/// Kommentar /// Am heutigen Samstag tagt der Parteikonvent der Bundes-SPD im Willy-Brandt-Haus. Politisch ist es eine sehr entscheidende Sitzung. Auf der Tagesordnung stehen auch die geplanten Freihandelsabkommen mit Kanada und USA.
SPD-Abgeordnete im Europaparlament, der Deutsche Kulturrat und viele weitere Sozialdemokrat/innen kritisieren vor allem das EU-Kanada-Abkommen CETA. Ein Grund dafür: Mit CETA droht uns TTIP durch die Hintertür. Das CETA-Abkommen enthält quasi die konzernfreundliche Blaupause für die Aushebelung von nationalen Rechten und öffnet die Tür für Schadensersatzklagen gegen Staaten, im Falle von gesetzlichen Änderungen, die schädlich für Investitionsinteressen sind.
Böse Überraschung: EU-Kommission lehnt Bürgerbegehren gegen TTIP ab
Großen Ärger und geradezu Wut löst die letzte Entscheidung der noch amtierenden EU-Kommissionsspitze aus: Catherine Day, die rechte Hand von Kommissionspräsident José Manuel Barroso, hat in der vergangenen Woche einfach ein Bürgerbegehren abgelehnt, mit dem 230 Initiativen aus ganz Europa die EU-Handelspolitik infrage stellten.
Der Protest gegen diese „alienhafte Bevormundung“ der Bürger durch die EU-Kommission wird erst noch beginnen – weil die Kommissionsentscheidung noch gar nicht richtig bekannt wurde, und auch auf dem SPD-Konvent wie eine Bombe einschlagen wird.
Eine grundsätzliche Positionierung der SPD zum Freihandelsabkommen wird erwartet
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel lehnt bisher das geplante CETA-Abkommen nicht eindeutig ab. Sein Minister-Votum wird entscheiden, ob die Bundesregierung einem ausgehandelten Abkommen zustimmt.
Die SPD-Basis legt auf dem Parteikonvent im Berliner Willy-Brandt-Haus insgesamt vier Anträge gegen TTIP und CETA vor. Der Parteivorsitzende Siegmar Gabriel will mit einem eigenen Text-Entwurf gegenhalten.
Über den Ausgang des Konvents kann derzeit nur spekuliert werden – deshalb wird der Blick auf wichtige Aspekte gelenkt, die bislang außer Acht gelassen wurden. Überdies: auch die wichtigen Beratungen auf dem SPD-Parteikonvent laufen geheim ab – ein sehr seltsames Procedere, bei einer demokratischen Volkspartei.
5 Fragen an Siegmar Gabriel
1. Sind die international gewährten Steuervorteile für international aufgestellte und in arbeitsteiligen Tochtergesellschaften organisierten Konzerne eine geeignete Basis für einen fairen Freihandel? Oder sind diese Steuervorteile wie etwa die „doppelte Nichtbesteuerung“ ein Risiko für nationale, regionale und Branchenmärkte, weil sie freien und fairen Wettbewerb verzerren?
Ist die Aufhebung dieser Steuervorteile nicht Vorbedingung für einen freien und fairen Handel – und einen sich entwickelnden nachhaltigen Freihandel? Oder will man den Kapitaleignern die Steuervorteile zu Lasten einer breiten Mittelstandsentwicklung belassen?
2. Kann man es mit den Verfassungsrechten vereinbaren, wenn es Schutzklauseln für Investoren und Sonderschiedsgerichte zum Investitionsschutz gibt – aber keine Schutzklauseln für Bürger, die zum Beispiel über Nacht durch eine App, einen Internetdienst oder bald durch einen autonomen Roboter ersetzt werden? Brauchen wir eine Denkpause, um uns besser auf die nächste anlaufende technische Revolution vorzubereiten? Hat der Bundeswirtschaftsminister weit genug in die Zukunft gedacht?
3. Die Arbeitskosten in Nordamerika sind rund ein Drittel niedriger als in Deutschland. Über 40 Millionen Amerikaner leben zudem ohne soziale Absicherung. Auch gibt es keine einheitliche Krankenversicherungspflicht. Zugleich sind in Deutschland die Energiekosten regelrecht explodiert, während es in USA seit langem stable Energiekosten gibt.
Wieso gibt es bei der Berechnung der Arbeitsmarkteffekte von Freihandelsabkommen keine Gegenrechnungen und Abschätzungen für Arbeitsmarkt-Verluste – stattdessen nur Aussagen zu Rationalisierungseffekten?
Wie begründet der Bundeswirtschaftsminister seinen Optimismus, es werde keinen Druck auf das deutsche Sozialsystem geben?
4. Freihandel ohne Sozialabkommen und ohne Harmonisierung der Sozialstandards – ist das sozialdemokratische Politik, oder ist das neoliberale Naivität? Wie will sich ein heutiger Parteivorsitzender und Bundeswirtschaftsministern in 10 Jahren zu seinen heutigen Aufassungen stellen und rechtfertigen?
5. Die USA haben nicht nur einen anderen Kulturbegriff, sondern auch ein anderes Rechtssystem. Seltsamerweise hat man sich bei der bisherigen Diskussion nur um die Kulturausnahmen gestritten, und hier tragfähige Regeln des Deutschen Kulturrates als Vorschläge entwickelt.
Welchen Schutz haben Einzelunternehmer, kleine und mittlere Unternehmen gegen eine aggressive und wirtschaftlich motivierte Rechtspraxis im Zusammenspiel von Rechteinhabern, Internet-Diensteanbietern und aggressivem, und gewinnorientierten Anwälten, die im Internet und Internet der Dinge aggressive Wertschöpfungsmodelle verfolgen?
Welchen Schutz hat der Bundeswirtschaftsminister im Sinn, wenn es im „Internet of Everything“ auch ubiquitäre Klagemöglichkeiten und eine Patentierung der Lebenswelt gibt? Brauchen wir auch „offene Standards und offene Protokolle“ als DNA einer freien technischen und ökonomischen Entwicklung? Oder wird mit dem TTIP die Vormachtstellung von Google bei Internet-Technologien, Robotern und autonomen Fahrzeugen auf ewig zementiert?
5. Allein die rund 247.000 Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft erwirtschafteten im Jahr 2012 einen Umsatz von 143 Milliarden Euro. Im Jahr 2012 zählte die Kultur- und Kreativwirtschaft 1,6 Millionen Erwerbstätige. Doch die Kultur- und Kreativwirtschaft konkurriert mit großen marktbeherrschenden Unternehmen, die quasi nach Belieben kreative Leistungen als „Bonus“, „Freeware“ und als „kostenlose Crowd-Dienste“ organisieren und ggf. quersubventionieren. Angetrieben werden diese marktbeherrschenden Unternehmen durch unfaire Steuervorteile und daraus eingesetztes Risikokapital in Höhe von über 80 Mrd. Dollar jährlich.
Ist diese Querfinanzierung im Bereich der Kreativwirtschaft Thema beim Freihandelsabkommen, das eigentlich Wohlstand und eine breite Mittelstandsentwicklung und individuelle Schöpfer- und Leistungskraft frei setzen soll? Werden hier die Regel des fairen und freien Wettbewerbs und das Leistungsprinzip ausgehebelt? Oder wird hier die Allmacht des größten eingesetzten Risikokapitals als ewige Strukturformel der Wirtschaft etabliert?
6. Die Zukunftchancen in der digitalen Welt werden durch überstaatliche Investitionen in Internet-Technologien in entscheidenden Maß bestimmt. Aber wem gehört die Zukunft? Gibt es ein Mitspracherecht der Politik? Kann Politik künftig noch mitreden, wenn es um die Frage von Bildung und Kultur geht? Oder ist nach Inkraftsetzung des Freihandelsabkommens auch das Primat der Politik über die Zukunfts- und Kulturgestaltung abgelegt? Ist die Geheimhaltung der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen überhaupt mit unseren Verfassungsprinzipien vereinbar? Darf Politik technologische „Ewigkeitsrechte“ in geheimen Verhandlungen vergeben?