Der sitzende Akt in der Ossietzkystrasse blickt scheinbar skeptisch gen Himmel und fragt sich: „Wie lange noch werden Flieger über meinem Haupt einschweben oder starten? Die Betonguß-Skulptur „Der Sitzende“ von Bildhauer Manfred Salow befindet sich schon seit 1978 an diesem Ort. Mitten im Herzen von Alt-Pankow in der Ossietzkystrasse erschafft die Figur eine feinsinnige Allegorie. Zugleich ist sie ein beständiges Mahnmal für die unsichere Berliner Flughafenplanung.
Die Betonskulptur ist heute verwittert und porös – und müßte dringend restauriert – werden. Wie groß der Anteil der Flugzeugabgase an der Verwitterung ist, kann heute nur vermutet werden. Doch zehntausende Überflüge haben ganz sicher auch ihre Spuren hinterlassen – vom Fluglärm einmal abgesehen.
Vor einem Jahr
Vor einem Jahr begann auch die Berichterstattung der Pankower Allgemeinen Zeitung zum Thema Flugverkehr und Flughafenplanung – am 4.6.2012 war das ganze Ausmaß des geplatzen Fertigstellungstermins des Flughafens BER noch nicht im vollen Umfang bekannt:
Mehr Flüge über Pankow – Fluginformationen – 4. 06. 2012 – so lautete der erste Artikel zum Thema.
Am 24. Juli 2012 sollte der letzte große Brandschutztest erfolgen – und der Tag der Entscheidung für Überflieger! – 22.07.2012 – sollte Klarheit bringen, wann die letzten Überflüge in Pankow erfolgen.
Nur wenige Tage später wurde klar: Pankow bleibt noch lange Einflugschneise – 2. 08. 2012 – und erste Details des umfassenden Flughafen-Desasters wurden offenkundig. Neben statischen Mängeln wurde auch das Geheimnis der Geister-S-Bahnen erstmals öffentlich, die den unterirdischen Bahnhof mit „Belüftungsfahrten“ vor dem Verschimmeln bewahren sollten.
In dem Beitrag wurde die Insolvenz des Haustechnik-Planungsbüros im Jahr 2010 – drei Monate vor dem Richtfest – als eine der Hauptursachen des Planungs-Debakels beschrieben. Ferner wurde die komplexe Problematik des Brandschutzkonzeptes offengelegt und beschrieben.
Manfred Salow: Sitzender – Betonguss, 1978
Noch war eine Inbetriebnahme 2013 denkbar
Vor einem Jahr war noch eine Inbetriebnahme des Flughafens BER im Herbt 2013 – mit Beginn des Winterflugplans – denkbar. Doch es sollte noch schlimmer kommen. 9% Fluglärmplus für Pankow – 28. 10. 2012 – so stark nahm der Flugverkehr nach der verschobenen Eröffnung von BER in Tegel zu.
Auch zu diesem Zeitpunkt konnte man noch relativ optimistisch sein: „Der neue Flughafen BER soll am 27. Oktober 2013 in Betrieb gehen – doch noch ist der Termin mit vielen Unwägbarkeiten belegt.“
In der Zeit bis zum Jahresende 2012 zeichnete sich immer mehr ab, die Flughafenplanung BER steckt in grundlegenden Schwierigkeiten – und eine Verschiebung der Eröffnung auf 2014 wurde immer wahrscheinlicher.
Das Chaos wird länger dauern
Doch es kam noch schlimmer! In einem Beitrag wurde deutlich, das „Flughafen-Chaos nervt Pankower bis 2015“ – 14. 01. 2013. Erstmals wurde auch eine Prognose gewagt:
„Die Krise am Flughafen-Terminal wird daher noch fortdauern – und eine Inbetriebnahme verzögert sich. 2013 wird das Jahr der Reorganisation und Umplanung. Gebaut und umgebaut wird erst 2014. Und erst zum Frühjahrs-Flugplan 2015 ist eine Teil-Inbetriebnahme des Flughafen BER denkbar. Gleichzeitig wird 2014 und 2015 an einer Erweiterung gebaut werden müssen – und Teile des Flughafens werden deshalb Baustellen sein. Der Flughafen Tegel wird daher frühestens ab Winter 2015 geschlossen werden können.
Für die Pankower und alle Nordberliner sind das unschöne Aussichten – das Flughafen Chaos wird bis Ende 2015 nerven!“
Neustart mit neuem Flughafenchef
Im Frühjahr 2013 sollte es nun einen Neustart in der Flughafengesellschaft FBB geben: Harmut Mehdorn trat sein Amt an – und begann das interne Chaos zu lichten: „Mehdorns Tabubruch und die Due Diligence“ – 13.03.2013 – so lautete ein Kommentar zu Amtsantritt des neuen Flughafenchefs, der an die „gebotene Sorgfalt“ einer verantwortungsvollen Flughafenplanung und -betriebsführung erinnerte.
Hier wurde die Problematik des neu übernommenen Amtes deutlich gemacht, und ein mögliches „Schreckensszenario 2017“ beschrieben, falls der Flughafen BER zu einem späteren (fiktiven) Zeitpunkt wegen einer „Brandschutzrevision“ als „Single-Airport außer Betrieb gehen muß.
In diesem nicht (Not-)Fall bleibt nur der einzige Ausweg, den Flugverkehr der Metropolenregion Berlin über den Flughafen „Leipzig-Halle“ zu sichern.
Klaus gegen Hartmut
Inzwischen ist Harmut Mehdorn gut zwei Monate im Amt – und hat schon einiges an Reorganisation geschafft. Gleichzeitig hat Mehdorn den Aufsichsrat der Flughafengesellschaft mit seinen Forderungen zur Offenhaltung des Flughafens Tegel (TXL) verärgert.
„Startabbruch Mehdorn auf Risiko-Ruine BER?“ – 8. 05. 2013 – so lautete die Einschätzung zur aktuellen Entwicklung.
Nachdem sich Klaus Mehdorn zunächst eine Abfuhr von KLaus Wowereit abgeholt hatte, hat sich das Rad der Aufsichtsratsstellungnahmen zu Mehdorns neuer Flughafenpolitik weiter gedreht. Hatte Brandenburgs Ministerpräsident Mathias Platzeck noch im Frühjahr von „interessanten Vorschlägen“ gestprochen, so ist er inzwischen zurückgerudert.
„Tegel wird keine wie auch immer geartete Dauerlösung“, sagte der Aufsichtsratsvorsitzende der Flughafengesellschaft gegenüber dem Tagesspiegel. „Es werde nur geprüft, ob der Start des BER „auf einen Schlag“ erfolge oder ob es Zwischenschritte geben müsse. Platzeck dazu weiter: „Es kann allenfalls um einige Wochen oder Monate länger in Tegel gehen“. Und: „Eine Dauerlösung könne er sich „rechtlich nicht vorstellen, auch betrieblich und finanziell nicht.“
Hartmut Mehdorn sitzt damit auf einem sehr heißen Stuhl – denn ganz so einfach wird es mit der Flughafenschließung in Tegel nicht, solange es gravierende Inbetriebnahme-Risiken und technische Mängel am Terminal BER gibt.
Rückendeckung vom Bundesverkehrsminister
Der dritte im Bunde der Gesellschafter, Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer hat Hartmut Mehdorn in der letzten Woche den Rücken gestärkt und ihn als „Querdenker“ bezeichnet, der die Gesellschafter im Aufsichtsrat mit seinen „Ideen verblüfft hat“.
So hat Klaus Mehdorn die Gesellschafter mit einer Forderung nach Offenhaltung Tegels bis 2018 konfrontiert – und dies auch mit der absehbar notwendigen Sanierung der Start- und Landebahnen begründet.
Zudem: Hartmut Mehdorn beabsichtigt gegen ein Verwaltungsgerichtsurteil zum verschärften Lärmschutz vorzugehen, was von den Anrainern als neuerliche Kriegserklärung aufgefasst wurde – und neuen Proteste anfeuert.
In der aufgeheizten Diskussion warnte schließlich die IHK Berlin am 17. Mai 2013 in einer Presseerklärung:
„Die IHK Berlin drängt darauf, in der immer diffuser erscheinenden Debatte um die verbleibende Betriebszeit des Flughafens Tegel (TXL) zu den Fakten zurückzukehren.“
Der Stellvertretende IHK-Hauptgesch äftsführer Christian Wiesenhütter sagte: „Solange kein seriöser Zeit- und Kostenplan für die Eröffnung des BER vorliegt, sind alle Debatten rund um die verbleibende Betriebszeit des Flughafens Tegel reine Kaffeesatzleserei. Im Herbst will die Flughafengesellschaft eine belastbare Planung vorlegen – diese Zeit müssen alle Interessengruppen Flughafenchef Mehdorn und seinem Team geben. Klar ist: Der letztinstanzlich bestätigte Planfeststellungbeschluss lässt die Möglichkeit, dass der Flughafen Tegel bis zu einem halben Jahr nach BER-Eröffnung weiterbetrieben werden darf. Daran muss festgehalten werden. Alle juristischen Winkelzüge für einen darüber hinausgehenden Weiterbrieb verunsichern die Menschen im Norden Berlins und gefährden darüber hinaus die positiven Entwicklungschancen des zukünftigen Forschungs- und Industrieparks.“
Das presseöffentliche Geplänkel um Hartmut Mehdorns Wunsch nach Offenhaltung von Tegel ist damit vorerst beendet.
Finanzierungsschwierigkeiten auf dem Plan
Doch die Flughafengesellschaft befindet sich mittlerweise in einer bitterernsten Lage:
– die Mehrkosten des Flughafenbaus belaufen sich schon auf über 5 Mrd. € und belasten die Länderhaushalte von Berlin und Brandenburg, die eigentlich Haushaltskonsolidierungspläne unterschrieben haben. Jeder Monat ohne Betrieb kostet inzwischen bis zu 40 Millionen €.
– die Lärmschutzauflagen werden den Flughafen noch weiter verteuern und einen hohen dreistelligen Betrag kosten.
Das Finanzierungskonzept für den Flughafen BER gerät damit auch immer stärker ins Visier der EU-Kommission, die hier eine Prüfung auf unzulässige Beihilfen anordnen kann. Im schlimmsten Fall könnte es wie bei der Bankgesellschaft Berlin kommen: Auflagen zu einer Privatisierung könnten Berlin, Brandenburg und den BUND zum Verkauf des Flughafens zwingen.
Die verbleibenden Schulden fielen dann den drei Gesellschaftern anheim. Die geplante Haushaltskonsolidierung bis 2016 wird damit obsolet. Weitere lange Jahre Schuldendienst drohen.
Hartmut Mehdorn ist nicht um seinen Job zu beneiden. Jetzt ist Zeit für einen Kassensturz und eine enge Kosten- und Liquiditätsplanung. Im Herbst 2013 wird die Stunde der Wahrheit kommen – wann der Flughafen BER in Betrieb gehen soll.
Neben den Inbetriebnahme-Risiken mit der Brandschutztechnik, den notwendigen Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen – sowie der Sanierung der Start- und Landebahnen drohen enorme Finanzierungsrisiken. Ein Doppelbetrieb mit zwei Flüghäfen wäre auch zu teuer und würde der Flughafengesellschaft monatelange Verluste bescheren.
Die Flughafengesellschaft FBB manövriert bereits heute zwischen einem EU-Beihilfeverfahren und einer möglichen Pleite, wenn keine frühzeitige Inbetriebnahme in 2014 erfolgt.
Zudem gerät die FBB wegen der erhöhten Schallschutzauflagen in finanzielle Engpässe, wenn die Kosten nicht auf mehrere Jahre oder andere Kostenträger verteilt werden können.
„2014, 2015 … oder Parallelbetrieb mit Tegel bis 2018 – wie lange noch?“ – Diese Frage hängt nun vor allem auch am Geld.
Und diese Frage wird noch eine Weile bis nach der Bundestagswahl am 22. September 2013 im Raum stehen bleiben. m/s