Dienstag, 19. März 2024
Home > Themen > Berlin: Trendumkehr beim Personal?

Berlin: Trendumkehr beim Personal?

Abgeordnetenhaus von Berlin

Das Land Berlin und die Berliner Bezirke leiden seit langer Zeit unter der großen Sparpolitik, die aufgrund der Schuldenlage langfristig vereinbart und mit Bund und Bundesländern festgelegt ist. Doch das neue Stadtwachstum und der Boom Berlins zwingen die Stadtpolitik zu einer dringenden Neuanpassung der Politik.

Abgeordnetenhaus von Berlin
Abgeordnetenhaus von Berlin – Flaggen vor dem Gebäude des ehemaligen Preußischen Landtags

Das neue Wachstum der Stadt schafft neue finanzielle Spielräume – aber auch neue Herausforderungen, mit denen sich die Koalition aus SPD und CDU im Berliner Abgeordnetenhaus auseinandersetzen muß.

Eine der größten Herausforderungen ist die Altersstruktur des öffentlichen Dienstes.

Überalterung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst

Ein Blick in die Statistik gibt Aufschluß, wie brisant das Problem in seiner gesamten Dimension ist:

„Im Januar des Jahres 2013 befanden sich 112 324 Beschäftigte im unmittelbaren Landesdienst Berlin, das sind 1 069 Beschäftigte weniger als im Vorjahr;“ heißt es in der aktuellen Landesstatistik, die noch den Stellenabbau feiert.

„Der Personalabbau spiegelt sich auch im Rückgang der Vollzeitäquivalente wider. Sie verringerten sich im Vergleich zum Vorjahr um 613. Die Beschäftigtenzahl sank somit um rund 0,9 Prozent und die Zahl der Vollzeitäquivalente um knapp 0,6 Prozent.
Bereichsstruktur Die Zahl der Beschäftigten in der Hauptverwaltung ging um 548 auf 89 281 zurück, bei den Bezirksverwaltungen
sank sie um 521 auf den Stand von 23 043 im Januar 2013.“

Aufgrund der Sparvorgaben des Stabilitätspaktes sollte bisher die Zielzahl der öffentlichen Bediensteten in Berlin auf ca. 100.000 MitarbeiterInnen angestrebt werden. Doch aufgrund des neuen Stadtwachstums wird dieses Ziel in Frage gestellt.

Beschäftigte im unmittelbaren Landesdienst 2013
Beschäftigte im unmittelbaren Landesdienst – Senatsverwaltung für -Finanzen Beschäftigtenbericht 2013

Problematische Alterstruktur

In der Verwaltung gibt es eine Altersdynamik, die sich Jahr um Jahr kritischer entwickelt. Noch hat sich die Verteilung zwischen den einzelnen Altersgruppen etwa hat sich gegenüber dem Vorjahr 2012 nur überschaubar verändert.

Sie gibt es einen Rückgang in der Gruppe der 40- bis unter 50-Jährigen um 2 810, was einem Rückgang um knapp acht Prozent gegenüber dieser Altersgruppe im Jahr 2012 entspricht. In den anderen Altersgruppen gab es einer Zunahme der Beschäftigtenzahl. Die Zahl der Beschäftigten in der Gruppe der unter 30-Jährigen nahm etwa um 659 (rd. 18 %) zu, in der Gruppe der 30- bis unter 40-Jährigen steigt sie um knapp 0,5 Prozent bei den 50- bis unter 60-Jährigen um 0,7 Prozent und in der Gruppe der Beschäftigten, die 60 Jahre oder älter sind um rund vier Prozent.
Damit ist ein kleiner Kurswechsel erkennbar: es wurden vermehrt ältere Kräfte eingestellt, um Stellendefizite auszugleichen.

Der Bestand der unter 30-Jährigen von 4 046 Beschäftigten in 2006 erhöhte sich auf 4 195 in 2013, eine Zunahme von 3,7 Prozent.
Bei der Altersgruppe 60-jährig und älter stieg die Zahl jedoch von 11 655 in 2006 auf 18 413 Beschäftigte in 2013 an, nahm also innerhalb von sieben Jahren um knapp 58 Prozent zu.

Konkret bedeutet dies, eine dramatische Entwicklung in den nächsten 5 Jahren, weil über 18.000 Beschäftigte in den Ruhestand gehen werden. Aufgrund von Krankheit, vorzeitigen Ruhestand erhöht sich die Zahl noch, und es wird geschätzt, das etwa ein Drittel aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst des Landes bis 2019 altersbedingt aus ihrem Dienst ausscheiden.

Damit gehen auch die gesammelte Erfahrung, das erarbeitete Fachwissen und viele praktische Spezialkenntnisse verloren, die für das Funktionieren heutiger hochkomplexer Verwaltungsprozesse unerlässlich sind.

Beschäftigte im unmittelbaren Landesdienst Berlin im Januar 2013
Beschäftigte im unmittelbaren Landesdienst Berlin
im Januar 2013 – Sen Fin (Beschäftigtenbericht)

Das Umsteuern beginnt: SPD-Fraktion fordert neue Personalpolitik

Die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus hat deshalb Ende Mai den Senat aufgefordert, ein Personalbedarfskonzept auf der Basis verbindlicher Zielzahlen für das Jahr 2016 zu erstellen.

Dieses Konzept soll altersbedingte Personalabgänge, die Fluktuationsprognose, den Ausbildungsbedarf sowie den Einstellungsbedarf bis 2018 in den einzelnen Aufgabenfeldern und Laufbahnen berücksichtigen. Die SPD-Fraktion macht Druck, denn das Konzept soll noch bis zum Sommer 2014 vorliegen.

10 Millionen € mehr für Personal

Die Pankower Abgeordnete Dr. Clara West (SPD) setzt sich dafür ein, jetzt Blick nach vorn in der Personalpolitik zu wagen. Berlin wächst und verzeichnet steigende Steuereinnahmen und kann einen ersten Teilerfolg vermelden:

„Nach vielen Jahren des Personalabbaus geht es in eine neue Richtung: Das Land Berlin nimmt Geld für Neueinstellungen in die Hand! 10 Millionen Euro stellt die Senatsverwaltung für Finanzen im Haushaltsjahr 2015 für den so dringend benötigten Wissenstransfer innerhalb der Berliner Verwaltung zur Verfügung.“

Die ersten 10 Millionen Euro reichen nicht weit, dennoch ist es ein wichtiger Schritt:

„Das Geld wird dazu genutzt werden, um ca. 217 neue Mitarbeiter für bis zu sechs Monate vorgezogen einzustellen. Etwa 100 in den Bezirken, die restlichen innerhalb der Hauptverwaltungen des Landes. Durch die vorgezogene Einstellung (in Führungs- bzw. Schüsselpositionen) können Vorgänger und „Neubesetzung“ der jeweiligen Stelle für mehrere Monate gemeinsam arbeiten, um so genug Zeit für eine umfassende Einarbeitung und die Weitergabe des so wichtigen Spezialwissens zu haben. Ein wichtiger Schritt, der sich sicherlich langfristig positiv für die Verwaltungsabläufe, und damit auch für die Bürger Berlins, auswirken wird!“ schrieb die Abgeordnete West auf der Internetseite der SPD-Pankow.

Sie sieht aber auch, es reicht nicht aus:

„Dies kann aber nur ein erster Schritt sein. Die Herausforderungen, vor der wir bei der Personalentwicklung im öffentlichen Dienst in den nächsten Jahren stehen, sind enorm. Die hohe Zahl an anstehenden Pensionierungen wurde in diesem Zusammenhang bereits genannt. Berlin ist eine wachsende Stadt, die Einwohnerzahl der Stadt kontinuierlich – ein Ende ist hier nicht abzusehen. Dass mehr Menschen nun mal auch mehr Kitas, Bürgerämter oder Schulen brauchen, das müssen wir ins unsere politische Entscheidungen zukünftig einbeziehen. Damit sich der öffentliche Dienst verjüngen kann, müssen mehr Auszubildende übernommen werden, dieser muss aber auch so attraktiv für Nachwuchskräfte sein, dass sie sich auch dafür entscheiden, für das Land Berlin zu arbeiten. Dabei geht es nicht immer nur ums Geld, sondern auch um Fragen wie Vereinbarkeit von Familie und Beruf.“

Der Reformdruck steigt weiter

Die Frage der Personalentwicklung im öffentlichen Dienst wird auch auf den bevorstehenden Klausurtagungen von SPD und CDU eine wichtige Rolle spielen. Die bevorstehende Pensionierungswelle von rund 30.000 Mitarbeitern wird man kaum 1:1 durch Neueinstellungen auffangen können. Die Pensionslasten und Ausgaben für Personal steigen bis zum Jahr 2030 weiter an – und setzen einen unmittelbaren Zwang zur Haushaltskonsolidierung.

Der Reformdruck bleibt, und eine gezielte Verjüngung der Berliner Verwaltung ist auch eine Chance, um Strukturen und Doppelzuständigkeiten der Bezirke zu verschlanken.

Innenhof vor dem Haus 6: Das Schiff zur Rettung der Unschuld der Kunst v. Thomas Richter u. Martin Wilke
Bezirksamt Pankow – Haus 6 in der Fröbelstraße

Kommt eine Verwaltungsstrukturreform?

Die bereits in der Vergangenheit geführte Debatte um eine Verwaltungsreform dürfte bis zum nächsten Wahltermin 2016 erneut einsetzen. Die Hauptfrage: Braucht man überhaupt 30.000 Neueinstellungen, um eine leistungsfähige Verwaltung aufrecht zu erhalten? Vor allem: gibt der Arbeitsmarkt überhaupt so viele Fachkräfte her? Berlin hat jetzt schon ein Riesenproblem, Stellen ausreichend mit geeigneten Fachkräften zu besetzen.

Rationalisierung, Verschlankung, E-Government – was geht?

Die bereits begonnene „Regionalisierung“ von Verwaltungsaufgaben ist ein denkbarer Weg, der fortgesetzt werden kann. So ist etwa das Finanzamt Marzahn-Hellersdorf mit der regionalisierten Erfassung der Übernachtungssteuer nach dem Übernachtungssteuergesetz (ÜnStG) betraut, die immer noch fälschlich City-Tax genannt wird.

Auch bei der Umsetzung der Zweckentfremdungsverbotsverordnung bietet sich eigentlich der Weg einer regionalisierten Ämterbildung in Berlin-Mitte an.

Ein weitergehender Schritt wäre ein Berliner-E-Government-Gesetz, das moderne E-Government-Aufgaben zentralisiert und/oder regonalisiert, und den Bezirken hoheitliche Eingriffsrechte belässt.

So könnten alle Verwaltungsvorgänge einheitlich ausgeführt werden, alle Formulare und Schriftstücke würden sich jeweils nur durch aufgedruckte Bezirkswappen und Behördensiegel unterscheiden. Übrigens: eine Technologie, die es schon über 10 Jahre in Neuseeland gibt, dem Musterland des leistungsfähigen und effektiven Staates.

Durch eine einheitliche Fallbearbeitung könnte viel Geld und Personal eingespart werden. Für Standardverwaltungsvorgänge ist es irrelevant, ob sie im Internet, in einem bestimmten Bezirk oder in einem bestimmten Gebäude elektronisch bearbeitet werden. Es genügt, wenn Bürgerinnen und Bürger am Wappen erkennen, wem die Behördenpost zuzurechnen ist.

Nur die Ansprache bei der Sachbearbeitung oder im Bürgeramt muß eindeutig mit der E-Government-Technik verknüpft sein.

Zugleich würden die Bezirksämter alle Einzelfallabstimmungen und Verhandlungsfälle in eigener Zuständigkeit behalten, und könnten dennoch ihre politische Zuständigkeit im begründeten Einzelfall bearbeiten und entscheiden.

Ein neues Milliarden-Loch droht

Eines ist klar: die noch regierende SPD und CDU haben ein Riesenproblem für Berlin heraufziehen lassen, und die Folgen der Sparpolitik zu lange in Kauf genommen. 217 zusätzliche Stellen ab 2015 sind daher noch keine Trendumkehr, sondern ein Tropfen auf einen sehr heißen Stein.

Die in den nächsten 5 Jahren bestehende Lücke wird bei durchschnittlich rund 46.100 € Jahreskosten für eine einzige Stelle, ein Loch von zusätzlich rund 1.383.000.000 € in den Landeshaushalt reißen. Einnahmeausfälle aufgrund von fehlende Personal nicht eingerechnet. m/s

Weitere Informationen:

Senatsverwaltung für Finanzen: Personalstatistik

m/s