In Pankow ist ein Streit um die Idee für ein „Eco-Mobility-Festival“ am Helmholtzplatz ausgebrochen, das vom internationalen Städtenetzwerk ECLEI initiiert werden sollte. Berlin ist Mitglied in dem Städtenetzwerk, und will sich als „Schaufenster für Elektromobilität“ als zukunftsorientierte Modellstadt zu profilieren.
Der zuständige Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Jens-Holger Kirchner (Bündnis 90/Grüne) wollte die Projektidee und die Konzepte und Vorarbeiten der mit dem ICLEI-Städtenetzwerk zusammenarbeitenden Agentur „Team-Red“ erstmals am 6.5.2014 im Verkehrsausschuß der BVV-Pankow vorstellen.
Doch die in aller Ruhe geplante Information des zuständigen Verkehrsausschuß mißlang, die Kommunikation lief völlig fehl. Ein Vorab-Beitrag des TAGESSPIEGEL vom 4.5.2014 zur geplanten „Vorinformation“ der Bezirksverordneten brachte Öffentlichkeit und Politik in Wallung: „Test mit E-Mobilen in Berlin Prenzlauer Berg sperrt Autos aus„.
Autor Stefan Jacobs war bereits seit Wochen vorinformiert. Doch er bezog sich in seinem Beitrag nur auf eine Maximalvariante, die der Politik als Konzept und Idee vorgelegt werden sollte. Die sensibel vorbereiteten Minimalvarianten wurden einfach verschwiegen.
Der Chefkommentator des TAGESSPIEGEL, Lorenz Maroldt, legte dann am 5.5.2014 noch einmal nach, und peitschte weiter ein: Abgasfreier Kiez: in Berlin Bevormundung unter dem Banner des Fortschritts. Maroldt verließ den Boden seriöser Kommentierung, als er noch vor einer öffentlichen Information politische Unterstellungen formulierte: „Schlimm daran ist aber, dass Lokalpolitiker mal wieder glauben, unmündige Bürger zwangsbeglücken zu müssen!“. Besonders pikant: Maroldt bezeichnete die Idee für das „Eco-Mobility-Festival“ als „als Volksfest getarnte Umerziehungsmaßnahme“.
Am Montag, dem 5.5.2014 überschlugen sich dann die Kommentare auch in anderen Medien. Im TAGESSPIEGEL entbrannte ein Shitstorm über „Zwangsbeglückung“, „Bürgernähe“, „Electromobilität“ und um die politischen Qualitäten des Bezirksstadtrates Kirchner.
Das Vorspiel zu einem imposanten politischen Opus war nun angerichtet. Bezirkbürgermeister Köhne (SPD) und alle Bezirkspolitiker spürten am Wochenbeginn einen unabweisbaren Handlungsdruck, sich politisch zu äußern, und zwar „subito!“.
Doch am Ende der Woche bietet sich ein eher fatales Bild, weil das entstandene Opus nun klar aufzeigt, wie sich Pankower Bezirkspolitiker, allen voran der Bezirksbürgermeisterm in bedeutsamen Zukunfts- und Wirtschaftsfragen von interessierte Medien vorführen lassen. Auch der Chefkommentator des TAGESSPIEGEL steht plötzlich in der Kritik, weil er in ungewöhnlicher Form der „Vorabkommentierung“ in Erscheinung trat, und selbst in Sachen „Elektromobilität“ als Industriepartner höchst befangen ist.
Das politische Gesamt-Opus „Eco-Mobility-Festival“ wird nachfolgend in mehreren Akten und einem Epilog dokumentiert:
Akt 1: Information der Bezirksverordneten
Die Pankower BVV informiert ihre Bezirksverordneten sehr transparent über ihre Sitzungen und Vorlagen. Der Sitzungskalender für die Sitzung des Verkehrsausschuß am 6.5.2014 wurde bereits in der Vorwoche eingestellt. Diese Form von Transparenz wurde auf Initiative der Pankower Piratenfraktion eingeführt. Bezirksamt, Bezirksbürgermeister, Bezirksverordneten und natürlich auch die Bürgerinnen und Bürger, sowie die interessierte Presse sind damit immer auf dem Laufenden.
Der Text des Tagesordnungspunktes war auch eindeutig als Vorinformation für die alle Bezirkspolitiker und Bezirksverordneten erkennbar:
„EcoMobilityWorldFestival Berlin Mai 2015 – Pankow/Prenzlauer Berg am Helmholtzplatz: Vorstellung der Festivalidee und Information über den Stand der Vorbereitungen“.
Das BVV-Büro stellt die Tagesordnung immer verabredungsgemäß 7 Tage vor der Sitzung ein. In diesem Fall war die Tagesordnung bereits am 29.4.2014 online.
Akt 2: Auftakt zur Debatte
Der zweite Akt spielte am 4. und 5. Mai im TAGESSPIEGEL und löste die umfangreiche Debatte aus. Die Pankower Allgemeine Zeitung berichtete am 4.5.2014 nur 38 Minuten später als Vorschau auf die geplante Sitzung des Verkehrsausschuß am 6.5.2014: 1 Monat diesel- & benzinfrei im Helmholtzkiez – 4.5.2014 – Pankower Allgemeine Zeitung
Akt 3: Öffentliche Reaktionen
Der dritte Akt im „innovationspolitischen Opus“ spielte am Montag und Dienstag, noch vor der eigentlichen Sitzung des Pankower Verkehrsausschuß. Um 21:45 brachte die RBB-Abendschau ihren Beitrag „Abgasfreier Helmholtz-Kiez“, in dem Stadtrat Kirchner und Ex-Staatssekretär Ephraim Gothe (SPD) für das Projekt plädierten.
Auch Bürgermeister Mathias Köhne (SPD) positionierte sich: „Das ist doch völlig irre und abwegig, das kann doch nicht sein, daß man für 20.000 Menschen, die da wohnen und unzählige Gewerbebetriebe, und hunderte … eingreift. Das kann doch nicht funktionieren!“.
Am 6.5.2014 nach der üblichen Sitzung der Stadträte twitterte Pankows Bezirksbürgermeister Mathias Köhne (SPD): „Das Bezirksamt hat heute dem Projekt autofreies Helmholtzquartier den Stecker gezogen“, was jedoch nicht ganz der Wahrheit und dem tatsächlichen Beschluß des Bezirksamtes entsprach, der eine Weiterführung des Projektes in anderer Form fordert.
Auch Köhnes Hinweis an die Presse, die Stadträte hätten erst aus der Presse von dem Projekt erfahren, stimmte nachweislich nicht. Es wurde nur offenbar: weder Bürgermeister noch einige Stadträte informieren sich über die bereits angesetzten BVV-Tagesordnungen, die längst auf der Internetseite der BVV öffentlich sind, und fragen auch nicht bei offenen Fragen nach.
Stattdessen ging das Politik-Opus in der Presse weiter, als ob es keine parlamentarischen Gepflogenheiten gibt: Bezirksamt zieht den Stecker am 6.05.2014 von Stefan Jacobs und Björn Seeling.
Akt 4: Theaterdonner im Verkehrsausschuß
Im Verkehrsausschuß der BVV war am Dienstag die Stimmung gereizt. René Waßmer vom Team-Red stellte seine geplante Konzeption des „Eco-Mobility World Festival 2015“ vor, und zeigte drei Varianten in unterschiedlicher Größenordnung in einer Powerpoint- Präsentation. Die Erfolgsgeschichte aus der koreanischen Stadt Suwon im Vorjahr wurde jedoch kaum noch zur Kenntnis genommen.
Stattdessen produzierten die Bezirksverordneten vorgefertigte und vorgefaßte Fragen und Beiträge, die eine Ablehnung des Projektes zum Ziel hatten.
Der SPD-Bezirksverordnete Roland Schröder, der schon BVV-Anträge zur Verkleinerung von PKW-Stellplätzen formuliert hatte, bezweifelte, ob es Aufgabe des Bezirks sei, ein derartiges Festival zu organisieren. Er verwies auf die Probleme bei der Durchführung der Parkraumbewirtschaftung, und mögliche Einnahmeausfälle.
Johannes Kraft (CDU) fragte in scharfer Form nach, weil er am 5.3.2014 eine große Anfrage zum Thema „Elektromobilität“ gestellt hatte, und in der damaligen Antwort des Stadtrates Kirchner keinen einzigen Hinweis auf das geplante Festival erhalten hatte. Kraft zeigte sich überrascht, unf fühlte sich offensichtlich getäuscht. Über die Art des Vorgehens zeigte sich Kraft verärgert, und unterstellte, das Kirchner dem Gedanken der „Elektromobilität“ geschadet hätte.
Stadtrat Kirchner wies jedoch auf die Vorgeschichte der Projektidee hin, die erst im April Gestalt angenommen habe, nachdem ein Gespräch mit dem Staatssekretär der Senatsverwaltung zustandegekommen sei.
Kirchner verwies auch darauf, dass er zuerst die BVV-Mitglieder informieren wollte, und räumte ein, dass die Kommunikation durch Vorveröffentlichungen „nicht geglückt sei“.
Insidern war zu diesem Zeitpunkt aber längst auch klar, das es für die Vorbereitung des Projektes schon lange interne Vorgespräche gegeben haben mußte. Solche Gespräche laufen aber üblichwerweise auch vertraulich ab, wenn man ein derartiges Projekt im Wettbewerb der Berliner Bezirke für den eigenen Bezirk gewinnen und sichern möchte.
Tagesspiegel-Autor Stefan Jacobs räumte auch in einem Vorgespräch vor Sitzungsbeginn ein, „dass er schon längere Zeit an dem Thema dran sei“.
Der Vorsitzende des Verkehrsausschuß, Wolfram Kempe (DIE LINKE) bemängelte, das so ein Projekt nicht ohne die Bürger vorbereitet werden darf: „Wenn Sie ein solches Experiment veranstalten wollen, dann hätten Sie zuerst mit den Teilnehmern des Experiments, den betroffenen Anwohnern reden müssen.“ Auch Kempe meinte, der Idee sei geschadet worden, weil die Bürger nun die Idee des Festivals mit der „Aussperrung der Autos“ verbinden.
BVV-Fraktionsvorsitzender Cornelius Bechtler (Bündnis 90/Grüne) übte Medienschelte: „Die Medien maßten sich an, selber Politik zu betreiben, was ihnen aber nicht zusteht;“ und kritisierte insbesondere den TAGESSPIEGEL, der bei manchen Themen die Tendenz zeigte, diese „totzuschreiben“.
Stadtrat Kirchner schließlich wies die Ausschußmitglieder darauf hin, „Das Bezirksamt hat auf seiner Sitzung am Dienstag empfohlen, das geplante Festival in anderer, verkleinerter Form in einem anderen Kiez zu organisieren.“
Akt 5: Versuch einer Aufklärung
Initiator René Waßmer vom Team-Red konnte auf Nachfrage nicht erklären, wie die Unterlagen zu dem Projekt vorzeitig an die Presse gelangen konnten. Er war konsterniert über die Art, wie seine Projektidee in der Öffentlichkeit zerredet wurde, die er „von vornherhein als offenen Dialog mit den Bürgern konzipiert hat“.
Eine Nachfrage bei der Pressestelle der Berliner Agentur für Elektromobilität am nachfolgenden Tage erbrachte nur den indirekten Hinweis, dass man über die Pankower Debatte sehr verwundert ist, jedoch keine zitierfähigen Kommentare abgeben möchte.
Wichtig zu wissen: der TAGESSPIEGEL ist wichtiger Medienpartner der Berliner Agentur für Elektromobilität (eMO), und veranstaltet selbst in wenigen Tagen, vom 22.05.2014 bis 23.05.2014 die „eMobility Summit des Tagesspiegel„. Die Teilnahmegebühren betragen 650 €, und werden mit wichtigen Vertretern aus Politik, Industrie und Energiewirtschaft bestritten.
Im Jahr 2013 leitete Lorenz Maroldt die „3. Tagesspiegel eMobility Summit“ mit einem Grußwort ein: „Der 3. Tagesspiegel eMobility Summit richtet den Blick auf die Zeit danach, wie in den beiden Vorjahren geht es im Tagesspiegel-Verlagshaus um einen ehrlichen, direkten Dialog.“
Die vierte Tagesspiegel eMobility Summit befasst sich übrigens mit „Vertriebserfahrungen mit den neuen deutschen Modellen“, Carsharing, intelligente Vernetzung und anderen technologischen Aspekten, sowie mit den politischen Rahmenbedingungen, und dem Stand der Schaufenster-Projekte.“
Epilog:
Andreas Knie vom Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) in Schöneberg kritisierte die Pankower Entscheidung am 8.Mai 2014 mit harschen Worten. Auf die Frage, ob er die Entscheidung für Richtig befindet, antwortete er:
„Nein! Im Gegenteil, sie ist falsch und ein Skandal erster Güte. Berlin redet immer davon, dass dies die Hauptstadt der Elektromobilität werden soll. Aber wenn es dann losgehen soll, wenn es endlich mal konkret werden soll, knicken die Verantwortlichen ein. So war es auch hier. Der SPD-Bezirksbürgermeister von Pankow hat die Idee einfach abserviert, bevor es zu einer Diskussion mit den Bürgern kommen konnte. Das ist Provinzpolitik. So wird das nie was mit Berlin.“
Der Geschäftsführer der Berliner E-Mobilitätsagentur reagierte heute in einer Meldung auf RADIOEINS auf die vermeintliche „Absage“ des Projekts in Pankow, und will nun einen anderen Berliner Bezirk für das Eco-Mobility-Festival 2015 gewinnen.
Gleichzeitig meldet sich heute der Generalsekretär des Weltstädteverbandes Iclei, Gino Van Begin in der BERLINER ZEITUNG zu Wort: „Dieses Festival ist eine Chance für Berlin, sich als Stadt der Zukunft zu profilieren“, sagte er.
Berlin ist übrigens in der 14.Wahlperiode mit seinen „Entwicklungspolitischen Leitlininen“ selbst aktiv geworden, und hat sich unter Klaus Wowereit und der damaligen Wirtschaftssenatorin von Friesen bereit erklärt, dem Städtenetzwerk ICLEI (wie auch anderen Netzwerken) beizutreten (Drucksache 14 /1597 vom 23. Oktober 2001).
Auch Ideengeber und Kreativdirektor der Eco-Mobility-Festivals Konrad Otto-Zimmermann lässt sich heute in der BERLINER ZEITUNG (ebda.) zitieren: „Wir wollen selbst mit den Bürgern im Helmholtzkiez sprechen“.
Die Initiatoren des „“Eco-Mobility-World-Festivals“ wollen nicht einfach aufgeben, sondern den Bürgerinnen und Bürgern die Exklusivität des Projektes deutlich machen:
„Die Bewohner können einen Monat lang eine neue Zukunft erleben. Sie müssen überlegen, ob sie einmal in ihrem Leben diese Chance haben wollen“, sagte der Umweltpolitiker und frühere Verwaltungswissenschaftler. Es gehe um ein soziales Experiment, nicht nur um ein Verkehrsprojekt. Berlin sei dafür der geeignete Ort in Europa. „Die Stadt ist innovations- und experimentierfreudig“, sagte Otto-Zimmermann.
Wie es nun weitergeht, ist noch offen!
Auch Pankows Bezirksbürgermeister Mathias Köhne (SPD) muß über seine eigene Zukunft und die Zukunft seines Bezirks nachdenken. Parteiintern wird sein Auftreten längst hinter vorgehalteter Hand als ungeschickt kritisiert, und man fürchtet um die eigene „Zukunftskompetenz“.
Köhne steht im Mai auch noch eine besondere Vorführung und Bewährungsprobe bevor: er muß den Pankower Bürgerinnen und Bürgern erklären, wieso er einen Innovationstag des Bundeswirtschaftministeriums (BMWI) am 22.Mai 2014 in Niederschönhausen im Pankower Wirtschaftsportal ankündigt, und bei einer so einzigartigen bundesweit wirksamen Veranstaltung, mit über 300 Firmen und vielen Multiplikatoren entscheidender Schlüsselbranchen, nicht einmal als Festredner und oberster Wirtschaftsförderer des Bezirks Pankow auftritt. m/s
Weitere Informationen:
21. Innovationstag Mittelstand des BMWi am 22. Mai 2014 – AIF GmbH, Tschaikowskistr. 49 – 13156 Berlin-Pankow
Sehr gute und umfassende Darstellung!
Das Bezirksamt soll nun halt eine (briefliche) Einwohnerabstimmung in dem betroffenen Gebiet veranstalten, ob das Festival und der Verbrennungsmotor-freie Monat stattfinden sollen. Das kann ggf. auch mit einem Einwohnerantrag auf die Tagesordnung gesetzt werden.
Sehr detailliert, informiert und besonnen geschrieben Herr Springer!
Berlins dümmster Bürgermeister hat mal wieder zugeschlagen!
Gott sei Dank bemerkt jetzt auch der Rest der Welt wie verblödet der Prenzlauer Berg mittlerweile ist. Hier geht nichts! Knie sieht das ganz richtig. Und der Rest von Berlin ist auch nicht viel besser.
Diese „Rocky Horror Picture Show“ mit Köhne, Kempe, Schröder und Co. hat bisher alles verhindert was irgendwie mit Innovationen zu tun hat. Und Pankow ist ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht innovative Veränderungen zu vereiteln. Die
Prenzlberger GroKo, aus SUV-Idioten und „Alteingesessenen“ Berufs-Ossis, vor der Köhne schlotternd in seinen zu großen Stiefeln steht, wird dafür schon sorgen. Besonders lustig: Man ist bereits dagegen, bevor man überhaupt weiß worum es geht. Bzw. Genosse Köhne weiß bereits ganz genau was seine Untertanen wollen. Die wiederum wollen zwar gefragt werden sind aber sowieso immer dagegen, wenn es um irgendwelche Veränderungen geht. Abwehr ist nun mal die ur-eigenste Geste der Spießer.
Die Vorstellungskraft und Kreativität in diesem (Teil-)Bezirk reicht nicht über das hinaus was gerade ist. Diese Art geistigen Zuschnitts verortet der durchschnittliche Metropolenintellektuelle normalerweise im tiefsten Bayern oder in Texas und bemerkt dabei gar nicht, dass er selbst im eigenen Kiez mitten zwischen diesem Mob steht und allzuoft selbst mitgrölt, wenn das was er für „authentisch“ hält, sich vielleicht mal etwas verändern könnte.