Das Thälmann-Denkmal in der Greifswalder Strasse war in der Vergangenheit umstritten. Es gab immer wieder aufflammende Aufrufe, das Denkmal aus dem öffentlichen Raum zu entfernen. Eine letzte Protestaktion von Jungliberalen am 15.6.2013 traf auf entschiedenen Protest und nachdenkliche Politiker. Inzwischen zeichnet sich ab: das Thälmann-Denkmal soll bleiben – aber nicht „unkommentiert“.
Auf Initative von Daniela Billig, Fraktionssprecherin in der BVV von Bündnis 90/Grüne, wurde im August zu 16. BVV-Tagung am 28.8.2013 der Antrag eingebracht und einstimmig verabschiedet:
„Das Bezirksamt wird ersucht, eine Kommentierung neben der Ernst Thälmann-Plastik an der Greifswalder Straße anzubringen, die die Geschichte des Dargestellten und des Denkmals his-torisch kritisch aufarbeitet, kommentiert und anschaulich macht. Der Text soll von qualifizierter und sachverständiger Seite, beispielsweise einer Historikerin oder einem Historiker, verfasst werden. Die Gedenktafelkommission ist in den Prozess einzubeziehen.“
Der Antrag ist insofern bemerkenswert, weil er indirekt mit allen Absichten aufräumt, die das Denkmal vom Standort beseitigen wollen.
Für die weitere Entwicklung des Thälmann-Parks ist das zugleich auch eine Vorentscheidung, die es erschwert, eine neue Nutzung und Belebung des Denkmalplatzes im Zuge der Bürgerbeteiligung zu initieren.
Die Begründung für den Ursprungsantrag respektiert die Ambivalenz des Denkmals und des Ortes:
„Seit der Wende werden immer wieder Forderungen erhoben, das Ernst-Thälmann-Denkmal abzureißen. Auch in jüngerer Zeit sind wieder Bestrebungen in dieser Richtung geäußert geworden. Bei dem Denkmal handelt es sich zweifellos um das Artefakt einer Diktatur. edoch ist es gerade als solches ein ambivalentes Mahnmal, das die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts verdeutlicht.
Mit der Verbannung solcher Monumente aus unserem alltäglichen Umfeld wird für uns alle und besonders die Nachgeborenen die Chance vertan, sich mit diesem Teil unserer Geschichte bewusst zu beschäftigen. In diesem Sinne ist eine pädagogische Behandlung und Kommentierung der historischen Persönlichkeit und der damit zusammenhängenden Geschichte einem modernen (d.h. einem der Demokratie verpflichteten) Geschichtsverständnis angemessen.“
In dem im Oktober weiter beratenden Antrag wurde auch inhaltlich auf die ambivalente Rolle Ernst Thälmanns als Arbeiterführer und Kommunist, sowie als Kämpfer gegen die Demokratie und Wegbereiter der Nationalsozialisten eingegangen:
„In der DDR wurde Ernst Thälmann als Held und Märtyrer verehrt. Ernst Thälmann war sowohl Opfer als auch Täter. Er wurde kurz vor der Reichstagswahl 1933 verhaftet und verbrachte 11 Jahre unter schweren Misshandlungen und Folter im Gefängnis. 1944 wurde er im Konzentrati-onslager Buchenwald ermordet. Ernst Thälmann war kein Demokrat und kämpfte gegen die demokratische Verfassung der Weimarer Republik. Sein Ziel war es, die Demokratie abzuschaffen und eine kommunistische Diktatur nach dem Vorbild der stalinistischen Sowjetunion zu errichten. Dabei akzeptierte er Gewalt zur Durchsetzung seiner politischen Ziele. Er scheute auch nicht vor einer Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten zurück. 1931 versuchten die NSDAP und die KPD durch einen Volksentscheid die sozialdemokratische Regierung des Landes Preußen zu stürzen. 1932 organisierten beide Parteien gemeinsam einen Streik der BVG, dabei bekämpfte er die Sozialdemokratie mit allen Mitteln. Er vertrat die Auffassung, dass der Kapitalismus nur geschlagen werden könne, wenn die Sozialdemokratie zuvor vernichtet werde. Die „These vom Sozialfaschismus“ (gemeint war die Sozialdemokratie) schwächte die potentiel-e Opposition gegen die NSDAP und trug damit zur Machtübernahme der Nationalsozialisten bei. Ernst Thälmann ist kein Vorbild. Die DDR-Diktatur heroisierte Thälmann, missbrauchte ihn für ihre Propaganda und verdeckte dabei alle Widersprüche der Person.“
Dieser Text wurde sowohl im federführenden Ausschuß für Stadtentwicklung und Grünanlagen (JA 13 / NEIN 0 /ENTHALTUNGEN 1) als auch im mitberatenden Ausschuss für Kultur und Weiterbildung (JA 11 / NEIN 0 / ENTHALTUNGEN 2) verabschiedet.
Nunmehr wird die BVV in der kommenden Sitzung aufgefordert:
„Das Bezirksamt wird ersucht, eine Kommentierung neben der Ernst-Thälmann-Plastik an der Greifswalder Straße anzubringen, die die Geschichte des Dargestellten und des Denkmals historisch kritisch aufarbeitet, kommentiert und anschaulich macht. Der Text soll unter Federführung der Gedenktafelkommission von qualifizierter, sachverständiger Seite verfasst werden (Beschlussempfehlung StadtGrün 19. BVV am 11.12.13).
Historische Aufarbeitung der Thälmann-Geschichte
Die historische Forschung zu Ernst Thälmann ist durch die zum Kult ausgeuferte Thälmann-Propaganda in der DRR erschwert, in der es rund 331 Thälmann-Gedenkstätten gab, dazu mehrere Gemälde, zahlreiche nach dem Vorsitzenden benannte Straßen und Plätze, einen Thälmann-Pionierpark, eine Jungen Pionieren vorbehaltene Plakette und vieles mehr. Auch an die Teilnehmer an der gescheiterten Westberlin-Demonstration im August 1951 wurde extra eine Thälmann-Medaille der FDJ verliehen.
Der Thälmann-Kult in der DDR war zu einem großen Teil als Legende inszeniert. Bereits 1948 brachte Willi Bredel im Parteiauftrag nachträglichen Korrekturen im Lebenslauf von Ernst Thälmann in Umlauf, die erst nach der Wende durch den Historiker Hermann Weber als Fälschungen offenbart wurden.
Egon Grübel, unter Pseudonym Thilo Gabelmann Verfasser des Buchs „Thälmann ist niemals gefallen? Eine Legende stirbt“, beschäftigte sich mit dem „Brief an einen Kerkergenossen“, der erstmals Oktober 1950 im „Neuen Deutschland“, danach in diversen Büchern und Broschüren erschien (bis 1994 auch bei der Thälmanngedenkstätte in Hamburg).
Der „Brief an einen Kerkergenossen“ war in der DDR ein wichtiges Dokument und Instrument zur politischen Jugenderziehung.
Tatsächlich war der Brief aber eine durch Streichungen und sprachliche Korrekturen bewirkte Fälschung, die Walter Ulbricht im Interesse der „Legende“ vom allzeit siegesgewissen, gütigen und weisen KPD-Führer einleitete, und die diverse Parteihistoriker weiter vollendeten.
Einer dieser Historiker war Lothar Berthold. Er fälschte auch die Thälmann-„Briefe aus dem Gefängnis“, wobei er vorsichtshalber die im Parteiarchiv lagernden Originale sperren ließ.
Erst nach der Wende 1989 wendeten sich kritische Historiker einer Aufarbeitung der Geschichte neu zu und räumten auch mit dem Thälmann-Mythos in der DDR auf.
Historikerin Annette Leo konstatierte zwei Arten von Thälmann-Kult in der DDR: den offiziellen, staatstragenden, der der Rechtfertigung der KPD-Politik vor 1933 diente und dann zum „Herzstück der Legitimation der SED“ wurde. Und einen in der Parteibasis entstandenen, der den Proletarier gebliebenen Parteichef als „Projektionsfläche für untergründige, stille und beinahe rebellische Hoffnungen auf eine Alternative zum Sozialismus in der DDR“ stilisierte.
Thälmann-Filme auch in der DDR umstritten
Der 1954 von der SED-Parteispitze „befohlene“ DEFA-Film „Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse“ wurde schon in der DDR kurz nach der Erstaufführung kritisiert. Der Altkommunist Erich Wollenberg (1892-1973) verfaßte eine reißende Polemik und räumte dabei mit den ärgsten im Film enthaltenen „heroischen“ Lügen auf.
Zum zweiten Thälmann-Film „Ernst Thälmann – Führer seiner Klasse“ verfaßte Detlef Kannapin, Mitarbeiter der DEFA-Stiftung Berlin, eine abgeschwächte Kritik, die die Aussagen von Wollenberg aber bestätigte.
Denkmal-Kritik und Rangeleien um das Thälmann-Denkmal
Der Historiker Martin Schönfeld befaßte sich mit den vielen Thälmann-Denkmälern in der DDR und stellte dazu fest: „Sie entfernten sich immer mehr vom menschlichen Vorbild hin zur „Kombination von spätstalinistischem Byzantinismus und modernistischer Symbolhaftigkeit.“
Die Plastik von Lew Kerbel ist ein Beispiel für den „letzten Typus der im Laufe der 40-jährigen Geschichte sehr unterschiedlichen Thälmann-Darstellungen in der Kunst der DDR“.
Schönfeld offenbarte auch aufschlussreiche mitgeteilte Details über Rangeleien um die Gestaltung des Thälmann-Denkmals in Prenzlauer Berg:
„Das Kitschigste wurde nur mit Mühe verhütet“. – „So war zur Integrierung des Thälmann-Monuments in die neue Parklandschaft des ehemaligen Gaswerkstandortes u.a ein Aussichtsturm geplant, um Thälmann direkt ins Auge blicken zu können“.
Auch eine Denkmalsinstallation auf einer rotierenden Drehscheibe war erwogen worden, dazu die Konfrontration mit automatischen Winkelementen, die Ernst Thälmann grüßen sollten.
Kritische Thälmann-Biografie
Die Thälmann-Biografie „Ernst Thälmann. Soldat des Proletariats“ von Autor Armin Fuhrer aus dem Jahr 2011 versucht, den historischen Faden neu aufzunehmen. Der Autor verfasste das Buch Abschluss eines Studiums der Geschichte und Politikwissenschaften und verhehlt nicht seine „bürgerliche Sicht“.
Gleichwohl erarbeitet er ein an ein „breiteres, interessiertes Publikum“ gerichtetes Buch, und „zeichnet ein kritisches Bild des KPD-Vorsitzenden“.
Thälmanns prägenden Jugendjahren und der revolutionären Phase 1918/19 widmet Fuhrer insgesamt rund 60 Seiten, die das Bild des jungen Thälmann entmystifizieren und klarer zeichnen.
In insgesamt sieben Abschnitten über die Weimarer Republik zeigt Fuhrer zuerst die politische Ausgangssituation nach dem Ersten Weltkrieg und Thälmanns Einsatz um einen Anschluss der USPD an die Kommunistische Internationale. Nach der Niederschlagung des Kapp-Putsches 1920 tritt Thälmann wie die gesamte KPD erfolglos für die revolutionäre Fortsetzung des Generalstreiks ein. Im Juni 1921 fährt er als Delegierter der KPD für den III. Weltkongress der Komintern zum ersten Mal in die von ihm leidenschaftlich bewunderte Sowjetunion. Im Jahr 1923 steht Deutschland „am Rande des Abgrunds“ (S. 99) und Thälmann muss einen Standpunkt zu der brennenden Frage finden, ob die Arbeiterregierung, wie sie in Sachsen und Thüringen praktiziert wird, ein neuer Weg zur Revolution sein kann.
Fuhrer diagnostiziert für diese Zeit erste Anzeichen einer „Moskau-Hörigkeit“ bei Thälmann (S. 110).
Den zum Verständnis der späteren Thälmann-Kults in der DDR entscheidenden Baustein liefert Fuhrer, indem er
Thälmanns legendäre Rolle während des Hamburger Aufstands der KPD im Oktober 1923 analysiert.
Fuhrer setzt sich hier inhaltlich klar von Willi Bredel ab, dem früheren Präsidenten der Deutschen Akademie der Künste, der maßgeblichen Anteil am in der DDR geschaffenen Thälmann-Mythos hatte und Thälmann als „Sohn seiner Klasse“ stilisierte. Tatsächlich entstammte Ernst-Thälmann einer Kaufmannsfamilie.
Literaturhinweis:
Fuhrer, Armin: Ernst Thälmann. Soldat des Proletariats
München 2011, OLZOG Verlag
ISBN: 978-3-7892-8236-2
Umfang/Preis: 272 S.; € 26,90
Thälmann und der staatliche Erziehungsauftrag der DDR
Der Autor René Börrnert räumte bereit 2004 gründlich mit den Mythen und Verfälschungen im Lebenslauf von Ernst Thälmann auf. In der Reihe „Studien zur historisch-systematischen Erziehungswissenschaft“ erarbeitete der Autor eine umfangreiche Analyse des Erziehungssystems der DDR:
„Wie Ernst Thälmann treu und kühn! Das Thälmann-Bild der SED im Erziehungsalltag der DDR.
Börrnert konzentrierte sich zum Zweck der kritischen Auseinandersetzung mit der Thälmann-Rezeption und der Funktionalisierung des Thälmann-Bildes für die politische Erziehung auf drei Bereiche:
– „Formen der Darstellung Ernst Thälmanns in der DDR“,
– „Beziehung der SED zu Ernst Thälmann“ und
– „Vermittlung des Thälmann-Bildes“.
Börrnert hat dafür Monografien und Aufsätze über Thälmann ebenso ausgewertet wie Kinder-, Jugend- und Schulbücher und Unterrichtspläne – insgesamt weit über 500 gedruckte Quellen – sowie Lieder und Filme. Dazu gibt er einen Überblick über die „Thälmann-Ecken“, „Traditionszimmer“, „Thälmann-Kabinette“ und die ihm gewidmeten Gedenkstätten.
Mit fast bewunderungswürdigem Ernst untersucht er die alten Appelle an die Pioniere („Thälmanns Namen tragen wir – sei seiner würdig, Pionier!“) und an die FDJ („Thälmannsche Garde“) und analysiert Kampflieder („Wenn Ernst Thälmann bei uns wär´“), Unterrichtseinheiten („Nenne Namen von Antifaschisten deines Heimatortes“) sowie die zahlreichen Kinderbücher („Paul und Janni finden Teddy“).
In der Zusammenfassung dieser Analysen schlussfolgert Börrnert: „Thälmann war nicht nur die „wichtigste Leitfigur der SED“, sondern ist auch das „bedeutendste Vorbild“ innerhalb der politisch-ideologischen Erziehung gewesen.
Thälmann als Nachwende-Mythos
Börrnert weist in seiner Studie überzeugend auf den Umstand hin, dass das Thälmann-Bild nicht durch seine rationale Vermittlung, sondern durch die zumeist „emotional aufgeladene Präsentation“ seine besondere Wirkung erzielt hat. „Diese Wirkung hat sich bei den drei DDR-Generationen durchaus unterschiedlich eingestellt : „Zu gleichen Teilen positiv aufgeladen und verklärt ist das Thälmann-Bild der letzten in der DDR politisch sozialisierten Generation (geboren 1973 bis 1978).
Gerade sie hat […] das positivste DDR-Bild überhaupt“ (S. 189). Als Grund für diesen überraschenden Thälmann-Mythos der Nachgeborenen, der sich auch nach der Wende aufrecht erhalten hat, vermutet Börrnert, dass Thälmann „als Symbol eines nicht verwirklichten Sozialismus/Kommunismus gesehen wird; er bietet die Projektionsfläche für untergründige, wenn auch nicht revolutionäre Hoffnungen auf eine noch immer mögliche praktische Umsetzung dieser politischen Idee“ (S. 190).
Wenn Börrnert mit dieser Vermutung Recht hat, ist dies ein Argument mehr für die dringliche Notwendigkeit einer kritischen Thälmann-Biografie – und damit verbunden einer Revision des Thälmann-Bildes. m/s
Literaturhinweis:
Börrnert, René
Titel: Wie Ernst Thälmann treu und kühn!Das Thälmann-Bild der SED im Erziehungsalltag der DDR
Reihe: Studien zur historisch-systematischen Erziehungswissenschaft
Ort: Bad Heilbrunn
Verlag: Julius Klinkhardt Verlag
Jahr: 2004
ISBN: 3-7815-1321-1
Umfang/Preis: paperback; 210 S.; € 27,00
Weitere Quellen und Hinweise im Internet:
Hrsg. von Peter Monteath: Ernst Thälmann – Mensch und Mythos.
GERMAN MONITOR No. 52. Editions Rodopi B. V., Amsterdam-Atlanta 2000, X und 208 S.
Der Band mit Beiträgen von neun AutorInnen basiert auf einer Thälmann-Tagung des Vereins „Aktives Museum Faschismus und Widerstand“ im Februar 1993 und bietet das nuancenreichste Bild von Thälmann.
Wikipedia: Ernst Thälmann
Wikipedia: Thälmann-Denkmal
Wikipedia: Willi Bredel
Weitere Informationen:
Thälmann thront gelassen am 15. Juni 2013
https://www.pankower-allgemeine-zeitung.de/Aktuelle-News-Berlin-Pankow//2013/06/15/thalmann-thront-gelassen-am-15-juni-2013/