Freitag, 29. März 2024
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Der „Stadtrat für Staatsversagen“

Sondernutzung des Gehweges

In der 40.Stadtverordnetenversammlung am 1. Juni gab es mehrere denkwürdige Auftritte, die für die Annalen der Geschichte festgehalten werden müssen. Im Mittelpunkt: Pankows Stadtrat für Verbraucherschutz, Kultur, Umwelt und Bürgerservice, Dr. Torsten Kühne (CDU), dem auch Ordnungsamt, Bürgeramt und Naturschutz unterstehen. Mehrere Themen fallen in seinem Amts- und Verantwortungsbereich, die strukturell aber auch personell so angelegt sind, aus einem eigentlich fähigen Stadtrat langsam aber sicher ein „Stadtrat für Staatsversagen“ werden zu lassen.

Sondernutzung des Gehweges
Sondernutzung des Gehweges: Pflanzkübel, Fahrradständer, Motorroller – Ordnungsamt z.T. nur für Parkraum zuständig

Es ist ein schleichender Prozeß, der viel mit typischen Berliner Mißständen einer zweigliedrigen Verwaltung zu tun hat. Aber auch mit nicht ausgefüllter Verantwortung in wichtigen zuständigen Senatoren-Ämtern und den Folgen einer Haushaltskonsolidierungspolitik, die Verwaltungen personell entkräftet hat.

In Kühnes Amtsbereich gibt es gleich mehrere „Problembereiche“, die nach dem Prinzip „ameisenhafter Mehrung“ nur durch anstrengendes, kontinuierliches und konsequentes Handeln im Griff zu halten sind:

Programmiertes Versagen bei der Parkraumbewirtschaftung
Die Parkraumüberwachung funktioniert mit hohen Personaleinsatz. Stadtrat Kühne hat einen wohl beispiellosen Personalaufbau gut bewältigt, und kämpft nun mit den Folgen dieses Personalaufbaus – denn je effektiver die Parkraumüberwachung funktioniert, desto weniger kalkulierte Einnahmen erzielt der Bezirk. Im Kern ist damit ein enormes Haushaltsrisiko für den Bezirk verbunden. Lösbar ist es nur durch Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung, die in den „Verhaltens-Lerngebieten“ für ordentliches Parken anfangs von „Lehrgeldern“ lebt. Eine Zeit lang wird es noch gut gehen, aber die finanzielle Katastrophe wird irgendwann kommen.
Wenn sich alle Bürger an die Regeln halten, und bußgeldfrei parken, bleibt Pankow auf hohen Personalkosten sitzen.

Zettelchaos im Amt
Zettelchaos im Amt – Typische Benutzeroberfläche eines Ordnungsamtes für Bürger

Bürgerämter und IT – Versagen des Innensenators bringt Druck
Seit Jahren schon wird an der landeseigenen Informationstechnik herumlaboriert und „modernisiert“. Der Senator für Inneres, Frank Henkel (CDU) ist auch für IT zuständig. Er hat das größte Amtsversagen zu verantworten, weil er die Kernaufgaben des Staates „IT-technisch“ nicht mehr im Griff hat. Stichworte: Bürgerämter, Paß- und Meldewesen sowie die Berliner Wahlen.
Am 7. August muss die Software und IT laufen, sonst müssen sogar die Wahlen am 18. September 2016 verschoben werden.

Erst kurz vor Ende der Legislaturperiode wurde endlich ein eGovernement-Gesetz verabschiedet, doch eine Problembehebung wird noch viele Monate dauern. Die Politik hat eine Reform des IT-Dienstleistungszentrum Berlin (ITDZ Berlin) jahrelang verschlafen, das nicht nur „Windows XP“ sondern auch alte Denkmuster aus der „Client-Server-Zeit“ abschaffen muss, bevor es im Universum des browsergesteuerten Cloud-Computings ankommen kann.
Völlig unerklärlich ist bisher, wie die Senatsverwaltung für Inneres Diskrepanzen zu heutigen Mißständen erklären kann, hatte sie doch im 3. E-Government-Wettbewerb 2002/03 mit der Firma Bearing Point und Cisco Systems bereits die Idee eines „Amtes, das zum Bürger kommt“ auf der CeBIT 2003 präsentiert und den 1. Preis erhalten.

Stadtrat Kühne steht nun im Feuer vor Ort, muss mit kanppen Personal ausbaden, was auf Ebene höherer Zuständigkeit mißraten ist. Die Einarbeitung der neu bewillgten MitarbeiterInnen wird auch bewältigt. Oberdrein muss Kühne noch den Blitzableiter im CDU-Wahlkampf spielen, und seinen Pankower Parteifreund und Innensenator Henkel schonen. – Kühnes mehr-als-drei-Tage-Bart und seine dunklen Augenringe müssten eigentlich längst auch bei Parteifreunden Mitgefühl wecken.

Dr. Torsten Kühne
Dr. Torsten Kühne – Bezirksstadtrat für Verbraucherschutz, Kultur, Umwelt und Bürgerservice – Foto: Christiane Trabert

Landes-IT: Politikversagen – Führungsversagen – Staatsversagen

Die Große Koalition wollte die Bürgerämter mit einem 12-Punkte-Plan auf Trab bringen. Doch Informationstechnik funktioniert nur mit Planung, mit mit geeigneter Hardware, gut programmierter Technik und Software – und mit geschulten Personal. Es scheint an allem zu fehlen. Vor allem können externe Firmen nicht fehlerlos auf vorhandenes Landes-IT aufsetzen, sondern müssen „quasi im Feldversuch“ schwierigste Anpassungen und unvorhersehbare Fehler bewältigen.

Inzwischen scheitert auch der 12-Punkte Plan. Aus den Versprechen der Politik wird nichts: Termine im Bürgeramt werden erst in sechs Wochen frei, aber schon nach acht Wochen endet die maximale Vorplanungszeit für Termine. Beschwerden häufen sich, die einzige wirkliche hilfreiche Errungenschaft der einheitlichen Behördenrufnummer 115 wird in der Folge in eine Beschwerde-Hotline verwandelt. Die Anrufer werden in Warteschleifen geschickt werden, die man eigentlich abschaffen wollte.
Immer mehr Aufgaben, ein hoher Krankenstand und eine schleppende IT – das sorgt für ein „unstoppable Chaos“, das vom langjährigen Politik- und Führungsversagen in das Staatsversagen führt. Neben seinem Amtsbereichen bekommt Stadtrat Kühne nun noch den Bereich „Staatsversagen“ aufgebrummt, bei dem auf Bezirksebene mit unzulänglichen Mittel Reparaturbetrieb gemacht wird, so gut es geht.

Zweckentfremdung und Wohnnutzung als unzureichend geregelter Politikbereich

Die Digitalisierung der Vermietung von Ferienwohnungen und die Sharing-Ökonomie sorgen für Chaos und Preisverzerrung im Tourismus und bei Mietpreisen. Stadtrat Kühne steht hier im Feuer, muss er doch konsquent die Zweckentfremdungsverordnung umsetzen.

Ein allzu offenherziges Interview in der Prenzlberger Stimmme hat fast eine Senatskrise ausgelöst. Kühne offenbarte seine verwaltungsinternen Prioritäten-Setzungen, die natürlich auch für interessierte Klageführer unter den Ferienwohnungsvermietern aufschlußreich sind. Mehrere Vertreter von Ferienwohnungsbetreibern saßen in der aktuellen BVV und schreiben fleissig mit.

SPD-Fraktionsführerin Rona Tietje rügte deshalb am 1. Juni in der BVV Kühnes offene Kommunikation in der Sache.

Immerhin: mit den neuen erstintanzlichen Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8.6.2016 hat Kühne nun das Recht auf seiner Seite, und kann wie angekündigt weiter verfahren.

Doch Kühne gab auch einen Einblick, wie schwierig das sei. So verwies er auf das skandinavische Modell, bei denen Häuser als Geldanlage gemeinschaftlich bzw. von Fonds erworben wurden, um reihum als Ferienwohnung in Berlin genutzt zu werden.

Die Frage der Datengewinnung über vermietete Wohnungen bei Internetplattformen wie Airbnb und wimdu ist inzwischen geklärt, doch neue Startups wie Wunderflats entziehen sich dem Ferienwohnungsschema. Die Umsetzung des Zweckentfremdungsverbots wird sich so zunehmend zwischen Kärrnerarbeit und Einzelfallprüfungen verwickeln. Ob damit eine Entlastung des Wohnungsmarktes realisiert werden kann, ist längst fraglich.

Kühne gab in der BVV zu bedenken, dass es schon einmal ein Zweckentfremdungsverbot gab, das damals von 19 Mitarbeitern (aktuell drei Mitarbeiter) bearbeitet wurde. Kühne gab damit indirekt ein weiteres Mal preis, dass es auch künftig nur eine lückenhaften Vollzug des Zweckentfremdungsverbots geben kann.

Vollzugsdefizit bei Sondernutzungen des öffentlichen Straßenlandes

Anordnungen des Ordnungsamtes gegenüber Gastwirten, ihre Blumenkübel und Pflanzen zu stutzen sorgten für erhebliche Aufregung und eine Kleine Anfrage, die von Stadtrat Kühne in geradezu elegischer Weise beantwortet wurde. Hier wurde es peinlich in der BVV, denn Kühne offenbarte als Grund seines Übereifers ein massives Vollzugsdefizit: „Mit nur drei Mitarbeitern kann man unmöglich rund elfhundert Schankgärten kontrollieren. Aufgrund von „Beschwerden“ sei man tätig geworden, und habe schließlich dort mit Kontrollen angefangen. Kühne erläuterte, dass auch nicht genehmigte Schankgärten vorgefunden wurden, auch ein Fall in dem um 80 Quadratmeter erweitert wurde. Und so führte Kühne Bestimmungen und Nebenbestimmungen zu Pflanzkübeln im Stil eines Verwaltungsakademie-Seminars aus.

Und so geschah etwas völlig Bemerkenswertes in der Pankower BVV: Es hielt dem Stadtverordnetenvorsitzenden Ronald Rüdiger (SPD) nicht mehr auf dem Platz, er meldete einen Redebeitrag in der Sache an. Stadtrat Kühne wurde ermahnt, mehr Kommunikation zu üben und mit den Worten zurückgepfiffen: Wir wollen hier in Prenzlauer Berg nicht mit Peitsche und Säge durchgehen!“.

Insbesondere einige Gastwirte an der schönen Straßenkreuzung Kollwitzstraße / Sredzkistraße konnten somit aufatmen.

Schankvorgarten mit Flair
ZUM DRITTEN MANN: Schankvorgarten mit Flair

Staatsversagen: „Transparenzismus“ unterminiert generalpräventive Wirkung

Nicht nur Probleme und Mängel einer zweistufigen Berliner Verwaltung führen zum Phänomen „Staatsversagen“. Auch die geübte Transparenz des Stadtrates Kühne angesichts einer zu schwach besetzten Verwaltung sorgt für Unbill, geht doch die „generalpräventive Wirkung“ der Ordnungsbehörde damit verloren.

Stadtrat Kühne sitzt deshalb irgendwie in der Falle, es niemanden ganz recht machen zu können, und dann auch noch mit eigener offener Kommunikation sein eigenes Amt in Frage zu stellen.

Während alle Welt auf Populismus schimpft und den „Trumpismus“ geißelt, wächst die stille Gefahr des „Transparenzismus“, der Verlust der Glaubwürdigkeit, weil Behörden und Stadträte im Konflikt „nackt“ da stehen.

Neue politische Führung muss deshalb her: statt Optimierung der Verwaltungsprozesse müssen „Leadership“ und „Ownership“ und „Good Governance mehr Geltung bekommen, um allzu enges Denken in Zuständigkeitsgrenzen zu sprengen.

Ein alljährlicher Wettbewerb um den schönsten Schankgarten wäre eine positive Motivation, zugleich Erinnerung an das unerläßliche „Genehmigungsgedöns.“ Wirtschaftsförderung und Klimapflege – statt Bestrafung wirtschaftlicher Entfaltung.

Positive Bestärkung und Governance, statt Ordnungs- und Kontrollverwaltung – das sorgt auch für weniger Streß im Amt. Und ein bischen Flair beim Grün darf sein!

a/m