Mittwoch, 24. April 2024
Home > #Neuland > Sozialliberale Stadtentwicklungspolitik
für Berlin

Sozialliberale Stadtentwicklungspolitik
für Berlin

Typologie der Creative City

Berlin ist eine attraktive und wachsende Stadt. Die Anziehungskräfte bewirken ein auf längere Zeit selbsttragendes und aufsteigendes Wachstum. Wenn es gelingt, die Stadtentwicklungspolitik intelligent weiter zu entwickeln, und an zeitgemäßen Bedarf von Wohnen, Arbeiten, Wirtschaften und Kultur anzupassen, kann die Metropole eine neue Ära der „Goldenen Zwanziger“ auch im 21.Jahrhundert erleben.

Typologie der Creative City
Typologie der Creative City:
Wohnen am Lokdepot
Architekten Nils Buschmann & Tom Friedrich von Robertneun

Für die Stadtentwicklungspolitik ergeben sich heute Notwendigkeiten des Umsteuerns, des Flankierens von belastenden sozialen und wirtschaftlichen Prozessen und Begleiterscheinungen. Daneben gibt es weltweite Innovationsprozesse, die in eine „zukunftssichere Stadt“ integriert werden müssen. Bestehende Strukturen, wirtschaftliche Strukturen müssen dynamisiert und zugleich viel weiter ausdifferenziert werden können – auch gegen den Willen alter und starker Lobbys in der Stadt.

Neues Wachstums- und Entwicklungsmodell in Berlin

Wenn wir heute neidvoll nach Kalifornien schauen, auf die weltweite Dominanz von Internet-und IT-Technologien, so sollten wir uns in Erinnerung rufen: fast alle großen Firmen sind als „geistige Konzepte und Konstrukte“ von jungen Studienabbrechern entstanden, die ihre Ideen in Garagenfirmen entwickelten.

Wenn auch Vieles heute so nicht mehr wiederholbar ist, so kann von der Flexibilität der kalifornischen Szene gelernt werden. Der wichtigste Lerneffekt: Bildung und Kompetenz zählen nicht, wenn „verrückte Bastler“ Kapitalzugang von „verrückten Geldgebern“ bekommen. Kulturelle Offenheit und Durchlässigkeit für Ideen und Konzepte haben den kalifornischen Boom ermöglicht.

Das heutige Berlin bietet eine ähnlich ideale und sehr flexible Basis für einen lang anhaltenden Boom. Eine Mischung aus großen und kleinen Innovationspfaden, aus vielfältig kreativ nutzbaren Räumen, kultureller und geistiger Diversität, und multikultureller Toleranz und Varianz. Das macht die Metropole Berlin zu einem der dynamischsten Wirtschaftsräume auf der Welt.

Campus Berlin Buch: Max Delbrück Centrum
Campus Berlin Buch: Max Delbrück Centrum

Outboxing Europa – strukturelle Fesseln ablegen lernen

Wir werden das bisherige europäisch geprägte Modell der Innovation verändern müssen, um im weltweiten Wettbewerb der Metropolen und Wirtschaftsräume mithalten zu können. Vor allem die strukturellen Fesseln staatlicher Förderung und Innovationslenkung und die Planungen und Erwartungen des „alten Kapitals“ und die korporativen Einflußnahmen der Lobbys und etablierten Akteure müssen mit den Möglichkeiten und Fähigkeiten der jungen Generation und deren Leistungsfähigkeit in neue Übereinstimmung gebracht werden.

Das Menetekel für die Metropole heißt heute einfach „Abwanderung“: Köpfe, Chancen und Zukunftskapital wandern einfach ab, wenn die junge Generation vom „alten Kapital“ und „alten Lobbys“ und regulierenden Umfeldbedingungen überfordert wird.

In Europa müssen deshalb hilfreiche „Outboxing-Strategien*“ entwickelt, die die „Entfesselung der Produktivkräfte“ unter modernen Innovations- und Marktbedingungen ermöglichen.

Unsere politisch überformten Innovationsstrategien beruhen auf Fortschreibungen, Branchencluster und Technologieförderungen – ein System das vor allem Grundlageninnovationen hervorbringt und Patente und Kopiervorlagen für asiatische Tüftler und Investoren. Es gibt fatale Umsetzungs- und Vermarktungsschwächen, die durch die Macht des alten Anlagekapitals, Zinserwartungen und Finanzmarkt verursacht werden.

Wir brauchen deshalb neue „Outboxing-Strategien“ – die auch Stadtentwicklungsprozesse betreffen, und Kapitalzugangshürden und Markteintrittshürden senken, und künftig „gemischte soziale und liberale“ Investitionsstrategien umsetzen.

Im Wettbewerb mit Asien hätte aber heute der „kalifornische Bastler“ keine Chance mehr – unser neues Entwicklungsmodell muss einen Weg zwischen „Asien und Kalifornien“ beschreiten, und auch die neue Weltmaßstäbe bedenken.

Die grundlegende Frage für alle Europäer lautet: „Wieviel Potential entsteht, wenn gut ausgebildete und kompetente Entwickler „verrückte Teams und Firmen“ gründen, die von „visionären und verrückten Geldgebern“ unterstützt werden? Kann das in einer Koexistenz zu bestehenden Strukturen, zu bestehende Innovationsclustern geschehen? Oder benötigt jeder Cluster auch ein paar „verrückte und disruptive Projekte und Startups?“ Besteht in der Vielfalt und Diversität von kleinen, mittleren und großen Akteuren eine besondere Chance, in der wir uns auf „überraschende Innovationen“ besser einstellen müssen?

Gewerbepark Pankow - Pankstraße
Gewerbepark Pankow – Pankstraße – früher Lederfabrik – heute Gewerbepark – Foto: ORCO

Kreditzugang und effektive Kreditleistungsfähigkeit als Engpaß

Kreditzugang, Eigenkapitalbildung und Kreditierung und sind bestimmende Erfolgsfaktoren für den Aufbau junger Unternehmen. Günstige Kosten für Anlagen, Gebäude und Infrastruktur erleichtern die Startup-Phase, und tragen dazu bei, Gründungsriskiken und Risiken der Absatz- und Wachstumsfinanzierung zu verringern. Das Modell der Königsstadt Gewerbegenossenschaft mit einer Kombination aus gut verzinsbaren Kapitalanteil und angemessenen Gewerbemieten ist besonders geeignet, um den Eigenkapitalaufbau von jungen Firmen abzusichern. Die Stadtentwicklung der Zukunft wird von der Kultur der Kreditvergabe und Wachstumsfinanzierung bestimmt. Die Dynamik und Kosteneffizienz neuer Technologien wird auch von der Fähigkeit abhängig, vorhandene Eigenkapital- und Sparkapitalreserven investiv nutzbar zu machen, und die Verschuldungs- und Fremdkapitalquoten niedrig zu halten.

Demografische Dynamierung als herausfordernde Chance

Zu den Herausforderungen für die Berliner Stadtentwicklung gehört deshalb der demografische Wandel, der qualitativ und quantitativ über alle Zukunftschancen mitbestimmt. Um ein besseres politische Verständnis zu wecken, sollte besser von einer „demografischen Dynamierung“, von Wandel und demografischen Zyklen gesprochen werden, wenn man etwa den Wohnungsmarkt betrachtet.

Die demografische Dynamisierung bringt neue Engpässe, Änderungen in der Wohnungsnachfrage hervor, eröffnet aber zugleich auch stille Entwicklungsreserven und sogar Kapitalreserven, die mobilisiert werden können.

Voraussetzung ist eine Abkehr von bisher „marktbeherrschenden Paradigmen“ und „Knappheitsstrategien“ bisher in der Stadt aktiver und zum Teil marktbeherrschender Akteure in der Bau- und Wohnungswirtschaft.
Auch für die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften muß eine nachhaltigere und dynamischere Entwicklungsperpektive gefunden werden.

Wachstum, wachsende Ungleichheit und Wandel als Chance

Berlin wird sich weiter als Metropole der Kultur, der Wissenschaft und Innovation, aber auch als Ideen- und Verwaltungszentrum weiter entwickeln. Als sozial-differenzierte Stadt und weltoffene „Creative City“ ist Berlin auch in besonderer Weise auf eine tolerante und den sozialen Frieden bewahrende Stadtpolitik angewiesen.
Besonders Wissens- und Innovations-Ökonomien und kreative Ökonomien und Kulturökonomien gedeihen nur auf dem Boden eines kommunalen Gemeinsinns, der die Entstehung von „guter und intelligenter Arbeit“ und selbsttragenden Strukturen möglich macht.

Die Voraussetzung für eine derartige Entwicklungsperspektive ist die Überprüfung politischer Leitmuster der großen Parteien und der maßgeblichen Wirtschaftsverbände der Wohnungspolitik.

Für alle Felder der Stadtentwicklungspolitik und Wohnungsbaupolitik muß die große Frage gestellt werden:

„Ist es möglich eine „gemischte soziale UND liberale Strategie“ zu entfalten, die in der Summe mehr Chancen, mehr Stabilität und mehr wirtschaftliches Wachstum generiert?“ – Müssen künftig mehrere Stadtentwicklungsstrategien nebeneinander geführt werden?

Spielplatz im Mauerpark
Spielplatz im Mauerpark:
Klettergerüst heiß begehrt am 2.11.2014

Finanzinvestoren, soziale Investoren und die Anonymisierung der Stadt

Der wirtschaftliche Bedeutungszuwachs von Finanzinvestoren und deren zunehmende Interessen in der Metropole sorgt für das Entstehen informeller Strukturen, die neben der legitimen, durch Politik und Verfassung vorgegebenen Steuerung der Stadtentwicklung und dem „Telos des Baurechtes“ neue wirtschaftliche Planungen zu etablieren suchen. Im Fall des Bebauungsplans I-64 haben wir es erstmals mit einer langfristig angelegten wirtschaftlich motivierten Attacke auf die kommunale Planungshoheit zu tun, die vorerst gescheitert ist, weil sich ein handelnder Projektmanager eines börsennotierten Unternehmens in unzulässiger Weise exponiert und die Seiten gewechselt hat.

Inzwischen ist das dahinter liegende Interessen-Netzwerk mittels moderner Methoden des forensischen Fraud-Managements identifiert. Es reicht von Wien bis Berlin-Mitte, über Steglitz-Zehlendorf bis Eckernförde und umfasst wirtschafttliche Akteure, die zum Teil über 30 Jahres marktbeherrschende Rollen im Berliner Wohnungsmarkt einnehmen, und die Entwicklung des Wohnungsmarktes durch Knappheitsstrategien und Einflußnahme zu lenken suchen. A
uch das überraschende Auftreten der Allianz Umweltstiftung erscheint nach Analyse personeller und verwandschaftlicher Bindungen plötzlich in einem anderen Licht.
Kurios ist nun: über rund 12 Jahre wurde über eine zentrale Fläche in Berlin und um ein Baurecht gerungen, das nach Streit, Aktionen von Bürgerinitiativen und öffentlicher Planauslegung als „nicht erschlossen“ im Sinne des Baurechtes gelten muß, und wohl auch einen „nichtigen Bebauungsplan“ aufgelegt hat.

Wieviel Energie wurde hier sinnlos vergeudet, weil

– Hinterzimmerstrategen in maßloser Selbstüberschätzung agierten,
– Stadtentwicklungspolitik in Naivität und mangelnder Kompetenz gefangen ist
– Bürgerinitiativen in alternativlose Aufregung versetzt wurden?

Wenn es stimmt, dass Teilnehmer aus der Runde des Rat der Bürgermeister durchsickern ließen, dass dieser sich nun durch die Groth-Gruppe unter Druck gesetzt sieht, dann ist klar, welche verfassungswidrige Politikkonstellation in Berlin bereits zu wirken beginnt.

Wohnen in der Genossenschaft Bremer Höhe
Wohnen in der Genossenschaft: Innenhof der Bremer Höhe

Die Herausforderungen für die Stadtentwicklungspolitik der Metropole

Stadtentwicklungspolitik in der Hauptstadt ist aktuell gefordert, sich gegen das „informelle Outsourcing“ von Stadtplanung in „Investorengremien“ zu wappnen und zu immunisieren. Es muß über neue politische Handlungsstrategien und Regeln, über das Verhältnis von Durchsetzungsfähigeit, Transparenz und Beteiligung nachgedacht werden. Auch neue Public-Governance und Compliance Regeln müssen angewendet werden, wenn wir Stadtentwicklung nicht zur Spielwiese von „Lobbys des Stadtumbaus“ machen wollen.

Als starkes und höchst bewährtes Instrumentarium stehr dafür das „Telos des Baurechtes“ und das System der freien und sozialen Marktwirtschaft mit EU-Wettbewerbsrecht und Vergaberecht zu Verfügung, die einfach nur kompetent und „proaktiv“ eingesetzt und angewendet werden müssen.

Die Berliner Stadtentwicklungspolitik muß sich hier mit neuer Kompetenz und Kraft ausstatten, und nicht nur „Bürgerbeteiligung“ als Nachsorgebetrieb organisieren, sondern „transparente Investorenbeteiligung“ an einer auch für den Bürger transparenten und zur Mitwirkung einladenden Stadtentwicklungspolitik organisieren. Dabei können und sollen auch Investoren auf offener Bühne ihre Chance bekommen können – das erfordert die Kultur der sozialen Marktwirtschaft!

Vor allem muß die Politik eine Haltung entwickeln, die Investoren künftig einbindet, und offen behandelt, wenn sie als Personen und handelnde Geschäftsgremien gegenüber der Stadtgesellschaft auch „Gesicht zeigen“ – und offene Diskurse eingehen.

Es gibt viele ehrbarer Investoren, die sich über Einladungen auch freuen würden, um Ideen einbringen zu können, die die gesamte Stadt weiter tragen können. Die Einladung zum „Stadtdiskurs“ wäre nicht nur die „Visitenkarte“ einer Weltstadt, sondern auch ein wichtiger Innovationspfad, um künftig neue Formen von Zusammenarbeit, Projekt- und Produktentwicklung zu organisieren.

Die Ära der „Hinterzimmer-Seilschaften“, „Pasta-Politiker“ und „Knappheitsprofiteure“ muß in Berlin beendet werden, wenn die Stadtgesellschaft in die Zukunft mitgenommen werden soll, um einen „Stadtkonsens“ zu entwickeln und zu pflegen.

Sozial-Liberale Ideen
Die Partei der Ideen startet 2015 – welche Parteien & Köpfe machen mit?

Der künftige „Stadtkonsens“ ist das höchste Wirtschaftsgut einer „Creative City“ – das über den Erfolg des Gesamtsystems Stadt mit ihrer Anziehungs- und Innovationskraft und Lebensqualität entscheidet. Ohne einen tragfähigen Stadtkonsens gibt es auch keine Klarheit über Ziel und keine Planungssicherheit. Ohne erkennbare Richtung und ohne Planungssicherheit verlieren alle Investitionen und Engagements an Wert und Kraft.

Mehr Wettbewerb, mehr Innovation, mehr Transparenz und mehr Baukultur – das ist möglich, und es führt sogar zu mehr Chancen und mehr wirtschaftliches Wachstum. Stadtentwicklung ist kreative und soziale Marktwirtschaft! Urbanität und Kulturmetropole benötigen eine Kultur der Transparenz und den Austausch, und auch den vertrauensvollen Umgang mit legitim etablierten Interessen.

Politik muss ihren komplexen Aufgaben künftig besser nachkommen, und Dialoge, Interessen und den Stadtkonsens organisieren, pflegen und entwickeln.

Fortsezung folgt

* Outboxing-Strategien – abgeleitet von „Thinking out of the Box“
Outboxing-Strategien sind Konzepte, die Alternativen zu marktbeherrschenden Strategien, zu politischen und korporativen Steuerungsmustern schaffen, und neue „Innovationspfade und Innovationsschneisen“ in bestehende Märkte legen können.
Im ökonomischen Feld von europäischer Überregulierung, korporativ und politsch gesteuerten Kapitalzugang und Innovationszugängen müssen Gründungschancen verbessert und Markteintrittsbarrieren verringert werden. Dies wird noch in einem eigenen Beitrag thematisiert werden, der sich auch mit dem Verhältnis von Kapitalmarktdominanz und einhergehender struktureller Erwerbslosigkeit befasst. Es ist zugleich das Europäische Thema, das 45 Millionen Erwerbslose in Europa anspricht.