Donnerstag, 18. April 2024
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Bezirksamt & GESOBAU schließen Pilotvertrag

Pilotvertrag zwischen Bezirksamt Pankow und GESOBAU AG

Das Bündnis Pankower Mieterprotest hat die Pankower Bezirkspolitik, Senat und GESOBAU AG im Frühjahr 2013 aufgerüttelt und mit seinen Protesten gegen Modernisierungsankündigungen der GESOBAU AG einen Sanierungstop bewirkt. In dessen Folge wurden hinter der Kulisse ausgiebige Verhandlungen zwischen Mietervertretern, Bezirksamt Pankow, Mitgliedern der BVV Pankow und Der GESOBAU AG – sowie der Senatverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt geführt.

Pilotvertrag zwischen Bezirksamt Pankow und GESOBAU AG
Pilotvertrag zwischen Bezirksamt Pankow und GESOBAU AG am 15.8.2013

Protest gegen energetische Sanierung und exorbitante Mietsteigerungen

Die Kritik richtete sich insbesondere gegen die mietkostentreibende „energetische Sanierung“ und das von der GESOBAU AG verfolgte Konzept der „Vollsanierung“, bei dem auch intakte Bäder und Einbauten der Mieter unberücksichtigt bleiben sollten. Ferner gab es erhebliche Kritik an der Art des in Eigenregie des Wohnungsunternehmens praktizierten „Sozialmanagement“, das sozialschwache Mieter regelrecht herausdrängte und auch langjährige Alt-Mieter zum Abschluß von „Neuverträgen“ drängte.

Die GESOBAU AG wurde vermutlich von der Heftigkeit der Proteste überrascht – zwischenzeitlich hatten sich vor der Sommerpause Mietergruppen in über 16 GESOBAU-Häusern organisiert, und dem Bündnis Pankower Mieterprotest angeschlossen.

Der vor der Sommerpause von der GESOBAU verkündete Baustopp bei mehreren Häusern hat so auch erhebliche Kosten verursacht, wie Geschäftsbereichsleiter Lars Holborn in einer Verhandlungsrunde einräumte, deren Höhe bei ca. 2,1-2,3 Mio. € liegt.

Angespannte Wohnungsmarktlage fordert Tribut

Die angespannte Wohnungsmarktlage hat viele ganz normale und ruhige Mieter und Normalverdiener zum Protest gegen die landeseigene Wohnungsgesellschaft veranlaßt, die sich auf ihrer Unternehmenswebseite gern als „Deutschlands Beste“ feiern läßt – und mit Nachhaltigkeitspreisen und Auszeichnungen wirbt.

Die vom Bündnis Pankower Mieterprotest öffentlich gemachten Angaben aus den Modernisierungsankündigungen und die darin genannten geplanten Miethöhen werden viele der Mieter praktisch zu Wohngeldempfängern und sozialen Härtefällen verwandeln.
Da überdies steigende Neuvertragsmieten im Markt einen Umzug verhindern, sitzen auch viele Mieter praktisch in der Sanierungsfalle bei der GESOBAU fest – und müssen sehenden Auges ein Dahinschmelzen ihres künftigen frei verfügbaren Netto-Einkommens einplanen.

Die politischen Anstrengungen des Berliner Senats, für die landeseigenen Wohnungsgesellschaften ein soziales Mietenbündnis zu vereinbaren, wurden auch von dem bislang auf Ertragsmaximierung angelegten Kurs der GESOBAU konterkariert.

Hinter den Kulissen wurde daher nachdrückliche Gespräche zwischen den Aufsichtsratsvertretern und dem Vorstand der GESOBAU AG geführt.
In Pankow setzten sich insbesondere Klaus Mindrup (SPD) und Stadtrat Jens-Holger Kirchner (Bü90/Grüne) dafür ein, die zwischen dem Bezirk und der GEWOBAG geschlossenen Vereinbarungen auch auf die GESOBAU AG zu übertragen. Staatssekretär Gothe (SPD), Schulsenatorin Sandra Scheres (SPD) und Katrin Lompscher (Linksfraktion im Abgeordnetenhaus) setzten sich ebenso für das Bündnis Pankower Mieterprotest ein.

Die GESOBAU AG lenkte aber nur teilweise ein.

Nach umfangeichen Verhandlungen hat der Vorstand der GESOBAU AG aber in einem wichtigen Punkt nachgegeben: erstmals wurde die Einschaltung einer unabhängigen Mieterberatung verhandelt. Bislang war man mit der Sozialberatung in GESOBAU-Eigenregie ohne größere öffentliche Konflikte vorangekommen. Jedoch zeigt die im Vergleich der landeseigenen Wohnungsgesellschaften geringe Quote von sozialen Härtefällen in der Mieterschaft „nach Sanierung“, dass die GESOBAU AG offensichtlich schon jahrelang sozialschwache Mieter verdrängt hat.
Dies ist übrigens auch in der Senatsverwaltung (Abt.Bauen und Wohnen) mit einiger Verwunderung zur Kenntnis genommen worden.

Nun liegt ein erstes mageres Zwischenergebnis vor – das gleichwohl von den beteiligten Verhandlungsparteien weitgehend als positiv begrüßt wurde. Es wird ein Vertrag für ein Pilotvorhaben geschlossen, der ein einziges Mietshaus betrifft, in dem nach bereits erfolgten Auszug etlicher Mieter praktisch nur noch 2 Sozialfälle verbleiben.

Erster Schritt: Pilotvertrag für die Pestalozzistrasse 4

Der Vertragsabschluß wurde eigens in einer Pressekonferenz im Rathaus Pankow vollzogen und entsprechend angekündigt:

„Einen Öffentlich-rechtlichen Vertrag zum sozialverträglichen Ablauf der geplanten Modernisierung des Wohnhauses Pestalozzistr. 4 haben heute das Bezirksamt Pankow, die Mieterberatung Prenzlauer Berg GmbH und die GESOBAU AG geschlossen. Nachdem Sanierung und Modernisierung des Objektes im April von der GESOBAU zunächst gestoppt worden waren, soll nun als Pilotprojekt eine unabhängige externe Mieterberatung eingesetzt werden, die mit den Mietern die Details der Modernisierung in ihren Wohnungen und die Miete danach bespricht sowie soziale Härtefälle prüft. Ziel ist der Abschluss von individuellen Modernisierungsvereinbarungen zwischen Mietern und GESOBAU AG. Nach diesem Vorbild sollen dann alle weiteren Modernisierungsprojekte der GESOBAU in Pankow neu gestartet und erfolgreich durchgeführt werden;“ so verlautete die gemeinsame Presseerklärung.

Nach über 20 Jahren erfolgreicher Tätigkeit der Mieterberatung Prenzlauer Berg wird das Pilotvorhaben vor allem notwendig, um eine für die GESOBAU AG „scheinbar völlig neue Vorgehensweise“ einzuüben, sagte eine Mieterin hinter vorgehaltener Hand.

Stadtrat Kirchner war zumindest erleichtert: „„Ich bin froh, dass wir trotz schwieriger Rahmenbedingungen eine Übereinkunft erzielt haben, die für die Betroffenen weitreichende Sozialplanverfahren mit individuellen Lösungen garantiert“, erklärt der Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Jens-Holger Kirchner (Bü90/Grüne).

„Wir ermöglichen über den Vertrag eine faire, unabhängige Beratung und sorgen dafür, dass die soziale und finanzielle Situation der Mieter, der Ausstattungsgrad der Wohnung und der Bedarf an Ersatzwohnraum erfasst und berücksichtigt wird“, so Kirchner weiter.

Gesichtswahrung für die GESOBAU AG

Die GESOBAU hatte unter dem Druck des Bündnisses Pankower Mieterprotest und der versammelten Bezirkspolitik und der Vertreter des Landes im Aufsichtsrat etwas einlenken müssen. Lars Holborn hatte sich schon in der Sitzung des Stadtplanungsausschusses in der vorletzten Woche sichtlich bemüht, die Wogen zu glätten, aber seine gequälte Mimik sprach Bände: hier ringt sich ein Unternehmen etwas ab, das nicht in den bisherigen ganz großen Plan passt.

Zur Vertragsunterzeichnung war auch Christian Wilkens, Mitglied des Vorstands der GESOBAU AG zugegen.

Er sagte: „Unser Ziel bei der Umsetzung von Modernisierungsmaßnahmen ist, bestehende Nachbarschaften zu erhalten. Mit dieser Pilotvereinbarung dokumentieren wir die schon bisher bei der GESOBAU gültigen Maßnahmen zur sozialverträglichen Modernisierung und machen sie damit transparent und nachvollziehbar. Durch die Einbindung der Mieterberatung Prenzlauer Berg unterstreichen wir nochmals unsere Verpflichtung aus dem mit dem Berliner Senat abgeschlossenen ‚Bündnis für soziale Wohnungspolitik und bezahlbare Mieten‘.“ Lars Holborn, Geschäftsbereichsleiter, GESOBAU AG: „Als kommunales Unternehmen mit einer besonderen sozialen Verantwortung reagieren wir mit der Pilotvereinbarung für das Wohnhaus Pestalozzistraße 4 auf die Sorgen unserer Mieter. Für den Bezirk Pankow zeigen wir auf, unter welchen Rahmenbedingungen dringend notwendige energetische Komplettmodernisierungen umsetzbar sind. Dieser Pilotvertrag ist ein erster, aber notwendiger Schritt, um noch im Herbst dieses Jahres einen Rahmenvertrag mit dem Bezirk für alle künftigen Modernisierungsmaßnahmen der GESOBAU in Pankow zu unterzeichnen. Zunächst aber werden wir jetzt zügig alle betroffenen Mieter über das nun vereinbarte Verfahren und die neuen Termine unterrichten.“

Nebenbei bekräftigte er: „Kein Mieter soll seine Wohnung wegen einer Modernisierung verlieren“.

Auch Kirsten Huthmann, Pressesprecherin und zuständig für Unternehmenskommunikation und Marketing war auf der Vertragspressekonferenz dabei, und verfolgte aufmerksam das Geschehen.
Es dürfte auch ihr nicht entgangen sein, wie dünn das Eis für die GESOBAU AG geworden ist, die sich eigentlich langjährig einen sehr guten Ruf erarbeitet hat.
Nun steht auch die GESOBAU AG aufgrund der angespannten Wohnungsmarktlage in Berlin vor einer unauflösbaren sozialen Problematik, in der auch Normalverdiener durch umfassende Mieterhöhungen in die „Nettolohn-Armut“ gedrängt werden.

GESOBAU - Werbung am S-Bhf. Bornholmer Strasse
GESOBAU - Werbung am S-Bhf. Bornholmer Strasse

Kritische Stimmen zum Pilotvertrag

„Die Kappung der Miete bei 30 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens, vorausgesetzt die Mieter wohnen in einer ‚angemessenen‘ Wohnung, ist ein äußerst mageres Ergebnis des halbjährigen Verhandlungsmarathons zwischen dem Bezirksamt Pankow und der Wohnungsbaugesellschaft GESOBAU“, kommentiert der Pankower Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich.

Er hatte auch Anfang des Jahres in Briefen an den Bezirksstadtrat Jens-Holger Kirchner und GESOBAU-Vorstand Jörg Franzen als erster den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags über eine sozialverträgliche Sanierung im Wohnkomplex Pestalozzistraße 4 gefordert.

Liebich weiter: „In erster Linie war es ein Verdienst der im Pankower MieterProtest vereinten Mieterinnen und Mieter in neun Häusern bzw. Wohnanlagen, die mit ihrem großen Engagement die Vertragspartner an den Verhandlungstisch zwangen. Allerdings ist das Ergebnis höchst unbefriedigend, dokumentiert die Vereinbarung letztlich auch das vollständige Scheitern des vom Berliner Senat vor einem Jahr mit den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften ausgehandelten Bündnisses für soziale Wohnungspolitik und bezahlbare Mieten“. Auch dieser öffentlich-rechtliche Vertrag ermöglicht in den Häusern der GESOBAU Mieten nach Sanierung, die bis zu 20 Prozent über dem jeweiligen Mietspiegelwert liegen. Das erfüllt fast schon den Tatbestand von Wucher. Politik im Interesse der Mieter ist das wahrlich nicht.“

Auch für Single-Mieter mit Hartz-4-Bezug wird der Pilotvertrag kaum Sicherheit bringen: die Angemessenheit der Wohnung nach Mieterhöhungen endet bei ca. 45 Quadratmetern Wohnfläche (abhängig von der Miethöhe). Der eingeräumte 10%-ige Ermessensspielraum der GESOBAU bei der Wohnflächengröße bringt kaum etwas, weil die GESOBAU Wohnungen meist über 50 Quadratmeter groß sind. Für die Sozialhilfeempfänger erweist sich der Pilotvertrag möglicherweise als fatal, Verdrängung droht.

Weitere Streitpunkte und Ausblick

Für noch bestehende Unklarheiten und strittige Punkte wird noch weiter nach Auswegen gesucht. In einem Gespräch des Bündnis „Pankower MieterProtest“ mit Staatssekretär Ephraim Gothe, dem Referatsleiter Wohnungswesen Thomas Brand sowie der Pankower SPD-Fraktionsvorsitzenden Rona Tietje wurden die drängendsten Fragen der GESOBAU-Modernisierungspraxis am 15.8.2013 besprochen.

Vor allem das Thema Nettokaltmiete nach Modernisierung wurde erörtert. In Anbetracht der absurden Konsequenzen der aus dem Mietenbündnis stammenden Regelung „im Rahmen des Mietspiegels zzgl. Betriebskosteneinsparung“ sagte Staatssekretär Gothe, dass diese Formulierung geändert werden müsse: Eine nicht überprüfbare fiktive BeKo-Einsparung sei „unsinnig“, es müsse hier „eine einfachere Regelung“ gefunden werden.

Beim Bündnis Pankower Mieterprotest ist man derzeit optimistisch:

„Wir sind nach dem Gespräch optimistisch, den Mietspiegel-treibenden Nettokaltmieten nach Modernisierung die Grundlage entziehen zu können, denn Nettokaltmieten nach Modernisierung für Bestandsmieter, die bis zu 59% über dem Mietspiegelmittelwert liegen, sind einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft nicht angemessen.“

Der eigentliche Härtetest für die Verhandlungspartner dürfte aber erst im Herbst nach der Bundestagswahl auf den Tisch kommen, wenn das Vorgehen und die konkrete Planung in den anderen GESOBAU Häusern in Angriff genommen wird. m/s

Artikel-Vorankündigung:

„Wohnungsnot als Systemfehler“:
Energetische Sanierung für Mieter versus modernisierende Instandsetzung für Wohneigentümer
– wie kreditfinanzierte Wohnungspolitik in die neue „Nettolohn-Armut“ und in die Staatspleite führt.

m/s