Der Einzelhandel in Pankow macht einen stetigen Wandel durch. Ladenleerstand in der Schönhauser Allee, leere Geschäfte in der Berliner Strasse – zwischen Alt-Pankow und Vinetaplatz – rufen inzwischen ernste Besorgnisse hervor. Auch in der Breite Strasse gibt es seit Frühjahr 2013 leere Läden. Wie kann dem mittelständischen Einzelhandel geholfen werden und die urbane Qualität von Einkaufsstrassen erhalten werden? Dazu gibt es in Berlin schon länger politische Überlegungen.
Leerstand in der Berliner Strasse Ecke Schulstrasse
Die Idee kommt aus den USA, und hat inzwischen auch in Deutschland Fuß gefasst: Business Improvement Districts. „Business Improvement Districts (BIDs) sind Stadtentwicklungsinitiativen zur Attraktivitätssteigerung, Stärkung und Revitalisierung von Innenstädten, Stadtteilzentren, Wohnquartieren und Gewerbezentren,“ so definiert es der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK).
Als erfolgreiche Form von Public Private Partnership zur Zentrenentwicklung sind BID´s bereits in einigen Bundesländern Eingang in landesgesetzlichn Regelungen gefunden.
Gesetze und Einführung von BID´s
Als Vorreiter hat Hamburg das Modell BID eingeführt. Das Gesetz zur Stärkung der Einzelhandels und Dienstleistungszentren („BID-Gesetz“) ist am 01.01.2005 in Kraft getreten (Novelle am 01.01.2011). Bereits seit dem Jahr 2004 fördert Nordrhein-Westfalen die Landesinitiative “Stadtmarketing der 2. Generation” mit Umsetzung des BID-Ansatzes unter der Bezeichnung „Immobilien- und Standortgemeinschaften“. Auch das Saarland hat ein BID-Gesetz.
In allen anderen Bundesländern gibt es Initiativen unterschiedlicher Art zur Einrichtung von Pilotprojekten und BID´S.
In Berlin ist eine Gesetzesinitiative der CDU-Fraktion im Jahr 2005 gescheitert. Im Berliner Koalitionsvertrag 2011-2016 ist jedoch neu verankert, .. „dass die Koalition zur Stärkung von Standortgemeinschaften in den Berliner Geschäftsstraßen vor dem Hintergrund der Erfahrungen anderer Städte mit „Business Improvement Districts“ (BID) die Einführung eines Berliner BIDGesetzes prüfen will.“
Geschäftsstrassen-Initiativen
In Berlin verfolgen IHK und Handelsverbände sowie private Akteure bisher einen „freiwillig kooperativer Ansatz und engagieren sch aktiv in der Umsetzung neuer Kooperations- und Fördermodelle der Stadtentwicklung. Es gibt über 70 Geschäftsstrassen-Initiativen.
In der Steglitzer Schloßstrasse hat sich das sehr erfolgreich bewährt. Handel, Immobilieneigner und der Bezirk haben hier über lange Jahre zusammen gearbeitet haben. Durchaus erfolgreich ist auch die Zusammenarbeit in der Altstadt Spandau, in der Wilmersdorfer Strasse und am Kurfürstendamm.
Die Geschäftsstraßeninitiative in der Berliner Allee in Weißensee arbeitet ebenfalls vorbildlich und hat 2011 sogar eine völlig neue Weihnachtsbeleuchtung finanziert und richtet das alljährliche große Blumenfest mit aus.
In Prenzlauer Berg hat sich die IG Casting-Carree e.V. in der Kastanienallee 2011 neu gegründet und richtet 2012 erstmals ein Straßenfest aus – nachdem sie ein Preisgeld im Wettbewerb gewonnen hat.
In der Schönhauser Allee fehlt bislang eine wirksame Geschäftsstraßen-Initiative, der hohe Filialisierungsgrad und die rasante Handels-Entwicklung haben eine übergreifende Zusammenarbeit behindert. Auch fehlen unternehmerisch denkende Persönlichkeiten, die eine derartige Initiative neben ihren eigentlichen Geschäften ehrenamtlich vorantreiben.
Am Vinetaplatz arbeiten einige Gewerbetreibende und Händler zusammen. Hier entfalten sich nach Abschluß umfangreicher Bauarbeiten wieder Handel und Geschäftsleben und auch ein paar neue Geschäfte angesiedelt.
Leerstand in der Breite Strasse: Cafe-Restaurant in bester Lage
Aktivitäten in Pankow
Bereits im letzten Jahr hatte die Arbeitsgemeinschaft der Selbstständigen (AGS) in der SPD in Pankow und die Interessengemeinschaft Alt-Pankow e.V. (IG Alt-Pankow) zu einer Veranstaltung „BID. Business Improvement District – ein Modell für Berliner Geschäftsstraßen?“ eingeladen. Am 8.November 2012 trafen sich dazu im damaligen Kiezbüro der Freien evangelischen Gemeinde Pankow in der Berliner Straße Vertreter von Geschäftsstrassen-Initiativen und Handelsverbändern mit Pankower Geschäftsleuten und Bezirkspolitikern zusammen.
Antje Leinemann vom Präsidium des Handelsverband Berlin-Brandenburg, Stephanie Draack, Sprecherin der IG Alt-Pankow, Sebastian Mücke, Sprecher der IG Kastanienallee (Prenzlauer Berg) sowie Axel Paul, Vorsitzender des Haus- und Grundbesitzerverein von 1887 Berlin-Steglitz und Christof Deitmar von der IHK zu Berlin namen daran teil.
Tine Fuchs, Referatsleiterin Stadtentwicklung beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag gab einen ausführlichen Überblick über bestehende Gesetze, Initiativen und Modellprojekte – und zeigte dabei auch Erfolgsregeln und erfolgreiche Ansätze auf. Zuerst stellte sie klar: BID´s übernehmen keine Aufgaben öffentlicher Daseinsvorsorge, sondern sind zusätzliche Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung
„Business Improvement Districts sind Werbezusammenschlüsse aus Einzelhändlern und Grundeigentümern zur Verbesserung von Geschäftsstraßen, die durch Umlagen der Grundeigentümer finanziert werden.“
Die beabsichtigten Aktivitäten können von Werbeaktionen über Weihnachtsbeleuchtung bis zu konkreten Baumaßnahmen und Umfeldverbesserungen reichen. Sie werden per Satzung durch Umlagen aller betroffenen Grundeigentümer finanziert. Die Einrichtung eines BID muss von Grundeigentümern eines Straßenabschnitts beantragt werden. Die Einrichtung wird öffentlich bekanntgemacht und darf eine bestimmte Anzahl von Widersprüchen nicht überschreiten. Ist ein BID per Satzung eingerichtet, werden die Umlage-Beträge behördlich von den Immobilien-Eigenümern eingezogen. Ob ein Ein BID-Gesetz in Berlin sinnvoll ist, wird noch geprüft.
Kooperation statt Zwang
Axel Paul, Vorsitzender des Haus- und Grundbesitzerverein von 1887 Berlin-Steglitz hob auf die langjährige erfolgreiche Kooperation in der Schloßstrasse ab. Hier hätten die Immobilien-Entwickler und Grundeigentümer vor allem auch aus Eigeninteresse kooperiert und Millionenbeträge in bauliche Verbesserungen und Umgstaltung investiert.
Beklagt wurde aber das Trittbrettfahrer-Problem: Eigentümer und Geschäftsleute, die von Werbemaßnahmen profitierten, ohne sich selbst zu beteiligen.
Das Modell BID wurde von Podiums- und Veranstaltungsteilnehmern überwiegend positiv aufgenommen. Die für Einzelhändler brennende Frage nach der Auswirkung von BID´s auf die Geschäftsmieten ließ sich beantworten: Vertraglich sind Aufschläge während der Geltung eines BID´s ausgeschlossen. Umlagen lassen sich weder auf die laufenden Mietverhältnisse noch auf die Betriebskosten aufschlagen.
Grundeigentümer haben aber nachweislich einen auf Dauer gestiegenen Wert ihrer Häuser, wenn ein BID durchgeführt wird, weil das Umfeld, Aufenthaltsqualität und Kunden-Frequenz verbessert werden. Urbanität und ein verschönertes Umfeld schaffen eine Win-Win-Situation für Händler und Vermieter, wenn Augenmaß bewahrt wird.
Antje Leinemann, Geschäftsführerin von KARSTADT am Hermannplatz und Vizepräsidentin des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg e. V. sagte: „Der Nutzen für die Geschäftsstraßen belegt die Verlängerung von gerade abgelaufenen BID durch die Akteure selbst.“
Auch sie bevorzugt das Kooperationsprinzip: „Handeln können, nicht müssen“, fasste Antje Leinemann die Möglichkeiten eines BID-Gesetzes für Berliner Geschäftsstraßen zusammen.
Situation in der Schönhauser Allee
Der Bezirksverordneten Roland Schröder (SPD) stellte im Frühjahr eine „Kleine Anfrage 0287/VII“ zum „Leerstand von Ladengeschäften in der Schönhauser Allee“, in der rund 20 Ladengeschäfte leer stehen. In der Anfrage wurde auch nach Ursachen und Trends gefragt.
Bürgermeister Mathias Köhne gab in seinen Antworten für die Schönhauser Allee so etwas wie eine „Entwarnung“:
„Temporäre Leerstände sind in Einkaufsstraßen mit dynamischer Entwicklung nicht ungewöhnlich. Ursachen können zu hohe Mieten, falsche Marktbeurteilung oder der Konkurs einer Ladenkette wie z.B. der Schlecker-Drogeriemärkte sein.“
„Die Schönhauser Allee als ausgewiesenes Bezirkszentrum war und ist eine der Haupteinkaufsstraßen unseres Bezirkes. In ca. 300 Geschäften finden Kaufinteressierte neben den üblichen Sortimenten auch interessante Nischenprodukte. Auf einer Länge von 2,7 km präsentieren Einzelhändler Sortimente, die das Angebot der Schönhauser Allee-Arcaden (ca. 100 Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von 22.000 m²) ergänzen. Das Bezirksamt schätzt ein, dass diese positive Entwicklung nach wie vor erhalten bleibt.
Zur Mietenentwicklung gab Köhne auch konkrete Daten preis:
„Der Orientierungsrahmen Gewerbemieten der IHK Berlin von 2013 sieht für die Schönhauser Allee folgende Mietpreisspannen vor:
- Bei Ladengeschäften von 50 – 120 m²: 15 – 40 €/m²
- Bei Ladengeschäften von 120 – 260 m²: 10 – 25 €/m².
Tendenzen lassen sich daraus nicht ableiten.“
Gleichzeitig wurden Gesprächsbedarf mit den Eigentümern leerstehender Immobilien verneint, weil es derzeit keine dauerhaften und besorgniserregende Größenordnungen gibt. „Das Bezirksamt weist bei der Beratung von Existenzgründern und gewerberaumsuchenden Einzelhändlern diese auf die Potentiale der Pankower Geschäftsstraßen hin.“
Bürgermeister Mathias Köhne sieht gegenwärtig auch keine Veranlassung für eine Standortkonferenz mit den Beteiligten. Jedoch: „Sollte der Leerstand in der Schönhauser Allee sich in nächster Zeit signifikant erhöhen, wäre eine Art Standortkonferenz eine Option“.
Besondere Situation in Alt-Pankow
In Alt-Pankow hat der Neubau der Berliner Strasse einen beträchtlichen Aufwertungsdruck erzeugt. Die Mieten sind vereinzelt exorbitant gestiegen – während die Besucherfrequenz relativ stabil geblieben ist. Einige Geschäfte haben die dreijährige Bauphase nur mittels finanziellen Ausgleichsmitteln des Bezirks überstanden. Nun müssen sie weichen, bevor neue Reserven aufgebaut werden konnten.
Leerstand in der Breite Strasse – Eckladen in guter Lage
Erschwerend kommt hinzu: eine unkoordinierte Vermietungs-Politik hat auch zur Geschäftsaufgabe und zum Qualitätsverlust beigetragen. Ein Backshop mit Internet-Café mußte z.B. aufgeben, weil sich 60 Meter weiter ein gleichartiges Gewerbe einmieten konnte.
Der Umzug der Videothek in die Wollankstrasse sorgt z.B. für gezielten Besucherverlust in den Abendstunden. Die Berliner Strasse wird dann nur noch Durchgangs-Passanten genutzt, die hier entlangeilen.
Die Berliner Strasse hat damit praktisch keine ausreichende „Flanier-Qualität“ mehr, die nur durch qualitativ hochwertige Geschäfte neu hergestellt werden kann.
Videothek geschlossen – Abends keine Kunden mehr in der Berliner Strasse
Bubble-Tea-Blase im Herbst 2012 geplatzt – Leerstand
Hinderlich sind auch die Treppenstufen vieler Ladengeschäfte – es sind „Umsatzbremsen“, weil die Läden nicht barrierefrei sind.
Der bevorstehende Einzug einer Dentalpraxis und einer Pizzeria in die Berliner Strasse wird zu einer Belebung beitragen – aber auch die Tendenz zu höheren Mieten unterstützen.
Im östlichen Teil der Berliner Strasse steht in bester Lage ein Restaurant mit Vorgarten leer – hier war der letzte Frequenzbringer am Wochenende, der leider nicht gut geführt und vermarktet wurde. Nun zieht dieser Leerstand den gesamten Abschnitt in Mitleidenschaft. Das Verhältnis von Mietforderungen und Neueröffnunsgrisiko ist ungünstig geworden.
Der große Wandel in Alt-Pankow
Die gesamte seit 20 Jahren städtebaulich geplante Zentrenentwicklung steht in Pankow unter Druck, weil neue Handelsflächen die bisherige Planung konterkarieren:
- infolge Insolvenz haben die RATHAUSPASSAGEN 2012 die IHRPLATZ Filiale eingebüßt, die zu SCHLECKER gehörte. Die LEISER- und SCHUHOF- Filialen waren 2011/2012 auch zeitweise in Schieflage und konnten gesichert werden.
- Der neue REWE-Markt in der Wollankstrasse bietet dem Kunden einen ebenerdigen Parkplatz – damit bedrängt der das Rathaus-Center mit seinem Parkhaus im Segment Lebensmittel
- Im neuen Dienstleistungszentrum Garbátyplatz feiern DM und EDEKA Umsatzrekorde aufgrund der guten Lage. Drogerieartikel und
Lebensmittel ergänzen sich – und viele Kunden steigen nun gleich in die Tram, und fahren nach Niederschönhausen, ohne noch in der
RATHAUSPASSAGE nachzuschauen. - Die Krieger- Grundstücksgesellschaft möchte mit einem Schlag zum größten Gewerbevermieter in Pankow avancieren – und plant ein
Einkaufszentrum mit über 1.500 ebenerdigen Parkplätzen neben dem Möbelhaus auf dem Gelände des ehemaligen Rangierbahnhofs Pankow.
Das sich in die Länge ziehende Werkstattverfahren zur Bebauung des ehemaligen Güterbahnhofs Pankow wirft so längst Schatten auf die Pankower Zentren-Entwicklung: der Investor für die Fläche der ehemaligen Kaufhalle an der Breite Strasse wartet nun bis auf Weiteres ab.
Der Plan der ANH Grundstücksgesellschaft für ein Einkaufszentrum mit „Dachparkplatz“ ist vom Stadtplanungsamt abgelehnt worden – weil es sich nicht in die bisherige Bebauung einfügt. Nun gähnt dort eine Brachfläche – und es wird für lange Zeit nichts mit „Flanierqualität“ auf dieser Seite der Breite Strasse.
Die weitere Handelsflächenentwicklung in Alt-Pankow ist so trotz allgemeiner Aufwärtsentwicklung vorerst ausgebremst. Wie die weitere Entwicklung ausgeht, ist durchaus fraglich, wenn sich Kundenströme und Umsätze weiter aus dem unmittelbaren Pankower Zentrum heraus verschieben.
Braucht Alt-Pankow ein BID?
In Alt-Pankow gibt es keine funktionierende Händlerinitiative mit einem schlüssigen Gesamtkonzept, das der Umbruch-Situation gerecht wird. Die Vereine Für Pankow e.V. und IG Alt-Pankow e.V. agieren eher nebeneinander, als miteinander. Neben der Unterstützung der Ansiedlung von Möbel-Krieger wären auch einige kleinteilige Verbesserungen nötig, die den Laden-Leerstand schnell überwinden helfen.
Auch für Vermieter und Eigentümer gibt es viel zu tun: jeder Monat Leerstand zieht weitere Geschäfte in Mitleidenschaft.
Attentismus kann schnell zu „Downtrading“ Prozessen führen, in denen Vermieter selbst in der Not nur noch die Wahl zwischen Billigläden, Imbiss oder Spielhalle haben. Für eine übergreifende Initiative zur Bekämpfung von Leerstand ist es höchste Zeit.
Händler und Vermieter, IG-Altstadt Pankow e.V. und Für Pankow e.V. sollten sich baldmöglich zusammensetzen! Urbanität, Flanierqualität und erfolgreicher Handel lassen sich nur mit enger Kooperation und gemeinsamen Ziele entwickeln. m/s
Veranstaltungstip:
„Bitte ein BID!“
Fachgespräch am 23.5.2013 für ein Berliner Gesetz zur Schaffung von Partnerschaften in Geschäftsstrassen
Donnerstag, 23. Mai 2013 – 18:00
Abgeordnetenhaus von Berlin
Niederkirchnerstr. 5
10111 Berlin Raum 376
E-Mail: buero.ludwig@gruene-fraktion-berlin.de