es ist ein buntes Durcheinander, es gibt tragfähige und in die Jahre gekommene Geschäftskonzepte. Manche Läden, Restaurants und Imbisse verschwinden einfach vom Markt. Mit schöner Regelmässigkeit werden Geschäfte zum Jahreswechsel aufgegeben. Leerstand tritt offenkundig und vertragswirksam gehäuft an Stichtagen und im Frühjahr ein.
Auch die Schlecker-Pleite riß ein Loch, und der Wegzug von Banken kostete an mancher Ecke die wichtige Kundenfreqenz.

Steter Wandel in der Schönhauser Allee

Doch ein Jahr später sieht es anderes aus. Im ehemaligen Schlecker an der Ecke Kastanienallee sitzt heute die AOK an zentraler Lage – statt Laden und Kunden nun ein Verwaltungsstandort mit tausenden Pflichtbesuchern.
Auch eine etwas schmuddelig gewordene Ecke an der Schönhauser Allee 72 b wurde neu belebt, ein originelles Café- und Restaurantkonzept im Vintage-Stil bietet neue atmosphärische und kulinarische Anziehungskraft: MAHLZEIT lohnt als Treff und für die Pause zwischendurch.

Tatsächlich: Leerstand scheint in der Schönhauser Allee ein vorübergehendes Phänomen zu sein – bis auf ein paar hochpreisige Ausnahmen, die nun schon im dritten Jahr mit großen Lettern und Telefon-Nummer um neue „Gewerbemieter“ ringen.

Neuer Antrag – neue Idee

Im August des Vorjahres erblickte ein neuer Antrag VII-0524 der SPD-Fraktion das Licht der BVV-Politik. Es waren kaum 5 Monate nach Mathias Köhnes Antworten vergangen.

„Das Bezirksamt wird ersucht, an den Berufsverband Bildender Künstler (BBK) Berlin heranzutreten, um in Zusammenarbeit mit dem BBK Berlin eine Anlaufstelle zu schaffen, bei der Künstler_innen im Bezirk Pankow leer stehende Ladenflächen melden können, die Künstler_innen bei der Kontaktaufnahme mit den Vermieter_innen unterstützt mit dem Ziel, Fensterflächen und/oder Ladenflächen für temporäre Ausstellungen nutzen zu können …

.. sowie in Kooperation mit dem BBK Berlin Künstler_innen über dieses Vermittlungsangebot zu informieren. Beschlossen wurde er im Dezember 2013 – und nun muß das Bezirksamt prüfen, ob eine „zusätzliche Staatstätigkeit“ Erfolg verspricht.

Die Begründung sieht „Kunst statt Leere“ als Lösungsidee an:

„Leerstehende Ladengeschäfte werden meistens zugekleistert, sind unansehnlich und reduzieren dadurch die Lebensqualität im Kiez. Gleichzeitig gibt es im Bezirk viele Künstler mit Interesse an der Möglichkeit, ihre Arbeiten öffentlich auszustellen. Für die Eigentümer der leerstehenden Geschäfte hat dies den Vorteil, dass für Mietinteressierte der Laden attraktiver wirkt, als wenn er verwahrlost. Durch öffentlich wahrnehmbare Kunst wird speziell in der Schönhauser Allee am früheren Charme der Straße angeknüpft. Dadurch profitiert im Kiez jeder von Kunst statt Leere.“

Kunst als Zwischennutzung scheint eine Lösung zu sein – doch Künstler haben auch meist kein Geld, wenigstens die Kosten der Zwischennutzung zu tragen. Auch der BBK kann hier nur wenig helfen, er ist längst auch bei freien Ateliers in Rückzugsgefechte verwickelt.

Leerstand kostet Geld, Kundenfrequenz und Kaufkraft – und mindert die Chancen der benachbarten Geschäfte. Deshalb ist eine schnelle Neuvermietung angesagt.

Kreativität ist gefragt

„Zu vermieten, Günstige Gewerbeflächen, Ladenlokal frei.“ „Das ist das Dümmste, was man machen kann“, sagte Volker Linneweber, Professor am Institut für Psychologie der Universität Magdeburg schon 2005. „Der Hinweis auf Leerstand bringt weiteren Leerstand“, mahnte Linneweber, „diese Schilder symbolisieren nur das Übel.“

Die Verbindung von Warenästhetik und Kunst war im 20. Jahrhundert in der Blütezeit der Warenhäuser sehr populär. Doch Künstlerschaufenster und Art Déco-Warenästhetik sind heute nach einer letzten Blüte in den 50er- und 60er Jahren aus der Mode gekommen. Handelskonzerne und Kaufhäuser kämpfen heute selbst um jeden Cent und haben kaum noch Spielraum für Kunst.

Moderne Künstler möchten sich auch nicht gern als Dekorateure sehen – und so strebten Handel und Kunst wieder auseinander – von vereinzelten Projekten abgesehen.

Doch wie geht man mit der Leere um? Soll staatliche Tätigkeit nun Künstlern und Vermietern „Beine machen?“ Oder soll man 6-8% Immobilienleerstand als moderne Ressourcenverschwendung und Normalität einfach akzeptieren, so wie es Immobilien-Experten schon lange raten? Leerstand als „Mietpreis-Regulativ“?

Aktiver Kampf der Kunst in Pankow gegen Leere

Tatsächlich tobt in Pankow eine gewaltige Schlacht gegen die Leere! Über 60 leere Läden wurden schon lange Zeit als Orte für die Kunst erobert. Nur: die Bezirkspolitiker nehmen es nicht richtig wahr! Zwar gibt es auch ein Amt für Kunst und Kultur – aber das ist vorwiegend mit sich selbst beschäftigt.

Die alltäglichen Siege der Kunst gegen die Leere werden ganz privat ausgefochten. Galeristen und Galeristinnen und auch Künstlerteams eringen diese Siege mit großen Geschick, aber oft auch mit beachtlichen Mietpreiszahlungen.

In den Pankower Erdgeschossen, Läden und Eckläden sind über 60 Galerien und Projekträume zu finden – sie feiern alltäglich neue großartige Siege über die Leere!

Mit Vernissagen, Midisagen und Finissagen zeigen sie der Nachbarschaft und der Stadt, wie privat organisierte Kunst die urbane Welt beleben kann.
Polnische Plakatkunst in der Danziger Straße, eine Staatsgalerie Prenzlauer Berg in der Greifswalder Strasse und die Galerie Ei in der Senefelder Straße zeigen, wie großartig diese Siege über die Leere errungen werden können, wie sogar Kunst zum „kulturwirtschaftlichen Unternehmen“ werden kann.

Rund 30 Künstler sind in einer typischen Galerie vertreten, und finden so ihren „Markt“, und tragen zu den Ladenmieten bei. Viele Galerien und Ladenateliers kann man in Pankow, Prenzlauer Berg und Weißensee entdecken.

Auch unweit des Bezirkverordnetensaals in der Fröbelstrasse bekämpft ein Galerist in der Prenzlauer Allee seit drei Jahren die räumliche Leere erfolgreich in einem Ladenlokal.

Inzwischen hat Robert Kuchling gemeinsam mit seinem Bruder dank kluger Einladungen namhafter ausländischer Künstler auch die erste Etage erobert. Der Chinese Liu Chuanbao kam 2012 sogar in Begleitung eines Staatskommissars für Kunst zur Berlin Art Week 2012, und die Vernissagen sind sehr gut besucht.
Inzwischen hat die Galerie Kuchling einen guten und tragenden Ruf: Kunst wird nicht nur präsentiert – sondern auch angekauft. KünstlerInnen lieben solche Galerien.

Beten gegen die Leere?

Aktuell weist ein schwedischer Künstler den Weg: nicht nur räumliche Leere, auch spirituelle Leere kann hier erfolgreich bekämpft werden.

„Bet Kindlein bet, morgen kommt der Schwed“ – der Künstler Peter Johansson setzt mit Installationen und Photographie Zeichen voller Hintersinn und Humor, und nimmt die folkloristischen Traditionen seiner Heimat aufs Korn – um sie vom Sockel der Traditionsverehrung zu stoßen.

Die aktuelle Installation schreit den Besucher im leuchtenden rot-orange an. „Beten gegen die Leere?“ – „Herr, lass mehr Kreativität wachsen!“ – auch das ist hier erlaubt.

Vielleicht schauen auch bis zum 8. Februar 2014 noch einige Bezirkspolitiker hier in diese „Anlaufstelle“ hinein – mitten ins pralle Kunstleben ihres Bezirks. Hier kann man Kunstunternehmern bei der Arbeit zusehen, wie sie der Kunst Raum schaffen! m/s

„Bet Kindlein bet, morgen kommt der Schwed“
Peter Johansson (Schweden) – Installationen und Photographie

Aktuelle Ausstellung verlängert bis zum 8.2.2014 – Finissage um 19 Uhr

Galerie Kuchling – Prenzlauer Allee 188 – 10405 Berlin-Prenzlauer Berg

Weitere Galerien und Projekträume sind im Kulturportal zu finden:
KULTUR IN PANKOW – www.kultur-in-pankow.de

m/s