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bei Johnny Knüppel

Neues von der anderen Seite
bei Johnny Knüppel

Benedikt Sarreiter und Paul-Philipp Hanske

Die beiden Autoren Paul-Philipp Hanske und Benedikt Sarreiter haben sich ins Zeug gelegt, ein echtes Kultbuch zu schreiben. Und gleich zu Beginn legen sie auch mit einem hintersinnigen Gag los, in dem sie auf die Widersprüche der Drogenprohibition in den USA der 80er Jahre aufmerksam machen. Einer der meistzitierten Jokes des US-Stand-Up Comedians Bill Hicks hat es in die Einleitung des neuen Buches geschafft, das am 7. August im „Johnny Knüppel“ am Schleusenufer in Kreuzberg Buchpremiere hat.

Benedikt Sarreiter und Paul-Philipp Hanske
Benedikt Sarreiter und Paul-Philipp Hanske – Foto: Privat

Bill Hicks war immer kompromisslos und laut und legte wie kaum jemand vor oder nach ihm die Abgründe von Politik, Gesellschaft, Popindustrie offen – und legte dabei auch seine eigenen Schwächen frei.
Im damaligen Programm »Sane Man« (1989) und behandelte Hicks die stereotypen Berichterstattung über LSD. Hicks wunderte sich, wieso in den Medien immer nur die gleiche Geschichte erzählt wird: »Mann springt auf LSD aus dem Fenster und stirbt!«

Hicks’Kommentar: »Was für ein Trottel! Würde man nicht, wenn man wirklich dächte, man könne fliegen, eher vom Boden starten?« Und weiter: »Wie wäre es mal mit einer positiven LSD-Geschichte?«

Paul-Philipp Hanske und Benedikt Sarreiter habe damit einen idealen Aufhänger gefunden, um bei einem ganz besonderen Thema mit neuen Einblicken nach neuen Erkenntnissen zu spüren: »Die Autoren beleuchten die Renaissance des Psychedelischen aus unterschiedlichen Perspektiven, sprechen mit Hirnforschern, Usern und Juristen. Sie befassen sich mit dem Menschheitsthema Rausch und erklären, warum ihm kein Verbot einen Riegel vorschieben wird.«

Freitag, 07.08.2015, 21:00 Uhr
Buchpremiere:
Paul-Philipp Hanske und Benedikt Sarreiter
Neues von der anderen Seite – Die Wiederentdeckung des Psychedelischen

Lesung und Gespräch

anschliessend Diskussion mit Alard von Kittlitz, Lesung von Juno Meinecke
Mit anschließender Party mit DJ Turtur und der Automatisch-Crew

Eintritt: € 5,- | Facebook Event

Jonny Knüppel | Schleusenufer 4a | 10117 Berlin-Kreuzberg

Warum es nie eine nüchterne Gesellschaft geben wird

Ende der siebziger Jahre zeigte sich Albert Hofmann schwer enttäuscht vom Schicksal der von ihm entdeckten »Wunderdroge«: LSD – mein Sorgenkind lautete der Titel des damals erschienenen Erinnerungsbuchs. Hatte man die Substanz noch in den sechziger Jahren als Königsweg zur Erkundung der Psyche gefeiert, folgte bald der Rückschlag: Halluzinogene wurden flächendeckend verboten, ein Effekt des »War on Drugs«.

Heute scheint das Tabu zu bröckeln: Weltweit wird über die Legalisierung von Marihuana diskutiert; junge Menschen pilgern an den Amazonas, um sich mit Ayahuasca auf Jenseitsreise zu begeben; Mediziner erforschen das therapeutische Potenzial von MDMA oder der Pilzdroge Psilocybin; selbst im Mainstream-Kino wird an den Pforten der Wahrnehmung gerüttelt.

Hanske und Sarreiter spüren den Phänomen des Rausches nach, und greifen just zu einer Zeit ein Thema auf, bei dem der von Richard Nixon Anfang der 1970er Jahre ausgerufene War On Drugs verloren ist. Nicht nur liberale Drogenexperten sehen das heute so, auch 82 Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung und sogar hohe US-Generäle sind inzwischen überzeugt, dass Drogenkonsumund -handel nicht mit Gewalt zu stoppen sind.

Was wirkt? Von kalten Kräutern und partiellen Serotonin-Agonisten

Die beiden Autoren fragen nach den Mechanismen des Rausches und suchen zwischen den Wirkungen stinkender Salbe und chemischen Wahnsinn speziell nach dem psychedelischen Rausch. Der Ausdruck »Psychedelik« geht zurück auf den britischen Psychiater Humphry Osmund, der das Wort »psychedelisch« als »die Psyche offenbarend« verstand.

Klassische psychedelischen Substanzen sind das 1943 von Albert Hofmann entdeckte LSD, ferner die Pilzdroge Psilocybin oder
Meskalin, das etwa imPeyote-Kaktus vorkommt. Auch das als Hauptwirkstoff von Ecstasy bekannte MDMA ist eine psychedelische Substanz, ebenso das Narkotikum Ketamin oder Alkaloide aus Nachtschattengewächsen. Darüber hinaus aber gibt es seit einigen Jahren eine wahre Flut an ganz unklassischen, teils im Wochenrhythmus evolvierenden psychedelischen Substanzen, die so kryptischeNamen tragen wie 25I-NBOMe.

Automatisch Bookrelease Party

Kulturbildende Wirkungen

Alle Räusche eröffnen eine Gegenwelt zum Alltag mit seinen festen Regeln, gewähren Urlaub vom starrenund determinierten Ich. In diesem Sinne kann man die psychedelische Erfahrung als reinste Form des Rausches begreifen, konfrontiert sie einen doch entschiedener als jede andere mit einer fremden Realität. Das kann bis zur vollständigen Auflösung des Ich-Gefühls gehen, was dann entweder als beglückendes Aufgehen im All-Einen oder als Absturz in den Wahn erlebt werden kann. So oder so jedoch ist der
psychedelische Rausch kulturbildend. Er steht am Beginn zahlreicher Gründungsmythen indigener Gesellschaften und hat – auch im Abendland und in der westlichen Moderne – ästhetische und philosophische Eigenwelten ausgebildet.

Ausgehend von einer kurzen Geschichte der Psychedelika in den 1950er und 1960er Jahren (»Aus einem ontologischen Schlaf erwacht«) unternehmen Hanske und Sarreiter eine lesenswerte Forschungsreise, die über wichtige Schauplätze der „psychedelischen Konsumgesellschaft“ führt. Erfahrungen eines 35-jährigen Journalisten mit einem Bad Trip, Light Drogen, Horrordrogen, kosmische Drogen – psychedelische Musik, Filme und Psychedelik im Silicon Valley werden treffend beschreiben und analysiert:

»How to put the High into High Potentials – Psychedelika im Silicon Valley.« Auch das Thema Psychedelik und Kunst wird gestreift – und schließlich nach der weiteren Zukunft gefragt: »Nach dem Tabu – die psychedelische Renaissance und
wie es weitergehen könnte.«

Über die Autoren:

Paul-Philipp Hanske, geboren 1975, lebt als Journalist und Autor in München. Er schreibt u. a. für Neon, das Magazin der Süddeutschen Zeitung und Capital. Benedikt Sarreiter, geboren 1976, lebt ebenfalls als Journalist und Autor in München. Er schreibt u. a. für Zeitungen und Magazine.

Literaturhinweis:

Hanske & Sarreiter Buchcover

Paul-Philipp Hanske und Benedikt Sarreiter
Neues von der anderen Seite – Die Wiederentdeckung des Psychedelischen
Suhrkamp, erschienen: 06.07.2015,
Broschur, 327 Seiten, 18,00 €
ISBN: 978-3-518-07121-2

m/s