Schulbau und Schulbauplanung gehören zu den Paradedisziplinen der Architektur. Die gebaute Schulbauwirklichkeit ist immer auch Gradmesser für den Zustand einer Stadt, eines Gemeinwesens und eines Bundeslandes – in dessen Zuständigkeit Schulen geplant, gebaut und betrieben werden. In Berlin ist der Schulbau in einer katastrophalen Lage: Sanierungsstau, erhöhter Neubaubedarf und notdürftige Anpassungsplanungen mit „Schulergänzungsbauten“ offenbaren eine schüler- und bildungsfeindliche Grundhaltung. Das vermeintlich „Wirtschaftliche“ geht vor.
Die zuständige Berliner Senatsschulverwaltung und der Bausenator sind obendrein infolge der Sparpolitik ohne ausreichende verbliebene Kompetenzen, um architektonische und bauwirtschaftliche Ansprüche für einen zukunftsweisenden Neuanfang im Schulbau zu setzen. Der Blick in andere Bundesländer tut not – denn hier findet man viele Beispiele, wie man auch in der Finanznot zu wegweisenden Lösungen kommt, eben weil man „Ansprüche“ formuliert, und planerisch-bauliche Kreativität freisetzt, die geeignet sind, aus Schulen tatsächlich „Kathedralen des Bildungswesens“ zu machen, die Bildungs- und Lebensqualität verbessern.
Ein schwedisches Sprichwort besagt, jede Schülerin und jeder Schüler habe nicht einen, sondern drei Lehrer: die Mitschüler, die Lehrer und schließlich den Raum. Dem Schulbau kommt damit eine tragende Rolle im Bildungswesen zu.
Moderne leistungsfähige Schulbauten
Der vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP) zum 4. Mal veranstaltete Kongress „Zukunftsraum Schule“ am 17. und 18. November 2015 in Stuttgart hat viele neue Impulse für den Schulbau angeregt. Wichtigster baulicher Aspekt: der „Effizienz Plus“-Standard gilt seit Januar 2015 auch für Bildungsgebäude. Diese Richtlinien des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) fördern den Bau und die Sanierung von Bildungsbauten, die mehr Energie erzeugen als sie verbrauchen.
Mit Modellvorhaben von Plus-Energie-Bildungsgebäuden und Bereitstellung von Planungsinstrumenten für das nachhaltige Bauen unterstützt das BMUB Bauherren, Architekten und Fachplaner dabei, Schulen entsprechend fit zu machen. Der Einbau von energiegewinnenden Systemen – wie beispielsweise Solarthermie oder Photovoltaik – ist nur einer der Faktoren, die es zu berücksichtigen gilt. Eine zentrale Aufgabe, die in Zukunft in diesem Zusammenhang gemeistert werden muss, ist die „Einbettung“ von Technik in die Struktur und Architektur von Gebäuden.
Raumakustik, Licht- und Luftqualität
Investitionen in eine gute Akustik lohnen sich ebenso wie in gute Luft- und Lichtqualität. Bei Neubauten und umfassenden Sanierungen liegen die Zusatzkosten für nutzungsgerechte Akustik bei etwa einem Prozent der Bausumme.
Vorgestellt wurde die vom Fraunhofer IBP mit Förderung des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur des Landes Baden-Württemberg entwickelte neue „Richtlinie zur akustischen Gestaltung von Lebensräumen für Erziehung und Bildung“. Die Richtlinie behandelt die wesentlichen Gestaltungskategorien für den baulichen und technischen Schutz gegen Lärmquellen innerhalb und außerhalb des Gebäudes. Es geht um dabei um Vermeidung von Lärm, Minimierung von Störungen sowie um die Sicherstellung von Sprachverständlichkeit in den Lebensräumen für Erziehung und Bildung.
Die Projektinitiative „Lauter Sport in leisen Hallen“ will gute akustische Lehr- und Lernbedingungen in Sport- und Schwimmhallen schaffen, damit Sportlehrkräfte effizient unterrichten und Sicherheit und Gesundheit aller Beteiligten gewährleisten können.
Musterbauordnungen, Schulbaurichtlinien und Normen
Die bei der Kulturministerkonferenz angesiedelte Zentralstelle für Normung und Wirtschaftlichkeit im Bildungswesen (ZNWB) hat sich der deutschen Wiedervereinigung zunehmend auf die Sanierung und Modernisierung von Bestandstypen-Bauten konzentriert, die noch zu DDR-Zeiten errichtet wurden. Hier sind umfangreiche Planungshilfen für Modernisierung und Instandsetzung erarbeitet worden, die sich sogar auf die Schultypen der Kommmunen beziehen.
Doch über Anforderungen, was moderne Schulbauten leisten sollen, gibt es von Bundesland zu Bundesland eine unterschiedliche Praxis, die auch auf unterschiedliche Finanzausstattung und regional schrumpfende Einwohner- und Schülerzahlen zurückzuführen ist. Die Schulbauförderrichtlinien stammen überweigend noch aus den sechziger Jahren, Raumkonzepte und Flächenvorgaben hinken den modernen Ansprüchen weit hinterher. Inzwischen besteht gewaltiger Nachholbedarf und Bundesländer wie Baden-Württemberg haben seit 2012 eine systematische Neuordnung begonnen.
Bei der Bauministerkonferenz der Bundesländer ist das Thema Schulbau im gemeinsamen Informationssystem IS-Argebau mit der Musterbauordnung (MBO) und der Muster-Schulbau-Richtlinie (M-SchulbauR), die elementare bauaufsichtliche Anforderungen an Brandschutz und Sicherheit beinhaltet.
In Berlin gibt es den § 2 Abs. 4 BauO Bln: Schulen, Hochschulen u. ä. Einrichtungen und eine zugehörige Ausführungsvorschrift mit Bezug auf jeweils aktuellste Muster-Schulbaurichtlinie). Daneben die BetrVO für baurechtlich vorgeschriebene Anlagen zur Gebäudesicherheit in allen Gebäuden; die eine Prüffrist von 3 Jahre vorschreibt. Zustzlich gilt die BrandsichVO für Schulen, die eine Brandsicherheitsschau alle 5 Jahre un Notfallpläne für die Berliner Schulen vorschreibt und eine sehr umfangreiche Berücksichtigung aller Gefahrenlagen beinhaltet.
Wandel pädagogischer Anforderungen und Leitlinien
Das 2012 erschienene Buch »Schulen planen und bauen – Grundlagen und Prozesse« (Jovis Verlag) hat den Blick neu geschärft. Das Buch zeigt, wie Schulbau heute erfolgreich geplant und koordiniert werden kann. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der sogenannten Phase Null: In dieser Frühphase der Planung wird der Grundstein gelegt für eine gute Schule, wenn Pädagogik, Architektur und Verwaltung konstruktiv zusammenarbeiten. Das Buch vermittelt Know-how zu Zielen, Praxis und Prozessen einer integrierten Schulbauplanung.
Daraus sind die »Leitlinien für leistungsfähige Schulbauten Deutschland« hervorgegangen, die an das Buch anknüpfen, und von den Montag-Stiftungen veröffentlicht wurden.
Der von Mark Dudek herausgegebene „Entwurfsatlas Schulen und Kindergärten“ (Birkhäuser Verlag) hat in dritter Auflage ein umfassende Überarbeitung mit sechs neuen Projektbeispielen publiziert, die einen Neuanfang im Schulbau markieren.
Dazu gehören die Grundschule Niederheide in Hohen Neuendorf bei Berlin, die erste Plusenergieschule Deutschlands.
Das Bildungszentrum „Tor zur Welt“ von bof architekten ist eines der Schlüsselprojekte der IBA 2013 in Hamburg und zeigt einen neuen Weg für den Schulbau in einer Großstadt auf.
Neben rund 70 Gebäudedokumentationen vermittelt der Atlas in seinem systematischen Teil das Handwerkszeug des Schulbaus: von der historischen Entwicklung über die verschiedenen Bildungssysteme und Schultypologien bis zu städtebaulicher Einbindung, unterschiedlichen Raumformen und Anforderungen an Akustik und Lichttechnik. Neue Lernformen, elektronische Vernetzung und Kommunikationstechnik gehören ebenfalls dazu.
Bildungspolitik und ein notwendiger Neuanfang im Schulbau in Berlin
Bildung ist ein Menschenrecht. In Berlin muss an die Grundlagen des Art. 26 der UN-Menschenrechtskonvention erinnert werden, denn es gibt noch immer viel zu hohe Schulabbrecherquoten. Dieser Mißstand wird seit Jahrzehnten toleriert, und hat längst besorgniserregende volkswirtschaftliche Dimensionen erreicht.
Zudem gibt es in Deutschland rund 11 Millionen funktionale Analphabeten und rund 13 Millionen Menschen kommen mit ihren Bildungskompetenzen nicht über das Niveau eines Grundschulabschluß hinaus. Der steigende Anteil von Förderschülern und die notwendige Inklusion und Integration von Zuwanderern zeigen auch Grenzen der Belastbarkeit des Bildungssystems auf.
Der große Lehrermangel und der eklatante Mangel an Schulleitern an Grundschulen deuten einen neuen Bildungsnotstand an.
Ein grundlegender Neuanfang ist notwendig, der personelle UND bauliche Innovationen umfassen muss. Damit einzelne Klassenlehrer mit z.B. 29 Kindern, aus bis zu 13 Nationen und 40% verhaltensauffälligen Kindern in einer Regelschule (Beispiel aus Berlin-Charlottenburg) nicht überfordert wird, müssen künftig Sozialpädagogen und Lernbegleiter das Verhältnis zwischen Schülern und Lehrpersonal verbessern. Statt „modularer Ergänzungs-Architektur“ mit langen Wegen sind integrale Baukonzepte mit kurzen Wegen nötig. Wie bedeutsam schon kleine Verbesserungen sind, zeigt die Einführung von Schulsozialarbeitern und Schulstationen.
Wenn der Lehrer den 29. störenden Schüler auch unbesorgt der Klasse verweisen kann, und den Schüler in Obhut geben kann, lässt sich auch die notwendige Lerndisziplin und Ruhe für die verbleibenden Schüler herstellen.
Nur moderne leistungsfähige Schulbauten mit flexiblen Räumen können pädagogische Konzepte unterstützen, Inklusion und Integration erleichtern und fördern. Dazu gehört eine geeignete Möblierung, Partizipationsprozesse im Entwurf, Lernen außerhalb des Klassenzimmers, Außenraumgestaltung und Identifikation aller Beteiligten mit der Schulen.
Zum notwendigen Neuanfang gehört in Berlin auch ein zukunftsgerichtetes Planungs- und Finanzierungskonzept und eine professionelle Betreiberschaft, die den Baubestand und Haustechnik wartet und instand hält. Das Plus-Energie-Konzept ist auch eine Chance, die Schuldächer an Stadtwerke auszulagern, um finanzielle Spielräume zu schaffen. Berufsvorbereitende Werkstätten könnten eine sinnvolle Ergänzung sein, um Lehrer und externe Betreuer miteinander zu vernetzen.
Vor allem aber muss es eine serviceorientierte Bauverwaltung und einen stetigen Finanzierungsträger geben, der neben die bezirklichen Schulträger tritt und eine Verstetigung der Bauunterhaltung plant. Ein Schulbau-Projektträger, der Neubau, Umbau und Sanierung mit Hilfe von Architektenbüros und mittelständischer Bauwirtschaft umsetzt, könnte schnell arbeitsfähig sein und zugleicb ein Konjunkturprogramm für Berlin in Gang setzen.
Weitere Informationen und Dokumente:
bof-architekten, Hamburg: www.bof-architekten.de
Bundesminsterium für Bildung und Forschung: www.ganztagsschulen.org