Ein buntes Riesenplakat von Coca Cola prankte seit Ende Januar 2013 am Baugerüst in der Danziger Strasse 2 und verursachte schweren Ärger bei Mietern, Auftraggeber und wohl auch noch beim Vermieter. Die Mieter fühlten sich schwer belästigt: tagsüber Verdunkelung – und nachts hell strahlende Beleuchtung. Das Grossplakat wird aber noch mehr Ärger bringen und auch den Senat Berlin beschäftigen. Es gibt eine eklatante Lücke in der erst 2010 novellierten Fassung der Berliner Bauordnung- die den Mieterschutz ganz nebenbei völlig „vergessen“ hat.
Unter den verärgerten Mietern ist auch Fernando Goncalves (Künstlername Nando Rossi), der seinen Ärger per Internet öffentlich machte, und eine Petition auf der Plattform Change.org veröffentlichte: „Coca-Cola (@CocaCola_De): Pack‘ deine Werbung vor unseren Fenstern ein! #behindacokead“
Eine weitere Protestseite auf Facebook zeigte die Plakate und lies eine schnelle Reaktion von Coca-Cola Deutschland folgen, deren Entschuldigungs-Schreiben an die Mieter im Hausflur schnell aushängt wurde. Auch am Riesenplakat wurde schnell agiert: ein Team von drei Baukletterern überklebte den Slogan mit drei roten Lettern, sodass nun ein „Tut UNS leid“ auf dem Big-Poster prangt.
Das Plakat sollte eigentlich 30 Jahre Cola-Light feiern – und das Baugerüst an der markanten Straßenkreuzung Danziger Strasse Ecke Schönhauser Allee war eine große Verlockung für die Werber.
Doch nun wird es schnellstmöglich wieder abgenommen – und man ist sich inzwischen bei Coca-Cola-Deutschland des Faux-pas sehr bewußt. Für die erst am 14. Januar 2013 gestartete „Night-Boost“-Kampagne von der Agentur Ogilvy & Mather (Berlin) ist es ein peinlicher Rückschlag. Das Big-Poster soll nun bis zum 7. Februar eilig entfernt werden.
Wie aber konnte es eigentlich zu dieser „Hängung“ kommen? Nach der neuen, seit 2011 geltenden Bauordnung von Berlin, unterliegen „Werbeanlagen“ nach BauO § 64a einem vereinfachten Genehmigungsverfahren. Genehmigende Behörde ist jeweils das bezirkliche Bauamt, in diesem Fall in Pankow. Das Bauamt hat in diesem Fall wohl nur einen Routinevorgang gesehen – und keine genaue Prüfung durchgeführt.
Der Text der Bauordnung Berlin ist an dieser Stelle auch etwas abstrakt:
§ 64a Vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren für Werbeanlagen
1 Bei Werbeanlagen, die nicht gemäß § 62 Absatz 1 Nummer 11 verfahrensfrei gestellt sind, werden geprüft
1. die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 des Baugesetzbuchs,
2. die Einhaltung der Regelungen in Gestaltungsverordnungen,
3.die Übereinstimmung mit den Anforderungen gemäß den §§ 6, 9 Absatz 1 und 2, §§ 10 und 16 Absatz 2 sowie beantragte und
erforderliche Abweichungen im Sinne des § 68 Absatz 1 und 2 Satz 2 und
4. andere öffentlich-rechtliche Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich- rechtlichen Vorschriften entfällt oder ersetzt wird.
Die Bauordnung Berlin hebt in dem betreffenden Pragraphen 9 vor allem auf die Gestaltung ab und fordert, bauliche Anlagen dürfen nicht „verunstaltend“ wirken, wobei hier bei Werbeplakaten und Großpostern ein erheblicher Ermessensspielraum besteht.
Wer sich erinnert: seit dem Jahr 2000 waren Großplakate Gegenstand vieler Auseinandersetzungen in Berlin. Die Großposter wurden vor allem an Baustellen angebracht, bei denen über lange Zeit die Fassadenflächen unbearbeitet bleiben. Die zum Teil ganz erheblichen Werbeeinnahmen dienen dabei jeweils zur Mitfinanzierung der Sondernutzung des Straßenlandes und der Baukosten.
Sowohl die Berliner Denkmalsschutzstiftung als die Stiftung Preussischer Kulturbesitz und die Staatlichen Museen, sowie einige Kirchengemeinden haben Graoßplakate zur Mitfinanzierung ihrer Bauvorhaben genutzt.
Mit der liberalisierten Bauordnung 2005 wurden die Bigposter sogar genehmigungsfrei gestellt – bis man aufgrund Ausweitung der Plakatierung bei privaten Bauherren schließlich wieder die Bremse anzog.
Die damals zuständige Senatorin Junge-Reyer (SPD) erklärte 2010: „Die liberalisierte Bauordnung von 2005 war vom Senat als Bauvereinfachungsgesetz gedacht und nicht als Freibrief, großflächig an Baugerüsten zu werben, hinter denen nicht gebaut wird. Die Bürgerinnen und Bürger fühlen sich zu Recht durch zu viel großflächige Werbung an zentralen Orten der Stadt gestört, wie am Forum Fridericianum (heute Bebelplatz) oder am Charlottenburger Tor. Hier mussten wir handeln. Ich möchte die Werbeindustrie aber weder aus Berlin verdammen, noch soll Werbung aus dem öffentlichen Raum verschwinden. Deshalb werden wir redlichen Bauherren mit unbürokratischen Genehmigungsverfahren auch weiterhin die Möglichkeit einräumen, ihre Investitionen in die Stadt zu einem Teil über Werbung zu refinanzieren. Durch die zeitliche Befristung der Genehmigung von Werbung an Baugerüsten verhindern wir Missbrauch und jahrelang währende Verschandlung durch extrem auffällige und plakative Motive.“
Die Zielrichtung der genehmigungsrechtlichen Beschränkung war es, Auswüchse für das Stadtbild zu beschränken – an Mieterschutz hat zu diesem Zeitpunkt niemand gedacht – weil Großplakatierungen nur an unbewohnten Gebäuden gehängt wurden.
In der Danziger Strasse 2 haben wir nun einen Präzedenzfall vorliegen – der dem Pankower Bauamt sicher noch Kopfzerbrechen machen wird. Die in § 64a Abs. 4 formulierten Verweise auf „andere andere öffentlich-rechtliche Anforderungen“ kann man nur mit reichlich Fantasie und Abstraktionsvermögen auch auf den Schutz von Bewohnerinteressen umdeuten.
Zwar fordert §3 der BauO Berlin ganz allgemein “ Anlagen sind so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet werden.“
Aber wer will eine derartige verwaltungstechnischen Abwägung bei einem Werbe-Poster vornehmen – das vor ein Wohnhaus gehängt wird? Die Berliner Bauordnung weist hier eine echte Genehmigungslücke auf.
Eine neue Verwaltungsanweisung für „Großplakate an Wohngebäuden und Schutz der Bewohner vor Beeinträchtigungen“ dürfte der einzig sinnvolle bürokratische Ausweg sein – um der Werbewirtschaft künftig den Weg zu weisen, und die Abwägungsprozeduren in den bezirklichen Bauämtern eindeutig zu regeln. m/s