Freitag, 29. März 2024
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Wie bekifft darf ein Mechatroniker sein?

Joint

/// Kommentar /// – In Berlin entfaltet sich eine politische Debatte um die Legalisierung von Cannabis, und um den freien Verkauf in Apotheken. Beflügelt wurde die Debatte durch ein „Statement“ des Berliner SPD-Fraktionschefs Raed Saleh gegenüber dpa. Saleh hat eine einfache, fast zwingende Argumentation: „Es ist verrückt, dass Polizisten kiffenden Touristen in Berlin hinterherlaufen, statt sich auf die Kriminalitätsbekämpfung zu konzentrieren“, sagte Saleh. Die taz titelte „Sozi für Cannabis-Freigabe | Der Dampfplauderer | taz 22.02.2018).

Auch der SPD-Gesundheitspolitiker Thomas Isenberg setzt sch seit Jahren für eine Liberalisierung ein. Auf seiner Internetseite schreibt er: „Die rot-rot-grüne Berliner Landesregierung hat aber die feste Absicht, eine an den Lebenslagen von Erwachsenen sinnvollen Neufassung der Berliner Regelungen durchzusetzen.“

Doch was sind die Lebenslagen?

Der kontrollierte Cannabis-Verkauf über Apotheken zu therapeuthischen und medizinischen Zwecken ist inzwischen legalsiert. In der Schmerztherapie und bei Palliativ-Patienten ist die Verabreichung von THC-haltigen Präparaten längst ein Mittel der Wahl.

Doch wie sieht es mit dem Jugendschutz aus? Wie sieht die Gefährdungslage aus?

Als psychoaktiver Stoff erzeugt Cannabis kurz nach dem Konsum verschiedene kognitive Wirkungen, die normalerweise binnen weniger Stunden wieder verschwinden. Bei starkem, langfristigem Konsum können aber auch länger andauernde kognitive Wirkungen auftreten. Die Wissenschaft ist sich dabei noch nicht einig, denn bei der Oxidation von Hanfprodukten durch Verbrennung und verschwelende Verbrennung werden nicht nur verschiedene Cannabinoide einschließlich CBD mit THC frei, die synergetisch zusammenwirken. Auch schädliche Rauchgase, polyclische Kohlenwasserstoffe, Stickoxide, Kohlendioxid und Kohlenmonoxid werden inhaliert. Inwieweit CBD mit THC kognitive Wirkungen dämpfen, hängt von nach Dosis und Verhältnis der Stoffe zueinander ab. Zudem sind inwzischen auch gesundheitsgefährdende Kohlenmonoxid-Konzentrationen in Shisha-Bars als Gefahr erkannt. Koronare Atheriosklerose, Hypertonie, Herz-Kreislauf Erkrankungen und sogar Kardiomyopathie können auch durch das Kohlenmonoxid und andere Chemikalien im Marihuanarauch beschleunigt und kompliziert werden.

„Die akuten kognitiven Wirkungen von Cannabis, die am besten bekannt sind, betreffen im Allgemeinen die Erinnerung, das Lernvermögen und die höhere exekutive Funktionen. Praktisch ausgedrückt bedeutet das, dass unter dem Einfluss von Cannabis die Fähigkeiten des Betroffenen zur Planung, zum Treffen von Entscheidungen, zur Konzentration auf ein Thema, zur Problemlösung, zum Behalten von Informationen und zur Bewältigung unerwarteter Situationen etwas herabgesetzt sein können,“ schreibt SENSI SEEDS, einer der Pioniere der neuen Hanfindustrie in den USA.

Nicht nur der Jugendschutz und die Ausbildung sind als Lebenslagen zu berücksichtigen. Sind die steigenden kongnitiven Anforderungen hinsichtlich Medienkompetenz, Digitalisierung und Programmierung relevant? Ist der Cannabis-Konsum förderlich, um eine Ausbildung in MINT-Berufen erfolgreich zu bestehen? Kurz gefragt: „Wie bekifft darf ein Mechatroniker sein?“

Schon bei relativ überschaubaren Berufen wie dem Gleisbau, der aber allerhöchste Präzision im Umgang mit Messinstrumenten erfordert, ist Cannabis-Konsum ein „No-Go“. Selbst wer am Wochenende in der Freizeit kifft, kann deshalb gekündigt werden. Das hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg im Herbst 2012 bestätigt (Aktenzeichen 19 Sa 306/12), weil es ein Sicherheitsrisiko ist.

Plötzlich kommen wir hier in einen Bereich, wo individuelle Lebenslagen nicht mehr Alleinmaßstab sein können. Die Allgemeinheit ist in der Frage der Freigabe des Cannabis-Konsums umfassend betroffen. Nicht nur Polizeibeamte müssen bei Einstellung und Verbeamtung „drogenfrei“ sein, auch bei der Verfolgung von „bekifften Straftätern“ ist ungetrübtes Urteilsvermögen gefragt.

Wenn Schüler gut gebildet und auf Anforderungen im Beruf vorbereitet werden sollen, kann es nicht förderlich sein, durch Cannabis-Konsum „Vermittlungshindernisse“ im Arbeitsmarkt zu schaffen.

Lebenslagen, Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz

Wie sieht es mit der Lebenslage „Berufseinstieg“ aus? Müssen Jugendliche und der Fachkräftenachwuchs auch darauf vorbereitet sein, dass Arbeitgeber bei der Einstellung eine vorbeugende arbeitsmedizinische Vorsorgentersuchung G25 und G 37 durchlaufen. Müssen sie bei Berufseintritt über die Rechtslage informiert sein, die zwar eine Auskunftsverweigerung bei Drogenkonsum ermöglicht, aber Arbeitgeber regelmäßig von Neu-Einstellung zurück schrecken lässt?

Müssen die Berufe mit erhöhten Sicherheitsanforderungen bekannt gemacht werden, damit Schüler schon rechtzeitig vor Berufswahl wissen, ob sie vom Arbeitgeber auch auf Drogenkonsum getestet werden? Zwar sind diese Tests freiwillig, aber in vielen Jobs mit Sicherheitsrisiken und hoher Verantwortung werden auch wiederkehrende Routine-Drogentests arbeitsvertraglich geregelt.

Berücksichtig man die Lebenslagen am Arbeitsplatz, so müssen heute selbst Tätigkeiten wie Staplerfahrer und Kommissionierer in Logistik-Zentren eine vorbeugende arbeitsmedizinische Vorsorgentersuchung G37 absolvieren, um Sehschärfe (Ferne, Nähe, arbeitplatzbezogen), beidäugige Sehfunktionen, zentrales Gesichtsfeld, ggf. Farbensinn, Bewegungsapparat, Nervensystem u. a. für Arbeiten am Bildschirm zu überprüfen.

Die G25 Untersuchung soll die Eignung für Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten überprüfen und umfasst die Untersuchung folgender Aspekte: Herz/Kreislauf, Nervensystem, Psyche, Einnahme von Medikamenten, Ausschluss von Suchterkrankungen, Seh- und Hörvermögen, Laborwerte (Urin-, evtl. Blutuntersuchung), bei Flurförderfahrzeugen ist eine Perimetrie-Untersuchung erforderlich, die alle 6 Jahre Veränderungen des Gesichtsfeldes nachspürt. Arbeitgeber müssen Suchterkrankungen noch in der Probezeit ausschliesen, um nicht selbst mit Haftungsfragen bei Unfällen konfrontiert zu werden.

Politik: Cannabis-Freigabe betrifft Individuum – Gemeinwohl und Volkswirtschaft

Wenn Palliativ-Patienten Cannabis als Therapie bekommen, ist das anders zu beurteilen als bei Krebspatienten, die nach einer Heilung wieder in ihren alten, aber sicherheitsrelevanten Beruf zurückkehren wollen. Wenn man im weltweiten Wettbewerb in den MINT- und Digital-Berufen mithalten will, zählt im Prinzip jeder gute Schüler und jede gute Schülerin. Gerade gegenüber China, Indien und Südostasien steht auch die langfristige Innovationskompetenz und die Leistungsfähigkeit von Fachkräften im Blick.

Dabei muss klar sein: jede Freigabe von Cannabs zieht individuelle Kosten in der Lebens- und Berufsplanung, Kosten des Allgemeinwohls und Kosten von Arbeitslosigkeit sowie langfristige volkswirtschaftliche Kosten nach sich.

Auch Polizei und Ordnungsrecht sind betroffen. Das Ordnungs- und Polizeirecht ermöglicht eine Vielzahl von Differenzierungen, zwischen Opportunität und Legalität. Aber auch bei begrenzter Cannabisfreigabe muss gewerbepolizeilich, kriminalpolizeilich und ordnungsrechtlich agiert werden. Es entstehen womöglich sogar neue Graubereiche, in denen Uniformträger keinen Zugang mehr haben. Der Kontrollaufwand könnte sogar erheblich steigen – und sich verlagern.

Die Politik ist in besonderer Weise zur Umsicht aufgerufen. Wenn ein Fraktionsführer einer Volkspartei sich auf eine kleine populäre Facette beruft, die Polizei könne weniger zu tun bekommen, so ist das zu kurz gedacht! Es könnte auch mehr Arbeitslose, mehr Unfälle und Bauschäden und Gesundheitskosten geben. Und noch ganz andere staatliche Dienste müssten zukünftig in Anspruch genommen werden.

Die provokative Frage ist deshalb erlaubt: „Wie bekifft darf eigentlich ein Fraktionsführer einer Regierungspartei im Berliner Abgeordnetenhaus sein?“