Freitag, 29. März 2024
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Julietta auf Koks!

Julietta auf Koks!

/// Glosse /// – Die neue Spielzeit hat begonnen. Miete und Kosten sind gestiegen, viele Kulturveranstalter und Theater kämpfen um mehr Geld und neue Zuschauer. Zahlungsaufforderungen der Bayrischen Versorgungskammer quälen Theaterdirektoren, Schauspieler und Ensembles. „Was wollen die hier eigentlich von uns?“ – Oh jeh: „die sind durch den Bundesgesetzgeber mit der Erhebung von Sozialbeiträgen beauftragt – das reißt ein unerwartetes Loch in fast alle Kalkulationen!“

Julietta auf Koks!
Julietta auf Koks! PR-Mails versenden – ohne Aussicht auf ein Medien-Echo – Stress pur! Die „Blindleistung“ wächst!

Auch die Gema will plötzlich noch mehr Geld, das schlägt schnell zu Buche. Werbung muß gemacht werden, Plakat, Flyer – wieder sind fast tausend Euro weg. Zum Glück gibt es die Förderung vom Jobcenter, „Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung“: sogenannte „Kulturjobs“.

Julietta ist die Frau für „Public Relations“ in einem kleinen Theater. Es ist zwar nur ein Nebenjob, aber der macht doch echt Streß. Ankündigungen schreiben, Facebook und Twitter füttern, Mailings schreiben – Presseverteiler in Gang setzen. Julietta hat Design-Erfahrung, findet, der neue Entwurf für den Flyer hat mal wieder viel zu kleine Schrift – wer soll das lesen?

Aber jetzt ist es zu spät: „Druckt das jetzt – sonst fehlt es vor der Premiere!“ Das Veranstaltungs-Plakat sieht geil aus, aber wie lange wird es hängen, bis es überklebt wird?

Für die letzte Presse-Mailing hat Julietta extra ihren Urlaub unterbrochen, doch Theaterchef Oliver hat noch nix, “ … aber auch garnix in Veranstaltungsankündigungen und Feuilletons gefunden!“

Julietta: „Sicher kommt was im neuen Tip und Zitty!“ – „Aber wer gibt schon mehr als 4 € für eine Programmzeitschrift aus?“

Julietta hat den alten Presse-Mailverteiler von ihrer Vorgängerin übernommen, immerhin: 116 Mailadressen sind darin: Redaktionen, Lokalredaktionen, Kultur, auch ein paar persönliche Adressen sind dabei. „Komisch, immer kommen ein paar Mails zurück! – „Ob da auch nur geförderte Jobs in den Redaktionen sitzen?“ fragt sich Julietta.

Vom Kostendruck und Mindestlohn für Journalisten weiß Julietta nur das, was in der Zeitung steht. Doch Zeitungen schreiben nichts über Interna – und so ist es ungewiss, ob Mails überhaupt gelesen, oder einfach gleich gelöscht werden.

Zeit zum Nachfassen hat Julietta nicht, denn immmer mehr Ansprechpartner sind telefonisch gar nicht ansprechbar, verschanzen sich in Facebook-Profilen und Webseiten ohne Telefon-Nummer.

„Was tun? – Julietta sammelt also Mailadressen, und vergrössert den Mail-Verteiler auf 156 Adressen. „Erst mal raus mit den Mails, damit Oliver nicht denkt, es tut sich nichts“ denkt Julietta. Erfolgsmeldung: „Ich habe heute wieder 156 Mails ausgesendet!“ – Erfolgskontrolle – kein Thema!

Doch einige Mails kommen per Autoresponder zurück: „Bin verzogen, …“ – „Bin im Urlaub, … nicht böse sein!“. Noch schlimmer ist die Ungewissheit bei gänzlich fehlenden Antworten. Julietta gerät nun richtig in Streß.

„Eigentlich haben wir doch so eine tolle Premiere, das muss doch ein Presseecho finden,“ denkt Julietta.

Nach Tagen bangen Wartens kommt dann endlich ein Erfolg: eine Mail. Theodor und Rosalie, zwei Darsteller im Stück, haben einen Facebook-Post aufgelesen: es gibt eine dreizeilige Ankündigung der Premiere in einer hyperlokalen Kiez-Zeitung.

Stolz trägt Julietta die Belegmeldung in ihre Presse-Referenzen ein. Doch was ist die Reichweite? Wie viele Leserinnen und Leser haben das aufgenommen? Julietta ruft bei der Redaktion an. „Wir zählen die Klicks normalerweise nicht, aber wir gucken mal nach. „56 Aufrufe – das ist ganz ordentlich!“. Julietta rechnet nach: wir haben 200 Plätze, und wenn alle 56 Leute kommen, dann deckt das nur die Raumkosten. Für das Ensemble ist überhaupt nichts „drin!“.

Wenn die 56 nun aber ihre Freunde einladen, dann könnte es passen. Es wäre zwar kein Mindestlohn, aber ein Lohn für den Tag.

Die Premiere rückt näher. Der Ticket-Vorverkauf stockt. Julietta postet bei Twitter, und erhält ein Echo: „Finden wir toll“ – macht weiter so!“ „Nächstes Mal kommen wir, wenn wir wieder Berlin anfliegen!“ – „Tolle Stadt, tolle Leute, tolle Events!.

Julietta ist langsam verzweifelt: “ Das bringt doch nix!“ – Sie postet auf der Facebook-Seite des Theaters. Doch auch hier ist das Echo kläglich. Ganze 4 Leute tauschen sich über die Premiere aus.

Eine Woche vor der Premiere bekommt auch Theaterchef Oliver es mit der Angst zu tun. „Wir haben erst 30 Tickets im Vorverkauf. Außerdem haben sich 30 Freunde des Ensembles angesagt, aber das deckt die Kosten nicht!“ – „Was sollen wir tun?“

„Wir schicken nochmal 156 Pressemails raus, diesmal mit zwei Freikarten!“ meint Julietta. „Ok, mach das!“ meint Oliver.

Doch kein Journalist meldet sich, noch drei Tage, irgendwas muss passieren, damit wir das Haus voll bekommen, denkt Julietta.

Sie ruft nun Redaktionen an: „Ja toll, Freitickets sind immer toll! Aber ich muss selbst Geld verdienen, und muss dann sogar vier Stunden Zeit aufwenden, um das Theaterstück zu sehen, und danach darüber etwas zu schreiben“, entgegnet der Gesprächspartner. Unser Feuilleton hat schon andere Premieren auf dem Schirm, für mehr fehlt uns die Zeit und das Budget.

Julietta gerät in Panik: „Was passiert bloß, wenn ich einen ganzen Monat nur Mails gesendet habe? Wenn ich irre viele Posts abgesetzt habe, und es kommt trotzdem kein ausreichendes Publikum?“

Julietta kriegt nun richtig Panik und Streß. Sie hält es nicht mehr aus, dreht sich einen 10-Euro-Schein und schnupft eine Prise Koks vom Schreibtisch. „Ich muss das tun, sonst halte ich den Job nicht aus!“ denkt Julietta.

Ein euphorisches Gefühl trägt sie plötzlich, und Julietta hat eine Idee, eine Wahnsinnsidee: „Ich versuche es mal mit Radiowerbung!“

Sie ruft drei Radiosender an, erzählt ihr Problem: „Wir brauchen mindestens 140 Besucher zu Premiere, sonst floppt das ganze Theater!“. Julietta: „Noch zwei Tage bis zur Premiere, und wir haben veilleicht 60-80 Zuschauer zu erwarten“. Jens, Moderator bei einem heißen Radiosender fragt zurück: „Was ist das für ein Stück? Gehen da auch Senioren hin?“

Julietta ist plötzlich geschockt, weil sie so eine Frage nicht erwartet hat. „Ich kann das nicht ausschließen, dass auch Ältere sich das Stück ansehen, versucht Julietta der Frage auszuweichen. Doch Jens reagiert ganz hart: „Das ist dann nicht unsere Zielgruppe!“ – und wünscht Julietta viel Glück und Erfolg.

Beim zweiten Sender gelingt ein kleiner Erfolg: „Wir bringen eine Kurzmeldung zur Premiere, als Tagestip, morgens in der Frühstückssendung! Dann haben wir die höchsten Zuhörerzahlen, vermutlich um die 17.000 Menschen, wenn wir auf die letzte Reichweitenauswertung schauen.“

Julietta ist begeistert: „17.000 Menschen wissen dann über unser Theaterstück Bescheid – das muss ich gleich Oliver erzählen!

Auch bei einem zweiten Sender hat Julietta Erfolg, hier darf síe sogar selbst die Ansage machen. Sie ist ganz stolz! „Oliver, wir haben es sogar ins Radio geschafft!“.

Die Premiere rückt heran, noch eine Stunde, Oliver, Julietta und das Ensemble sind ganz gespannt. Marie zählt sich Vorbestellungen und verkauften Tickets aus dem Vorverkauf: es danach werden zahlende 84 Besucher und 14 Freiticket-Nutzer aus dem Bekanntenkreis kommen.

Marie grinst: „Ich habe aber noch ein Ass im Ärmel!“ Marie hat schon etwas Erfahrung, und hat noch in den letzten Tagen 40 Tickets bei Hekticket platziert. Doch dort wird für Last-Minute-Tickets eine hohe Provison und Rabatt gegeben. Praktisch sind die Tickets zum halben Preis weggegeben worden. „Immerhin: wir bekommen noch etwas in die Kasse!“

Tatsächlich sind noch 36 Last-Minute-Tickets verkauft worden, 134 Theaterbesucher kommen zur Premiere, und 24 Tickets wandern noch an der Abendkasse über den Tresen.

Zur Premiere ist das Theater mit knapp 160 Besuchern doch ganz gut besetzt. Juliette ist mit dabei. Sie hat ihren Freund mitgebracht. Rüdiger studiert Betriebswirtschaft und schaut sich im Saal um. Er ist skeptisch, und sieht die Lücken in den Stuhlreihen mit ganz anderem Blick: „Das Theater hat nur rund 80% Auslastung!“ – „Ist das nicht ein bischen dürftig, angesichts des ganzen Aufwands?“ – Julietta hat ein dumpfes Gefühl im Magen.

Eigentlich braucht das Theater 100% Auslastung, um überhaupt über die Runden zu kommen. Julietta sorgt sich schon um den bevorstehenden Kassensturz, denn eigentlich sind nur 126 Tickets zum vollen Preis verkauft worden. „Theaterauslastung unter 74%“ – so zählt es Oliver später zusammen. „Entweder, wir bekommen Geld von der City-Tax, oder uns wird es 2016 nicht mehr geben!“

Julietta pflichtet ihm bei! Sie weiss, ihr Kulturjob wird dann auch nicht in die Verlängerung gehen. „Irgendwie gehen wir in der Vielfalt der Großstadt voll unter“, meint Julietta. Oliver ist traurig, er sorgt sich noch viel mehr, weil er schon die Rechnungen kennt.

m/s