In einem neuen Beitrag zu Rechtfragen behandelt Rechtsanwalt Kai-Uwe Agatsy ein brisantes Thema: die Beweiserhebung im Mieterprozess. Das Thema ist deshalb so wichtig, weil viele Rechtsstreite vor Gericht an Beweisfragen scheitern, und weil Richter mitunter Fotobeweisen keine ausreichende Aufmerksamkeit schenken.
Beweisnot im Mieterprozess- Zur Vermeidung von prozessualen Nachteilen
– 1.Teil der Abhandlung – Darlegung und Verlust von Prozesssituationen
Beweisfragen spielen in einem Mietrechtsprozess vor dem Amts- oder Landgericht regelmäßig eine tragende Rolle. Dabei handelt es sich um unterschiedliche Fallkonstellationen, bei denen es auf die Aufklärung einer Beweisfrage ankommt. Klassische Fallgruppen im mietrechtlichen Gerichtsprozess sind das Vorliegen von Mängeln – Durchsetzung von Gewährleistungsrechten – und die Klage auf Zustimmung zur Mieterhöhung. Der erste Teil dieses Beitrages beschäftigt sich mit der Frage, welche Voraussetzungen an den Prozessvortrag zu stellen sind und ob und in welchem Umfang z.B. Lichtbil-der als Beweismittel und Privaturkunden als Beweismittel durch das Gericht zuzulassen sind.
Das Gericht ist zur Überprüfung des Vortrages einschließlich Beweisanträgen verpflichtet
Zunächst besteht für die Streitparteien die prozessuale Pflicht, die entscheidungserheblichen Tatsachen vollständig und nachvollziehbar vorzutragen (§ 138 ZPO). Dies gilt sowohl für die Kläger als auch die Beklagten. Macht ein Mieter das Vorliegen von Mängeln an der Mietsache geltend, trägt er insofern die prozessuale Darlegungslast. Die Anforderungen an den Vortrag dürfen seitens der Gerichte allerdings nicht „überzogen“ gestellt werden.
Vortrag und Substantiierungslast – Überzogene Anforderungen an den Einzelfall?
Die Prozesspartei kommt der Darlegungs- und Beweislast in ausreichender Weise nach, wenn die konkreten Einzelumstände nachvollziehbar dargestellt werden. Im Einzelfall genügt eine Beschreibung, aus der sich die Art und Weise der Beeinträchtigung ergibt (BGH, Urteil vom 20.06.2012 – VIII ZR 268/11). In der Praxis bedeutet dies, die Tatsachen z.B. hinsichtlich vorhandener Mietmängel nicht ohne weiteres zurückgewiesen werden können. Dasselbe gilt, wenn die Prozesspartei nur „relative“ Angaben wie z.B. „dreimal“ oder „öfters“ machen kann. Das Gericht hat den Vortrag zunächst als substantiiert zu unterstellen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn das Gericht diesen als „schlüssig“ bezeichnet. Der Vortrag von Einzelheiten gehört nicht zur Schlüssigkeit; kann aber vor dem Hintergrund der Substantiierungslast und bei Bestreiten des Gegners allerdings geboten sein (BGH NJW 91, 2908).
Lässt der prozessuale Vortrag der jeweiligen Partei, gleich ob Kläger oder Beklagter hinreichend die entscheidungserheblichen Tatsachen erkennen, Beispiele: der Innenhof wird nicht gereinigt, am Abflussrohr treten seit einigen Wochen unangenehme Gerüche auf oder das Treppenhaus wird nicht gereinigt, reicht der Parteivortrag aus Sicht des Gerichts nicht aus, so dass die Pflicht des Gerichts nach § 139 ZPO besteht, einen entsprechenden Hinweis zu erteilen.
Materielle Prozessleitung – Grenzen der Hinweispflicht und Korrekturmöglichkeiten
Im Mietrechtsprozess kommt es maßgeblich auf Einzelheiten an, die u.U. für den Verlust bzw. Obsiegen des Rechtsstreits von Bedeutung sind. Das Gericht hat gemäß § 139 ZPO eine Erörterungspflicht hinsichtlich des gesamten Prozessstoffes. Sofern die vorgetragenen Tatsachen für eine Entscheidung nicht ausreichen, muss das Gericht darauf hinwirken, dass eine Komplettierung und Konkretisierung des Streitstoffs erfolgt. In der gerichtlichen Praxis zeigt sich oftmals, dass einzelne Gerichte prozessuale Fehler durch sorgfältige Hinweispflichten vermeiden können.
Beispiel: Der Mieter trägt im Prozess das Vorliegen von konkreten Mängeln an der Mietsache vor. Seitens des beklagten Vermieters wird der Vortrag nur mit dem Passus „der Vortrag des Klägers wird bestritten“ beantwortet. In diesem Fall müsste das Gericht zum einen darauf hinwirken, dass der Vortrag hinreichend konkretisiert wird. Zum anderen trifft das Gericht gemäß § 139 ZPO die prozessuale Pflicht, für ein „ausgewogenes“ Prozessverhältnis zu sorgen.
Die über die Erörterung hinausgehende Pflicht zum konkreten Hinweis auf entscheidungserhebliche Gesichtspunkte dient vor allem der Vermeidung von Überraschungsmomenten und konkretisiert damit den Anspruch auf rechtliches Gehör (BVerfGE 84, 188/90).
Im Ergebnis bedeutet dies, dass im Zweifelsfall die möglicherweise „schwächere“ Prozesspartei einen richterlichen Hinweis erbeten kann. Dies bezieht sich auf den erforderlichen Vortrag und auf die denkbaren Rechtsfolgen.
Ohne Beweis kein Ergebnis – Lichtbilder und Privaturkunden als Beweismittel?
Dem Beklagten bzw. Kläger obliegt die Darlegungs- und Beweislast. Das bedeutet, dass in einem Zivilprozess zu jeder vorgetragenen oder bestrittenen Tatsache auch das entsprechende Beweismittel in Form von Sachverständigen, Augenschein, Parteivernehmung, Urkunde und Zeuge unterbreitet werden.
Das bedeutet in casu die „Beibringung“ der erforderlichen Beweismittel. Sofern es auf die Beweiserhebung ankommt, prüft das Gericht, welches Beweismittel die Rechtsauffassung stützt.
Im Mietrechtsprozess werden oftmals Lichtbilder und Privaturkunden als Beweismittel vorgelegt. Macht z.B. der Mieter das Vorliegen von Mängeln an der Mietsache geltend, sind Lichtbilder zumeist das einzige Beweismittel, um dem Gericht das Vorliegen von Mängeln plausibel zu machen. Bei Lichtbildern z.B. von „maroden“ Fenstern, eines verschmutzten Treppenhauses oder Schimmelflecken handelt es sich um Augenscheinsobjekte (§§ 371, 372 ZPO).oder Privaturkunden (§§ 413ff. ZPO). Dennoch kommt es immer wieder vor, dass einzelne Gerichte die „Begutachtung“ von Lichtbildern als „unerheblich“ zurückweisen.
Gerade bei der Beweisführung von Mietmängelnsind die Prozessparteien auf die Beibringung von Lichtbildern angewiesen. Die Beibringung von Lichtbildern und Privaturkunden ist durchwegs zulässig.
Fazit
Es kommt auf den richtigen Vortrag an. Der Parteienvortrag darf nicht ohne weiteres als unerheblich zurückgewiesen werden. Andernfalls ist ein richterlicher Hinweis erforderlich.
Dies gilt ebenso für anwaltlich vertretene Parteien. Lichtbilder und Privaturkunden z.B. Schreiben an den Vermieter und Schreiben des Vermieters müssen durch das Gericht berücksichtigt werden.
Demnach darf in einem Mieterprozess nach dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs kein prozessualer Nachteil eintreten.
Der Autor ist Rechtsanwalt in Berlin
mit Tätigkeitsschwerpunkten im Mietrecht, Zivilrecht, Unternehmensrecht, IT-Recht
Kanzlei im Bötzowviertel
Rechtsanwalt Kai-Uwe Agatsy
Bernhard-Lichtenberg-Straße 14
10407 Berlin-Prenzlauer Berg