Die Berliner Polizei steigt in das „Predictive Policing“ ein, die „vorhersagende Polizeiarbeit.“ Die in den USA entwickelten Methoden basieren auf Informationstechniken, Fall-Datenbanken und fortgeschrittenen Analyse- und Auswertungsmethoden. Doch das Bild von der „Verbrechensvorhersage“ in der Öffentlichkeit ist falsch. Der Film „Minority Report“ oder die TV-Reihe „Person of Interest“ haben ein völlig falsches und übertriebenes Bild gezeichnet.
Beim „Predictive Policing“ geht es um Analyse von Falldaten zur Berechnung der Wahrscheinlichkeit zukünftiger Straftaten, und zur besseren Steuerung des Einsatzes von Polizeikräften.
Die Polizeimeldung vom 20.8.2016 „Kollege Computer hilft bei der Kriminalitätsprognose“ macht den Start des vom Landeskriminalamt entwickelten Programms „KrimPro“ (Kriminalitätsprognose Wohnraumeinbruch) bekannt. Mit „KrimPro“ soll die Wahrscheinlichkeit von Einbrüchen an bestimmten Orten vorhergesagt werden.
„Die Polizei Berlin wird noch in diesem Jahr mit dem Beginn der dunklen Jahreszeit den Einsatz eines Computerprogramms zur Prognose von Serientaten im Eigentumsbereich starten. In einem stadtweit erweiterten Probelauf soll zunächst insbesondere beim Wohnraumeinbruch mit Unterstützung einer von der Polizei Berlin programmierten Software-Lösung die Wahrscheinlichkeit weiterer Taten an bestimmten Orten berechnet werden, um gezielt Taten zu verhindern und Täter festzunehmen,“ heisst es in der Pressemitteilung.
Eigenentwicklung mit Datenhoheit der Polizei Berlin
Das Programm „KrimPro“ wurde bei einem Probelauf in zwei Direktionen getestet und hat im Juli 2016 sehr gute Ergebnisse geliefert.
„In aussagekräftigen Testläufen konnte mit Hilfe der Software in konkreten Beispiel-Fällen gegenüber der statistischen Zufallserwartung eine siebenfach bessere Prognose im Hinblick auf zukünftige Tatbegehungen erzielt werden.
Ein Vorteil der in der Behörde erarbeiteten Software ist, dass die Polizei Berlin für dieses Programm eigene, rechtmäßige Daten verwendet, die nicht an externe IT-Partner herausgegeben werden. Die Daten-Hoheit liegt damit in vollem Umfang bei der Polizei Berlin.“
Wahrscheinlichkeiten, Tatmuster und Prognosen
Selbstverständlich kann bisher keine einzelne Tat „vorhergesagt werden“, ebenso ist es nicht möglich, das Tatverhalten eines einzelnen Täters vorherzusagen.
„KrimPro“ dient als Hilfsmittel, um mit den vorhandenen Daten der Polizei Berlin, die Falldaten, Tatmuster und eng begrenzte Gebiete ausweisen, um den „voraussichtlichen, wahrscheinlichen Verlauf“ weiterer Serientaten auf einem Stadtplan zu markieren.
Wohnungseinbrüche in Einfamilienhäuser setzen zum Beispiel übersichtliche und schnelle Fluchtwege voraus, deshalb kennt die Polizei bereits die Risiko-Struktur von reisenden Banden, die Flucht-PKWs einsetzen.
Bei Rauschgiftbeschaffungskriminalität hat man es dagegen mit Einzeltätern zu tun, die serienweise und in Zeitabständen tätig werden.
Kellereinbrüche wie in Prenzlauer Berg setzen voraus, dass auch entsprechende Zugangsmöglichkeiten in den Häusern existieren. Bei Einbruchssicheren Kellertüren geben Einzeltäter in der Regel schnell auf, während sie bei Holztüren mit Brecheisen ein leichtes Spiel haben.
Testfeld Wohnraumeinbruch
Die Berliner Polizei erweitert damit die Möglichkeiten der „vorausschauenden Polizeiarbeit“ beim Schwerpunktthema Einbruchskriminalität:
„Nach Überarbeitung und Bewertung der automatisierten Prognoseergebnisse und Abgleich mit weiteren Informationen können damit zielgerichtete Einsätze durchgeführt werden. Mit KrimPro werden die umfangreichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Wohnraumeinbruchs weiter ausgebaut und ergänzt, um Taten zu verhindern und Tatverdächtige beweissicher festnehmen zu können“.
Von der „Heat-Map“ zum „Hot-Spot“ zur „Hot Person“
Das „Predictive Policing“ erlebt in den USA eine schnelle Entwicklung, bei dem auch fortgeschrittene Computermethoden, Sozialforschung und künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen.
Die RAND Corporation hat zum Thema eine umfassende Studie erstellt, in der Predictive Policing als „Prozess-Modell“ dargestellt ist. Die englische Bezeichnung „Prediction-Led Policing Business Process“ kann mit „vorhersagegeführter Polizei-Geschäftsprozess“ übersetzt werden, und beschreibt das Modell am Besten.
Die Zielsetzung von „Predictive Policing“ ist komplex: neben einem effektiveren Einsatz der Polizeikräfte soll auch die tatsächliche Präventionswirkung durch Streifentätigkeit verbessert werden. Gleichzeitig wird die Trefferwahrscheinlichkeit erhöht, Täter auf frischer Tat zu ertappen.
Die Zielsetzung in den USA ist bereits weiter fortgeschritten, dort erlauben umfangreiche Datensammlungen und Kriminalitätsforschung bereits den methodischen Übergang von der „Heat-Map“ zum „Hot-Spot“ und zur „Hot Person“, deren Tatverhalten selbst vorhersagbar ist. So ist z.B. bei Rauschgiftabhängigen der Zeitraum für neue Beschaffungstaten individuell vorhersagbar, wenn man den Art des Rauschmittels, dessen bekannten biologischen Abbau und das aufkommende neue Suchtverhalten kennt.
Aus der Sozialforschung ist eine „wiederholte Opferwerdung“ (Repeat-Victimisation) bekannt. Nch einem erfolgreichen Einbruch gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit für erneute Taten.
Motivierte Täter, taugliche Tatobjekte und fehlende Schutzmechanismen bilden nach dem „Routine-Activity-Ansatz“ einen Komplex hoher Tatwahrscheinlichkeit. Weitere methodische Ansätze gehen davon aus, dass Täter sich vorhersehbar verhalten, und sich z.B. die Suche nach Tatobjekten einfach halten (Rational Choice Theory).
Zudem gibt es nach einer einer Straftat in einem Gebiet eine höhere Wahrscheinlichkeit für Folgetaten (Near-Repeat-Victimisation).
Predictive Policing bei vielen Polizeibehörden im Einsatz
Das Predictive Policing ist inzwischen bei vielen Stadtpolizeien im Einsatz oder in der Einsatzerprobung. In Basel, München, Nürnberg, Zürich kommt etwa das Programm Precops (Pre Crime Observation System) des „Instituts für musterbasierte Prognosetechnik“ (IfmPt) zum Einsatz.
In den USA kann man inzwischen auf große Erfolge blicken. Nach der Einführung von PREDPOL und dem PREDPOL-Radar konnten Kriminalitätsraten um über 67% gesenkt werden. Bei Autoraub sogar um 76% und bei Raubüberfällen auf Geschäfte sogar um 81%.
Aufgrund unterschiedlicher Geografie und urbaner Strukturen, sowie unterschiedlicher Rechtssysteme und Datenschutz-Rechte sind US-Systeme nicht 1:1 übertragbar. – In Deutschland setzt man deshalb auch in Berlin, Hamburg, Hessen und NRW auf Eigenentwicklungen.
Es gibt jedoch auch Kritik am „Predictive Policing“: Jennifer Bachner, Professorin an der John Hopkins Universität sieht Vorteile für die Polizeiarbeit und das „Profiling“ von Tätern. Jennifer Lynch, Anwalt der Electronic Frontier Foundation sieht die Praxis als fehlerhaft an, sie sagt, Predictive Policing verleitet zu mehr Vorurteilen (WALL STREET JOURNAL 24.4.2016].
Weitere Informationen:
RAND CORPORATION – Justice Policy Programm
PREDICTIVE POLICING
The Role of Crime Forecasting
in Law Enforcement Operations
by Walter L. Perry, Brian McInnis, Carter C. Price,
Susan C. Smith, John S. Hollywood
RAND CORPORATION – Download-Link 189 S.
THE INTERNATIONAL ASSOCIATION OF CHIEFS OF POLICE
Predictive Policing – What It Is, What It Isn’t, and Where It Can Be Useful
Presentation: National Law Enforcement and Corrections Center Technology Center – Download-Link 35 S.