Der neue Berliner Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, Andreas Geisel (SPD) war in der letzten Woche Gast in der Urania Berlin. Christine Edmaier, Präsidentin der Architektenkammer Berlin freute sich, ihn am 84. Tag seines neuen Amtes zum Gespräch treffen zu können. Auf dem Podium waren auch Gerd Nowakowski, Leitender Redakteur des Tagesspiegels, und Bärbel Winkler-Kühlken aus dem Vorstand der Architektenkammer Berlin.
Vor etwa 320 Gästen, vorwiegend aus der älteren Architektenschaft und Berliner Bauwirtschaft, hatte Geisel seinen ersten größeren Auftritt, der mit einiger Spannung erwartet worden war.
Die Einladung zu der Veranstaltung, die als Kooperation von Urania, Tagesspiegel und Architektenkammer Berlin angekündigt war versprach als Programmankündigung:
„Ziele und Leitbilder der Stadtentwicklung Berlins
Innenstadtentwicklung, Verknüpfung der Innenstadt und der Außenbezirke, Dauerbaustellen BER und Staatsoper, Mieterstadt Berlin, Olympiabewerbung: Welche Ziele und Leitbilder der Stadtentwicklung und Wohnungspolitik verfolgt der neue Senator? An welchen Schwerpunkten möchte der neue Senator arbeiten und welche Akzente will er setzen?“
Statt vorbereiteter konzeptioneller Aussagen gab es von Geisel viele pointierte und persönliche Aussagen, die im moderaten Plauderton vorgetragen wurden. An der zum Teil auch sehr persönlichen Positionierung waren neue Konturen seiner künftigen Politik zu erkennen.
Praxisschock und unbeabsichtigte Kritik am Amtsvorgänger
Gerd Nowakowski fragte Geisel, ob er als ehemaliger Bürgermeister und Baustadtrat des Bezirks Lichtenberg angesichts der neuen Zuständigkeiten als Stadtentwicklungssenator, Umwelt- und Verkehrssenator bei der Amtsübernahme der Riesenbehörde einen Praxisschock empfand. Geisel gab sich locker, und gab zu erkennen, dass er sich noch einarbeiten muss, „er lerne jeden Tag etwas dazu. Geisel wollte Charme zeigen, und sagte, es sei normal, „… auch sein Amtsvorgänger Michael Müller (SPD) habe selbst nach drei Jahren noch neue Zuständigkeiten entdeckt.“ Geisel merkte in seiner Entspanntheit nicht, welch heimtückischen Kritikansatz er verlauten liess.
Im Klartext hieß das wohl: Müller kannte nicht alle Zuständigkeiten, und hat daher auch manche Dinge mangels Kenntnis nicht gestalten können, oder überfordert war.
Übrigens auch ein Thema, das angesichts der Aufgabenfülle auch leicht auf Geisel zurückfallen kann.
Priorität Wohnungsbau
Geisel gab auch unumwunden seine Priorität preis: Wohnungsbau. Er gestand ein, dass der frühere Stopp des Wohnungsbaus aus heutiger Sicht ein Fehler sei. Es gab in früheren Jahren einen Leerstand von rund 100.000 Wohnungen, dieser ist gänzlich durch den Einwohnerzuwachs um mehr als 175.000 Menschen beseitigt. Geisel verglich diesen Zuwachs mit Potsdam, das nur rund 160.000 Einwohner hat.
Bärbel Winkler-Kühlken fragte nach aktuellen Entwicklungen aus dem Wohnungsmarktbericht, der eine Tendenz zu steigenden Preisen auch am Stadtrand aufweist, um den Schwerpunkt von Geisels künftigen Wohnungsbauaktivitäten herauszufinden.
Geisel nannte auch das Vorhaben Elisabethaue, das weiter geplant werde, er wolle nicht nur die Berliner Innenstadt verdichten, sondern flächendeckend Bauen. Sein Hauptargument: Berlin hat viel Platz. Es gebe an rund 1000 Stellen noch Potentiale für rund 170.000 Wohnungen.
Geisel verwies auf einen notwendigen Bedarf, jährlich mehr als 10.000 Wohnungen bauen zu müssen. Er verzeichnete auch eine Zunahme der Genehmigungstätigkeit, die durch personelle Aufstockung und Wohnungsprämien für die Bezirke angeschoben wurde. Hier sei Geisel noch nicht ganz zufrieden, aber er räumte ein, dass der unter Stadtentwicklungssenator Müller begonnene Aufbau auch Zeit brauche und nun im dritten Jahr auf dem Weg sei.
Geisel gab sich damit ganz als „Wohnungsbausenator“, verstolperte damit die Chance, auch als ein „Stadtentwicklungsenator“ Profil zu zeigen, der den mitwachsenden Freiflächen- und Grünflächenbedarf, sowie die notwendige zusätzliche Sport- und Verkehrsinfrastruktur mit bedenkt.
Bürgerbeteiligung
Geisel beherrscht die Kunst des „Anmoderierens“, er sagte:“ Aus dem Volksentscheid gegen die Randbebauung des Tempelhofer Feldes „haben wir gelernt“.
Aber der Lernprozeß geht etwas anders, als sich basisdemokratisch orientierte Betroffene und Anwohner von Wohnungsbauvorhaben vorgestellt haben. Zum Thema Mauerpark wurde er grundsätzlich: „Wir brauchen die 700 Wohnungen“. Geisels Absicht ist es auch, alle strittigen Wohnbauvorhaben mit mehr als 200 Wohnungen künftig aus der Zuständigkeit der Bezirke zu nehmen, und durch die Senatsverwaltung planen zu lassen.
Geisel führte den Begriff „Gemeinwohl“ in die Wohnungspolitikdebatte ein – aber ganz in investorenfreundlichem Duktus: „Auch die Menschen in Spandau, und die Wohnungssuchenden müssen mit abstimmen können“.
Geisel forderte auch, „… Anwohner müssten auch bereit sein, Ergebnisse langjähriger Bürgerbeteiligungen zu akzeptieren!“.
Er belehrte auch darüber, wie er Bürgerbeteiligung persönlich versteht:
„Bei privaten Bauvorhaben seien Bürger oft enttäuscht, wenn ihre Forderungen nicht aufgegriffen würden“. Und klärte darüber auf, dass Investoren bei vielen Projekten nach §34 auch nicht verpflichtet seien.
Geisel wurde noch grundsätzlicher: „Wir sind gewählt, und wir müssen auch entscheiden können!“ – und moderierte damit seine Aussagen zum Lernprozeß in der Bürgerbeteiligung wieder ab.
Bausenator Geisel hatte zu diesem Zeitpunkt offensichtlich noch nicht ganz verstanden, was Baurecht, Stadtentwicklung und gesetzlich festgelegte Bürgerbeteiligung sichern sollen, und welche allgemeine Anforderungen die Bauordnung von Berlin regelt.
Eine „Omnibus-Demokratie“ ist einfachen Bebauungsblänen auch gar nicht vorgesehen, sondern nur bei gesamtstädtisch bedeutsamen Vorhaben, und bei der „Flächennutzungsplanung“, bei der das Berliner Abgeordnetenhaus entscheidet.
Mauerpark – Bebauung
Auf das Thema Mauerpark angesprochen, machte sich Geisel ganz die Sicht des „Investors“ zu eigen. „Im Fall des Mauerparks seien die Interessen der Anwohnerschaft berücksichtigt worden, auch habe sich das ganze Projekt stark gewandelt.
Zu den skandalösen Umständen des B-Plan-Verfahrens, zur noch skandalöseren Baumassen-Entwicklung des „Groth-Entwurfs“ sagte Geisel nichts.
Vermutlich muß sich der Geisel nun erst einarbeiten, denn er hat erst am Vortrag den vorhabenbezogenen Bebauungsplan I-64 VE aus der Zuständigkeit des Bezirksamts Mitte auf seine Zuständigkeitsebene geholt.
Zu diesem Zeitpunkt ahnte Geisel womöglich auch noch nicht, welchen „Präzedenzfall“ er sich nun ins Haus geholt, hat, denn die betreffende Baufläche ist seit Zeiten seiner Amtsvorgängerin als überörtlich bedeutsame Grünfläche im Berliner Flächennutzungsplan ausgewiesen.
Städtebauliche Dominanten
Das Thema Hochhäuser durfte auf der Veranstaltung nicht fehlen, denn bei Architekten gibt es eine Sehnsucht nach dem Hochhaus, weil man nur so in der internationale Liga von Bauprojekte mitspielen kann. Geisel gab zu erkennen, dass er kein Hochhausgegner ist. Geisel findet städtebauliche Dominanten wichtig und kann sich vorstellen, an ausgewählte Orten „Akzente“ zu setzen.
Das neue Hochhaus des Waldorf-Astoria-Hotels in der City-West nennt Geisel „gelungen“. Das zu kurz geratene Hochhaus am Kant-Dreieck möchte Geisel aufstocken, Gespräche mit dem Eigentümer möchte Geisel beginnen.
Angesprochen auf die Hochhausplanungen am Alexanderplatz bremste Geisel jedoch: „Architekt Kollhoff ist mittlerweise in die Überarbeitung der Bebauungspläne einbezogen.“ Zugleich gab Geisel zwei wichtige Hinweise: „Künftige Planungen müssen sich am Bestand orientieren“; und fragte rhetorisch: „Würden die Eigner des Park Inn-Hochhauses ihren funktionierenden Bestand abreißen, um dort zwei Hochhäuser zu bauen?“ Auch die Gebäude der TLG am östlichen Rand des Alexanderplatz werden erhalten bleiben.
Geisel verwies auch auf die städtebauliche Bedeutung des Fernsehturms, der jede Planung bestimmen wird.
Geisel, der in seiner Amtszeit in Lichtenberg nicht nur eine Hochhauspleite erlebt hat, bleibt daher beim Hochhausthema moderat.
Shopping-Center und ICC
Überraschend war Geisels Bekenntnis zum Thema „Shopping-Center“, die er offensichtlich nicht mag. In Berlin gibt es derzeit rund 70 Shopping-Center. Geisel will den Vorgaben des Stadtentwicklungsplan Zentren folgen. Geisel verwies auf die auf das dreifache ausgeweitete Verkaufsfläche, und will nur noch dort genehmigen, wo ausreichend Kaufkraft gesichert sei.
Das ICC als Shoppingcenter, diese Idee findet Geisel doof. Mittelfristig kann Geisel sich auch die Ausweisung des Denkmalschutz für das ICC vorstellen. Das wäre eine nicht nur symbolische, sondern sehr wirksame steuerpolitische Maßnahme, die Abschreibungen möglich machen würde, und den hohen Umbauaufwand kalkulierbarer macht.
Bürgerbeteiligung in der Mitte
Geisel wies auf die geplante Bürgerbeteiligung in Berlin-Mitte hin, er habe deshalb Frau Lüscher angewiesen, sich zurück zu halten. Geisel will die bereits unter Senator Müller vorgezeichnete Linie fortsetzen, das Rathausforum auf möglichst breiter Basis neu planen zu können.
Ein persönliches Bekenntnis zeigte jedoch gleich auch die Richtung auf: Geisel findet das „schräge und moderne Berlin“ attraktiv, und kann sich einen Rückbau auf den Stadtgrundriß des 17-18.Jahrhunderts schwer vorstellen.
Fazit:
Andreas Geisel hat sich als „Bausenator“ vor der Architektenschaft eingeführt. Zum Thema Verkehr hat Geisel nur vorsichtige Andeutungen zum Thema BER gemacht, er rechnet mit einem Inbetriebnahmedatum 2017. Als Stadtentwicklungssenator, als Umwelt- und Verkehrssenator muß er wohl noch seine Amtseinführung nachholen!