Freitag, 29. März 2024
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eMüll-Government in Berlin

e-Müllgovernment: Ordnungsamt Pankow

Rund 800 Tonnen Müll und Sperrmüll landen jährlich auf Berlins Straßenland, auf Bürgersteigen, an Straßenrändern und in Dreckecken. Die Verursacher wohnen im Wohnumfeld. Als Spätfolge einer Möbel-Rabatt-Aktion, als Partyfolgen oder Umzugsfolgeerscheinung werden sogar Sofas, Couchgarnituren und Schränke auf öffentlichen Straßenland abgestellt. Die jeweilige Bezirke müssen die Kosten der Entsorgung tragen, und dafür an anderer Stelle im Haushalt sparen. Einen Einblick gab die gestrige FOCUS-TV-Reportage.

Mit dem plakativen Titel „Müll-Chaos im Kiez – warum Berlin im Dreck versinkt“ berichtete die Sendung von der Arbeit des Ordnungsamtes Pankow, deren Mitarbeiter des Allgemeinen Ordnungsdienstes auch an einem Wochenende im Monat den Sperrmüll- und Abfallsündern nachspüren.
Oft bleibt nur die Möglichkeit, die Fundstelle an die BSR weiter zu melden, die dann bei der nächsten Sammeltour „hausnummerngenau“ anfährt, einsammelt und abtransportiert. Der Müll vor dem Nachbarhaus bleibt liegen, bis das Ordnungsamt auch diesen Fall an die BSR weitermeldet – und damit die Kosten übernimmt.

Ob der in Hamburg gewählte Weg mehr Erfolg verspricht, ist fraglich: Mülldetektive können lediglich etwas Abschreckung verbreiten, und hätten in Pankow mit seinen 105 Quadratkilometern wohl ein zu großes Aufgabenfeld.

Ist das smart? Durcheinander von Bringepflichten, Abhol-Service & Kostentragung

Berlin hat zwar eine „Smart-City-Strategie“, aber beim leidigen Thema Sperrmüll und wilde Ablagerungen hat man bisher nur auf Seiten der Berliner Stadtreinigung konzeptionell nachgedacht: die Verbesserung der Servicefreundlichkeit, bei angemessener Kostenbeteiligung, und dazu ein frisches Image der Männer und Frauen in „Orange“, haben tatsächlich das „Abfallbewußtsein“ gestärkt.

Doch blickt man in die Details, so gibt es ein Durcheinander bei Recycling- und Rücknahme-Systemen, bei Bringepflichten, Abhol-Service und bei der Kostentragung. Auch die Dienste der BSR sind erst auf den zweiten Blick klar durchschaubar, vorausgesetzt man ist der deutschen Sprache mächtig.

Bei Elektrogeräten gibt es seit 1.Juli 2016 die gesetzliche Rücknahmeverpflichtung beim Handel. Für Möbel, Küchenmöbel und Sitzmöbel gibt es eine solche Rücknahmepflicht nicht. IKEA nimmt aber seit 2014 auch alte „abgerockte Billy-Regale und Pax-Kleiderschränke“ zurück, wenn man uralten einen Kassenbon vorlegen kann. Bei Höffner kann man sich gegen geringes Entgelt auch von Altmöbeln trennen, vorausgesetzt man hat gerade neu gekauft und wird vom Montage-Service direkt beliefert.

Problematisch: Gartenabfälle im Umfeld von Kleingartenanlagen

In der FOKUS Reportage wurde auch der Umgang mit Gartenabfällen vorgeführt: hier ist es besonders schwer die Verursacher dingfest zu machen. Besonders im Umfeld von Kleingärten und Einfamilienhaus-Siedlungen sieht man oft wild entsorgte Abfallecken. Das bewährte System mit „Laubsäcken“ funktioniert: die für eine Füllmenge von 90 Litern Laub- und Grünabfall ausgelegten Plastiksäcke der BSR kosten jeweils 4 € und können mit maximal 25 kg befüllt werden. Die Säcke werden besonders im Herbst von Gartenbesitzern und Gartenfreunden genutzt, dürfen einfach an den Straßenrand gestellt werden. Die Abholung ist im Kaufpreis inbegriffen. Doch das System verleitet besonders sparsame Mitbürger zur Nachahmung: sie stellen auch blaue Müllsäcke daneben und die bleiben liegen, bis das Ordnungsamt informiert wird.

Mauerweg: Mülllproblem am Wochenende
Mauerweg: Mülllproblem am Wochenende – schnelle Entsorgung, bevor Fuchs, Krähen und Wind den Müll verteilen können!

BSR-Sperrmüllabfuhr

Die Berliner Stadtreinigung ist als Eigenbetrieb des Landes Berlin mit Entsorgungsaufgaben beauftragt. Bei der Sperrmüllabfuhr gibt es jedoch auch Konkurrenz: private Sperrmüll-Entsorger sind ausdrücklich zugelassen.

Die Serviceseite der BSR ermöglicht eine bequeme Beauftragung: „Fünf Kubikmeter (5 m³) Sperrmüll holen wir für 50 € ab!“ Und man erläutert sogar in Beispielen: „Was sind fünf Kubikmeter (5 m³)?“

Doch die Kosten in Höhe von 50 € schrecken offenbar viele Kiezbewohner ab. So wächst das Problem: sobald im Kiez große 1,1 Kubikmeter-Müllbehälter durch Abfalltonnen ersetzt sind, werden sperrige Abfälle neben Tonnen und im Straßenland abgestellt. Mangels geeigneter Transportfahrzeuge wird auch der Weg zum BSR-Recyclinghof gespart.

Relativ unbekannt ist der BSR-Sperrmüll-Service für die Wohnungswirtschaft, obwohl es nur zwei Menüpunkte weiter ausführliche Hinweise gibt. Die BSR bietet eine maßgeschneiderte Sperrmüll-Entsorgung für Kunden der Wohnungswirtschaft:

– Express-Sperrmüll-Abfuhr
– Abholung innerhalb von zwei Werktagen.
– Regelmäßige Sperrmüllsammeltouren
– Tandemtour mit zusätzlicher Elektrogerätesammlung
– Haushaltsauflösungen.

Die Hausmeister-Karte der BSR erlaubt auch eine flexible Lösung, um Sperrmüll direkt zu entsorgen. Die Kosten landen dann zielgenau bei den Verursachern, denn Hauswarte und Hausverwaltung können versacherbezogen oder über die Nebenkostenabrechnung zur Kasse bitten.

eMüll-Government mit der Ordnungsamt-App

In Brandenburg gibt es schon lange den MAERKER. Die Idee für den MAERKER ist nun schon zehn Jahre alt, und stammt ursprünglich aus England. Bereits seit 2012 dachte der Berliner Senat über eine Einführung nach und kündigte die Einführung für 2013 an (Drucksache 17/0687 27.11.2012). Auch Pankow sollte dabei mitmachen: „“Maerker” statt „Sheriff“ für Pankow | 21.01.2014 | Pankower Allgemeine Zeitung). Doch erst in diesem Jahr war es soweit, Berlin wollte es besser machen, als das dünnbesiedelte Brandenburg – und bekam die Mobile App Ordnungsamt-Online.
Der für die Informationstechnik zuständige Innensenator Frank Henkel präsentierte die App im Juni. Publikumswirksam hockte er sich „vor die Materie“, und gab die erste Meldung ein. Die BZ behandelte das Thema bissig und schrieb: „Neue Idee für Berlin | In zehn Bezirken können Sie jetzt die Blockwart-App nutzen.“(BZ 1.7.2016).

Die vom Land Berlin zur Verfügung gestellte mobile Applikation “Ordnungsamt-Online” verändert das Zusammenspiel von Bürgern, Verwaltung und Entsorger. Nach den Intentionen der Verwaltung ermöglicht die Anwendung, „… allen Bürgerinnen und Bürgern das Melden von Störungen im öffentlichen Raum. Ihre Meldung wird an das jeweils zuständige Bezirksamt weitergeleitet.“

Störungen können unter anderem sein:
– Illegale Müllablagerungen
– Lärmbelästigungen
– Störungen im ruhenden Verkehr.

Natürlich dauerte es nicht lange, und der erste Übeltäter wurde präsentiert: Im Bezirk Tempelhof-Schöneberg wurde der CDU-Wahlkampfbus beim Falschparken ertappt.

Ob die mobile Applikation “Ordnungsamt-Online” bei nächtlichen Ruhestörungen hilfreich ist, darf angesichts der Sprechzeiten des Ordnungsamtes bezweifelt werden. Unmittelbare Unterstützung wird sicher weiterhin die Polizei leisten müssen.
Auch bei der Anzeige und Beseitigung von „illegalen Müllablagerungen“ wurde offenbar nicht im „Smart-City-System Berlin“, sondern nur im behördlichen Zuständigkeitsbereich „Öffentliche Ordnung“ nachgedacht.
Die Folge: da Ordnungsamt wird nun unmittelbar verantwortlicher Teil einer Prozesskette und muss die Meldung an die BSR zur Beseitigung beauftragen.

Sondernutzung des Gehweges
Allgemeine Ordnungsaufgabe: Sondernutzung des Gehweges. Verkehrsraumüberwacher nur für Parkraum zuständig

Aus Verwaltungssicht und eGovernemt-Perspektive geschieht damit eine nicht beabsichtige „Verantwortungs-Verlagerung“ bei den öffentlichen Leistungen:

Die entsorgungspflichtige Körperschaft Land Berlin, die mit der BSR einen Eigenbetrieb des Landes Berlin mit der Abfallbeseitigung beauftragt, bekommt in den bezirklichen Ordnungsämtern eine weitere „entsorgungsanzeigepflichtige Dienststelle“ an die Seite gestellt.
Statt den Bürger mehr in die Verantwortung zu nehmen, und entsprechenden Service der BSR mit einer App zu verbessern, wird nun ein „eMüll-Government-Schnörkel“ institutionalisiert, bei dem am Ende mehr Sperrmüll auf der Straße landet.

Bei 800 Tonnen Entsorgungsmenge im Jahr kann man leicht ausrechnen, ab wann die Personalkosten des „Smart-City-Systems“ die Abfuhrkosten übersteigen.

Die beiden Pankower Freunde der Ordnungsamts-App, Frank Henkel und Dr. Torsten Kühne müssen sich vermutlich nochmals in die Thematik hineinknien. Statt Mülldetektiven wie in Hamburg gibt es ja noch die BSR-Scouts, die Ordnungsämter zielgenau entlasten können.

Die Idee mit der „Sperrmüll-Plane“ stand auch schon in der Zeitung. Vielleicht ist besser, Service- und Ordnungsaufgaben klar voneinander zu trennen, damit der Bürger in die Verantwortung genommen werden kann!

LESERAKTION:
G´scheit & glamorös – Ideen und Lösungen für die Smart City Berlin

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Weitere Beiträge zum Thema Ordnungsamt:

Der „Stadtrat für Staatsversagen“ | 9.6.2016 | Pankower Allgemeine Zeitung

a/m