Die Farbe seines Schals ist heute lila, und auch der Schornstein der alten Bötzow-Brauerei an der Straßburger Straße in Prenzlauer Berg trägt einen lila illuminierten Schriftzug, der zum Alexanderplatz ausstrahlt. “Futuring” heißt die Botschaft und ist ein Auftragswerk des Künstlerpaars Eva & Adele für Hans Georg Näder, dem Mann mit dem Schal. Er will aus dem Gelände der Brauerei einen innovativen Kulturstandort machen, einen Ort, “an dem Kunst und Zukunft sich treffen.”
Gelände der Bötzowbrauerei mit Schornstein – Foto: André Franke
Den Unternehmer, und geschäftsführenden Gesellschafter der Otto Bock Firmengruppe, bezeichnen manche auch als verrückt. Der Regierende Bürgermeister und Kultursenator Klaus Wowereit (SPD) sagte bei der Eröffnung am Donnerstag an Näder gewandt: “Sie sind Gott sei Dank so verrückt, solche Projekte anzufangen”, und Pankows Bürgermeister Matthias Köhne (SPD) zeigte sich dankbar, dass so ein “Positiv-Verrückter”, wie er Näder bezeichnete, vor Jahren hier spazieren ging und eine Idee bekam. Näder selbst, Enkel von Otto Bock, scheint das klar zu sein und sagt, sowas ginge nur in familiengeführten Unternehmen.
Kunst und Kulinarik
Das scheinbar Verrückte in Näders Konzept sind die früher geplanten Loftwohnungen, die darin jetzt nicht mehr vorkommen. Stattdessen setzt Näder voll auf “Kunst und Kulinarik”.
Er schätzt, dass in Zukunft etwa 300 bs 400 Künstler auf dem Gelände tätig sein könnten. Starkoch Tim Raue eröffnet am 17. Mai hier sein neues Restaurant “La Soupe Populaire”, und Gregor Scholl, “ungekrönte Autorität der Berliner Cocktailszene” hat aus dem alten Maschinenraum der Brauerei die Bar “Le Croco Bleu” gemacht, in der ein mannshoher Schwarzbär steht, ausgestopft und als Kulisse natürlich.
Gleich nebenan wird im Atelierhaus Kunst ausgestellt, zur Zeit die Biografische Skulptur Nr. 9, “House of Futuring”, einem weiteren Werk von Eva & Adele. Bei Bötzow wird alles auf Zukunft getrimmt.
Außer der Kunst und Spitzengastronomie plant Näder das “Ottobock Future Lab”, das eine Design Academy mit der weltweit modernsten orthopädischen Werkstatt sein soll.
Futuring Bötzow – v.l.n.r.: Bürgermeister Köhne, Klaus Wowereit, Hans Georg Näder, Künstler-Duo Eva & Adele – daneben Videoinstallation des Schornsteins mit Schriftzug „FUTURING“ – Foto: André Franke
“Ich bin froh, dass wir uns anstatt auf Lofts jetzt auf das “Future Lab” konzentrieren können, sagt er. Damit schafft er etwa 200 Arbeitsplätze und investiert etwa 40 Millionen Euro. Das “Future Lab” ist Teil der ersten Bauphase, in der die ersten vier Häuser im Nordost-Teil des Geländes saniert und eine Tiefgarage errichtet werden. Im Frühjahr 2015 soll es fertig sein.
In einer zweiten Bauphase sollen die Häuser 5-7 saniert werden, in die ein Hotel einziehen soll. Dazu gehören auch die etwa 5.000 Quadratmeter Kellerflächen, die von dem Potsdamer Architekturbüro van Geisten-Marfels umgebaut werden. Diese Gewölbekeller sind der Schatz des Grundstücks. Mit Recht spricht Klaus Wowereit bei der Eröffnung von “Geheimnissen”, die dieses Gelände noch habe.
Die Architekten aus Potsdam haben sich auf Bauprojekte mit denkmalpflegerischen Anforderungen spezialisiert. Damit passen sie gut in Näders Konzept, dem es wichtig ist, die “DNA der Bötzow-Brauerei” zu erhalten.
Gemeint sind damit auch die mit dem Ort zusammenhängenden Geschichten, zum Beispiel die vom “Schloss des Nordens” oder “Chateau du Nord”, wie Näder es formuliert. Das war die Villa Julius Bötzows, der dort wohnen wollte, wo seine Angestellten arbeiteten, hier an der Prenzlauer Allee und nicht in Zehlendorf. Sie wurde im Krieg zerstört. Aber Näders Traum, sich irgendwann vielleicht selbst einmal eine Bleibe auf dem Brauereigelände zu schaffen, als “Geist von Bötzow”, wie er leise sagt, ist von diesem Chateau-Gen inspiriert. So ganz ohne Wohnen geht es scheinbar doch nicht.
Näder investiert für das Projekt insgesamt etwa 150 Millionen Euro. Bis spätestens im Jahre 2019 soll alles fertig sein, zum 100. Jubiläum der Firmengründung von Otto Bock.
Am kommenden Wochenende findet ein Frühlingsfest statt, bei dem unter anderem auch Führungen durch die geheimnisvollen Gewölbekeller angeboten werden.
Nach dem Fest ist Baubeginn für das “Lab”. Das Gelände wird aber mit “Kunst und Kulinarik” auch während der Bauzeit geöffnet sein. Der neue Geist von Bötzow drückte das so aus: “Wir sind da, wir sind anfassbar.” – André Franke –
Weitere Informationen:
www.boetzowberlin.de
FUTURING
Kann ein Wort ein Kunstwerk sein? Es kann! Im Werk des Künstlerpaars EVA & ADELE nimmt der Begriff FUTURING eine Schlüsselfunktion ein. Seit 1991 taucht die Wortschöpfung immer wieder in ihrem Werk auf. Im Video-Loop von 1999 sprechen EVA & ADELE eine Stunde lang das Wort FUTURING in die Kamera. Am Schornstein von Bötzow-Berlin erstrahlt FUTURING weithin sichtbar hinaus in die Stadt.
2005 entstand mit dem „House of Futuring — biografische Skulptur Nr. 9“ eine Installation, in der sich der gesamte Kunstkosmos von EVA & ADELE konzentriert Die Arbeit besteht aus 151 Leinwänden, die ein großes Haus bilden. Verbaut wurden Gemä1de, die vor der Verschmelzung der Künstlerinnen zu EVA & ADELE entstanden und im Laufe der Jahre gemeinsam überarbeitet wurden.
FUTURING bezieht seine Bedeutung aus der unvollendeten Zukunft, die in der gelebten Utopie des Künstlerpaars vorweggenommen wird.
,Wir kommen aus der Zukunft‘ – so EVA & ADELE. Beide leben in Berlin & Paris.