Freitag, 19. April 2024
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der Trug der richtigen Chemie

Hirndoping für Führungskräfte:
der Trug der richtigen Chemie

Oberbergkliniken -Berlin-Brandenburg

Der Druck ist groß, die Pillen sind verfügbar. Immer mehr Angestellte lassen sich zum sogenannten Gehirndoping verleiten: Sie putschen sich mit Medikamenten auf, um beruflichen Stress zu meistern und der Arbeitsbelastung standzuhalten. Führungskräfte sind oft auch betroffen. Anlässlich des aktuellen Kongresses der „Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde“ (DGPPN) vom 25. bis 28. November in Berlin erläutert Christoph Middendorf, medizinischer Geschäftsführer der Oberbergkliniken, wie schnell sich leitende Angestellte zum sogenannten Hirndoping verleiten lassen und wie hoch das Suchtpotential wirklich ist.

Oberbergkliniken -Berlin-Brandenburg
Oberbergkliniken -Berlin-Brandenburg – Bildquelle: Oberbergkliniken

Auf den ersten Blick wirken die Zahlen niedrig, auf den zweiten sind sie alarmierend: Laut dem DAK-Gesundheitsreport 2015 stieg der Anteil der Beschäftigten, die Gehirndoping betreiben, innerhalb von sechs Jahren von 4,7 auf fast 7 Prozent *. Die Autoren des Reports schätzen, dass inklusive Dunkelziffer sogar fast doppelt so viele Angestellte betroffen sind.
Was das Phänomen so interessant macht: Es steht nicht außerhalb der Gesellschaft, sondern mittendrin. Das zeigt auch die Relevanz des Themas während Europas größter Fachtagung zur psychischen Gesundheit in Berlin. Das sogenannte Cognitive Enhancement (Neurodoping) ist dort eines der großen Themen.

Christoph Middendorf
Christoph Middendorf – Bildquelle: Oberbergkliniken

Überlastung gilt unter Topmanagern oft als Tabuthema

Wer in der Arbeitswelt zu Aufputschmitteln greift, will funktionieren, sich zwischen lauter Leistungsträgern beweisen oder zumindest nicht versagen.

Für Führungskräfte gilt das besonders: „Sie erfüllen eine sehr verantwortungsvolle Position, müssen hohen inneren und äußeren Erwartungen gerecht werden, schlafen viel zu wenig und haben oft nur wenig Gelegenheit, zur Ruhe zu kommen. Um all dem standzuhalten, ist Hirndoping ein vermeintlich einfacher Weg. Doch dieser Schein trügt“.

Einer der wenigen Topmanager, die mit dem Thema offen umgehen, ist Hartmut Ostrowski. Der ehemalige Bertelsmann-Chef berichtete nach seinem Rücktritt Ende 2011 davon, dass er unter Beklemmungs- und Angstzuständen litt und Medikamente genommen habe, um den stressigen Arbeitsalltag zu bewältigen. Letztlich konnte er einfach nicht mehr und gab seine Position völlig ausgebrannt auf.

Mit Gesprächstherapien und viel Sport fand er zurück zu seiner inneren Balance und ist heute sein eigener Chef: Er investiert in Start-ups und berät die Gründer der jungen Firmen.

Betablocker für die Nerven, Ritalin gegen die Müdigkeit

Für leitende Angestellte, die oft eine einsame Position im Unternehmen haben und nur selten offen ihre Überbelastung ansprechen können, versprechen rezeptpflichtige Medikamente eine einfache Lösung. Ein paar Betablocker vor der nächsten Vorstandssitzung, um weniger aufgeregt zu wirken. Ein wenig Ritalin gegen den Schlafmangel und für die volle Konzentrationsfähigkeit in der nächsten Verhandlungsrunde. Auch Beruhigungsmittel stehen hoch im Kurs. Sie kommen sogar noch häufiger zum Einsatz als Substanzen zum Neurodoping. Zum Beispiel hilft eine Dosis Diazepam Betroffenen, um nach nächtelanger Arbeit wieder entspannen zu können. „Doch der Schritt vom Medikamentenmissbrauch zur -sucht ist schneller gemacht, als viele denken.“

Therapiesituation in den Oberbergkliniken
Therapiesituation in den Oberbergkliniken – Bildquelle: Oberbergkliniken

„In Deutschland sind schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen abhängig von Medikamenten mit Suchtpotenzial. Dabei leiden die meisten unter einer Abhängigkeit von Beruhigungsmitteln wie Benzodiazepinen (zum Beispiel Valium oder Tavor) oder vergleichbaren Substanzen (sogenannten ZSubstanzen wie Stilnox).

Bei Missbrauch oder langjähriger Anwendung solcher Mittel kann es zu einer Suchtentwicklung kommen – mit langwierigen körperlichen und psychischen Entzugserscheinungen –, die sich nicht wesentlich von einer Alkohol- oder Drogensucht unterscheidet.“

Fakten im Überblick

Kleine Pillen mit hohem Suchtpotenzial

Nicht nur die Einnahme von Benzodiazepinen ist riskant. Auch wer Neurodopingmittel über einen längeren Zeitraum einnimmt und dann absetzt, kann Entzugserscheinungen entwickeln: Der Körper reagiert zum Beispiel mit Kopfschmerzen, Übelkeit oder innerer Unruhe. Auf die Psyche wirkt sich die gehäufte Einnahme aus, indem das unbedingte Verlangen nach dem Medikament immer größer wird. Das chemische Hilfsmittel wird zum Lebensmittelpunkt und die Gedanken drehen sich vor allem um die „erlösende“ Wirkung des Stoffs. Damit es erst gar nicht so weit kommt, ist es wichtig, die eigenen Grenzen anzuerkennen: „Wer immer wieder von Neuem versucht, diese zu überschreiten, entwickelt irgendwann das Bedürfnis zu dopen.“ Können sich Betroffene selbst nicht mehr aus ihrer kritischen Lage zwischen Leistungszwängen und Leistungspushern befreien, bietet eine ambulante oder auch stationäre Behandlung Hilfe.

Herr Christoph Middendorf ist medizinischer Geschäftsführer der Oberbergkliniken,
die unter anderem auf Abhängigkeitserkrankungen spezialisiert sind.


Die Oberbergkliniken sind Ansprechpartner für Menschen mit Depressionen, Abhängigkeitserkrankungen, Burn-out, Zwangs-, Angst- und Panikstörungen sowie Traumafolgestörungen.
In den Akutkliniken wird eine intensive, individuelle und innovative Psychotherapie nach dem Oberberg Konzept angeboten. Im Vordergrund des Heilungsprozesses stehen das persönliche emotionale Profil und der achtsame Umgang mit den inneren Ressourcen der Patienten. Die Oberbergkliniken arbeiten nach dem Prinzip eines integrativen Konzepts, das die Bereiche Gesundheit, Medizin und Gesellschaft verbindet.
Die Selbstverantwortung und die Persönlichkeitsentwicklung der Patienten werden gefördert.
Das Arzt/Therapeuten-Patienten-Verhältnis von 1:2 gewährleistet beste Therapiemöglichkeiten.

Die Kliniken sind an den Standorten Wendisch Rietz in Brandenburg, Hornberg im Schwarzwald und in Extertal-Laßbruch im Weserbergland vertreten. Darüber hinaus wird in 17 zentral gelegenen Oberberg-City-Standorten, u. a. in Berlin, München und Trier zusätzlich eine prä- und poststationäre psychotherapeutische Behandlung angeboten.

Weitere Informationen:

www.oberbergkliniken.de

* DAK-Gesundheitsreport 2015, S. 93 ff.

m/s