Dienstag, 19. März 2024
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Schinkels Kulturerbe erschüttert – erschütternde Baupolitik

Karl Friedrich Schinkel: Friedrichswerdersche Kirche

/// Kommentar /// – Die Friedrichswerdersche Kirche von Karl Friedrich Schinkel ist heute auf das Ärgste gefährdet. Der Bebauungs-Plan I-208-1 aus dem Jahr 20111 entfaltet seine physische und ästhetische Wirkung. Unterschrieben wurde er am 20. Dezember 2011 vom ehemaligen Stadtentwicklungssenator Michael Müller in der Amtszeit des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit. Gefolgt wurde dem Planwerk Innenstadt des ehemaligen Senatsbaudirektors Hans Stimman, der eine enge Umbauung der Schinkel-Kirche vorsah.

Karl Friedrich Schinkel: Friedrichswerdersche Kirche
Karl Friedrich Schinkel: Friedrichswerdersche Kirche: Architektur mit Licht – Blick in das ausgemalte Gewölbe – Foto: Arnold Paul 2007 – CC BY-SA 3.0

Das Berliner Parlament hatte mit der Rot-Roten Regierung am 1.9.2011, kurz vor den den Wahlen am 18.9.2011 die Zustimmung zum Bebauungsplan gegeben. Die nachfolgende Große Koalition bestätigte dessen Absichten. Der Aufstellungsbeschluß wurde im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin am 21. Januar 2012 veröffentlicht.

Ein schneller Baubeginn folgte im Frühjahr mit „erschütterungsintensiven“ Grundbauarbeiten und Baugruben-Aushub in unmittelbarer Nachbarschaft.

Noch im Herbst 2012 wurde die Friedrichswerdersche Kirche im Oktober wegen Rissen und Bauschäden bis auf weiteres geschlossen: Einsturzgefahr!

Die Schäden wurden durch das Ausheben einer großen Baugrube für die „Kronprinzengärten“ verursacht, ein großes Gebäude mit Luxuswohnungen mit Tiefgarage dicht neben der Schinkel-Kirche.

Die erste neugotische Kirche der Stadt, erbaut zwischen 1824 und 1831, nach dem Zweiten Weltkrieg stark beschädigt – und erst in den 1980er Jahren wieder aufgebaut, wird in der Folge ein zweites Mal zerstört.

Die Friedrichswerdersche Kirche gehört seit den späten 1990er Jahren zur Berliner Nationalgalerie und diente als Museum über das Wirken Schinkels – sowie für Skulpturen des 19. Jahrhunderts. Die Kirchgemeinde hatte den Staatlichen Museen das Gebäude für 99 Jahre zur Nutzung überlassen (TAGESSPIEGEL 20.3.2015). 2012 wurde die Kirche auch als Museum geschlossen. Die Skulpturen wurden ins Depot gebracht. Die bedeutendste Sammlung klassizistischer Plastik wurde für Jahre eingelagert.

Der lichtdurchflutete Innenraum der Kirche wurde durch ein Schutzgerüst zugebaut, um das Kirchengebäude vor dem Einsturz zu sichern. Auf Jahre hinaus wird das wichtigste Schinkel-Kulturerbe der Öffentlichkeit entzogen.

Die einzigartige Lichtfassung wird nie wieder sichtbar werden, weil inzwischen Betonbauten und Luxusappartments der herangerückten Bebauung ihren Schatten durch die Kirchenfenster werfen.

Bauexperten hatten gewarnt

Der Baugrund im Berliner Urstromtal ist schwierig, hoher Grundwasserstand und ein weicher Untergrund machen jedes Bauvorhaben zum Wagnis. Anders als beim Rückbau das Palast der Republik und dem Neubau des Berliner Stadtschloß waren keine namhaften Berliner Baugrundeperten mit der gutachterlichen Begleitung betraut.

Das im Besitz der Kirche befindliche und durch die Staatlichen Museen genutzte empfindliche Kirchenbauwerk wurde ohne öffentlichen Schutz den Bauaktivitäten preisgegeben, obwohl absehbar ist, dass alle Folgeschäden die Kosten eine sorgfältigen Baugrundabsicherung übersteigen werden.

Auf Seiten der politischen Führung war niemand da, der fachliche Verantwortung hätte organisieren können. Weder Wowereit, noch Müller noch der zuständige Baustadtrat Carsten Spallek haben Umsicht und Vorstellungskraft walten lassen, um den Baugrund zu schützen, und die Kirche vor Grundbruch zu schützen.

Zu Letzt im Februar 2016 ermpörte sich Wolfgang Schuster, Architekt und AIV Mitglied auf einem Forum: „Auf Biegen und Brechen wird hier ein Bauvorhaben umgesetzt und der Senat übernimmt dafür noch nicht einmal die Verantwortung“ (Berliner Morgenpost 19.02.2016). Doch wie soll ein Senat Verantwortung wahrnehmen, wenn die Verantwortlichen weder vom Baufach, noch vom Baugrund ein Ahnung haben – und auch nicht Willens sind, Geld für verantwortliches Handeln auszugeben?

Karl Friedrich Schinkel: Friedrichswerdersche Kirche
Friedrichswerdersche Kirche & Schinkelplatz vom Berliner Dom (Kuppel) aus gesehen – Foto: Cruise Tommy 12.5.2012 CC BY-SA 3.0

Gespaltenes Verhältnis zu Kulturerbe und Geschichtspolitik

Unter der Ägide von Klaus Wowereit wurde das Umfeld der Friedrichswerderschen Kirche und der nahen Grundstücks der Schinkelschen Bauakademie der „städtebaulichen Höchstverwertung“ preisgegeben. Finanzpolitik und Schuldentilgung gingen vor, es wurde aber auch Geschichtspolitik gemacht. Der Eigentümer Evangelische Kirche wurde als „privater Bauherr“ angesehen, als ob die Kirche weder öffentliche Funktion noch Schlüsselfunktionen der Baukultur inne hätte.

Wurde die Baukultur des alten Berlin noch von Architekten und Baumeistern mit hoher Kunst gestaltet, so amtieren heute fachfremde „Stadtverwertungs-Senatoren.“

Die Friedrichswerdersche Kirche wurde von der Bauwert Investment Group auf der westlichen Seite und auf der östlichen Seite von der Frankonia Eurobau in die Zange genommen, verkommt zur städtebaulichen Dekoration (Berliner Zeitung 5.11.2015).

Berlin verliert darüber seine Identität als europäische Kulturstadt und wird zur Spielwiese von europäischen Finanzinvestoren.

Karl Friedrich Schinkel: Friedrichswerdersche Kirche
Karl Friedrich Schinkel: Friedrichswerdersche Kirche: Architektur mit Licht – Blick in das ausgemalte Gewölbe – Foto: Arnold Paul 2007 – CC BY-SA 3.0

Ein trauriger Geburtstag: 235 Jahre Karl-Friedrich-Schinkel

Der 235. Geburtstag von Karl-Friedrich-Schinkel wurde heute in seiner Geburtstadt Neuruppin mit einer Preisvergabe gewürdigt. In Berlin wird weder offiziell gefeiert, noch gewürdigt!* Zu peinlich ist der Umgang mit dem großen Kulturerbe, das Berlin erst hat zur Metropole reifen lassen. Tausende Architekten aus der ganzen Welt haben Schinkel studiert, Berlin besucht.

Zum Schinkel-Geburtstag gibt es Fugenkitt und Fugenmörtel – statt Torte. Restauratoren machen notdürftige Reparaturen, kitten Risse, und sichern Beweise, um zivilrechtlich zu regelnde Ersatzansprüche zwischen den Verursachern der Baugrunderschütterungen aufzuteilen.

Schinkels Bauakademie – ein zweites Mahnmal für die Baupolitik

Unweit der Friedrichswerderschen Kirchen steht ein weiteres Mahnmahl für zweieinhalb Dekaden städtebaupolitischer Inkompetenz: die unfertige Attrappe der alten Schinkelschen Bauakademie. Es ist auch ein Mahnmahl über Architekten-Egoismus, über einen Mangel berufständischen Fähigkeiten der planenden Berufe – und der deutschen Bauwirtschaft. Was für ein Debakel!

Weltweit gibt es einen Bauboom – und in Deutschland bekommt man es nicht hin, die großen Vorbilder für große und herausragende Architektur zu sanieren. 2001 wurde eine Gebäude-Ecke der Bauakademie rekonstruiert, Kurt Draheim und ein „Berliner Bildungsverein Bautechnik“ versuchten alte Mauerwerkskunst in die Zukunft zu retten. Inzwischen spähen Investoren nach neuen Verwertungsmöglichkeiten für das Grundstück.

Weder Architektenschaft, noch Bauwirtschaft und Bauindustrie können sich heute noch den tiefen und zukunftstragenen Wert einer Bauakademie vorstellen. Und in Berlin bricht nun auch politisch ganz ungehindert und ungehobelt eine „Modulbau-Ära“ aus. Ein Kompetenzverlust, der längst auch zum Verlust von tragenden wirtschaftlichen Chancen der Globalisierung führt.

Bundesrepublik Deutschland und die Bundesstiftung Baukultur müssen handeln

Die Friedrichswerdersche Kirche von Karl-Friedrich Schinkel gehört zum europäischen Kulturerbe. Anne-Schäfer-Junker hat es in einem Beitrag auf ihrer Internetseite „spreeinsel“ gefordert. Sie fordert eine Sanierung der Kirche, inklusive ihrer bisherigen Nutzung: „Die fachgerechte Wiederherstellung der Kirche zur Nutzung als Ausstellungshaus der Nationalgalerie für die einmaligen Skulpturen des 19. Jahrhunderts im Schinkelschen Erbe.“

Ganz Europa und die Welt blicken nach Berlin – mit der Fertigstellung des Berliner Stadtschloß wird die Berliner Stadtmitte noch mehr in den Blick genommen.

Der Umgang mit den Kulturerbe und die Baukultur sprechen für sich. Unsere politischen Reden von Europa und von Werten und Wertegemeinschaftv beginnen hohl zu klingen, tragen nicht mehr, wenn Politik und Baukultur nur noch Finanzinteressen maskieren.

Wenn die „Stadtverwerter“ in Berlin gegenüber den Baumeistern und Architekten in Oberzahl sind, droht die Stadtentwertung – auch wenn der „Ideologieschaum von immobilienwirtschaftlichen Thinktanks und Parteiakademien“ anderes zu behaupten sucht.

Am Umgang mit Karl-Friedrich Schinkel entscheidet sich in Berlin die Zukunft der Stadtmitte, seine Haltung ist heute gefragt: „Der Architekt ist Veredler aller menschlichen Verhältnisse.“

* Hinweis:
auf der Feier des Architekten- und Ingenieurverein Berlin (AIV e.V.) mit geladenenen Gästen am 13.3.2016 war die Zerstörung von Palmyra das Leitthema.