Die Gentrifizierung und Mieterverdrängung in Prenzlauer Berg geht weiter. Am Senefelder Platz ist nun eines der wichtigsten stadtbildprägenden Eckhäuser betroffen, das Eckhaus Kollwitzstraße 2 / Saarbrücker Straße. Zwei Gaststätten, die in vielen Stadtführern zu finden sind, befinden sich in dem Haus: das „Courage“ und das „Chagall“. Am letzten Sonntag trafen sich hier Mieterinitiativen aus Berlin zur Demonstration.
Aufgerufen hatte das Netzwerk Pankower Mieterforum, das von Oleg Myrzak aus dem Gleimviertel initiiert wurde, und von Mitgliedern aus dem Bürgerverein Gleimviertel getragen wird. Aus Alt-Pankow kamen Mieter vom Bündnis Pankower Mieterprotest, in dem sich 16 Hausgemeinschaften von GESOBAU-Häusern zusammengeschlossen hatten. Auch vom Schmargendorfer Mieterprotest und aus der Siedlung „Am Steinberg“ waren Mieter nach Prenzlauer Berg gekommen.
Die Sommer-Aktion lud zu einem Sit-in mit dem Titel: „Mieter auf die Straße… setzen!“ – Ein großer Banner kündete von dem Ereignis, zu dem sich nach und nach über 100 Betroffene und ihre Kinder versammelten.
Eingeladen waren auch Politiker aus der Pankower BVV und dem Berliner Abgeordnetenhaus, um sich den Fragen der Mieter zu stellen. Stefan Gelbhaar (MdA – Bündnis 90/Grüne) und Klaus Lederer (MdA DIE LINKE) waren mit dabei. Dr. Michail Nelken (DIE LINKE) war als Vertreter des Bürgervereins Gleimviertel und in Doppelfunktion als Bezirksverordneter mit dabei. Ebenso informierten sich Bezirksverordnete aus Tempelhof/Schöneberg (Piraten) und Neukölln.
Gaststätten seit 1876 im Eckhaus
Das Eckhaus wurde 1876 errichtet. Damals hieß die heutige Kollwitzstraße noch Weißenburger Straße. Der heutige Senefelder Platz wurde erst am 7. Juni 1896 so benannt; vier Jahre nachdem man das Denkmal von Alois Senefelder auf dem Stadtplatz aufgestellt hatt. Der Theaterschriftsteller, Sänger, Musiker und Komponist war auch Erfinder der Lithografie. Zuvor hier der Stadtplatz Thusneldaplatz – nach Frau des Cheruskerfürsten Hermann.
Von Gründerzeit bis in die goldenen Zwanziger Jahre war die Gegend um den Senefelder Platz durch die Brauereien Bötzow und den Königsstadtpalast geprägt. Cafés und Restaurants waren schon immer in dem Eckhaus etabliert.
Überraschender Verkauf
Das mit Weinranken malerisch umrankte Baudenkmal am U-Bahnhof Senefelderplatz war im Herbst 2014 für die Mieter völlig überraschend verkauft worden. Ein Baugerüst in der Saarbrücker Straße und ein teilsaniertes Stück Fassade neben dem Hauseingang kündet schon von den Sanierungsabsichten.
Im Grundbuch wurde eine KSJ 2014 GmbH als neuer Eigentümer eingetragen. Ein Klaus Breckner und ein Yalda Javadi heißen „private Käufer und Kapitalanleger ebenso wie Investoren, beispielsweise Versicherungen, Beteiligungsfonds und mittelständische Unternehmen“ auf der Internetseite willkommen.
Es folgt das inzwischen in Berlin als menschenverachtend empfundene „Immobiliensprech“: „Höchste Priorität bei der Betreuung unserer Immobilienprojekte hat für uns die Zufriedenheit des Kunden – nicht nur in materieller, sondern auch in persönlicher Hinsicht. Bei den uns anvertrauten Immobilienprojekten geht es um hochwertige materielle Werte. Den daraus berechtigterweise erwachsenden Ansprüche unserer Kunden begegnen wir entsprechend: mit einem Höchstmaß an Diskretion, Verlässlichkeit und Engagement.“
Den Mietern wurde zeitnah mit dem sanierungsüblichen Kleinkrieg das Wohngefühl vergällt. Der Blog der Mieterinitiative Kollwitzstraße 2 kündet inzwischen von den tägliche Begebenheiten. Gleichzeitig wurde mit ersten Abmahnungen gezeigt, wohin die Reise künftig gehen soll.
Der Eigentümer des „Courage“ weiß schon von einer möglichen Mieterhöhung, eine Verdreifachung der Miete wäre praktisch das „aus“ für das traditionsreiche Geschäft.
Die meisten Bewohner in der Kollwitzstraße 2 leben schon langjährig in dem Haus. Es ist noch die „alte Prenzlberger Mischung“. Künstler, Historiker, Regisseure und Autoren wohnen hier. Auch Stefanie G., Leiterin der Tourismusinformation Prenzlauer Berg wohnt hier. Es ist eine „echte Hausgemeinschaft“, sagt Thomas Wolf, Kunsterzieher und Vater dreier Kinder.
Denkmalschutz mit Sonder-Afa zu Spitzenpreisen?
Die neuen Erwerber haben sich offensichtlich noch im guten Glauben an höchstmöglichen Profit für das Objekt engagiert. Doch inzwischen gilt für das Haus nicht nicht nur Denkmalschutz, sondern auch das in Prenzlauer Berg rechtwirksam umgesetzte Millieuschutzgebiet, sowie Erhaltungsverordnung und die Umwandlungsverordnung.
Stefan Gelbhaar hat sich inzwischen eingeschaltet und schrieb Klartext: „Die Nachrichten aus der Kollwitzstraße 2 sind besorgniserregend. Der neue Eigentümer ist mittlerweile stadtbekannt für seine rabiaten Methoden zur Mietervertreibung. Dabei mischen sich leider Altbekanntes, wie abgeschalteter Strom, Wasser im Haus oder aufgebrochene Keller, mit neuen Szenarien wie Unmengen von Müll, Kurzzeitvermietungen an größere Menschengruppen in einer Wohnung bis hin zu körperlichen Bedrohungen vor der Wohnungstür oder im Treppenhaus. Das Ziel ist klar: Vertreibung der angestammten Mieter durch Bedrohung, Verunsicherung und Zermürbung.“
Gelbhaar macht auch Mut: „Trotz aller Angst und Verunsicherung im Haus bleibt die gute Nachricht: Das Geschäftsmodell der Zusammenlegung von Wohnungen und der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen funktioniert dank der sozialen Erhaltungssatzung und dank der Umwandlungsverordnung nicht mehr.“
Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Jens-Holger Kirchner, hat auch schon mit den Mieterinnen und Mietern getroffen und neben einer nüchternen Situationsanalyse mit Ihnen kurze Informationswege vereinbart, um im Fall der Fälle schnell, komplex und wirksam reagieren zu können. Das Stadtentwicklungsamt ist informiert, die Bauaufsicht alarmiert und auch die Polizei ist sensibilisiert worden.
Kollwitzstraße 2 als wichtiger Baustein der Kulturszene
Die beiden Gaststätten „Courage“ und das „Chagall“ prägen das Stadtbild und das Stadtimage von Prenzlauer Berg. Für den gegenüber liegenden Pfefferberg haben beide auch mit ihren langen Öffnungszeiten eine wichtige komplementäre Funktion. Mit der ideale Lage in der Nachmittags- und Abendsonne sind das „Courage“ und das „Chagall“ wichtige Attraktionen und Bindeglieder für eine „Szene“ am Senefelder Platz. Als Treff und Warteraum, als Ausweichraum bei Überfüllung des Pfefferberg sorgen beide dafür, dass am Senefelder Platz fast rund um die Uhr etwas „etwas los “ ist. Auch der BASSY COWBOY CLUB und die 8MM BAR profitieren davon.
Erfolgreiche Sommeraktion des Pankower Mieterforums
Die Demonstration am letzten Sonntag verlief friedlich, und sorgte trotz Beginn der Ferienzeit für regen Zuspruch. Beide Gaststätten und die Mieter des Hauses Kollwitzstraße 2 stellten Stühle und Bänke bereit. Bei Kaffee und Kuchen bastelten Kinder “Abmahnfrösche”. Im Gentrifizierungsquiz gab es ein “antikes” Monopoly-Spiel als Siegerpreis.
Andrej Holm, Stadtsoziologe an der HU-Berlin war dabei, und sprach mit Betroffenen über die laufende Gentrifizierungs-Politik, die zum Teil auch von landeseigenen Wohnungsgesellschaften vorangetrieben wird. So berichtete er, wie die Verwaltungen von Mietern nachträglich Wohnberechtigungsscheine einfordern, um Quoten im sog. „geschützten Segment“ für die Bezirksämter zu schönen, und „Problemmieter“ abweisen zu können.
Sven Fischer, letzter Mieter der Kopenhagener Straße 46 berichtete von der Entmietung und Verdrängung einer Hausgemeinschaft und erzählte seine familiäre Leidensgeschichte.
Ebenso waren auch Mieter der GEWOBAG dabei, die von einer besonderen Art der „energetischen Sanierung“ berichteten: 100% mehr Miete bei 38% weniger Fensterglasfläche im Hinterhaus am Helmholtzplatz.
Eine Mieterin aus der Schöneberger Grunewaldstraße 87, berichtete von Verbesserungen der Situation in ihrem Haus, das zwischenzeitlich zur Massenunterkunft umfunktioniert wurde. Sie beklagte aber auch, dass die rumänischen Wanderarbeiterfamilien in die Obdachlosigkeit abgedrängt wurden.
Mieter aus der Gagfah-Siedlung in Schmargendorf berichteten von ihren Sanierungsankündigungen mit einem überdimensionierten Vorhaben zur energetischen Sanierung.
Die Sommeraktion wurde mit der Verabredung beendet, nach den Sommerferien weiter gegen Verdrängung und soziale Härten in der Wohnungspolitik aktiv zu werden, und die entstandene stadtweite Vernetzung der Mieterinitiativen weiter zu stärken.
Weitere Informationen: