Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Bundestagsfraktion sowie Philip Rösler und seine FDP bürden den Wählerinnen und Wählern eine spannende Zukunftsfrage auf: „Wie teuer wird es mit meiner Miete, wenn ich am 22. September 2013“ die Wohnungspolitik der schwarz-gelben Koalition „einkaufe“? Bündnis 90/Grüne setzen sich seit 2010 für eine Deckelung der Neuvertragsmieten ein. Die SPD hat die grünen Ideen übernommen, und der bayrische SPD-Spitzenkandidat Uhde zwang Bundeskanzlerin Merkel im Mai vor dem deutschen Städtetag dazu, selbst für eine Mietpreisbremse einzutreten.
Auf der letzten Sitzung des Bundestages am Donnerstag, den 28.Juni 2013 wurde das Mietenthema zu Wahlkampf-Spitzenthema, das nun nicht mehr nur den Mieterinnen und Mietern, sondern auch allen Parteien auf den Nägeln brennt.
Was war geschehen?
Die Mietpreisbremse steht auf Angela Merkels Initiative sogar im Wahlprogramm der CDU, sie hat dafür heftigen Widerstand der „interessierten Fachkreise“ bezogen – man könnte auch zusammenfassend vereinfachend „Immobilien-Lobby“ dazu sagen.
Bündnis 90/Grüne haben in der letzten Woche die von der CDU angedachte „Mietpreisbremse“ in der letzten Sitzung des Bundestages zusammen mit SPD eingebracht. Es kam wie es vorhergesehen wurde: die schwarz-gelbe Koalition stimmte gegen ihren eigenen Antrag.
Gegen die Mietpreisbremse stimmten 215 Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion. Von der FDP lehnten 82 Abgeordnete die Mietpreisbremse ab.
Nun stehen sich zwei Konzepte zur Mieten- und Wohnungspolitik im Bundestags-Wahlkampf gegenüber:
– CDU und FDP wollen künftig die Mietenpolitik in den Bundesländern ansiedeln, und länderweise Regelungen umsetzen.
– SPD und Bündnis90/Grüne wollen eine bundeseinheitliche Regelung durchsetzen, die eine generelle Begrenzung der Mietkosten
möglich macht.
CDU und FDP streben eine stärkere Regionalisierung der Mietwohnungsmärkte an – und haben damit die wohlhabenden Bundesländer und ihre Immobilienbesitzer im Blick.
SPD- und Grüne warnen vor einer Regionalisierung, die zu einer Schwächung der Mieterrechte führen wird, weil auf Länderebene viele Ansätze für Streit und Rechtsstreit zwischen Land, Kommunen, Vermietern und Mietern entstehen, über die dann Gerichte entscheiden.
Die nicht immer mieterfreundliche Rechtssprechung ist dabei auch ein für Kommunen unwägbares Risiko, weil sie künftig ihre Wohngeld- und Sozialhilfetats nach Gerichtsentscheidungen ausrichten müssten.
Kompliziertes Politikfeld
Viele Fachbegriffe stehen im Raum: Begrenzung der Neuvertragsmieten, Mietspiegelhöhen, Umlage der Kosten der energetischen Sanierung, Übernahme der Maklerkosten durch den Vermieter. Belebung des Wohnungbaus und Einführung von Kappungsgrenzen und „sozialen Mietpreisbündnissen“ bei kommunalen Wohnungsgesellschaften, wie in Berlin.
Die Mieter staunen, und versuchen nachzurechnen: „entscheidend ist, was am Ende herauskommt Angela!“ – so formulierte es ein Mieter auf der letzten Fachtagung der SPD im Jüdischen Waisenhaus, zu der Florian Pronold (SPD) und Bundestags-Vize Wolfgang Thierse eingeladen hatten. Eine Mieterhöhung von 3,86 pro Quadratmeter auf 5,47 € – wie im sozialen Mietenbündnis mit der GEWOBAG vereinbart, sprengt aber bereits viele Haushaltskassen, sicher geglaubte Lebensplanungen und übersteigt die langjährg aufgebaute bAltersvorsorge.
Ob die nächste geplanten Mieterhöhung in 3 Jahren nun 9% oder 15% beträgt ist nebensächlich – viele Mieterinnen und Mieter sitzen auf gepackten Koffern und wissen noch nicht, wohin es gehen soll. Es ist auch schwer zu ertragen, wenn plötzlich 11% lebenslange Modernisierungsumlage zu zahlen sind, um Energie zu sparen, aber dennoch höhere Netto-Mieten zahlen zu müssen. Energiekosten sparen lohnt für viele Mieter nicht.
„Wieso noch wählen gehen, wenn man zuerst an eine neue Wohnungswahl denken muß?“ – so denken inzwischen auch viele Betroffene.
Die Auseinandersetzungen wischen GESOBAU AG und dem Bündnis Pankower Mieterprotest um Mietpreissteigerungen nach Modernierung in Pankow, zeigen ganz neue ökonomische Grenzen auf: auch Normalverdiener werden zu Betroffenen.
Doch zur Bundestagswahl könnte es noch spannend werden, wenn Mieter den Rechenstift zücken, und die „vorhersehbaren Kosten“ einer Wahlentscheidung auf das eigene Haushaltseinkommen anrechnen.
Schwierige Gemengelage – wachsende Not – Politik ohne Langfristkonzept
Die Existenznot wächst auf breiter Front. Im Internet frei verfügbare Gehaltsrechner zeigen es leicht auf: Singles mit weniger als 1.600 € Bruttogehalt werden zu sozialen Härtefällen, wenn sie nicht rechtzeitig in „Kleinstwohnungen“ umziehen.
Für Familien wird es noch dramatischer: fällt ein Mitverdiener aus, wird die ganze Familien zum sozialen Härtefall.
Für Mieterinnen und Mieter sind die Positionen der Parteien bislang schwer durchschaubar. Es wird höchste Zeit sich Klarheit zu verschaffen, denn die Mieterhöhungen der letzten Jahre bringen nun viele Klein- und Mittelverdienener in Existenznot.
Selbst Angestellte und Facharbeiter drohen zu „anerkannten sozialen Härtefällen“ zu werden, wenn die Wohnkosten mehr als 30% des verfügbaren Nettoeinkommens übersteigen.
Daneben explodieren die Stromkosten – und eine beispiellose Welle von Altersarmut rollt in den nächsten 5 Jahren auf den gesamten Wohnungsmarkt zu. Viele ältere Menschen sitzen schon hilflos und verzweifelt in zu gro0en und zu teuren Wohnungen, wenn ein Partner stirbt. Ein Umzug in kleinere Wohnungen ist kaum möglich, weil deren Mieten ebenso unbezahlbar geworden sind. Und Kredit gibt es auch nicht, altersbedingt ist ab 55 Jahren praktisch Schluß mit Überziehungskredit und Zwischenfinanzierung.
In den Großstädten hält dazu die „Versingelungs-Tendenz“ an – in Berlin werden bald 41% aller Haushalte Singlehaushalte sein. Mit zunehmender Überalterung wird die Versingelungs-Tendenz sogar noch dramatisch ansteigen. Einsamkeit, Zahlungsschwierigkeiten und Verzweifelung breiten sich aus.
Das seit dem 1.April 2013 vereinfachte Kündigungsrecht wird in Zukunft vor allem alleinlebende alte Menschen treffen, und weder Politik noch Wohnungswirtschaft sind darauf ausreichend vorbereitet.
Bundesweiter Überblick: Mieten steigen in vielen Großstädten weiter
Die Politik hat schon lange einen Überblick über die Gesamtsituation, ein Konzept aber hat sie nicht. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) unternimmt im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) die „Raumbeobachtung“ und unterhält ein ständiges Monitoring zu den Zahlen, Fakten und aktuellen Trends auf den Mietwohnungsmärkten.
Bundesweit gibt es einen sehr differenzierten Trend: „in zahlreichen wachsenden Großstädten haben die Mieten der am Immobilienmarkt angebotenen Wohnungen in 2012 deutlich angezogen. Städte wie Berlin, Freiburg im Breisgau, Hamburg, Passau oder Jena verzeichneten im vergangenen Jahr Steigerungen der Angebotsmieten von über 7%. Der anziehende Wohnungsneubau kann das Nachfrage-Plus noch nicht auffangen.“ – Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR).
„Bundesweit ist die Entwicklung der Mieten in einer Mehrjahresbetrachtung vergleichsweise moderat. Vor 2010 waren die Steigerungen gering, teilweise waren die Mieten sogar rückläufig. Ein Vergleich mit der bundesweiten Teuerungsrate seit 2005 zeigt, dass die Entwicklung der durchschnittlichen Angebotsmieten im gesamten Zeitraum noch unterhalb der Inflationsrate lag. Erst ab 2011 ist eine deutlich über der Inflationsrate liegende Mietendynamik zu verzeichnen.“
In den Hochpreis-Regionen fehlen Wohnungen im günstigen Segment
Der aktuelle Blick in die Städte und Regionen macht deutlich, wie groß mittlerweile die regionalen Unterschiede sind. Die Mietpreis-Schere reicht auf Kreisebene im Durchschnitt von 3,77 € je m² in Wunsiedel im Fichtelgebirge bis zu 12,53 € je m² in München. Hinter diesen Spannen stecken aber völlig unterschiedliche Marktsituationen zwischen Anspannung einerseits und einem Wohnraumangebot, das die Wohnnachfrage zum Teil deutlich übersteigt – wie z.B. in der Uckermark, Wittenberge und den Randregionen in Nordsee und in den bayrischen Grenzregionen.
Attraktivität der Städte steigt
Noch vor wenigen Jahren war ein Trend zur Schrumpfung von Städten prognostiziert worden. Inzwischen zieht die Wirtschaft in vielen Standorten an. Internet und soziale Netzwerke stärken attraktive Städte und Agglomerationen. Ein Trend, der sich für die Demographen relativ kurzfristig und überraschend aufgebaut hat. Berlin, München, Hamburg und andere Städte sind hier betroffen.
In den Städten mit stark steigenden und hohen Mieten werden inzwischen die Angebote von Wohnungen im günstigen Miet-Segment sehr rar. Wo Ausweichmöglichkeiten fehlen – steigt der soziale Druck. Die GESOBAU AG bekommt das in diesem Jahr in Pankow erstmals geballt zu spüren.
Bundesweit nimmt der Anteil höherpreisiger Wohnungsangebote deutlich zu. In München machen die Angebote im Jahr 2012 mit einer Nettokaltmiete von 11,00 € je m² 80% der Angebote aus. 2008 waren es noch 50%. Hinter diesen Verschiebungen stecken neben Angebotsengpässen bei Wohnungen vor allem qualitative Verbesserungen des Angebots durch Modernisierung und mehr angebotene Neubauwohnungen. In Berlin steigt der Anteil der hohen Neumieten vor allem in den attraktiven Bezirken, zu denen auch Pankow gehört.
Wohnungspolitik, Stadtentwicklung und Mieten
In den betroffenen Ballungsgebieten und Städten wird nun versucht, mit Wohnungsneubau, Umnutzung von Gewerbe- oder Bürogebäuden zum Wohnen und durch Anpassung älterer Wohnungsbestände an die sich verändernde Nachfrage gegenzusteuern.
Regionale und lokale Wohnungsknappheiten sollen durch gezielte Programme und Maßnahmen reduziert werden, um lokale Mietensteigerungen zu dämpfen. Leider kommen die Initiativen nur langsam in Gang, und für viele betroffene Mieterinnen und Mieter kommen die Maßnahmen zu spät.
In Berlin sollen das landesweite Mietenbündnis für die landeseigenen Wohnungsgesellschaften und ein massives Neubauprogramm die Lage wieder ins Lot bringen. Durch Ankauf von vakanten Immobilien entziehen auch zwei landeseigene Wohnungsgesellschaften dem Markt Wohnraum für die freie Spekulation.
Daneben werden restrikive Maßnahmen und Initiativen entwickelt und umgesetzt, um den Berliner Wohnungsmarkt zu entspannen. Die Zweckentfremdungsverbotsverordnung soll Leerstand und Ferienwohnungen bekämpfen. Daneben wird das städtebauliche Erhaltungsrecht mobilisiert, und die Zusammenlegung von kleinen Wohnungen verhindert. Der Bezirk Pankow hat sich mit der rot-grünen Initiative gegen den Umbau von Wohnungen zu Luxuswohnungen bei Investoren inzwischen unbeliebt gemacht.
Wohnungspolitisches Dilemma in Berlin
Neubau und energetische Sanierung sind heute kaum für Kostenmieten unter 8-10 € zu haben. Die gestiegenen Anforderungen zur Energieeinsparung verteuern die Wohnkosten ganz erheblich. Sowohl Neubau und energetische Modernisierung wirken deshalb für Geringverdiener „verdrängend“.
Auch die landeseigenen Wohnungsgesellschaften müssen wirtschaftlich arbeiten – und ihre im „sozialen Mietenbündnis“ angestrebten Kappungsgrenzen sollen deshalb nur „Altmieter“ schützen.
Fatal wirken auch die Hartz4-Regelsätze für die Übernahme der Wohnkosten: sie wirken praktisch als Mietgarantie, und selbst landeseigene Wohnungsgesellschaften sanieren mit nach oben angepaßten Mieten ihre konkrete Kassenlage. Hartz4 macht damit in der Tendenz billige Wohnungen teurer und hebt den Mietspiegel mit an. Vermieter, die das nicht nutzen, gelten branchenintern als „nachlässig und dumm“.
Ein halbweg geschütztes Segment bieten noch die Berliner Wohnungsgenossenschaften – aber ihr Beitrag zum Neubau reicht nicht aus, um das Marktpreisgefüge zu verändern.
Wie also „kostengünstigen Wohnraum“ schaffen – wenigstens bewahren? Die Berliner Politik befindet sich in einem Dilemma.
In der Artikelserie „Es sind die Mieten, Angela!“ nimmt die Pankower Allgemeine Zeitung die Problemlage ins Visier, und holt Fakten, Stellungnahmen und Wahlaussagen der Parteien zum Thema ein.
Die Kandidaten der zur Bundestagswahl in Pankow antretenden Parteien werden dazu zur Stellungnahme eingeladen.
Auch drastische Beispiele und Einzelfälle werden dabei aufgezeigt – und das Brennpunktthema „Mieten“ wird konkret behandelt.
Gleichzeitig wird nach neuen Handlungsansätzen der Berliner Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik gefragt. m/s
Nächste Beiträge in der Artikelserie :
– Zwangsräumung in Prenzlauer Berg – trotz Guthaben!
– Platzt bald die Immobilienblase in Berlin?
– Leitbild Berlin: vom funktionalen Städtebau zur Typologie der kreativen Stadt
Weitere Informationen:
Das Problem deutlicher Mietenanstiege ist keineswegs flächendeckend, wie die BBSR-Analyse zeigt. Viele Städte, Regionen und ländliche Räume müssen sich mit einer schrumpfenden Bevölkerung und mit wachsenden Leerständen auf den Mietwohnungsmärkten auseinandersetzen. Dort bleiben der Umgang mit schrumpfender Nachfrage und Leerstand zentrale Herausforderungen.
In der Reihe BBSR-Analysen KOMPAKT ist im Heft 7/2013 eine Studie erschienen, die kostenfrei per E-Mail angefordert werden kann: forschung.wohnen@bbr.bund.de a
Umfangreiche Analysen zur Bevölkerungsentwicklung und Mietenentwicklung finden sich auf: