Die Ereignisse liegen nunmehr fast 4 Jahre zurück. Der Untersuchungsausschuß „BER“ des Berliner Abgeordnetenhauses hat sich nach dessen Gründung 27. September 2012 in vielen Sitzungen in die Anfänge des Flughafen-Debakels vorgearbeitet. Am letzten Freitag war nun eine weitere wichtige Zeugin aus dem Jahr 2010 vor dem Ausschuß.
Die Projektleiterin des Projektsteuerers WSP CBP, Frau Ariane Graf-Hertling gab zu Protokoll, dass sie gegenüber Geschäftsführung der FBB GmbH bereits im April 2010 aufgrund der bestehenden Planungsrückstände eine Verschiebung des avisierten Eröffnungstermins November 2011 um 12 Monate auf das Jahresende 2012 für erforderlich gehalten hat und auch eine entsprechende Information des Aufsichtsrates noch vor dem Richtfest in 2010 gefordert hat.
Mit dieser neuen Aussage wird in Berlin für neue politische Erschütterungen gesorgt. Der TAGESSPIEGEL meldet inzwischen Hinweise aus „Regierungskreisen“, wonach ein Rückzug von Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller aus dem Aufsichtsrat erwogen wird (Flughafen Berlin-Schönefeld: Müller erwägt Rückzug aus BER-Aufsichtsrat | 1.2.2015 | TAGESSPIEGEL).
Michael Müller rückt damit nun auch ins Licht, denn zu der Zeit war er SPD-Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus und in den regelmässigen Sitzungen des Haushaltsausschuß bestens über die Probleme informiert.
Gemeinsame Presseerklärung der SPD-Fraktion und der CDU-Fraktion
In der inzwischen nach Sitzungen des Untersuchungsausschuß üblichen „Gemeinsame Presseerklärung der SPD-Fraktion und der CDU-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses, die am 30.1.2015 herausgegeben wurde prangte die Überschrift:
„Ehemalige Projektleiterin: Wir haben frühzeitig gewarnt!“
Die zentrale Aussage von Frau Graf-Hertling bezog sich auf die Phase, in der die für die Haustechnikplanung zuständige Ingenieurfirma Insolvenz vermeldete, und dies auch öffentlich in den Medien berichtet wurde.
Demnach wurden … „ihre Warnungen von der Geschäftsführung in den Wind geschlagen, der Aufsichtsrat durch die Geschäftsführung zunächst nicht informiert. Später wurde der Eröffnungstermin schließlich um 7 Monate nach hinten verschoben, was offensichtlich nicht ausreichte“.
Stellungnahmen von Bündnis 90/Grüne zur Sitzung am 30.1.2015
Andreas Otto, baupolitischer Sprecher und Obmann im BER-Untersuchungsausschuss, und Harald Moritz, verkehrspolitischer Sprecher, sagten zur Befragung der ehemaligen Projektsteuerin Graf-Hertling im BER-Untersuchungsausschuss: „Verantwortungsvolle Kritik am BER war unerwünscht!“
„Die Befragung der ehemaligen Projektsteuerin Graf-Hertling lieferte weitere Mosaiksteine für das Bild einer kollabierenden Organisation am BER. Unsere Einschätzung wurde bestätigt, dass eine geordnete Zusammenarbeit am BER nicht bestand.
Viele Beteiligte konzentrierten sich auf einen kleinen Zuständigkeitsbereich und nicht auf die Fertigstellung des BER. Als Frau Graf-Hertling 2010 kurz vor dem Terminal-Richtfest der damaligen Geschäftsführung mit Prof. Schwarz und Dr. Körtgen offenbarte, dass der Eröffnungstermin 2011 nicht mehr zu halten ist, wurde sie niedergebrüllt und fortan zur „persona non grata“ erklärt. Ihrem Vorschlag einer Verschiebung um zwölf Monate auf Ende 2012 wurde nicht gefolgt.
Starke Kritik äußerte sie an der Arbeit des technischen Geschäftsführers, Dr. Körtgen, und der Bauleitung der pgBBI. Die Vergabe sowohl der Generalplanung als auch der Bauüberwachung an die pgBBI führte zu einer mangelhaften Kontrolle der Planung und verdeckte Zeitverzüge am Bau.“
Erklärungsversuche von SPD und CDU
Die beiden Fraktionssprecher von SPD-Fraktion und CDU-Fraktion gaben dazu wiederum zwei Erklärungen ab, die die Verantwortichkeit auf Geschäftsleitung und Bauüberwachung lenken sollen:
Der Sprecher der SPD-Fraktion im Ausschuss, Ole Kreins erklärte dazu:
„Erneut wurde deutlich, dass die ehemalige Geschäftsführung der Flughafengesellschaft bereits in 2010 die Brisanz der damaligen Planungsverzüge, die erst durch die Insolvenz des TGA-Planers offenbar wurden, absolut unterschätzt hat. Sie hat ihre Aufgabe, den Aufsichtsrat über derartig gravierende Tatbestände zu informieren, nicht erfüllt.
Auf Nachfrage bestätigte die Zeugin zudem unsere Vermutung, dass auch die von der Planungsgemeinschaft pg bbi eingesetzte Bauüberwachung ihre Aufgaben nicht erfüllt hat.“
Der Sprecher der CDU-Fraktion, Stefan Evers erklärte am Freitag:
„Die Befragung von Frau Graf-Hertling hat erneut offenbart, dass das Handeln der Geschäftsführung der Flughafengesellschaft hinsichtlich der Inbetriebnahmetermine von Wunschdenken und Realitätsverweigerung bestimmt war. Als Frau Graf-Hertling im April 2010 der Geschäftsführung vorschlug, den Eröffnungstermin zu verschieben und den Aufsichtsrat über die gravierenden Probleme zu informieren, wurde sie von den Geschäftsführern wohl nicht nur lautstark angegangen, sie durfte fortan auch nicht mehr unmittelbar berichten. Damit bestätigt sich einmal mehr, dass die Geschäftsführung der Flughafengesellschaft in den entscheidenden Phasen des Projekts heillos überfordert war. Insbesondere Manfred Körtgen hat sich offenbar zu keiner Zeit verantwortlich mit den Konsequenzen struktureller Fehlentscheidungen auseinandergesetzt.“
Erinnerungshilfe für den Aufsichtsrat
Im Beitrag „Das BER-Debakel von A-Z“ vom Sonntag, den 11. 01. 2015 wurde auf einen wichtigen Umstand verwiesen, der schon zwei Monate zuvor öffentlich war:
Die IGK-IGR Ingenieurgesellschaft Kruck mbH (als zugehörige Planungsgesellschaft zum Generalplaner pg bbi) hatte bereits am 08.02.2010 Insolvenz angemeldet. Spätestens nach dem Bekanntwerden der Insolvenz mit 70 Ingenieuren hätten beim Bauherrn und beim Aufsichtsrat alle Alarmglocken klingeln müssen.
Generalplaner wie Schulbuben behandelt
In der Zeitschrift Ingenieur.de findet sich auch ein interessanter Beitrag, der zeigt, wie problematisch das Klima zwischen Flughafengeschäftsführung und den Generalplanern längst war:
„Ein Briefwechsel zwischen der pg bbi und Flughafengeschäftsführer Rainer Schwarz im Februar 2010 verrät viel über den Ton im Projekt. Die Planer bitten Schwarz flehend um ein Gespräch in kleiner Runde. Wegen der Verzögerungen und Einzelvergaben an unterschiedliche Planungsbüros laufe so viel schief, dass eine Neuausrichtung der Projektorganisation nötig sei. „Es sind Entscheidungen erforderlich, die sich weder technisch noch juristisch delegieren lassen“, mahnen sie. Schwarz antwortet: „Wie ihnen sicherlich bekannt sein dürfte, ist mein Kollege, Herr Körtgen, primär für die Planung und den Bau des BBI (= BER, die Red.) zuständig. Insofern ist Ihre Vorgehensweise unter Umgehung des zuständigen Ressortgeschäftsführers für mich schwer nachvollziehbar.“ (Ingenieur.de 21.12.2012).
Debakel in voller Schönheit und Gänze bekannt seit 15.6.2010
Das Debakel war spätesten ab dem 15. Juni 2010 in vollem Umfang absehbar: in der Sachstandsinformation „Zur 87. Sitzung des Hauptausschusses des Abgeordnetenhauses Berlin“ mit „TOP 1 Aktueller Stand des Zeit- und Kostenplanes zum Bau des BBI“ – Link.
Auf Seite 4 (von 36) heisst es:
„Im Dezember 2004 wurden die Generalplanerleistungen für das BBI – Teilprojekt „Fluggastterminal“ an die Planungsgemeinschaft Flughafen Berlin Brandenburg International (kurz: pg bbi) vergeben. Diese bestand zum damaligen Zeitpunkt aus:
– J.S.K. International Architekten und Ingenieure GmbH
– gmp Generalplanungsgesellschaft mbH
– IGK-IGR Ingenieurgesellschaft Kruck mbH
Die IGK-IGR war als Gesellschafter der pg bbi für die Planungen der Technischen Gebäudeausrüstung (TGA) verantwortlich. Am 08.02.2010 wurde für die Firma der Insolvenzantrag gestellt. Die Flughafengesellschaft wurde am gleichen Tag informiert. Wie
vertraglich vereinbart, verblieb die planerische Gesamtverantwortung und die gesamtschuldnerische Haftung für die TGA bei der pg bbi.
Die pg bbi sagte seit dem 1 1.02.2010 in mehreren Gesprächen und Schreiben zu, die kompletten Planungsleistungen einschließlich der nach der IGK – Insolvenz fehlenden TGA-Planungen so erbringen zu können, dass die Gesamtzeitplanung zu halten sein würde.
Mit diesen Aussagen wurden Bedingungen eines optimalen Projektverlaufes sowie finanzieller Mehraufwendungen verknüpft.
Abweichend von dieser Aussage erhielten die Berliner Flughäfen am 19.05.2010 ein Schreiben des BBI-Projektsteuerers WSP CBP Airport GmbH (CBP), in dem auf eine Gefährdung des Zeitplans durch die Insolvenzbedingten Verzüge bei der TGA-Planung hingewiesen wurde.
Am 25.05.2010 wurden diese divergierenden Einschätzungen – auch unter Hinzuziehung eines externen von der Flughafengesellschaft in Auftrag gegebenen Gutachtens – in der Geschäftsführung der Berliner Flughäfen erörtert.“
Erwachen des Aufsichtsrates – Fehlanzeige
Schon am 31.05.2010 berichtete die Märkische Allgemeine Zeitung über die Lage, doch der Aufsichtsrat war noch immer nicht zu einer Sondersitzung zusammengetreten. Stattdessen verlautbarte der Pressesprecher der FBB GmbH etwas von neuen EU-Verordnungen zur Mitnahme von Getränken und zu neuen Flächenansprüchen bei der Sicherheitsabfertigung (FBB GmbH – Pressemeldung v. 1.6.2010). In dieser denkwürdigen Pressemitteilung wurde in euphemistisch-eleganter Weise über das längst eingetretene Desaster hinweggetäuscht.
Immerhin: Klaus Wowereit wurde demnach informiert. „Am 26.05.2010 erteilte der Vorsitzende des Aufsichtsrats der Berliner Flughäfen, Klaus Wowereit, der Geschäftsführung der Berliner Flughäfen aufgrund der aktuellen Erkenntnisse der vergangenen Tage den Auftrag, beide Themen intensiv zu prüfen und belastbare Lösungsvorschläge zur Sitzung des Projektausschusses am 11.06.2010 zu erarbeiten, so dass der Aufsichtsrat am 25.06.2010 entscheiden kann.“
In der 87. Sitzung des Hauptausschuß im Berliner Abgeordnetenhaus mußte sich der damalige Aufsichtsratschef aber längst der Gesamtlage klar geworden sein, denn den Generalplaner pg_bbi wurde von Wowereit bescheinigt: „das die Ausschreibung des Terminals mit dem mehrmaligen Anlauf bis zur Konzeptionsänderung auch einer kleinteiligen Vergabe selbstverständlich zeitliche Verzögerungen hervorgerufen“ hat (Vertraulicher Bericht von PG BBI Flugfafen Berlin-Brandenburg 27.4.2012 von ERNST & YOUNG). Die „Sachverhaltsdarstellung zu Störungen des Projektablaufes und deren Auswirkungen“ war vom Generalplaner an die Unternehmensberatung ERNST & YOUNG beauftragt worden, um sich gegen Haftungsklagen zu wappnen.
Wie geht es nun weiter im Untersuchungsausschuß?
In den nächsten Sitzungen des Untersuchungsausschuß wird nun zu klären sein, warum der Aufsichtsrat und der Haushaltsausschuß im Berliner Abgeordnetenhaus nicht spätestens mit dem Bekanntwerden der Insolvenz des Haustechnik-Planungsbüros mit 70 Mitarbeitern am 8.2.2010 zusammengetreten sind. Jeder normale Bauherr hätte sofort mit maßgeblichen Schritten reagiert.Wowereit und Müller nicht!