Freitag, 29. März 2024
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Zwangsräumung trotz Guthaben!

Zwangsräumung trotz Guthaben - Mieter J.H. vor seiner Wohnung

Eine unglaubliche Geschichte ereignet sich zur Zeit in Prenzlauer Berg. Sie handelt von Vermieterwillkür, Böswilligkeit und einer ignoranten Gerichtsbarkeit, die einen Mieter trotz Miet-Guthaben bis zur Zwangsräumung drängt. Der Streitwert war eine als überhöht empfundene strittige Nebenkostenabrechnung. Der Vermieter: eine Hausverwalterin, die von einigen Bewohnern nur noch „das Böse“ genannt wird und offensichtlich im Auftrag handelt, Altmieter zu verdrängen.

Zwangsräumung trotz Guthaben - Mieter F.H. vor seiner Wohnung
Zwangsräumung trotz Guthaben - Mieter F.H. vor seiner Wohnung

Das Mietshaus in der Prenzlauer Allee ist eines jener typischen Gründerzeithäuser, die an den gro0en Hauptstrassen in Prenzlauer Berg errichtet wurden.

Der Mieter ist ein 48-jähriger Bauingenieur. Franz H. * und betreibt als Soloselbständiger eine kleine Internet-Firma, die er aus einem Büro in Nähe seiner Wohnung führt.
Die Wohnung befindet sich im Seitenflügel – Erdgeschoß. Eine typische Berliner Wohnung, einfacher Standard, 330 € Miete. Das Treppenhaus ist sauber saniert – gutbürgerliche Atmosphäre strahlt es aus – und Wärme.

2008 ersteigerte das Ehepaar Peter und Gabriele K.* das Miethaus und setzte eine Hausverwalterin ein. Ludmilla Müller *, eine aus Rußland stammende ordnungsliebende, resolute Frau, wird von einigen Bewohnern im Haus nur noch „Das Böse“ genannt, weil sie systematisch Mieter herausdrängt und mit Sprüchen abfertigt wie „Ihre letzte Messe ist gesungen“.

Viele Mieter wurden auch regelrecht herausgedrängt, erhielten dabei aber auch Abfindungen.

Vorgeschichte: Streit um eine erhöhte Abrechnung

Die erste Betriebskosten-Jahresrechnung der neuen Hausverwaltung war mehrfach höher als die vorher üblichen Abrechnungen. Franz H. * zweifelte die Abrechnung an – und klagte. Doch er verlor, aus Mangel an Beweisen. Die Zahlungspflicht wurde gerichtlich bestätigt – und der Mieter zahlte zuerst die Gerichtskosten, dann den Anwalt und zum Schluss die Nebenkosten und damit zu spät. Er hätte die andere Reihenfolge wählen sollen. So geriet der Mieter mit der Zahlung in Verzug.

Der erhöhte Abrechnungsbetrag war höher als „eine Bruttomonatsmiete plus ein Cent“ und der Zahlungsverzug länger als ein Monat. Daraufhin kündigte die Hausverwaltung das Mietverhältnis im Zuge einer Widerklage. Am Tag darauf zahlte der Mieter den Gesamtbetrag. Die fristlose Kündigung wurde damit unwirksam – das Mietverhältnis bestand fort.

Die Hausverwaltung hatte die fristlose Kündigung ausgesprochen, und „hilfsweise dazu die fristgemäße Kündigung“ – deshalb bestand das Mietverhältnis fort, die fristgemäße Kündigung entfaltete jedoch nun ihre Wirkung: der Mieter sollte hinausgedrängt werden.

Der Rechtsstreit ging in die nächste Runde, weil der Mieter gegen diese Kündigung klagte.

Folgejahr: Guthaben durch Vermieter zu spät ausgezahlt

Im folgenden Jahr verringerte sich die Betriebskosten-Abrechnung wieder. Für den Mieter entstand ein Guthaben das ausgezahlt werden müsste. Faktisch trat damit der Sachverhalt zutage: die erste Abrechnung war tatsächlich überhöht gewesen.

Die Hausverwaltung zahlte jedoch nicht. Erst nach einer anwaltlichen Aufforderung wurde das Guthaben verspätet an den Mieter ausgezahlt.

Kurios: die Hausverwaltung schuldete auch einen Betrag in fast gleicher Höhe, wie im Vorjahr zuvor der Mieter. In beiden Fällen überstiegen die Summen das juristisch wichtige Maß von „einer Monatsmiete + 1 Cent“, die beide „gegenseitig“ später als zwei Monate bezahlt wurden.

Wirtschaftlich betrachtet schuldete der Mieter dem Vermieter nur eine tatsächliche Differenz von 66,35 €, das aber war für das Gericht unerheblich. Allein die ausbleibende Zahlung des Mieters zählte für das Urteil.

Vorsorgliches Wohlverhalten des Mieters

Der Streit ging weiter. Im Prozessverlauf zahlte der Mieter (zuzüglich zur ohnehin vorhandenen Kaution) eine Brutto-Monatsmiete als Guthaben ein, und tat dies als Zeichen seines Wohlverhaltens – auch um damit zukünftige Verspätungen (aus welchen Gründen auch immer) seinerseits ausgeschlossen werden. Das Mietguthaben bestätigte ihm die Hausverwaltung am 17.06.2013 in einer Mietschuldenfreiheitsbescheinigung.

„… hiermit bestätigen wir, dass für das oben genannte Vertragsverhältnis die Mietzahlungen regelmässig und in voller Höhe gezahlt wurden. Es bestehen zur Zeit vorbehaltlich noch nicht erklärter Nebenkostenabrechnungen keine Zahlungsrückstände. Es liegt eine Überzahlung in Höhe von 261 Euro vor.“

Das Guthaben nutzte zuvor im Gerichtsprozess nichts. Das Gericht hatte wegen der einmaligen verspäteten Zahlung des Mieters die „unwiderrufliche Ordentliche Kündigung ohne Abmahnung (!) aus nicht unerheblichen Gründen“ bestätigt. Sofort nach Erhalt des Urteils beauftragte die Hausverwaltung die Zwangsräumung.

Neue Rechtslage zum Kündigungschutz

Nach einem BGH-Urteil aus 2008 wurde es möglich, dem Mieter nach fristloser Kündigung gleich auch ohne Abmahnung (!) aus nicht unerheblichen Gründen (also wegen geringen Fehlverhaltens des Mieters) die fristgemäße Kündigung auszusprechen (BGH, Urteil vom 20.02.2008 – VIII ZR 139/07). Diese Regelung wurde jedoch bislang kaum angewandt.

Dadurch entstand eine Überraschungsklausel, mit der unverhofft wegen Nichtigkeiten endgültig gekündigt werden kann. „Davor galt, wenn zwei Mieten nicht gezahlt wurden, dann konnte fristlos gekündigt werden. Die Kündigung wurde jedoch unwirksam, wenn diese durch Nachzahlung „geheilt“ wurde.

Die Formel „Ordentliche Kündigung ohne Abmahnung aus nicht unerheblichen Gründen“ ist praktisch ein Freibrief, jegliches Mietverhältnis willkürlich kündigen zu können. Denn „nicht unerheblich“ heißt nicht „erheblich“, sonder bedeutet etwas mehr als fast garnichts. Daraus lässt sich fast alles ableiten, erst recht wenn man Mieter provoziert. Z.B. indem der Vermieter eine Mängelanzeige ignoriert und damit Streit herbeiführt.

Räumungsurtail:

Im Räumungsurteil heisst es, dass die eine verspätete Zahlung allein so schwer wog, dass eine fristgerechte Kündigung ohne Abmahnung gerechtfertigt gewesen sei. Die Umstände, die vermieterseitig zu der Verspätung geführt hatten, blieben unerheblich.

Das Landgericht bestätigte diese Auffassung und versperrte sogar den Gang zum Bundesgerichtshof, da dies eine gefestigte und gängige Rechtsprechung sei.

Die Ankündigung der Zwangsräumung zum 03.07 durch den Gerichtsvollzieher kam am 08.06.2013.

Franz H.* mußte angesichts der aktuellen Wohnungsmarktsituation schleunigst nach einem neuen Wohnraum umsehen. Soloselbständige haben es jedoch schwer, Angestellte mit regelmäßigen Einkommen werden bei der Wohnungsvergabe stets bevorzugt:

Eine Gehaltsbescheinigung sieht immer einfacher aus, als etwa eine „betriebswirstchaftliche Auswertung“ mit einem schwankendem Einkommen.

Blitzreaktion vom Sozialamt Pankow

Schon am 19.06 schrieb das Sozialamt, das in solchen Fällen von Amts wegen informiert wird, „es werde die Mietschulden übernehmen, um Obdachlosigkeit zu verhindern.“ Da Franz H. keine Mietschulden hatte, bat man vorsorglich das Obdachlosenwohnheim ABAS in der Storkower Strasse ein Bett ab 03.07 frei zu halten.

Ein Mieter kämpft weiter

Franz H.* versteht die Welt nicht mehr:

Er hat ein Mietguthaben, und wird wegen eines in der Vergangenheit liegenden strittigen Differenz gekündigt. Die verspätete Auszahlung des Betriebskosten-Guthabens an den Mieter und die Weigerung den Mangel zu beseitigen, waren für Amts- und Landgericht unerheblich. Auch eine Einzahlung einer Monatsmiete als zusätzliche Sicherheit war völlig unerheblich und wurde nicht gewürdigt.

Eine verspätete Zahlung nach Rechtsstreit war aber nach Urteilsspruch „NICHT unerheblich“ – und wurde als Kündigungsgrund anerkannt.

Heute ist Franz H.* richtig wütend und sagt: „Es ging der Hausverwaltung nur um die „Zerstörung meines Mietvertrages, da in der Lage jetzt teurer vermietet werden kann. Es ist eine „gewaltsame Umverteilung von unten nach oben, mit einer unglaublichen Kaltschnäuzigkeit und Rücksichtslosigkeit, da mir die Obdachlosigkeit droht und ich bis dahin ein völlig normales Leben geführt habe.“

Franz H.* bleibt jedoch kämpferisch, und nimmt die Angelegenheit grundsätzlich: am Freitag den 28.062013 hat er über seinen Anwalt Verfassungsklage gegen den Vermieter eingereicht. Die Klageschrift ist 17 Seiten lang – und wird das deutsche Mietrecht einer Neubeurteilung zugänglich machen! m/s

* Namen geändert und anonymisiert – Fortsetzung folgt.

Themenvorschau:
In der Rubrik RECHT wird in der kommenden Woche ein Artikel zum Mietrecht und Kündigungsrecht erscheinen, der einen Überblick über die aktuelle Rechtslage und Rechtssprechung gibt.

m/s