Christian Nürnberger ist seit 46 Jahren Sozialdemokrat. Auf ZEITonline sieht er der Niedergang der alten Volkspartei vorher:
Ich fürchte, es geht zu Ende
Christian Nürnberger | 18.4.2016 | ZEIT
Der Autor glaubt nicht mehr an seine Partei. Dabei gäbe es drei Wege für einen Neuanfang.
„Noch nie war die Sozialdemokratie so nötig wie heute. Und noch nie war die SPD so erfolglos wie heute. Und dabei wird ihr doch immer wieder bescheinigt, dass sie eigentlich ziemlich effizient, professionell und geräuschlos regiert. Warum aber hat dann die SPD derzeit Mühe, die 20-Prozent-Hürde zu halten?
Ach, ein weites Feld.“
Nürnberger beschrieb die großen Versäumnisse der Sozialdemokratie, die seit Willy Brandt aufeinander folgten.
An Schröder bleibt der besonders hängen:
„Der Mann, der das Führerhäuschen räumte, dem erpresserischen Druck der Wirtschaft nachgab und dies als „Reform“ verkaufte, war mein Genosse Gerhard Schröder, der Bundeskanzler. Gewiss: Er musste handeln. Die Not war groß. An einer Beschneidung des dicht gewebten sozialen Netzes führte kein Weg vorbei. Aber musste er es im Anzug von Brioni tun, mit einer dicken Zigarre im Mundwinkel, einem Glas Barolo in der Hand? Musste er wirklich den Spitzensteuersatz um zehn Prozent senken, die Vermögenssteuer abschaffen und die Unternehmen mit milliardenschweren Steuerbefreiungen beschenken? Er, der als Juso auf der Straße gegen die Ausbeutung der Arbeiter demonstrierte, zu einer Zeit, da diese regelmäßig fünf bis zehn Prozent Lohnerhöhungen durchsetzten, war nun zu dem geworden, der den Arbeitern den Gürtel enger und den Unternehmern den Gürtel weiter schnallte.“
Nürnberger sieht vor allem eine Frage, die die Sozialdemokratie bis heute nicht gelöst hat:
„In all den Jahren hat es die SPD versäumt, sich einer entscheidenden Frage zu stellen: Wie können wir unter den Bedingungen der Globalisierung weiter wirtschaftlich erfolgreich sein, unter der Prämisse, dass unsere sozialen Errungenschaften nun mal nicht zur Disposition stehen? Da bis heute die Antwort fehlt, muss die SPD immer weiter jene neoliberalen Kräfte gewähren lassen, für die soziale und demokratische Errungenschaften nur Wettbewerbshindernisse sind.“