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Volksentscheid: neue Energiezukunft für Berlin!

Volksentscheid am 3.November 2013 in Berlin

Am kommenden Sonntag findet der Volksentscheid über die künftige Energieversorgung in Berlin statt. Der Berliner Energietisch als parteiunabhängiges Bündnis aus vielen lokalen Initiativen und Organisationen hat dazu aufgerufen und eine erfolgreiche Kampagne in Gang gesetzt. Es geht um eine strukturelle Grundsatzentscheidung – und um ökonomische Weichenstellungen.

Volksentscheid am 3.November 2013 in Berlin
Volksentscheid am 3.11.2013: Für Stadtwerke und eine Netzgesellschaft als Anstalt öffentlichen Rechts

Die Richtungsentscheidung in Berlin: Wem gehört die Energieversorgung ?

Dr. Stefan Taschner, Sprecher des Berliner Energietisch fasst die Position der Initiatoren so zusammen:

„Dieser Volksentscheid wird über die zukünftige Energieversorgung Berlins entscheiden. Wollen wir wieder ein eigenes Stadtwerk? Soll unser Stromnetz wieder zurück in öffentlicher Hand oder weiter von Vattenfall betrieben werden?

2,4 Millionen Wahlberechtigte sind am 3.11. in Berlin aufgerufen genau darüber abzustimmen. Ermöglicht hat dies der Berliner Energietisch. Das Bürgerbündnis aus derzeit 56 Berliner Initiativen und lokalen Organisationen sowie engagierten Bürgerinnen und Bürgern hat das Volksbegehren „Neue Energie für Berlin“ vor eineinhalb Jahren auf dem Weg gebracht. Mit im Bündnis sind neben vielen Umweltgruppen wie z.B. dem BUND Berlin auch zahlreiche soziale Initiativen wie z.B. die Volkssolidarität. Aber auch kirchliche und migrantische Gruppen sowie der Berliner Mieterverein engagieren sich für dieses Thema. Dies macht deutlich: Das Thema Energieversorgung ist kein Thema, das nur in die grüne Ecke passt. Vielmehr hat es alle gesellschaftliche Gruppierungen erreicht, denn es geht jeden an und jeder ist betroffen.“

Die bisherige Bilanz der Kampagne: „Mehr als 227.000 Berlinerinnen und Berliner haben mit Ihrer Unterschrift das Anliegen des Energietisches unterstützt. In dem zur Abstimmung gestellten Gesetzentwurf wird das Land Berlin aufgefordert, die Energieversorgung demokratischer, ökologischer und sozialer zu gestalten.“

Dr. Stefan Taschner - Berliner Energietisch
Dr. Stefan Taschner - Berliner Energietisch

Eine andere Energiezukunft: Worum geht es prinzipiell?

Es geht um die unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Strategien: Soll eine Metropole sich auf den Weltmarkt vernetzen und Energie im ökonomischen Leistungswettbewerb erzeugen und beziehen? Soll man sich dabei dem wechselnden Wind ökonomischen Wettbewerbs aussetzen, und den wechselnden Preisen an Strombörsen?

Sollen die Kosten sozialer Hilfen für einkommensschwache Haushalte auf die Allgemeinheit verteilt werden – was natürlich auf Dauer immer weiter zu hohen Steuern und Abgaben führen muß?

Oder soll man an die Tradition der Hobrechtschen Stadtplanung anknüpfen, die die Stadt auch auf Stadtgüter, Rieselfelder, Klärwerke gebaut hat. Sollen künftig Solar- und Windkraftanlagen für eine „soziale Grundlastversorgung“ – und für die „Daseinsvorsorge“ dienen?

Dr. Taschner formuliert es so:

„Der Energietisch versucht hier die Vereinbarkeit der Energiewende mit den sozialen Fragestellung die sich heraus ergeben mit einander zu verbinden. Gerade in einer Stadt wie Berlin, in der Energiearmut voranschreitet und letztes Jahr 19.000 Haushalte von der Stromversorgung abgeklemmt wurden, kann dieses Thema nicht ausgeblendet werden. Einkommensschwache Haushalte sollen durch das Stadtwerk im Rahmen seiner wirtschaftlichen Möglichkeiten gezielt beraten und durch die Anschaffung energiesparender Haushaltsgeräte gefördert werden. Zudem soll es eine soziale Ausgestaltung der Stromtarife geben, auch wenn aus rechtlichen Gründen keine konkrete Regelung im Gesetzentwurf vorliegt.“

Exportartikel: Eerneuerbare Energien -Smart Grid mit Gaskarftwerk und LNG-Terminal
Exportartikel: Erneuerbare Energien - Smart Grid mit Gaskraftwerk und LNG-Terminal - Grafik: ventureworx

Könnte auch die Wirtschaft Berlins profitieren?

Sind eigene Stadtwerke in Berlin auch eine Chance, um Berlin als Wissens- und Technik-Metropole im Bereich erneuerbarer Energien und „urbaner Technologien“ besser zu positionieren? Passen die Pläne für eine Nachnutzung des Flughafen Tegel als Entwicklungszentrum für urbane Technologien nicht ideal zu einem Konzept eines Stadtwerkes in „regionaler Verantwortung“, das auch lokale Technikentwicklung zuläßt?

Oder will man Berlin von den Entwicklungsstrategien weltweit agierender Energiekonzerne abhängig machen? Brauchen wir vielleicht sogar die „Kompetenz erfolgreicher Stadtwerke“ – um künftig ganze Energienetze, „Smart Grids“ und „Stadtwerke“ in alle Welt exportieren zu können?

Dieser Frage haben sich bislang sich weder Energietisch noch Politik gestellt. Doch gerade auf diesem Feld wird sich nicht nur die „Energiezukunft“ sondern auch die Zukunft des „Technologiestandortes Berlin“ entscheiden.

Der Berliner Energietisch ist aufgrund bisheriger Erfahrungen mit der Berliner Energiepolitik „wirtschaftsskeptisch“. Besonders der Verkauf der BEWAG an Vattenfall und die Privatisierung der Wasserbetriebe haben Spuren hinterlassen und viel Geld gekostet.

Der Energietisch will daher mehr Bürgerbeteiligung und Kontrolle:

„Auch in Sachen Bürgerbeteiligung und -kontrolle versucht die Initiative neue Wege zu gehen.
Im Vorschlag des Berliner Energietisches ist vorgesehen, dass Teile des Verwaltungsrates direkt durch die Bürgerinnen und Bürger gewählt werden. Damit ergänzen sie die ebenfalls vorhandene Kontrolle durch Abgeordnetenhaus und Senat. Letzterer besitzt Rechtsaufsicht und ist durch zwei Senatoren direkt vertreten. Initiativrechte und jährlich stattfindende Versammlungen geben den Einwohnerinnen und Einwohnern direktes Mitspracherecht“ so Dr. Taschner.

Windkraftanlage in Pankow auf ehemaligen Rieselfeldern
Windkraftanlage in Pankow auf ehemaligen Rieselfeldern

Strategie: Daseinsvorsorge, Krisenfestigkeit, Nachhaltigkeit

Eigene Stadtwerke sind auch eine Basis , um Daseinsvorsorge, Nachhaltigkeit und vor allem „Resilienz“, Überlebensfähigkeit in Krisenzeiten zu verbessern. Gerade die Technik der Smart Grids wird weltweit zu dezentralen Versorgungsnetzen führen, die einen selbstständige Stabilität aufweisen müssen.

Die durch fossile Brennstoffe angetriebene europäische Verbundnetzversorgung muss künftig ein „Backup durch erneuerbare Energien“ schaffen, um nicht bis zu 42% der Stromerzeugung in Sicherheitskapazitäten lenken zu müssen.

Es geht auch darum, einen „nachwachsenden wirtschaftlichen Faktor“ Sonnenenergie direkt für die Versorgung des Gemeinwesens nutzen zu können, ohne zuvor auf Fremdkapital und Zinszahlungen an Dritte angewiesen zu sein. Ein langfristiger Stabilitätsfaktor bei der Energiepreisbildung – und bei der Begründung ökonomischer Exportchancen. Es geht also nicht nur um die Zukunft der Energie – sondern auch der Arbeit in der Stadt!

Nicht zu Letzt: die Beihilfen zum Lebensunterhalt in Form von Wohn- und Energiekostenzuschüssen blieben künftig in der Stadt, statt ohne Zahlungsrückfluß allein den Wohlstand in Drittländern und Konzernen zu mehren.

Mehr Spielraum für die Ökonomie der Metropole Berlin – das wäre nicht schlecht!

Der Volksentscheid am 3.11.2013: es wird knapp!

Dr.Stefan Taschner ist optimistisch, ob des Ausgangs des Volksentscheids, doch er mahnt, es wird knapp:

„Um erfolgreich zu sein benötigt der Energietisch am 3.11. nicht nur eine Mehrheit der Ja-Stimmen, auch das Zustimmungsquorum von 25 Prozent aller Berliner Wahlberechtigten muss erreicht werden. Denn nur wenn mindestens 625.000 Menschen mit Ja stimmen, ist der Volksentscheid angenommen.“

Dr.Stefan Taschner erinnert an das hanseatische Vorbild: Die BürgerInnen der alten Hansestadt Hamburg haben sich für eigene Stadtwerke ausgesprochen:

„Es wäre ein wichtiges Signal, wenn nach Hamburg auch Berlin sich für eine Energieversorgung vor Ort in den Händen der Bürgerinnen und Bürger ausspricht. Damit würde auch deutlich gezeigt: Die dezentrale Energiewende in Bürgerhand ist auch in den großen Städten angekommen. Die Politik auf Länder- und Bundesebene könnte diesen Bürgerwillen nicht ignorieren.“ m/s

Weitere Informationen:

Berliner Energietisch: www.berliner-energietisch.net

Sieben gute Gründe

Wo wird am 3.11.2013 abgestimmt? Die Übersicht der Wahllokale:

Die Landeswahlleiterin für Berlin

m/s