Sonntag, 08. Dezember 2024
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Breitbandausbau gefährdet Kreativwirtschaft

Mobilfunkantennen auf Hochhausdach

Was würde passieren, wenn ganz plötzlich quasi über Nacht alle Funkmikrofone nicht mehr richtig funktionieren? Wenn eigens von Funkmikrofonen aufgenommene Töne verzerrt und gestört werden, wenn weder Sprache, Musik noch Live-Töne wiedererkennbar wären?

Mobilfunkantennen auf Hochhausdach
Mobilfunkantennen auf Hochhausdach – bedrohen neue Frequenzen Kultur, Musik, Presse und TV?

Weder Talk-Shows noch Live-Konzerte noch Sportschau-Übertragungen würden funktionieren. Liveberichterstatter und Moderatoren wären plötzlich nicht mehr zu hören. Sänger Musiker – sie alle wären plötzlich „unplugged“. Ein großer Teil des kulturellen Lebens, Presse, Fernsehen und Pressekonferenzen wären betroffen – sie sind heute ohne Funkmikrofone nicht denkbar.

Funkmikrofone sind unersetzbar

„Die Grundlage jeder Tonübertragung sind Mikrofone – in der heutigen Zeit Funkmikrofone ohne Kabel. Egal ob in der Hand gehalten, als Headset, an der Kleidung angeheftet oder womöglich darunter versteckt: Ohne sie geht praktisch nichts. Denn die meisten Events und Shows, die wir kennen, funktionieren nur, wenn sich die Moderatoren, Kandidaten, Musiker, Schauspieler oder Musical-Darsteller frei bewegen können. Gleiches gilt für Live-Schaltungen und -reportagen, so wie wir sie täglich sehen. Egal von welchem Ereignis die Korrespondenten berichten, beispielsweise Landtags- und Bundestagswahlen: Vieles kann nur dank drahtloser Technik gezeigt und hörbar gemacht werden. Die Reporter-Teams sind damit schnell und flexibel.“

„Genauso wichtig wie Funkmikrofone ist der berühmte „Knopf im Ohr“, in der Fachsprache In-Ear-Monitoring-System (IEM) genannt. Musiker brauchen ihn, damit sie auf großen Bühnen im Takt ihr Instrument spielen oder singen können. Showmaster und Journalisten bekommen damit Regieanweisungen übermittelt, internationale Gäste hören damit die Worte des Übersetzers aus dem Backstage-Bereich.“

Eurovision Song Contest
Eurovision Song Contest: Ohne Funkmikrofone geht es nicht – Foto: www.sos-save-our-spectrum.org

Auktion von Frequenzen für mobiles Breitband

Am 27.Mai 2015 startet die Bundesnetzagentur die Auktion von Frequenzen für mobiles Breitband. Versteigert werden Frequenzen in den Bereichen bei 700 MHz, 900 MHz, 1800 MHz sowie im Bereich bei 1,5 GHz.

Die Bundesnetzagentur hat am 22.4.2015 drei Unternehmen zur anstehenden Versteigerung zugelassen:

– Telefónica Germany GmbH & Co. OHG
– Telekom Deutschland GmbH
– Vodafone GmbH

Insgesamt werden Frequenzen im Umfang von 270 MHz aus den Bereichen 700 MHz, 900 MHz, 1500 MHz sowie 1800 MHz versteigert. Die Frequenzen aus den Bereichen bei 900 MHz und 1800 MHz haben die Grundlage für den Aufbau der heutigen Mobilfunknetze insbesondere für die flächendeckende mobile Sprachkommunikation gebildet und sollen künftig auch für breitbandige Internetanschlüsse genutzt werden.

Die Frequenzen im 700-Megahertz-Bereich werden bislang für terrestrisches Fernsehen genutzt. Durch die Umstellung auf DVB-T2 werden sie frei und können für mobiles Breitband genutzt werden. Die Netzbetreiber können mit nur relativ wenigen Funkstationen schnelles Internet auch in bisher wenig erschlossene Regionen bringen. Ziel der Bundesnetzagentur ist es, dass mit dem Einsatz dieser Frequenzen eine nahezu flächendecke Versorgung der Bevölkerung mit Breitband-Internet erreicht wird – wie bisher schon mit mobiler Sprachtelefonie. Daher beinhalten die Frequenznutzungsrechte eine Versorgungsverpflichtung von 98% der Bevölkerung.

Breitbandausbau gefährdet Kultur- und Kreativwirtschaft

Doch es gibt Wiederstand, denn die geplante „Digitale Dividende 2“ zwingt zum Handeln. Wie Messungen der DKE (Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik) wiederholt gezeigt haben, ist das verfügbare Frequenzspektrum für den Einsatz drahtloser Produktionsmittel bereits heute knapp. Mit der geplanten Mobilfunk-Frequenzauktion wird sich die Lage noch einmal dramatisch verschärfen. Der von Funkmikrofonen bisher hauptsächlich genutzte Frequenzbereich 694 – 790 MHz wird dann vollständig an den Mobilfunk vergeben.

Da es dann nicht mehr genug freie Frequenzen gibt, werden beispielsweise von Fußball-Spitzenspielen oder von Bundestags- und Landtagswahlen nicht mehr alle Radio- und Fernsehteams live berichten können. Theater, Musicals oder Konzerttourneen wird es ebenso treffen. Sie setzen auf der Bühne zahlreiche drahtlose Strecken ein. Die Ausrichtung von Großereignissen von internationalem Format, wie etwa den Olympischen Spielen oder dem Eurovision Song Contest, wird aufgrund des Frequenzmangels in Deutschland nicht mehr möglich sein.

„Wir können nicht tatenlos zusehen, wie Bundespolitik und Bundesnetzagentur der Kultur und Kreativwirtschaft in Deutschland jegliche Perspektive verbauen und dazu noch die Rundfunk-Berichterstattung einschränken“, so Rechtsanwalt Helmut G. Bauer, Verantwortlicher der Initiative „SOS – Save Our Spectrum“.

Bauer fordert: „Drahtlose Produktionsmittel müssen schnell ein quantitativ und qualitativ geeignetes Ersatzspektrum erhalten, das langfristig verlässlich genutzt werden kann. Die Politik muss endlich handeln – dafür kämpfen wir.“

Ohne ausreichend Spektrum für Funkmikrofone sei der Kulturbetrieb, die Berichterstattung sowie die kulturellen Teilhabe der Bürger nicht mehr wie bisher möglich, beklagen namhafte Vertreter der Initiative SOS – Save Our Spectrum.

Der Deutsche Journalisten-Verband (BJV) hat die Bundesnetzagentur bereits mehrfach aufgefordert, bei der anstehenden Versteigerung von Funkfrequenzen die Notwendigkeiten der Live-Berichterstattung in Hörfunk und Fernsehen zu berücksichtigen.

Michael Konken, Bundesvorsitzender des BJV: „Die Bundesnetzagentur muss dafür Sorge tragen, dass Rundfunkjournalisten auch künftig ohne technische Einschränkungen arbeiten können.“

Auch Rolf Bolwin, Geschäftsführender Direktor beim Deutschen Bühnenverein, warnt: “Auch wenn das Theater noch oft ohne Mikrofonverstärkung arbeitet: Kann man sie sich vorstellen, die Welt der Bühne ohne Mikrofone?

Planungssicherheit, Planungssicherheit, Planungssicherheit – am besten für 15 Jahre

Hubert Eckart, Geschäftsführer der Deutschen Theatertechnischen Gesellschaft (DTHG) fordert mehr Planungssicherheit:

“Wir fordern mit Nachdruck ein uneingeschränkt zur Verfügung stehendes Frequenzspektrum und Planungssicherheit für die Zukunft.”

Norbert Hilbich, Director Spectrum Affairs, beim renommierten Mikrofontechnik Spezialisten Sennheiser erinnert noch einmal an die jüngste Vergangenheit, in der die Räumung des 800 MHz-Bandes und Verlagerung der Mehrzahl der drahtlosen Produktionsmittel in das 700 MHz-Band einen herben Einschnitt und viele Mehrkosten versursacht hatte.
Hilbich: „„Sennheiser fordert Planungssicherheit für Nutzer und Hersteller drahtloser Produktionstechnik.” Dabei hat er Zeiträume von wenigstens 15 Jahren im Sinn.

Hilbich: „Wir brauchen Planungssicherheit mit einem Zeithorizont von mindestens 15 Jahren. Die Hersteller, um rechtzeitig die erforderliche Technik zu entwickeln; die Anwender, um die Investitionen aufzubringen und sie wieder erwirtschaften zu können. Die Politik vernachlässigt die Interessen der Kultur- und Kreativwirtschaft und der Veranstaltungstechnik – diese weisen seit Jahren ein verlässliches Wachstum auf und sorgen für sichere Arbeitsplätze“.

Auch der Staat ist betroffen, denn an Hochschulen, Musikschulen und Kulturstätten wird Mikrofontechnik eingesetzt. Viele Ton- und Mikrofonanlagen mußten erst vor 5 Jahren umgerüstet und modernisiert werden, und noch immer haben nicht alle Musikschulen die letzte Umstellung finanziell verkraftet und umgesetzt.
Auch der Europäische Verband der Veranstaltungs-Centren e.V. EVVC warnt die Politik vor dem geplanten Schritt: „Das Problem für EVVC-Mitglieder: das 700 MHz-Band wird für drahtlose Mikrofonie verwendet. Viele Hallen und ihre Dienstleister sind in der Folge der Versteigerung des 800 MHz-Bandes gerade erst auf das 700 MHz-Band umgezogen.“ Damit stehen Millioneninvestitionen und die Spielfähigkeit großer Versammlungsstätte auf dem Spiel.

sos save our spectrum

Initiative SOS – Save Our Spectrum macht technische Bedenken geltend

Die Initiative SOS – Save Our Spectrum befürchtet, dass die Digitale Dividende 2, also die Umwidmung des gesamten 700-MHz-Frequenzbereichs für Mobilfunkzwecke, erhebliche Einschränkungen nach sich ziehen wird. Die Kultur- und Kreativwirtschaft, die freie Berichterstattung und die kulturelle Teilhabe der Bürger würden beeinträchtigt, weil Funkmikrofonen und der professionellen Veranstaltungstechnik (PMSE, Programme Making and Special Events) essentielles Spektrum entzogen wird.

Deshalb möchte die Initiative Politik und Öffentlichkeit informieren und einen Dialog starten. Dafür hat sie nun eine eigene Informations-Website ins Leben gerufen. Darüber will sie Besucher laufend über Neuigkeiten und Hintergründe zum Thema informieren. Zu den Unterstützern zählen der Deutsche Journalisten-Verband (DJV), der Deutsche Bühnenverein, die Deutsche Theatertechnische Gesellschaft (DTHG), der Berufsverband Filmton (bvft) und der Mikrofonhersteller Sennheiser.

Bereits anlässlich der ersten Digitalen Dividende im Jahr 2010 mussten Funkmikrofone und PMSE das 800-MHz-Band zugunsten des Mobilfunks räumen. Die von der Bundesnetzagentur genannten Ausweichbereiche seien zwar recht groß, hätten aber viele Nachteile. Einige stünden nur verzögert zur Verfügung, andere wie der von 2400 – 2483,5 MHz eigneten sich für Funkmikrofone nur schlecht, erklärte ein Sprecher der Firma Sennheiser im Dezember 2014.

„Das 700-Megahertz-Band wird derzeit hauptsächlich für das digitale Fernsehen DVB-T genutzt. Nach der Neuvergabe an den Mobilfunk müssen auch Millionen von DVB-T-Empfängern gegen DVB-T2-Versionen ersetzt werden. Mit dem Beschluss im Februar dieses Jahres hatte das Bundeskabinett eine der letzten Weichen gestellt und DVB-T beerdigt.“

Die deutsche Politik muß nun handeln – denn sie selbst wird praktisch stummm, wenn weder Talkshows noch Live-Interviews noch Pressekonferenzen ohne Funkstörung übertragen werden können.

Weitere Informationen:

sos – save our spectrum | Ohne Ton – keine Information!
Initiative zur Sicherung von Funkspektrum für die Kultur- und Kreativwirtschaft
www.sos-save-our-spectrum.org

EVVC – Europäischer Verband der Veranstaltungs-Centren e.V. – Link

http://www.heise.de/newsticker/meldung/Save-Our-Spectrum-Mobilfunkausbau-gefaehrdet-Kulturbetrieb-und-Berichterstattung-2611714.html

Bundesnetzagentur – www.bundesnetzagentur.de

m/s