Kommentar: Michael Springer
Die Schließung des Kinos Collosseum hat sich lange angebahnt. Tausende Kinofans wechseln heute per Mausklick oder Fingergeste zu Streaming-Formaten wie Netflix, Youtube und Amazon oder Waipu.tv. In Prenzlauer Berg ist die digitale Bewegtbild-Subskriptionsökonomie sogar besonders populär.
Ob es Digital-Abonnenten mit schlechten Gewissen gibt, die als Kieznachbarn zum Kinotod beigetragen haben, ist noch nicht bekannt.
Die gekündigten Beschäftigten im Collosseum haben mit den Folgen der Kurzarbeit und unausweichlichen Insolvenz zu kämpfen. Sie verdienen auch unser Mitgefühl und eine Chance bei einem Neuanfang.
Artur Brauner und das Collosseum
Artur „Atze“ Brauner sah das zusammen mit Investoren ausgebaute Multiplex-Kino Collosseum auch als Krönung seines Lebenswerks. Das Collosseum hat große Premieren und einige Berlinale-Höhepunkte erlebt.
Aus einem einstige Pferde-Straßenbahn-Depot erwuchs eine 100 Jährige Kino-Tradition und bis heute ein mythischer Ort.
Das Lebenswerk von Produzentenlegende Artur Brauner hatte jedoch im digitalen Wandel auf Dauer keine Chance auf tragfähigen Betrieb.
Zwei Multiplex-Kinos in Prenzlauer Berg mit Collosseum und Kino in der Kulturbrauerei sind heute zuviel.
Die Schließung des Collosseums hat auch ihre tragischen Aspekte, die auch mit dem tragischen Ende von Artur Brauner im 100. Lebensjahr und den vorigen Tod seiner geliebten Ehefrau Maria im Jahr 2017 zu tun haben. Beide hatten in den letzten Lebensjahren mit millionenschweren Steuernachforderungen zu kämpfen. Bis zu 73 Millionen Euro Gewerbesteuernachforderung wurden öffentlich. Die Rechtmäßigkeit der Steuerforderungen wurde aber stets bestritten.
Bei einem geschätzten Gesamtvermögen von zeitweilig über 1,5 Milliarden Euro und über 250 Immobilienprojekten, waren das für den kühl kalkulierenden Geschäftsmann und politisch und gesellschaftlich hoch geschätzten Artur Brauner sicher keine Kleinigkeiten. Angesichts der Kompliziertheit des Steuerrechts ging es dabei auch um sehr branchenübliche strittige Bewertungsfragen – und nicht um Betrug.
Eine „Heuschrecke“ war Artur Brauner nicht, denn er zeigte immer der ganzen Stadtgesellschaft sein Gesicht, war als Stifter unterwegs, und baute ein Imperium am Kurfürstendamm mit großen Krediten auf.
2008 rief er selbst zur Gründung einer „Vereinigung zur Bekämpfung der Heuschreckenplage“ auf, um einen von der Archon-Gruppe organisierten Angriff auf sein Vermögen abzuwehren. Die Archon Gruppe hatte Kredite der Hypo-Vereinsbank aufgekauft und einfach fällig gestellt, und dabei 22 Immobilien unter Zwangsverwaltung gestellt.
Nicht vergessen: als Großspender half Artur Brauner auch in der CDU-Schwarzkonten-Affäre mit 50.000,– DM aus, und half Helmut Kohl und der CDU aus der Patsche. In seiner Autobiografie „Mich gibt’s nur einmal“ kann man dem Menschen Artur Brauner und seinem Denken und Wirken näher kommen.
Mit seinem Tod verlor das Kino Collosseum seinen größten Fürsprecher.
Erbengemeinschaft unter Handlungs- und Gestaltungszwang
Nun ist das Multiplex in der Geschäftsnachfolge einer Erbengemeinschaft, der das Kinogeschäft nach und nach marktbedingt entglitten ist. Der Corona-Lockdown im Frühjahr brachte die unausweichliche Insolvenz.
Die Zukunft des Kinos Collosseum wird jetzt durch eine schwierige Gemengelage bestimmt. Ein so großes Millardenerbe kann nicht in wenigen Monaten neu geordnet und neu organisiert werden.
Erbengemeinschaften sind überdies schwierige Eigentümer, mit vielen Interessen und sehr unterschiedlicher Finanzkraft. Wenn so ein Immobilienobjekt seine gesamte Ertragskraft verliert, müssen alle handeln.
Schon weit vor der Corona-Insolvenz musste eine Neubewertung des „Erbstücks-Collosseum“ in Gang gesetzt werden.
Ausweg bietet nur eine Immobilien-Projektentwicklung, wenn der Ertragswert negativ, und der Grundstückswert hoch ist. Wenn großes städtebauliches Potential besteht, das durch höhere bauliche Ausnutzungs des baurechtlich zulässigen Raumes nutzbar wird, entsteht sogar Handlungszwang. Erbengemeinschaften müssen im Eigeninteresse handeln.
Wie die internen Diskussionen innerhalb der Erbengemeinschaft und der Anteilseigner verlaufen, ist nicht einsehbar – und aus guten Gründen sehr vertraulich. Es mag Erben geben, die Artur Brauners Lebenswerk in eine neue Zukunft führen wollen, und andere, die eine bauliche Höherentwicklung mit höchsten Marktpreis per Verkauf realisieren wollen. Vielleicht gibt es auch Erben, mit neuen großen Ideen, deren Pläne und Zeit erst in die Welt kommen müssen.
Die Wahl des sehr renommierten Architekturbüros Tchoban Voss Architekten ist als großes Hoffnungszeichen zu deuten.
Eben diese Architekten haben über den Gebäude-Komplex nachgedacht, und einen planungsrechtlichen Vorbescheid nach § 75 Abs. 1 BauO Bln beantragt, und mit Zeichnungen hinterlegt.
Die Architekten sind in Prenzlauer Berg gut geerdet. Sergej Tchoban hat das „Museum für Architekturzeichnung“ am Pfefferberg mit seiner internationalen Tchoban Foundation ins Leben gerufen.
Bauvoranfrage und ein Stadtrat unter Beschuß
Der planungsrechtliche Vorbescheid wurde wegen des geltenden Denkmalschutzes auf den Weg gebracht. Denn erst der baurechtlich und denkmalrechtlich mögliche Genehmigungsumfang entscheidet darüber, ob, wie und mit welcher wirtschaftlichen Ausssicht, der Gebäude-Komplex an der Schönhauser Allee saniert, umgebaut oder ausgebaut und erweitert werden kann.
In der Umgangssprache geraten bei Nichtfachleuten und Bloggern oft Begriffe durcheinander: Aus einem planungsrechtlichen Vorbescheid wird dann schon „ein Bauvorhaben“, das in die Vorhabenliste des Bezirks Pankow eingetragen werden muß – welch grandioser Irrtum!
Tatsächlich handelt es es sich aber um eine Bauvoranfrage, in der die zuständige Behörde fachlich und baurechtlich prüft, ob eine gewünschte Bauweise genehmigungsfähig ist. Gegenstand einer Vorbescheidsprüfung können alle Rechtsgebiete sein, die im Rahmen einer Baugenehmigung geprüft werden. Prüfzuständigkeiten liegen bei den Baubehörden und den Denkmalschutzbehörden. Ein Stadtrat hat sich aus vielen guten Gründen aus dieser bau- und denkmalrechtlichen Prüfung sogar herauszuhalten.
Wird eine Bauvoranfrage positiv beschieden, entfaltet diese Feststellung eine Bindungswirkung für das spätere Baugenehmigungsverfahren. Rechtlich geht es um den „vorweggenommenen Teil der Baugenehmigung“.
Die Bindungswirkung ergibt sich für die Geltungsdauer des Vorbescheides (in Berlin 3 Jahre). Der Bauherr erhält damit Rechtssicherheit, bevor er weitere Planungen beauftragt und bauvorbereitende Kosten auslöst. Aber auch unnötige Kosten können vermieden werden, etwa wenn zu groß geplant und dimensioniert wird.
Die Frage, warum das Vorhaben nicht dem BVV-Ausschuß vorgestellt wurde, ist angesichts der vorangegangenen Fehlinterpretationen obsolet.
Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn ist in die Schußlinie des „investigativen Bloggerismus mit einäugigen Bias“ geraten, wie in kleiner Runde gespöttelt wird.
Auch wenn einige Bauphilosophen im Gleimviertel gern ein politisches Baurecht hätten: baurechtliche Vorbescheide im baurechtlich zulässigen Rahmen sind überhaupt keine Verhandlungssache der Bezirksverordneten.
Anders sieht es mit „zusätzlichen baulichen Gestattungsansprüchen“ aus, wenn vom künftigen Investor mehr gewünscht wird, als das bisherige Baurecht hergibt. Davon ist aber keine Rede!
Die Neuausrichtung und Aufwertung des Collosseum- Gebäudekomplexes mit moderner Architektur bietet viele neue Chancen – gerade in der digitalen Medien- und Filmwirtschaft. Der denkmalgeschützte Kinosaal war nie in Gefahr.
Die Erbengemeinschaft und die beauftragten Architekten verdienen einen Vertrauensvorschuß, der einen kreativen konzeptionellen Neuanfang erleichtert und ermöglicht!