Die Achillesstraße in Karow verbindet die beiden großen Neu-Karower Neubaugebiete, und bildet zwischen der Piazza Karow und dem Lossebergplatz so etwas wie eine zentrale städtebauliche Achse. Ausgehend vom städtebaulichen Masterplan der Amerikaner Moore, Ruble und Yudell, sollte ein postmodern-verspieltes Bild eines traditionellen Vorstadt-Städtchens entstehen.
Neu-Karow entstand Anfang der neunziger Jahre und gehört zu den am meisten diskutierten Stadterweiterungsgebieten Berlins, das damals in ausführlichen öffentlichen Architekturgesprächen im Berlin-Pavillon unter der Ägide des damaligen Senatsbaudirektors Hans Stimmann vorgestellt, diskutiert – auch kritisiert wurde.
Trotz aller Architektenschelte war „Karow-Nord“ ein städtebauliches Vorzeigeprojekt des Wohnungsbauprogramms des Berliner Senats und wurde auch überwiegend positiv von Bewohnern und Anliegern aufgenommen. Neu-Karow bietet eine gute Wohnqualität – aber die Anbindung über den öffentlichen Personennahverkehr ist noch immmer nicht ausreichend.
Neu-Karow Vorbild für den Stadtneubau 2020?
Heute rückt Neu-Karow wieder näher in den Blick, weil sich nach 25 Jahren Entwicklung auch städtebauliche Fehler und Mängel offenbaren und strukturelle hemmende Umstände zutage treten. Es lohnt sich, diese Mängel näher zu betrachten, weil sie zum Teil mit kleinen und überschaubaren Maßnahmen behoben werden können.
Künftig muß in Neu-Karow über neue Formen der Qualitätssteigerung nachgedacht werden, die eine weitere Entwicklung des Stadtteils begünstigen und sein urbanes Leben weiter stärken. Die Stärke des Stadtteils liefern die Bewohner selbst: ein hoher Grad an Vernetzung und viele Initiativen und ein lebendiges Vereinsleben prägen den Stadtteil.
Was aber fehlt: ein stabiler Handel und eine urbane Anziehungskraft im Zentrum, zwischen Piazza Karow und Lossebergplatz.
Entstehungsgeschichte von Karow Nord und Masterplan
Direkt nach der Wende wurden auf den ca. 100 ha großen ehemals landwirtschaftlich genutzten Flächen im Norden des Ortsteiles Karow im Bezirk Weißensee (heute Bezirk Pankow) die Realisierung von ca. 5.000 WE im 1. und 2. Förderweg – zu jeweils 42,5% – und zu 15% als Eigentumsmaßnahmen geplant. Das Gebiet Karow-Nord war Teil des von Wachstumsprognosen geprägten ehrgeizigen Wohnungsbauprogramms des damaligen Senats, den Wohnungsbaustrategien 1995. Die Planung und Realisierung erfolgte in einer Rekordzeit von 5 Jahren.
Der Masterplan legte auch die Grundstruktur für die heute erkennbaren Strukturprobleme: eine Vorstadt, die für PKW-Besitzer geplant ist, die Wohnen, Pendeln zum Arbeitsplatz, Einkaufen und Freizeit weitgehend von „Automobilität“ abhängig macht.
Dazu ein Stadtgrundriß, der sich gegen eine natürliche Achse von Bucher Chaussee – Karower Chaussee stemmt, und den Pendelverkehr zwischen Berlin-Buch und Blankenburg nicht mit einer attraktiven Anziehung einladen kann.
Bibliothek auf Abruf
Die Bibliothek am Lossebergplatz ist ein Stück kultureller Infrastruktur. Doch ihre Lage erfordert praktisch die Anreise mit dem PKW, wenn Einwohner aus dem Einzugsgebiet Karow und Buch dort Bücher entleihen wollen.
Der Bibliotheksstandort ist längst als unwirtschaftlich erkannt, eine künftige Verlagerung der Nutzung nach Berlin-Buch ist gutachterlich längst empfohlen.
Schwäche – oder neue Chance? Für die Folgenutzung der Bibliothek werden deshalb sinnvolle Ideen gesucht, die Anziehungskraft und Besucherinteresse entfalten.
Restfläche: Parkplatz am Lossebergplatz
Die dreieckige Grundstücksfläche am Lossebergplatz ist lange Zeit als wilder Parkplatz genutzt worden. Die Fläche befindet sich im Eigentum des landeseigenen Liegenschaftsfond. Der ungünstige Grundstückszuschnitt hat wohl auch eine Bebauung verhindert – und heute stellt sich diese Fläche als „städtebauliche Achillesferse“ dar.
Ein vermeintlich cleverer Parkplatzbetreiber pachtete die Fläche vom Liegenschaftsfond, und wollte sein Modell einer Parkplatz-Bewirtschaftung zu Geld machen.
Doch das Modell einer privaten Parkraumbewirtschaftung an der Achillesstrasse 70 / Lossebergplatz scheiterte 2013 kläglich. Nach Protesten der Anlieger und Nachprüfung des Pankower Ordnungsamtes stellte sich nachträglich heraus: die Einrichtung eines bewirtschafteten Parkplatzes bedarf einer Baugenehmigung. Diese lag nicht vor. Die Dresdener Firma Parker Louis GbR verabschiedete sich wieder aus Karow. Doch nun blieb der freie Platz ungenutzt.
Neue Ideen für den Lossebergplatz
Der CDU-Bezirksverordnete Johannes Kraft engagierte sich besonders, um dem Grundstück neues Leben einzuhauchen. Im April dieses Jahres beschloss die BVV Pankow den CDU-Antrag zur Entwicklung des Lossebergplatzes in Karow. Der ehemalige 1.800 m² große Parkplatz zwischen Achillesstraße, Lossebergplatz und Straße Zum Kappgraben sollte nicht zur Müllhalde und unschönen Brache verkommen.
Kraft reagierte damit auf zahlreiche Anfragen und Hinweise von Gewerbetreibenden, öffentlichen Einrichtungen und Bürgern aus Karow, die sich über den Zustand des Platzes ärgern. Vor allem fehlt Raum zum Parken – und die örtlichen Händler und Gewerbetreibenden haben damit ausbleibende Kunden und Umsatzeinbußen.
Kraft sprach sich für mehr direkte Beteiligung aus: »Das nehmen wir zum Anlass, um eine direkte Beteiligung der Betroffenen in der Sache zu ermöglichen. Was die Perspektive dieser zusehends verwilderten Fläche im Herzen Karows sein kann, sollen nun die Karower selbst mitentscheiden«.
Im Juli hatte die Pankower CDU-Fraktion an 2 500 Karower Haushalte Flyer verteilt, in denem um Ideen für die Gestaltung des Platzes gebeten wurde. Ausgewählt und angekreuzt werden konnten mehrere Möglichkeiten: Parkplatz, Spielplatz, Parkanlage. Dazu konnten auch eigene Ideen angefügt werden. Inzwischen liegen über 200 Meinungen von Karower Bürgern vor.
Die Mehrheit der Wünsche betrifft die Nutzung als Parkplatz und Grünfläche – zwei Nutzungen, die sich jedoch gegenseitig ausschließen.
Guter Rat ist teuer
Karow hat wie die anderen vier Berliner Vorstädte in Französisch-Buchholz, Altglienicke, Rudow und Staaken strukturelle Nachteile: es fehlt die Durchmischung mit Arbeitsstätten und Einzelhandel. Das Verhältnis von Einwohnerdichte, Gewerbe- und Handelsflächen, Nutzungsmischung und Kundenfrequenz ist ungünstig.
Während in Prenzlauer Berg bis zu 20.000 Einwohner auf dem Quadratkilometer zusammen wohnen, leben und arbeiten, ist Neu-Karow praktisch nur „Wohnstadt“ – mit einem Bruchteil der Einwohnerzahl.
Die Folge: Handel, Gastgewerbe, Dienstleistungen und Gewerbe sind vor allem auf „autofahrende Kunden“ angewiesen. Die geplante Nahversorgungsfunktion im Bereich 700-1.500 Metern Umkreis der Piazza Karow hat nicht genug Anwohner. Besserung ist erst zu erwarten, wenn die Karower Einwohner aus den umliegenden Siedlungsgebieten per Fahrrad oder PKW die Einkaufs-Distanz von 2-5 Kilometern nutzen – und genügend attraktive Möglichkeiten vorfinden.
Dafür müßte jedoch der Ladenleerstand in der Achillesstraße beseitigt werden – und zudem fehlt eine attraktive Gastronomie, die sich gegenseitig verstärkt und gemeinsam für das Neu-Karower Zentrum wirbt. Und natürlich fehlt ein Parkplatz, um das für Kunden
so wichtige „One-Stop-Shopping“ umzusetzen.
Sichert etwa der Lossebergplatz als Parkplatz die Attraktivität für die Entwicklung der Achillesstraße?
Vermieter ALLOD in der Pflicht?
Die „allod Immobilien- und Vermögensverwaltungsgesellschaft“ betreut das Neu-Karower Zentrum als Vermieter und als Betreiber eines eigenen Stadtteilmanagements. Damit nimmt die Gesellschaft zum Teil auch öffentliche Aufgaben war, die jedoch vor allem dem Zweck der gewinnbringenden Bewirtschaftung der Immobilien dienen.
Die Gewerbemieten in der Achillesstraße liegen zudem in einem Niveau, das für die Gewerbemieter zum Teil zu hoch, zum Teil kaum tragbar ist. Zehnjährige Mietverträge sorgen zum Teil dafür, dass der Vermieter sich kaum Sorgen machen muß. Die Gewerbetreibenden tragen praktisch die Last des „schwierigen Standortes“.
Miethöhen von 16 € pro Quadratmeter, das ist schon für viele Händler in Prenzlauer Berg ein Niveau, das kaum tragbar ist. In der Achillesstraße fehlt dazu die notwendige Kundenfrequenz – um genügend Umsatz zu erzielen.
Der Ausweg: die Achillesstraße benötigt mehr Kundenfrequenz – es muß viel dafür getan werden, damit Leerstand beseitigt wird, und vor allem auch Nutzungen in die Straße gezogen werden, die neue Kundenfrequenz aufbauen.
Markt, Marketing und Kultur
Die Belebung der Achillesstraße hängt in einem großen Maß von der Nutzung der beiden Plätze ab: Lossebergplatz und Piazza Karow.
Die Piazza Karow soll neu gestaltet und belebt werden – dazu soll ein Konzept erarbeitet werden.
Doch reichen ein paar Bänke und Sitzmöglichkeiten aus, wenn dahinter eine Trattoria und mehrere Ladenflächen leer stehen? Läuft in Neu-Karow etwas schief? Gibt man in Neu-Karow viel Geld für Werbung aus – vergißt dabei aber die richtigen Zielgruppen zu erreichen? Reicht auch das Kulturprogramm aus – um Zusammenhalt und Kiezleben zu fördern? Ist das jährliche Stadtfest ein Anziehungspunkt nur für den Kiez?
Muß vielleicht auch das Stadtteilmanagement neue Ideen entwickeln? Sind vergünstigte Preise für die Kinder von ALLOD-Mietern auf dem Stadtteilfest eine gute Idee, wenn die Freunde der Kinder aus den umliegenden Siedlungsgebieten dabei ausgenommen sind?
Sollte Neu-Karow ein im wahrsten Sinne des Wortes ein neues „einladendes Marketing“ bekommen? Sollen auch Nachbarn aus Buch und Blankenburg eingeladen werden?
Das Café Rosinchen zeigt, wie ein Familienrestaurant im Karower Kiez der Achillesstraße Leben einhaucht. Ein Spielgarten neben dem Café, Trödelmärkte und eine kinder- und familienfreundliche Atmosphäre locken eine wichtige Zielgruppe an.
Das Restaurant Zwiebeltöpfchen ist mit seiner Kombination von Gastronomie und Kultur weithin bekannt. Ein Beispiel, wie man Karow einer Fangemeinde bekannt machen kann. So manche Stars besuchen das Zwiebeltöpfchen nach ihren großen Konzerten in Berlin, und geben ein Gastspiel im Zwiebel-Töpfchen im kleinen Kreis von Freunden.
Sind Aktivitäten, Kultur und Aktionen der Schlüssel? Oder kann das Stadtquartier über regelmässige Märkte neu belebt werden? Funktioniert eine „Spangen-Funktion“ mit Wochenmarkt auf der Piazza Karow – und einem Kreativ- und Trödelmarkt auf dem Lossebergplatz?
Das Nachdenken über die städtebauliche Achillesferse Lossebergplatz führt über einzelne Ideen und Bürgerwünsche hinaus. Es geht nicht nur um Grün und ein paar Bänke, oder um ein paar Parkplätze.
Neu-Karow braucht ein zeitgemäßes Gesamtkonzept, wie urbanes Leben in einer Vorstadt funktionieren soll.