Freitag, 29. März 2024
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Wohnungsmarkt: Katastrophe in Zeitlupe #1

Wohnungsmarkt: Katastrophe in Zeitlupe

/// Thema /// – Die Bundesrepublik Deutschland hat sich schleichend vom Leitbild gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Regionen entfernt und verabschiedet, obwohl damit ein Verfassungsgrundsatz verletzt wird. Inzwischen driften Städte und Regionen und das flache Land wirtschaftlich auseinander: es entwickelt sich ein Flickentepppich aus boomenden und schrumpfenden Städten und Regionen.

Wohnungsmarkt: Katastrophe in Zeitlupe
Wohnungsmarkt: Katastrophe in Zeitlupe: zu langsam, zu teuer, Altersarmut folgt

Wie sieht dieser Flickenteppich aus? – Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung in Bonn (BBSR Bund) beschafft die notwendigen raumrelevanten Daten/Informationen als Grundlage zur Beschreibung und Bewertung räumlicher Entwicklungen sowie von Entwicklungen auf dem Wohnungs- und Immobilienmarkt und wertet diese aus. In den Analysen des BBSR Bund kann man sich einen guten Überblick verschaffen und über die Entwicklungen informieren. Insbesondere der Regionalatlas Lebenslagen – Lebensrisiken zeigt die Problemlage und Problemstruktur gut auf.

In Bezug auf Wohnungs- und Immobilienmärkte drohen massive Fehlallokationen: in boomenden Städten und Regionen werden die Geringverdiener aus den Städten und Altstädten herausgedrängt. In den schrumpfenden Regionen ziehen junge Menschen weg, und verschärfen den Abwärtstrend. Hier drohen Leerstand, Überalterung und sogar aussterbende Dörfer und Städte.

Zuwanderung verändert die Grunddaten nur marginal

Mit der Zuwanderung von Flüchtlingen verändert sich zwar die Lage, doch die Verteilung nach dem „Königssteiner Schlüssel“ sorgt auch dafür, dass Flüchtlinge und Asylsuchende vorwiegend in den wirtschaftlich starken und einwohnerstarken Städten und Gemeinden untergebracht werden. Zuwanderung verändert die Zahlen nur marginal, denn 1 Mio. Zuwanderer sind nur etwa 1,2 % der Gesamtbevölkerung. Die jährliche Abwanderung hat zudem eine steigende Größenordnung erreicht, die 2013 eine Zahl von 797.886 Auswanderern erreichte, und 2014 bei ca. 900.000 Auswanderern abschloß. Rund ein Fünftel der Auswanderer sind übrigens Deutsche, meist aus hoch qualifizierten Berufen, die den Einwanderungsregeln anderer Länder entsprechen.

Gleichwertige Lebensverhältnisse werden zu Lebenslüge

„Der Begriff „gleichwertige Lebensverhältnisse“ gehört zur zentralen Leitvorstellung des Bundes und der Länder und zielt auf die gleichmäßige Entwicklung der Teilräume vor allem bezogen auf Daseinsvorsorge, Einkommen und Erwerbsmöglichkeiten. Auf bundesstaatlicher Ebene wurde damit den Fliehkräften des Föderalismus ein auf Solidarität und Konvergenz zielendes Leitbild gegenübergestellt.“

„Die Verantwortung „für die Fläche“ ist ein Kernelement des Sozialstaates (Art. 20 GG). Für die „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ wurde dem Bund Gesetzgebungsrecht in bestimmten Bereichen eingeräumt (Art. 72 GG). Länderfinanzausgleich und Bundesergänzungszuweisungen (§ 106 GG) wahren die „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“, indem auch finanzschwache Länder die notwendige Infrastruktur vorhalten können.

Das Raumordnungsgesetz des Bundes konkretisiert gleich im ersten Grundsatz: „Im Gesamtraum der Bundesrepublik Deutschland und in seinen Teilräumen sind ausgeglichene soziale, infrastrukturelle, wirtschaftliche, ökologische und kulturelle Verhältnisse anzustreben“ (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 ROG).

Wohnungsmarktprognose 2030
Wohnungsmarktprognose 2030 – BBSR Bund 7/2015

Veränderte Dynamik nach der Deutschen Wiedervereinigung und der Agenda 2010

Mit der deutschen Wiedervereinigung hat sich eine veränderte wirtschaftliche Förderdynamik ergeben. Viele Landkreise in den sogenannten „Zonenrandgebieten“ verloren ihre „Zonenrandförderung“ und brachen wirtschaftlich ein. Die Förderbedingungen des Aufbau Ost sorgten auch für einen partiellen Aufschwung zu Lasten benachbarter Landkreise in Bayern, Hessen und vor allem Niedersachsen. Hier wanderten zum Teil mittelständische Unternehmen in die benachbarten Kreise nach Sachsen und Thüringen ab. Vor allem der Westharz hat sich bis heute davon nicht wirtschaftlich erholt.

Doch mit der Agenda 2010 kam ein neuer dynamischer Faktor ins Spiel, der bis heute nicht richtig von der Politik verstanden ist. Vor allem in der Frage des Länderfinanzausgleich wird der Faktor bisher übersehen. Die Ökonomie hat sich mit den Veränderungen im Bankenmarkt und mit den Regeln zur Kreditsicherung nach BASEL II ein neues Regulativ gegeben, das seitdem nur noch Kreditgeschäfte auf Basis hoher Sicherheiten und hoher Bonität vergibt. Das begünstigt diejenigen, die schon ausreichend Kapital und Sicherheiten haben. Strukturell und raumwirksam: es wird seitdem auf dem flachen Land immer schwieriger Kredit zu bekommen. Hinzu tritt die deutsche Eigenart, das die deutsche Kreditwirtschaft bestehende Ausnahmemöglichkeiten nach der EU-Bankenverordnung CRR nicht nutzt und den bestehenden Spielraum der Großkredit- und Millionenkreditverordnung (GroMikKV) nicht nutzt. Dies hat ganz erhebliche strukturelle Folgewirkungen und bedeutet eine enorme Wettbewerbsverzerrung bei der Kreditvergabe – die über die wirtschaftliche Regenerationsfähigkeit ganzer Landstriche entscheidet.
Auch der Bankenverband hat dies zuletzt 2013 beklagt.

Wohlstandverluste nach dem Muster „Flächenbrand“

Mit der Einführung der Hartz4-Gesetze gab es weitere Struktureffekte, weil ländlicher Raum und gefragte Ballungsräume ganz unterschiedlich von den Folgen von Arbeitslosigkeit betroffen wurden. In Städten mit Mietwohnungen übernahmen die Sozialetats die Wohnkosten, auf den flachen Land mussten die Betroffenen überwiegend ihr Vermögen in Form eigener Häuser und Immobilien „liquidieren“ und aufgeben, bevor sie Anspruch auf volle Grundsicherungsbezüge stellen konnten. Dies mag individuell auch geboten und gerecht sein. Doch im ländlichen Raum wirken sich 20-20% Arbeitslosigkeit auch auf Ärzte, Apotheken, Händler und lokale Handwerker und Dienstleister aus.
In Kombination haben neue Bankenrichtlinien und Hartz4-Regeln auf dem flache Land in vielen strukturschwachen Regionen zu breiten Wohlstandverlusten, Eigentumsverlust und schrumpfenden Kredit- und Investitionsmöglichkeiten geführt.

Nur in jenen Regionen konnte der Prozeß aufgehalten werden, wo strukturwirksame Investitionen und eine „politisch unterstützte Großkreditvergabe“ gegensteuern hilft.

Insgesamt ergeben sich aus den Banken-Reformen und den Arbeitsmarkt-Reformen raumwirksame und soziale Systemwirkungen, die vor allem im strukturschwachen Raum zu breiten Wohlstandsverlusten, Leerstand, Wegzug junger Arbeitnehmer und Arbeitsplatzverluste geführt haben. Die breit wirksam gewordenen Wohlstandsverluste haben sich dabei nach dem Muster eines Flächenbrandes ausgebreitet und für das „Leopardenfell unterschiedlicher Lebensrisiken“ auf der Landkarte gesorgt.

Regionale Unterschiede der Bundesländer

Traditionell entwickeln dabei Bundesländern eine unterschiedliche Performance in der Kreditgewährung: in Bayern und Baden-Württemberg ist es traditionell leichter möglich, Kredite und Beteiligungskapital zu akquirieren. In Brandenburg hat es über lange Jahre die Tendenz zu leichtfertig abgesicherten Großkrediten für „fragwürdige Leuchtturmprojekte“ gegeben, die krachend gescheitert sind. In Berlin gibt es die Tendenz, große Kreditmittel vor allem an landeseigene Unternehmen zu binden, und bei Innovationen und Gründerinnovationen private Investoren und Konzerne zu bevorteilen.

Die Fähigkeit, den Strukturwandel durch eine „performante Projekt- und Kreditpolitik“ zu beschleunigen, hat sich vor allem in Bayern ausgeprägt. Hier wurden schon zu Zeiten des Ministerpräsidenten F.J. Strauß zwölf Fachhochschulstandorte „auf Kredit“ geschaffen, für die es zum Teil sogar negative Standortempfehlungen gab. Heute sind es nach über 40 Jahren tragende Kerne des Innovationswachstums. Ebenso hat Bayern das ganze Land mit einer Cluster-Strategie und einem Netz von Gründerzentren ausgestattet, das keinen Vergleich scheuen muss. Hier sind heute die wachsenden Räume, in denen aber die Wohnungsnachfrage und das vorhandene Mietniveau neue Grenzen setzen.

Berlin ist nun als wachsende Stadt nach langen Jahren eines entspannten Wohnungsmarkte ähnlich an Grenzen gestoßen, und muss nun die „Wohnungsangebotskrise“ neu lösen.

Fortsetzung folgt.

Wohnungsmarkt: Katastrophe in Zeitlupe #2
Lesen Sie in Teil 2:
– Verwerfungen auf dem Wohnungsmarkt und die katastrophale Lage in Berlin
– Altersarmut und neue soziale Risiken im Wohnungsbau