Freitag, 29. März 2024
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Was kann Neu-Blankenburg von Hongkong lernen? #1

Kowloon Wallet City in Honkong

/// Kolumnne /// – Am östlichen Pankower Stadtrand soll auf rund 90 Hektar landeseigenen Ackerland und Liegenschaften ein neuer Stadtteil Neu-Blankenburg entstehen. Etwas optimistischer wird das Vorhaben inzwischen auch „Blankenburger Süden“ genannt.

Die vorbereitende Bürgerinformation hat gestern abend in der Heinersdorfer Kirche begonnen. Das Interesse war sehr groß, der Versammlungsraum war mit 400 Personen überfüllt, und vier Dutzend interessierte Anwohner mussten vor der Tür bleiben. Der rbb war vor Ort (rbb-mediathek).

Die Veranstaltung wird daher schon bald eine Folgeveranstaltung haben. Die Pankower Bezirkspolitik und der Senat wollen bei diesem Projekt erstmals alles richtig machen – und die Bürger beteiligen. Das ist auch ehrliche politische Absicht – doch im Hintergrund lauern Konfliktthemen, die bei allen Planungen bedacht werden müssen.

Einige politisch und geschäftlich interessierte Bürgerinnen und Bürger mögen jedoch den Blick der Presse nicht, und haben die Redaktion der Pankower Allgemeine Zeitung „demonstrativ“ aus dem Presseverteiler „Blankenburg“ genommen – dies muss angemerkt werden. Es grenzt nicht nur an politische Korruption – es ist auch noch kommunalpolitisch äußerst dumm und kurzsichtig, weil die Akteure nun erst recht auf dem Radar „ungewöhnlich gut informierter Kreise“ sind!

Vermutlich soll im Fall Neu-Blankenburg eine politische Regie geführt werden, das Stadtrand Projekt soll anders als an der Elisabeth-Aue zum unstrittigen Vorzeige-Projekt ausgebaut werden.
Interessierte Bürger mit wirtschaftlichen und politischen Eigeninteresse sind bei solchen Projekten natürlich besondere Partner und auch besonders fleissige Akteure. Es lohnt daher, immer genau hinzuschauen, was gezeigt, gewünscht – und was politisch und wirtschaftlich „intendiert“ ist. Manches „Nomen ist dabei zugleich auch Omen“.

Die städtebaulichen Anforderungen

Auf den zur Verfügung stehenden Flächen könnten theoretisch über 9.000 Wohnungen gebaut werden. Doch die an Einfamilienhaus-Formen und Siedlerhaus-Formen gewohnten Anwohner aus Heinersdorf, Märchenland und Blankenburg mögen auf keinen Fall Hochhäuser und die Entstehung eines neuen „Märkischen Viertels“.

Stattdessen soll ein „lebendiger Stadtteil“ entstehen. Natürlich möglichst gewinnbringend für die Immobilien-Entwickler und das Land Berlin – bei 30% Sozialwohnanteil.

Verdichtung und Hochhausbau?
Was den Städtebau in seiner Grundstruktur angeht, ist somit ein Streit um die Bebauungsdichte vorprogrammiert, der sich zwischen den möglichen Leitbildern „Gartenstadt des 21. Jahrhunderts“, „Vorstadtsiedlung Karow-Nord“ und „Satellitenstadt á la Märkisches Viertel“ – sowie „Plattenbausieddlung Marzahn“ aufbaut. – Moderneres hat man in Berlin noch nicht geplant, denn ganz Berlin ist noch immer fest in der Hand einer rund 455 Köpfe starken Baulobby aus landeseigenen Wohnungsgesellschaften, Wohnungswirtschaft, Investoren und Bauträgern und abhängigen Bauplanern, die per „Mietwohnungsmonopol-Strategien“ ihre jeweilige unternehmensbezogene „Wertschöpfungsketten-Profitmaximierung“ betreiben. Bauen in Berlin ist schon fast doppelt so teuer, wie mittelständisches Bauen im Harzvorland oder in der Aachener Grenzregion. Ausbauhäuser kosten rund 1.000 € pro Quadrameter Wohnfläche. In Berlin wird Mietern und Politiker herumerzählt, Baukosten erzwingen Mieten von 15 €/Quadratmeter Wohnfläche. In Wien sind aber auch 4,57 €/Quadratmeter Neubaumiete möglich, in Augsburg im Seniorenwohnprojekt 5,80 € – und in der Uckermark gibt es einen Mietspiegel 2017 von 5,11 €/Quadratmeter.

Hochhaus-Freunde unter Architekten und Investoren träumen natürlich von der endgültigen Lösung der Berliner Wohnungsfragen durch Wohnhochhäuser, wie in Marzahn-Hellersdorf. Die Stiftung Zukunft Berlin ist übrigens mit involviert, denn auch hier sucht man nach künftigen Bauformen für die „wachsende Stadt“.

Ungelöste Verkehrsprobleme
Leider entstehen in der „wachsenden Stadt“ auch wachsende Verkehrsprobleme – und so wird sich um das Thema „Wohnen und Dichte“ herum auch unweigerlich das Thema „Verkehr“ zum Konfliktbereich entfalten. Schon heute sind die wichtigsten Bundes- und Stadtstraßen in Pankow überlastet. Der im Stau stehenden PKW raubt nicht nur den Pankower Autopendlern – sondern auch den Nachbarn aus dem Barnim – täglich zwei Stunden Lebenszeit. Erwartete zusätzliche über 60.000 Einwohner werden die Verkehrsdichte an Schwerpunkten enorm erhöhen.

Wer etwa Verwandte im Bucher Klinikum besuchen möchte, muss heute für die Anreise aus dem Berliner Stadtzentrum bis zu zwei Stunden PKW-Fahrtzeit kalkulieren, um sicher und pünktlich zur Besuchszeit eintreffen zu können. Die Rückfahrt kann ebenso lange dauern.

Verkehrsstaatssekretär Jens-Holger Kirchner bemühte sich daher gestern redlich, auf den rund 5-jährigen Zeithorizont zu verweisen, bei dem die B2 und andere wichtige Straßenbau-Vorhaben in Pankow fertiggestellt sind.

Leider hat er in seiner fünfjährigen Amtszeit als Baustadtrat in Pankow nur die Zeit gehabt, seit 2015 einen Plan für neue Wohnungsbau-Potentiale gemeinsam mit dem Berliner Senat abzustimmen. Eine notwendige „Verkehrs-Potential-Planung“ wurde jedoch unterlassen – und mit dem STEP-Verkehr auf das Prinzip Hoffnung gesetzt. Die neue „heranwachsende Zentralität“ des S-Bahnhof Pankow-Heinersdorf und dessen künftige Bedeutung für die gesamte Pankower Stadtentwicklung ist bisher noch nicht im Ansatz begriffen worden.

Leitbild des funktionalen Städtebaus kaputtgewirtschaftet?

Das unter Federführung von Le Corbusier 1943 entwickelte Leitbild der funktionalen Stadt (siehe: Charta von Athen) mit der Entflechtung städtischer Funktionsbereiche und Schaffung von lebenswerten Wohn- und Arbeitsumfeldern ist für die Post2030-Ära nicht mehr tauglich, weil es zu große Verkehrsproblem mit sich bringt. Die Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsplatz wird in Metropolen zu groß. Öffentliche Verkehrsmittel sind in Berlin zu unzuverlässig. Unfälle, Verschleiss, Baumaßnahmen und Störungen bewirken für Pendler existenzielle „Arbeitsplatz- und Verspätungs-Risiken.“

Der Umstieg auf Fahrrad und Pedelec und Elektro-Fahrzeugen wird die städtebaulich-räumlich bedingten Verkehrsprobleme nicht lösen, sondern nur lindern. Allein S-Bahn und Straßenbahnen auf eigenen sicheren kreuzungsfreien Trassen können künftig den „Modal-Split“ zwischen automobilen Individualverkehr und öffentlichen Verkehrsmitteln entscheidend verändern.

Das deutsche Baugesetzbuch (BauGB) und die geltende Baunutzungsverordnung (BauNVO) sorgen jedoch für die weitere Ausprägung der heute als falsch erkannten städtebaulicher Leitbilder. Die Folge: Flächenverschwendung und ökonomische Fehlentwicklungen, hohe Infrastrukturkosten und Folgekosten – die eine Entwicklung einer „intelligenten, sozialen und nachhaltigen Stadt“ stören, und sogar zerstören können.

Wohnbebauung "Karow-Nord"
Sechs Häuser – drei Paare – ein Typ. Die sechs Wohnbauten bilden den nördlichen Abschluss der Vorstadt Karow-Nord entlang des Berliner Autobahnrings – Foto: Eckert Negwer Suselbeek
ENS Architekten BDA

Karow-Nord: Stillstand auf hohen Wohnwert-Niveau mit Zwang zum Arbeits-Pendeln

In Karow-Nord kann man es heute direkt nebenan besichtigen: die Stadtstruktur ist zwar architektonisch klug geplant, aber nie ganz in baulicher Dichte fertig gestellt worden. Zu teure Mieten und Ladenmieten sorgen jedoch dafür, dass in der Achillesstraße selbst engagierte Café-Betreiber nicht langfristig durchhalten können. Ein Attraktivitäts- und Frequenzaufbau im Einzelhandel hat dort praktisch insgesamt in den letzten 10 Jahren nicht stattgefunden. Die Immobilienbewirtschaftung ist der Lage nicht gerecht geworden.

Ladenneugründungen sind derzeit aufgrund von Friktionen der Sozialgesetzgebung, Handelskonkurrenz, zu geringer Kundenfrequenz und Mietbelastung fast völlig ausgeschlossen. Dazu kommt das vom Einzelhandelsverband prognostizierte „Ladensterben“ aufgrund wachsender Umsatzverlagerung auf den Online-Handel. Damit droht eine urbane Zerfaserung der Stadtränder Berlins, denn jedes Geschäft kann bis 2020 nur noch mit 80% des heutigen lokalen Nahversorgungsumsatz planen!

Marktdifferenzierung und Umsatzteilung im Nahversorgungsmarkt

Hinzu kommt eine „Neudifferenzierung“ der Nahversorgungsmärkte durch Zuwanderung und Integration. Dort wo heute noch ein traditioneller inhabergeführter Bäcker oder Einzelhandel gegen übermächtige Handelskonzerne im Wettbewerb steht, werden künftig „Grossfamilien-Betriebe“ von Zuwanderern den lokalen Nahversorgungsmarkt schrittweise übernehmen.

Zudem sind die Förderchancen ungleich verteilt: der Alleininhaber gerät leicht in die Falle „Jobcenter“, während die gleiche Institution immer neue Familienmitglieder von Zuwanderrn fördert, bis irgendeine „Existenzgründung“ im gleichen Ladengeschäft „läuft“. Das sorgt natürlich für berechtigte Ängste – die aber politisch ignoriert werden. Tatsächlich ist der mittelständische Einzelhandel vom Aussterben bedroht.

Die Politik greift bei derartigen erkennbaren Konfliktlagen gern zu Ausweichlogiken, und bemüht dann die Leitbilder der „sozialen Stadt“, die Vielfalt, lebenswerte Stadt und sozialraumorientierte Kiezpolitik beschreiben.

Doch ökonomisch und betriebswirtschaftlich-faktisch wird damit die Segmentierung und Stückelung der Nahbereichsmärkte gefördert. Migranten und Ureinwohner bleiben dabei unter ihren jeweiligen Möglichkeiten. Mißmut und Verbitterung greifen Raum.
Am Ende kommen Förderpolitiken, Projektförderungen und die „sozial betreute Stadt“ – die nur auf hohen Subventionsniveau angemessene Tragfähigkeit und Wohlstand entwickelt.

Wie sieht die nachhaltige und integrierte soziale Stadt aus?

Städtebaulich könnte man heute auch „integrierte Stadtteile“ entwickeln, die Wohnen und Arbeiten in räumlicher Dichte und Vielfalt konzentrieren. Um das kreative Nachdenken von Architekten, Stadtentwicklern und Investoren und Nutzern und Anwohnern anzuregen, wird hier der Stein ins Wasser geworfen: „Was kann Neu-Blankenburg von Hongkong lernen?“.

Die wichtigste Frage für Laien, Politiker und Stadtentwickler lautet: „Wieviele Menschen passen auf einen Quadratkilometer?“.

Berlin hat derzeit eine Einwohnerdichte von durchschnittlich 3.948 Einwohner je km². Der heutige Flächennutzungsplan Berlin mit 891,68 Quadratkilometern Landesfläche ist für eine Wohn- und Arbeitsbevölkerung von ca. 5 Mio. Menschen ausgelegt worden. Damit wäre eine Dichte von etwa 5.607 Einwohner je km² geplant.

Berlin ist jedoch unterschiedlich dicht besiedelt: Der Ortsteil Friedenau hat ca. 17.000 Einwohner je km², dicht gefolgt von Prenzlauer Berg mit ca. 14.500 Einwohner je km². Der Berliner Hochhausbezirk Marzahn hat dagegen nur ca. 9.000 Einwohner je km². Zum Vergleich: New York hat auf der Halbinsel Manhattan: 27.000 Einwohner je km².

 

Hongkong ist mit 1104 Quadratkilometern Landesfläche 212 km² größer als Berlin, und hat bei 7.324.300 Einwohnern eine Dichte von
6429 Einwohner pro km². Der ökologische Fußabdruck in Hongkong ist schon bei 5,1 to CO2/Jahr und Einwohner – in Berlin ist er noch etwa doppelt so hoch. Ein Grund dafür sind die Wohnverhältnisse, die traditionell in Honkong viel niedrigere Standards in viele höheren Wohnhochhäusern erlauben.

Das lehrreiche Schreckens-Szenario: Kowloon Wallet City

Die größte jemals gebaute Dichte wurde in Hongkong verzeichnet. In der Kowloon Wallet City lebten auf 2,6 Hektar rund 33.000 Menschen. Hätte man diese Bauweise auf einem Quadratkilometer ausgedehnt, so hätten dort ca. 1,2 Mio. Menschen leben können.

Es wäe natürlich ein Schreckens-Szenario: würde man z.B. Neu-Blankenburg in Pankow (Heinersdorfer Straße/Blankenburger Pflasterweg) mit ca. 90 Hektar so bebauen, wie einst Kowloon Wallet City. Es könnten dort theoretisch ca. 1.142.307 Menschen Wohnen & Arbeiten.

Es ist eine einstige reale Schreckens-Vision – die durch praktisch rechtsfreie und kriminelle Immobilienspekulation der chinesischen Triaden möglich wurde. Honkong hat den Stadtbereich nach vielen Widerständen 1994 abgerissen.

Doch es ist eine für die künftige Zukunft lehrreiche Vision, weil der Mensch hier auf seinen „minimalen CO2-Fussabdruck“ rezuziert war, und praktisch nur Luft und Wasser und ein bischen Nahrung zum Arbeiten hatte.

Weitere Informationen:

DOKUMENTATION Kowloon Walled City von 1988

 

Lesen Sie demnächst im zweiten Teil:

Was kann Neu-Blankenburg von Hongkong lernen? #2
Wenn der Fahrstuhl zur Tram wird: Projekte der vertikalen Stadt

Foto-Credit & Dank: Das Foto der Wohnbebauung Karow-Nord wurde vom Büro Eckert Negwer Suselbeek ENS Architekten BDA zur Verfügung gestellt: www.eckertnegwersuselbeek.de