Die Welt schaut wie gebannt auf den Volkswagen-Konzern und dessen betrügerische Machenschaften bei Diesel-Abgastests. Doch etwas abseits vollzieht sich ein Drama mit ähnlichen wirtschaftlichen Größenordnungen: Der Gesamtverband Dämmstoffindustrie (GDI) steht nach beinahe vier Jahrzehnten Arbeit vor seiner Auflösung. „Ab dem 1. Oktober sind wir offiziell in Liquidation“, sagte eine Sprecherin des Verbandes gegenüber dem e21.info.
„Zum Teil schwerwiegende Diskussionen in der Öffentlichkeit zum Thema Gebäudeenergieeffizienz und Wärmedämmung in Verbindung mit direkten Angriffen auf industrielle Dämmstoffe des GDI machen einen Neuanfang notwendig“, erklärte die GDI-Sprecherin. Zuvor hatten die vier Fachverbände FMI, FPX, IVH und IVPU ihre Mitgliedsschaft gekündigt. Sie fühlten sich vom GDI schlecht vertreten und stellten ihre Zahlungen ein. Die Lobbyarbeit wollen sie künftig womöglich zusammen oder in Eigenregie übernehmen. Der Dachverband sei nicht in der Lage gewesen, auf die Negativschlagzeilen angemessen zu reagieren, lautet ihre Kritik.
Lobbyverband mit 40 Jahren erfolgreicher Arbeit
„Der Gesamtverband Dämmstoffindustrie (GDI) war für seine Mitgliedsverbände Industrieverband Hartschaum (IVH), Industrieverband Polyurethan-Hartschaum (IVPU), Fachvereinigung Polystyrol-Extruderschaumstoff (FPX) und Fachverband Mineralwolleindustrie (FMI) ein angesehener Gesprächspartner der Bundesregierung und des deutschen Bundestages bei der Fachdiskussion der verschiedenen Wärmeschutz- und Energieeinsparverordnungen. Er war sowohl Ansprechpartner der Bundesländer als auch des Deutschen Instituts für Bautechnik, DIBt, in Diskussionen bei der Umsetzung verschiedener Verordnungen in die Bauordnungen der Länder,“ heißt es in der Erklärung des GDI über seine Auflösung.
„Gemeinsam mit der Glas- und Fensterindustrie sowie der Heizungsindustrie hat der GDI zusammen mit der Deutschen Energieagentur insbesondere für die Einführung des Energiebedarfsausweises und die politische Akzeptanz gekämpft. In diesem Bewusstsein ist die formale Auflösung des GDI zum Ende 2015 als die Chance zu einer noch effizienteren Beteiligung und Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen zum Gelingen der Energiewende zu verstehen.“
Schwerwiegende Kritik an Dämmstoffen und Konzepten
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hatte schon Anfang des Jahres vor einem „Dämmwahn“ gewarnt: „Förderprogramme zur energetischen Gebäudesanierung müssten technologieoffen gestaltet und eine Fixierung auf Dämmmaßnahmen vermieden werden. Die Dämmung sei mit ökologischen Gefahren wie dem Austritt von Giftstoffen verbunden, ihre wirtschaftliche Amortisation zweifelhaft. Außerdem drohe „ein dauerhafter Verlust der Baukultur in den Kommunen durch monoton eingepackte Gebäude.
Der GDI tat sich schwer, die Kritik zu entkräften. Eine GDI-Auftragsstudie vom April kam sogar zu dem Ergebnis: „Eine allgemeingültige Aussage über die Wirtschaftlichkeit von Dämmmaßnahmen zu treffen ist äußerst schwierig.“
Ob ein ausstehendes Kartellverfahren noch Wirkungen entfaltet, ist derzeit noch nicht absehbar (siehe unten).
Gier und Hybris bei der Qualität?
Auch eine Affäre um vermeintlich falsche Qualitätssiegel machte dem GDI Sorgen. Der GDI ist zuständig, um die verschiedenen Dämmstoffe der einzelnen Hersteller zu normen und zu überwachen. Laut verschiedenen Medienberichten sollen Hersteller Siegel zu Unrecht erhalten haben.
Der GDI nahm die Vorwürfe gegen die Branche nach eigenen Angaben sehr ernst, wies aber jede Schuld von sich: „Sollte es tatsächlich zu falschen Angaben über die Wärmeleitfähigkeit der Produkte einzelner Produzenten gekommen sein, distanziert sich der GDI auf das Schärfste und verlangt eine lückenlose Aufklärung aller Beteiligten“, hieß es in einer Mitteilung. Man erhoffe sich vom Forschungsinstitut FIW eine Änderung der Praxis für Entnahmen von Dämmstoffproben, „um in der Zukunft einem möglichen Missbrauch vorzubeugen“.
40 Jahre Lobbyarbeit am Ende
Der 1973 gegründete Industrieverband kam 1982 mit dem Wechsel zur neuen Bundesregierung unter Kanzler Dr. Helmut Kohl (CDU) und Hans-Dietrich Genscher (FDP) zu mehr Einfluß. Kohl verlagerte die Zuständigkeiten für Ökologisches Bauen damals in das damalige Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau unter Minister Oscar Schneider (CSU), der bis zum Wendejahr 1989 Bauminister blieb. Kohl und BASF Ludwigshafen – diese Verbindung war wohl maßgeblich der Hintergrund, weshalb insbesondere der Kunststoff Styropor immer mehr gefördert wurde. Ein Musterbeispiel für physikalisch-chemische Gewinnmaximierung, weil das Produkt nur zu etwa 5% aus Chemie, und zu 95% aus Luft besteht.
Unter Schneiders Ägide wurde die Baupolitik neu geordnet, und in der bauphysikalischen Bauforschung wurde die methodische Grundlage für unsere heutige „Baubedarfs-Physik“ gelegt, die nicht etwa von „Ist-Werten“ und „Meßwerten“, sondern von „Bedarfs- und Sollwerten“ ausgeht, die per „Modellrechnung“ ermittelt wurden, und in Gesetze und Förderrichtlinien gegossen wurden.
ENEV, energetische Sanierung und KfW-Förderkredite fußen heute auf dieser „Baubedarfs-Physik“, das vor allem im Berliner Altbau mehr ein „Beschäftigungsprogramm“ als ein „Energieeinsparungs-Programm“ ist.
Zuletzt im Mai 2015 hat der Bund Deutscher Baumeister ein Moratorium bei der Verschärfung der ENEV-Richtlinien gefordert, weil die Wirtschaftlichkeit immer dickerer Dämmschichten fraglich ist.
Aufgeben ist keine Option
Bei den Fachverbänden bleibt man jedoch kampflustig. „Die Dämmstoffindustrie darf in Berlin nicht ohne Stimme sein. Zu wichtig ist das Gelingen der Energiewende mittels Steigerung der Gebäudeenergieeffizienz durch Wärmedämmung. Im Konzert mit Fenster, Heizung und auch der erneuerbaren Energien bleibt die Dämmung der Gebäudehülle ein wichtiger Eckpfeiler zur Energieeinsparung und damit der Ressourcenschonung, des Umweltschutzes durch CO2-Einsparung sowie der Steigerung der Haushaltseinkommen. Die Dämmstoffindustrie nimmt die Herausforderung an;“ schreibt der GDI in seiner Abschiedserklärung vom 24.Juli 2015.
Die Fachverbände ringen deshalb hinter den Kulissen nach neuen Positionen und werden sicher aktiv bleiben.
Aber auch bei Mieterinitiativen, Fachexperten und vor Gericht wird um die Zukunft gekämpft, um dem kostentreibenden Wärmedämmwahn ein Ende zu setzen. Noch gibt ist es für viele Mieter keinen Grund zum aufatmen. Der Wärmedämmwahn bei massiven Altbauten wird noch eine Weile nachwirken.
Fortsetzung folgt
Weitere Informationen:
Lesen Sie demnächst: Dämmung vor Gericht
Weißes Gold | 2.10.2014 | Pankower Allgemeine Zeitung
Wärmedämm-Kartell? | 4.11.2014 | Pankower Allgemeine Zeitung