Die EU-Kommissoon hat sich neu formiert, Günter Oettinger (CDU), ehemaliger Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg und zuvor EU-Kommissar für Energie, übernimmt das neue Amt als EU-Kommissar für Digitalwirtschaft. Die EU hat damit ein wichtiges Amt neu besetzt, das die 2010 vorgelegte Digitale Agenda der EU umsetzen soll.
Strategie Europa bis 2020
Die von der Europäischen Kommission vorgelegte digitale Agenda stellt eine der sieben Säulen der Strategie Europa 2020 dar, die Ziele für das Wachstum der Europäischen Union (EU) bis 2020 festlegt. Diese digitale Agenda schlägt eine bessere Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) vor, um Innovation, Wirtschaftswachstum und Fortschritt zu fördern.
Mit Mitteilung der Kommission vom 19. Mai 2010 an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Eine Digitale Agenda für Europa“ wurde die digitale Agenda im Entwurf vorlegt.
Der mittlerweile vier Jahre alte Entwurf reagiert auf die strukturellen Schwächen in Europa, die man seit der Finanzkrise 2008 erkannt hat, und versucht eine Wachstumsstrategie zu beschreiben, die die Umsetzung des digitalen Binnenmarkts zu Ziel haben.
Die Öffnung des Zugangs zu legalen Online-Inhalten ist eine Daueraufgabe, die Vereinfachung elektronischer Zahlungen und Rechnungsstellung mit dem Euro-Zahlungsverkehrsraum SEPA ist bereits umgesetzt.
Bereits 2010 stellte man im Entwurf der digitalen Agenda fest: „Der europäische Online-Markt leidet an mangelndem Vertrauen der Nutzer in Zahlungssicherheit oder Wahrung der Privatsphäre.“
Heute beherrscht die Debatte um die Tätigkeit der Geheimdienste und das unbegrenzte Abhören der digitalen Dienste weltweit das Vertrauen in Internet-Technologien – und löst dabei bereits neue Innovationen und neue Investitionen in abhörsichere Technologien aus.
Weit reichende Zielstrategien ohne Bodenhaftung
In der digitalen Agenda sind weit reichende Zielstrategien formuliert, die gewaltige Innovationen und Investitionen voraussetzen:.
– Telekommunikationsdienste vereinheitlichen,
– nationale Nummerierungssysteme und Frequenzbänder harmonisieren,
– verbesserte Interoperabilität und Normung: Geräte, Anwendungen, Datensammlung, Dienste & Netze
– Stärkung des Vertrauens und der Online-Sicherheit,
– Bekämpfung der Cyberkriminalität und Online-Kinderpornografie
– Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten
– Maßnahmen im Bereich der Netz- und Informationssicherheit
– Bekämpfung von Cyberangriffen.
Bedeutsam ist die Förderung eines schnellen und ultraschnellen Internetzugangs, die sog. Breitband-Strategie, denn Europa benötigt schnelle und ultraschnelle Internetzugänge, die allen zur Verfügung stehen und kostengünstig sind.
Ferner sollen Investitionen in Forschung und Innovation im Bereicht der IKT-bezogenen Forschung und Entwicklung erhöht werden.
Digital Divide – die digitale Teilung der Gesellschaft
Das größte Zukunftsproblem: Wenngleich das Internet zum Alltag vieler EU-Bürger gehört, sind bestimmte Bevölkerungsgruppen weiterhin von der Medienkompetenz in der digitalen Welt ausgeschlossen. Darüber hinaus leidet die EU an einem Fachkräftemangel im IKT-Bereich. Insbesondere Älter spüren es bereits am eigenen Leib: wenn Banken auf Online-Banking setzen, und die Filiale im Kiez schließen, dann erreicht der digitale Wandel die Lebenswelt.
Digitale Kompetenz stärken
Zur Förderung der Beschäftigung im IKT-Bereich schlägt die Kommission vor, der digitalen Kompetenz und Kultur im Rahmen des Europäischen Sozialfonds Vorrang einzuräumen. Außerdem möchte sie Instrumente entwickeln, um Kompetenzen professioneller IKT-Anwender und -Benutzer zu ermitteln und anzuerkennen. Auf diese Weise soll ein europäischer Rahmen für IKT-Professionalität geschaffen werden.
Zugleich sollen alle EU-Bürger befähigt werden digitaler Dienste zu nutzen. Barrierefreiheit im Web und die im Rahmen der Richtlinie „Audiovisuelle Mediendienste“ gesetzen Anforderungen sollen umgesetzt werden.
Intelligente Nutzung der Technologie für die Gesellschaft
Die digitale Strategie will das durch die IKT-Nutzung entstehende Potenzial besser nutzen, und zählt dabei einen Katalog quasi heilsversprechender Nutzungen auf:
– im Bereich Klimawandel durch Partnerschaften mit den großen emissionsverursachenden Sektoren;
– in Bezug auf die Alterung der Gesellschaft durch Online-Gesundheitsfürsorge und telemedizinische Systeme und Dienste;
– bei der Digitalisierung von Inhalten durch die Europeana-Bibliothek.;
– im Bereich der Einführung intelligenter Verkehrssysteme in Europa durch Anwendung der vorgeschlagenen Richtlinie.
Doch ist diese nun rund 4 Jahr alte digitale Strategie noch ausreichend? Hat man etwas vergessen? Wie sieht es mit dem Faktor Arbeit aus? Wie mit den Beschäftigungseffekten? Welche Wertschöpfung wird mit den neuen IKT-technologien verbunden?
Es sieht so aus, als sei die EU-Kommission zum Thema „Digitalisierung“ noch nicht „fit“, um eine sozialverträgliche und nachhaltige Zukunft zu planen!
Das Internet der Dinge drängt mit Macht
Die erste iPhone-Generation startete im Januar 2007, ein Jahr vor der weltweiten Finanzkrise. Als die digitale Agenda der EU-Kommission entworfen wurde, war bereits die dritte iPhone-Generation auf dem Markt.
Inzwischen ist viel Zeit vergangen, und es hat einen gewaltigen weltweiten Umbruch gegeben. Das Smartphone als „Ding“ mit „eingebauten Internet“ treibt das Internet der Dinge mit allergrößter Macht an.
Als die digitale Agenda der EU die nationalen Parlamente und Regierungen erreichte, verabschiedete sich gerade der wohl aussichtsreichste europäische Konzern NOKIA im Bereich der Mobilfunk- und Smartphone-Technologien gerade aus der Unabhängigkeit – wurde zur Tochtergesellschaft des US-Konzerns Microsoft.
Mit dem strategisch bedeutsamen Verlust von SIEMENS-Mobilfunk-Patenten beim Verkauf der insolventen Fa. SIEMENS-BENQ wurde bereits 2005 der Grundstein für den Aufschwung der asiatischen Mobilsfunk- und Smartphone-Technologie gelegt, die heute mit SAMSUNG einen der größten weltweiten Konzerne antreiben.
Inzwischen zahlen sich gewaltige Investitionen in Smartphone-Technologien in USA, Korea und China aus – Europa ist hier auf die Entwicklung von „Anwendungen“ und „Diensten“ zurückgeworfen – ohne neuen Chancen auf „Systemführerschaft“.
„Fit“ für die Digitalisierung?
In Kommentaren und Stellungnahmen werden die Bedeutung der Digitalisierung und der existenzbedrohende Wandel behandelt. Doch bleiben die Autoren seltsam unkonkret: „Digitale Wirtschaft: Nennen wir es doch Neuland„.
Mit ihrem Wort vom „Neuland“ hat Kanzlerin Angela Merkel eine Diskussion um europäische „digitale Hinterwäldlerei“ und das „digitale Posemuckeltum“ zugekleistert.
Plötzlich ist es chic geworden, sich wie ein „staunendes Kind“ gegenüber der digitalen Revolution zu verhalten, statt sich in Labor und Werkstatt zu begeben, und nach neuen Erfindungen und Investitionschancen und realen Strategien zu suchen.
Der geplante Börsengang der „Copycats“ ZALANDO und ROCKET INTERNET überspielt dabei die Szenerie – denn hier werden nur Anwendungen, nicht aber neue führende Systeme entwickelt.
Die weltweite Systemführerschaft für das „Internet der Dinge“ liegt in Kalifornien, und in Korea und China holt man mit Macht und gewaltigen personellen Ressourcen auf.
Die UBER-App bekommt 11 Mrd. Dollar Risiko-Kapital – das ist etwa ein Achtel des jährlich in Kalifornien verfügbaren Risikokapitals, das sich aus traumhafen Erträgen transnationaler Internetkonzerne und Privatinvestoren speist.
Experten schätzen: jährlich fließen rund 1,6 Billionen € aus Europa ab – und füllen über Lücken im internationalen Steuerrecht die „Konzersteueroasen“ und „Risikokapital-Kassen“ auf.
„Fit“ für die Digitalisierung – eine hilflose Leerformel droht in Europa zur „Politik“ zu werden, die wiederum teure Fehlsubventionen auslöst – nur um einer weltweit scheinbar unaufhaltsamen Entwicklung hinterher zu laufen.
Wie machen wir Taxifahrer fit für die Digitalisierung? – Die UBER App zeigt: digital geht es nicht – ohne eine Marktregulierung wird es am Ende keine Taxis mehr geben.
Wie machen wir Verkäuferinnen fit für die Digitalisierung? Karstadt zeigt: der Verkäuferberuf wird verdrängt. Der Online-Handel wächst – und bald drohen ganze Innenstädte in „Ausstellungs-Räume“ mit Kundenservice verwandelt zu werden. Online-Payment und das Amazon-FirePhone machen es möglich, sich Waren anzuschauen, und noch im Angesicht des Verkäufers beim Online-Händler zu bestellen, ohne an der Ladenkasse zu bezahlen.
Wie machen wir Lagerarbeiter fit für die Digitalisierung? Etwa mit Schrittzählern im Logistik-Zentrum, 32km Tagessoll – oder sollen wir doch ersatzweise Lageerroboter einsetzen?
Inzwischen es geht durch alle Berufe, das Internet der Dinge kommt – wir holen es uns in die Jackentasche.
Die Welt der Lohnarbeit wird kleiner
Schon jetzt ist erkennbar: Lohnarbeit und aufwändige Dienstleistungen werden substituiert – die Welt der Lohnarbeit wird verkleinert. – Wie klein die Welt der Lohnarbeit werden kann, das wird bislang nicht erforscht.
Schon jetzt ist der Trend erkennbar: der Mensch verliert – die digitalen Dienste, Automaten und Roboter werden gewinnen!
Es könnte auch sein, die Zivilisation wird zerstört, weil es zu einem Zustand kommt, in dem Menschen nicht genug Geld verdienen, um Wohnung, Nahrung und Leben zu organisieren.
Wie „fit“ ist die Politik für die Digitalisierung?
Die Fragen für die Betroffenen der Digitalisierung werden drängend:
Taxifahrer, Verkäuferinnen und Lagerarbeiter fragen sich längst: Wieviel bleibt monatlich „nach Digitalisierung“ für mich übrig?
Wann machen eine App, ein Internet-Dienst, ein Automat oder ein Roboter meinen Job? Wann arbeitet die Crowd – und macht meinen Job einfach ehrenamtlich oder für kleinstes Geld?
Die größte Frage für die Politik lautet: „Wieviel Geld bleibt noch im Land, um Politik zu gestalten – wenn die Systemführer in USA und Asien und in weltweiten Data-Centern sitzen? Sind wir noch fit genug, um im Internet der Dinge maßgeblich mitzureden?
Die Zukunftsfrage für alle Bürgerinnen und Bürger lautet: “
Wieviel Politik ist überhaupt möglich, wenn es sich bei der Digitalisierung um einen unaufhaltsamen Innovationsprozeß handelt?