Dienstag, 23. April 2024
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Berliner Pub Talk zur Frauenquote

Pubtalk am 23.4.2015 zum Thema Frauenquote

Der Bundestag hat die Frauenquote beschlossen – nun muss sie sich in der Praxis bewähren. Darüber und wie die berufliche Gleichstellung von Frau und Mann noch verbessert werden kann, diskutierten am 23. April beim Berliner Pub Talk Birgit Kömpel, SPD-Bundestagsabgeordnete und für die Frauenquote zuständige Berichterstatterin, und der Leiter der Rechtsabteilung im Bundesverband der deutschen Industrie (BDI), Dr. Heiko Willems. Die Veranstaltung wurde von Barbara Wagner moderiert.

Pubtalk am 23.4.2015 zum Thema Frauenquote
Frauenquote? Darüber diskutierten Birgit Kömpel (MdB-SPD), Moderatorin Barbara Wagner und Dr. Heiko Willems (Bundesverband der deutschen Industrie – BDI) – Foto Andrea Tschammer

Die Frauenquote
Ab 2016 gilt eine Geschlechterquote von mindestens 30 Prozent für die Besetzung der Aufsichtsräte der gut 100 größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland. Faktisch bedeutet das, die Unternehmen müssen den Frauenanteil in den Aufsichtsräten auf 30 Prozent anheben. Gelingt das nicht, bleiben Aufsichtsratssitze unbesetzt. Die 3.500 nächstgrößeren Unternehmen werden verpflichtet, sich verbindliche Ziele für den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu setzen. Während Willems die Frauenquote ablehnte, begrüßte Kömpel sie ausdrücklich.

Die Wirtschaft sei seit 30 Jahren mit der Forderung nach einer Erhöhung des Frauenanteils konfrontiert. Vor zehn Jahren hätte sie auch eine Selbstverpflichtung unterschrieben. Seitdem sei der Frauenanteil in Aufsichtsräten aber sogar zurückgegangen(DIW 2015: http://www.diw.de/de/diw_01.c.470215.de/themen_nachrichten/frauenanteil_in_dax_30_vorst_nden_weiter_gesunken.html). Darum musste die Politik jetzt handeln, so Kömpel.Es sei wichtig, dass mehrere Frauen im Aufsichtsrat sind. Nur dannbestehe die Chance sich auch durchzusetzen.

Doch über Zahlen lässt sich streiten. Willems erklärte, dass der Frauenanteil in den Aufsichtsräten der DAX30-Konzerne in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen sei und durchschnittlich bei ca. 25 Prozent läge (DIW-Managerinnen-Barometer: www.diw.de).

Pubtalk am 23.4.2015 zum Thema Frauenquote
Lockere Stimmung beim Pubtalk: Birgit Kömpel (MdB-SPD), Moderatorin Barbara Wagner und Dr. Heiko Willems (BDI) diskutieren mit dem Publikum über die Frauenquote – Foto Andrea Tschammer.

Der Frauenanteil sei von Aufsichtsrat zu Aufsichtsrat sehr unterschiedlich. Er sei im Konsumgüterbereich höher als in der Automobilindustrie. Eine Ursache dafür sei, dass in einigen Branchen auch der Frauenanteil an der Gesamtbelegschaft sehr gering sei. Dieser läge zum Beispiel in der Automobilindustrie bei unter 20 Prozent. Dann könne der Anteil von Frauen in Führungspositionen auch nicht höher sein.

Führung neu organisieren
Für mehr Frauen in Führungspositionen sei neben der Frauenquote ein kultureller Wandel erforderlich, erklärte Kömpel. Das ginge auch in Familienunternehmen. Sie kenne Beispiele aus ihrem Wahlkreis (Fulda/Vogelsberg), in denen eine Unternehmensnachfolgerin auch neue innovative Führungs- und Teilzeitkonzepte umgesetzt hätte.

Willems wies darauf hin, dass vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels viele Unternehmen neue Führungsmodelle auf den Weg bringen werden. Führung in Teilzeit sei aber sehr schwierig, weil auf höheren Hierarchieebenen mehr Arbeitszeit erforderlich sei. Wenn zwei Personen eine Führungsposition teilen, steige der Bedarf an Abstimmung und der Bericht- und Kommunikationsaufwand stark an.

Diskriminierung versus Eigenverantwortung
Dr. Birgit Heinz und weitere Teilnehmerinnen schilderten Erfahrungen mit Diskriminierung in ihrem Berufsleben, die durch Studien belegt sind. Eigenschaften die bei Männern positiv bewertet werden, bekämen bei Frauen oft einen negativen Anstrich.Wenn Männer und Frauen ihre Gehälter verhandelten, wirkten Männer durchsetzungsstark, Frauen jedoch zickig. Sexismus inklusive anzüglicher Witze und Mobbing sei in vielen Unternehmen immer noch weit verbreitet (BMFSFJ 2004 – Link).
Kömpel fügte noch ein Beispiel aus ihrer beruflichen Praxis in der Personalvermittlung hinzu. Es sei oft vorgekommen, dass sie für weibliche Führungskräfte deutlich geringere Gehaltsangebote erhalten hätte als für Männer.

Dr. Julia Hentsch (BDI) entgegnete, dass grundsätzlich die gesetzlichen Grundlagen für die Gleichstellung vorlägen. Auch wenn beispielsweise in der Kinderbetreuung die Infrastruktur noch verbessert werden müsse, um für die Familien faktische Wahlmöglichkeiten zu schaffen, seien Frauen und Männer auch selbst dafür verantwortlich, wie sie Aufgaben bei Kinderbetreuung und Haushalt aufteilen und wie gut oder schlecht sie ihre Gehälter aushandeln.

Mann und Frau – unterschiedliche Bezahlung?
Wie groß die Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen wirklich sind, blieb strittig. Kömpel verwies auf den gender pay gap in Höhe von mehr als 20 Prozent. Dieser wird jedes Jahr vom statistischen Bundesamt erhoben. Diese Kennzahl berücksichtige aber weder die unterschiedliche Berufswahl und Arbeitszeiten noch weitere Faktoren, erklärte Willems. Wenn diese Faktoren einbezogen werden, schmelze der Unterschied auf drei bis sieben Prozent zusammen(Statistisches Bundesamt 2014 – Link).

Andrea Tschammer ergänzte, dass auchbei Ingenieuren und Ingenieurinnen ein Gehaltsunterschied von 17 Prozent vorläge (WSI: Lohnspiegel). Das würde sich überhaupt nicht mit den Forderungen aus der Wirtschaft nach mehr Studienanfängerinnen in den Mint-Berufen vertragen.

Vorbilder in anderen Ländern
Gibt es andere Länder, die das besser machen mit der Gleichstellung? Obwohl die Vollbeschäftigung von Frauen in der DDR Realität war, kann das System wirklich kein Vorbild sein. Denn es herrschte Arbeitspflicht für alle Frauen und Männer. Diejenigen, die ihre kleinen Kinder länger betreuen wollten, waren erheblichen Repressalien ausgesetzt.
Wenn Beispiele für die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie gesucht werden, wird oft auf die skandinavischen Länder verwiesen. Allerdings könnte Norwegen auch ein Beispiel dafür sein, dass eine Quote in den Aufsichtsräten nicht mit einem Anstieg von Frauen in Führungspositionen einhergeht.
Seit Einführung der Quote ist die Anzahl von Frauen in Führungspositionen mit 20 Prozent sogar leicht gesunken(5. Bilanz Chancengleichheit des BMFSFJ: S. 90, abrufbar unter Link). Es hätte also keine Auswirkungen gehabt, so Willems. Dennoch stehe Norwegen auf Platz 3 des Global Gender Gap Index 2014, weit vor Deutschland auf Platz 12, ergänzte Wagner.

Fazit
Ob und wie die Frauenquote wirken wird, ist noch offen. Die Veranstaltung hat deutlich gezeigt, dass sowohl Frauen als auch Männer ihre berufliche Chancengleichheit als noch nicht erreicht betrachten und darum weitere Maßnahmen fordern. Konsens bestand über die Wichtigkeit und Notwendigkeit dieses Ziels.

Text: Matthias Bannas und Barbara Wagner – Fotos: Andrea Tschammer

Nächster Berliner Pub Talk am 28.5.2015 – 19 Uhr
Gibt es für ‎Piraten‬ und ‎FDP‬ eine Zukunft?
Anita Möllering (Bundespressesprecherin der Piratenpartei) und Konstantin Kuhle (Bundesvorsitzender der jungen Liberalen -JuLis) diskutieren mit dem Publikum über Inhalte, Basisdemokratie und Führung.

Der Berliner Pub Talk
Der Berliner Pub Talk ist eine monatliche Veranstaltungsreihe im en passant, Prenzlauer Berg. In 2 x 30 Minuten diskutieren zwei Expert/innen über ein aktuelles politisches Thema mit dem Publikum.

Mehr Informationen:

www.berlinerpubtalk.de

Aufnahme in den Einladungsverteiler: Mail an: matthias.bannas@gmail.com.

Gleichstellungsgesetz mit Mängeln | 23.2.2015 | Michael Springer | Pankower Allgemeine Zeitung