Das Jahr 2015 hat mit einer tiefen Zäsur begonnen, die sich schon länger vorbereitet hat, und ganz still und mit wirksamen Schritten im Sozialrecht, Steuer- und Abgabenrecht vorbereitet wurde. Diese Zäsur betrifft das Grundmuster des Schöpfens, Schaffens und Arbeitens in der Kultur- und Kreativwirtschaft.
Sichtbarster Ausdruck ist die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, aber auch die tiefgehende Regulierung und Kontrolle von „Arbeit“. Dies hat Rückwirkungen auf das Verhältnis von Freiwilligkeit, Ehrenamtlichkeit, Gemeinnützigkeit – sozialer Arbeit, künstlerischer und gewinnorientierter Arbeit – und auch das, was sich seit 2007 „Social Business“ nennt.
Den Folgen wird in einer Beitragsreihe nachgegangen.
In Kunst und Kultur führt es zu gravierenden Verwerfungen, die näher beleuchtet werden müssen. Dazu gehört auch die lang geplante Umschaltung des Kulturportals KULTUR IN PANKOW, das sich vorerst aus Pankow verabschiedet.
Big-Business verdrängt Small Business
Parallel dazu haben sich weltweit über steuerbegünstigte Kapitalanlagen und in Steueroasen geschöpftes Riskokapital im Internet Strukturen aufgebaut, die es inzwischen zu einem für kreative Individuuen eher unwirtlichen Ort werden lassen. Der noch von Schumpeter im Industriezeitaler beschworene Erfinder, Schöpfer, und kreative Zerstörer ist heute abhängig von sogenannten Investoren – und nicht mehr frei. Aus Freiheit ist „Re-Programmierung“ durch das Internet geworden.
Kreativität und Erfindungsgeist sind weitgehend gefesselt. Das Erreichen von „Economies of Scale“ ist heute durch „Big-Data“ und „Big-Money“ bestimmmt. Mohammed Yunus Vision von einer Social Business Revolution ist in Big Data stecken geblieben und die visionären Erwartungen an Internettechnologien sind zu einem großen Teil enttäuscht worden.
Überall dort, wo „marketinggetriebene Geschäfte“ die erforderlichen „Economies of Scale“ nicht erreichen, wird mit Kostenlos-Ökonomien, Rabatten, Nachlässen und Mehrwertsteuer-Erlass und Null-Prozent-Finanzierung nachgeholfen.
Die Kehrseite: der Steuerzahler zahlt diese „verrückten Ökonomien“ mit „Abschreibungen“, also Steuerausfällen. Jene, die mit ihren Ratenzahlungen bei einer Null-Prozent-Finanzierung rückständig werden, „bezuschussen mit Strafzinsen von 17 Prozent und mehr den Rabatt der zahlungskräftigen und deshalb pünktlichen Kunden.
Kostenlos-Ökonomien, Crowd-Ökonomien, B2B- und Kontrollökonomien scheinen auf breiter Front jenes Reich von Kreativität und Freiheit zu erobern, das bislang für kreative Ideen und Projekte geschützt schien, ob im Handel, im Internet – oder in der Manufaktur.
Das Internet wird dabei immer mehr zum „Mittel“, um netzwerkartig alle Ecken und Marknischen zu besetzen. Individuen, Händler und Produzenten geraten zwischen Abgabenzwang und sich einengenden Marktzugang immer mehr in die Enge.
In Kunst und Kultur scharen sich die Akteure in Berlin immer mehr um die staatlichen Töpfe, die aber kaum größer werden, und deshalb insbesondere in Berlin kein Heil versprechen können. Für die Bildende Kunst wird eine „Proud Economy“ in Gang gehalten, die gerade ausreicht, KünstlerInnen ein wenig Stolz zu verleihen, und Getränkebufett und Blumenbukett zu finanzieren, damit am Ende ein kulturell interessierter Politiker mit Stolz einen „Blumenstrauß“ übergeben kann.
Nachdem nach Angaben des BBK-Berlin sich inzwischen rund rund 8.600 Künstler in Berlin scharen, ist auch eine auskömmliche „Blumentopf-Ökonomie“ oder eine Förderung von Künstlerbiografien nahezu undenkbar geworden.
Hypertrophierung und Prekarisierung gehen damit zusammmen einher – werden durch Mechanismen des Internets angetrieben – und bewirken eine schleichende Katastrophe. Es ist daher Zeit, den Stecker zu ziehen, und neu nachzudenken.
Komplexität des Internets und schnelle Veränderungen
Inzwischen übersteigt die Komplexität der Internet-Technologien die Denkfähigkeit eines einzelnen Kopfes. Zugleich wird damit immer mehr der Kapitalzugang zum entscheidenen Faktor. Hunderte kreative Teams sind seit 2008 in Startups gescheitert – noch niemand hat gewagt, hier eine Bilanz zu erstellen. Tausende Webdesigner sind heute überflüssig und arbeitslos – die Cloud hält nun das „Crowdworking“ als letzte Alternative bereit, die jedoch überaus prekär ist.
Gleichzeitig erobern Smartphone-Ökosysteme die Welt der Nutzer und machen sie zu „geräte-„gebundenen Kunden, sogar zu „Produkten“. Das freie Internet schrumpft. Zugleich steigt die Nutzungs-Zeit von konsumptiver und kommunizierender Internet-Nutzung. Die informelle Nutzung des Internets schrumpft – mit gravierenden Auswirkungen, die noch kaum absehbar sind.
Internet des Mißtrauens und der virtuellen Ausbeutung
Gleichzeitig hat der Krieg gegen den Terror und die durch Ed Snowden offengelegten Abhör- und Kontrollcharakter des Internets offengelegt. Das Internet ist nicht mehr offen – es ist ein Ort des Mißtrauens, des Eroberns, der virtuellen Ausbeutung von Persönlichkeitsdaten – und ein Ort von Wahn und Propaganda geworden.
Nebentätigkeit ist inzwischen die ständige defensive Überwachung einer Internetseite. SPAM, Werbespam und Cross-Skripting-Angriffe gehören zur Tagesordnung. Gravierende Sicherheitslöcher und – lücken in zentralen Internetprotokollen kommen hinzu.
Der aggressive Hack aus Krisengebieten wurde auch schon im Herbst 2014 an eigenen Webseiten und der Webseite einer Künstlerin erlebt, und mühevoll abgewehrt.
Die Bedienung von Internettechnologien wird zum anfordernden, streß- und mißtrauensbeladenen Prozeß. Der gestaltende Mensch wird plötzlich unfrei, und zu einem interaktiven Teil eines merkwürdigen Businessprozeß: Re-Programmierung durch das Web.
Grundmuster des Online-Marketings gestört
Mit dem Aufkommen von sozialen Netzwerken und leistungsfähigen Smartphones geht das für Internetökonomien notwendige Grundmuster der Aufmerksamkeitsökonomie verloren, das bisher durch Attraktivität von Internetangebot, Suchmaschinen-Auffindbarkeit und Google-Optimierung zu weiten Teilen gestaltbar und optimierbar war.
Eine Zeitlang schienen soziale Netzwerke wie Facebook eine Weiterentwicklung zu bieten, mehr Zielgenauigkeit, mehr wirksame Kontakte und Reichweiten. Inzwischen ist die natürliche Reichweite von Facebook gesunken, die Halbwertzeit eines neuen Post liegt bei nur noch Minuten, statt früher Tagen und Stunden. Die Relevanz neuer Information nimmmt immer mehr ab.
Inzwischen kann man mit Tools wie Facebook-Kharma die eigenen Online- und Social-Media-Aktivitäten bewerten. Viele Akteure, die das tun, nehmen inzwischen bei Facebook & Co. Reißaus.
Informelle versus kommunikative Internetnutzung
Die rasante Verbreitung von Smartphones in der Altersgruppe der 18-45-jährigen führt zu einem „mobile Divide“, der die jüngere Generation scharf von der älteren Internetgeneration unterscheidet. Das Verhältnis von informeller Nutzung (Suchen, Auswählen, Lesen, Nachschlagen, Informieren, Auswerten u.a.) und kommunikativer Nutzung (Telefonieren, SMSsen, Chatten und Posten) verschiebt sich.
Das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit verschiebt sich, die für Künstler und Kulturbetriebe notwendige „Konstruktion von Öffentlichkeit“ verändert sich. Kultur und Kunst sind plötzlich nicht mehr in gewohnter Weise vermittelbar, erreichbar, auffindbar.
Zugleich entwickelt sich ein neuer Nutzertypus des Kulturbesuchers, der sich zum Schrecken mühsam entwickelter Profile von Kulturorten und Veranstaltungsorten entwickelt: der gelangweilte Smartphone-User, der sich per Geo-Tags treiben lässt, und Kulturorte nicht mehr aus informell erarbeiteten Interesse besucht.
Schwarmphänomene und der uninteressierte unterhaltungssüchtige Gast
In der Mannigfaltigkeit der Stadtbesucher gibt es plötzlich auch den Typus, der kein tieferes kulturelles Interesse mehr hat, sondern sich einfach durch oberflächliche Sucht nach Unterhaltung durch die Stadt treiben lässt und sein Smartphone als lokalen „Detektor“ nutzt. Problematisch wird es, wenn dieser Typus überhand nimmt, oder in großen Gruppen aktiv wird. Als grölende Horde vergnügungshungriger und alkoholisierter männlicher Touristen ist dieser Typus nicht „kulturkompatibel“.
Auch Schwarmverhalten ist möglich, und wurde in krassen Einzelfällen Realität, etwa wenn eine Vernissage überlaufen wird.
Clubbetreiber sortieren schon immer in besonderer Weise ihr Publikum, der Türsteher wird zu einer „kulturellen Firewall“, die den Virus von Verflachung, Belanglosigkeit und Profillosigkeit fernzuhalten sucht. Es gilt Aura und Flair eines Ortes fein auszutarieren. Exklusivität – die im Widerspruch zum Anspruch auf „Öffentlichkeit“ und „Zugang“ steht.
Andererseits freuen sich Konzertveranstalter und Betreiber großer Schankgaststätten über „Schwarmtouristen als Umsatztreiber“, die Auslastung verbessern.
Für kleine und ruhige Kulturbetriebe ist der Typus des „treibenden Smartphone-Users“ jedoch eine Last, zumal wenn es ein über Newsletter und soziale Medien fokussiertes Zielpublikum gibt. Manche Veranstalter scheuen daher sogar Öffentlichkeit und eine gute Sichtbarkeit im Netz.
Öffentlichkeit und Sichtbarkeit im Netz ist plötzlich und nicht vorhersagbar ein „Überfluß- und Überflutungsproblem“. Vor allem kleine Veranstalter und Galerien und stille Literaturorte oder Konzerte mit „unplugged-Formaten“ werden in unplanbarer Weise aufgestört.
Schwarmökonomie – statt Zielgruppen?
Wenn Aufmerksamkeit und Informationsverhalten nicht mehr maßgeblich durch Interesse und informelles Suchen angetrieben werden, verändert sich auch das Gut, das sich „Kulturöffentlichkeit“ nennt. Aktuell gibt es bereits ernste Warnungen: „Fett des 21. Jahrhunderts“Exzessive Smartphone-Nutzung führt zu neuem Krankheitsbild“ – N-TV-Mediathek.
Ein Trend zeichnet sich ab: Kulturöffentlichkeit konzentriert sich auf Großereignisse, während sich in der Fläche und Vielfalt kleine, Gruppen, virtuelle Stämme und Dörfer, informelle Schwärme und Kohorten ausprägen.
Im Bezirk Pankow zeigen sich so durch die Aktivitätsdaten vieler Smartphone-Nutzer typische „Hot-Spots“, in denen die Frequenz der Kulturbesucher das Angebot der Kultureinrichtungen und gastlichen Orte temporär und regelmässig überschreitet.
Gleichzeitig gibt es Bereiche, die außerhalb des aktiven Sichtfelds einer Navigationskarte liegen, die Randbereiche, die Ortsteile bis hinauf nach Berlin Buch, in denen es sehr schwer ist, Kulturbesucher hineinzulocken.
Die Kulturlandschaft zwischen Kiez und Metropole ist daher in Pankow gut ablesbar und in Sphären aufgeteilt. Im Bereich Kunst gibt es ein Überangebot, das fast nur Zielbesucher und „gebundene Interessenten“ anzieht. Im Bereich Kiezkultur reichen lokale Nachbarschaften als Einzugsbereich. Lokale Aushänge, E-Mail-Verteiler und klitzekleine Facebook-Gemeinsschaften mit weniger als 300 Mitgliedern reichen für die Verbreitung von Kulturinformation.
Veränderte Rahmenbedingungen für Kulturveranstalter
Bis etwa 2012 war es sehr hilfreich, insbesondere kleinen Veranstaltern mit einem öffentlichen Kulturportal zu mehr Sichtbarkeit, Aufmerksamkeit und zu einem interessierten Publikum zu verhelfen. Doch seitdem über 80% der Altersgruppe 18-45 Jahre mit Smartphones unterwegs sind, dreht sich die Szenerie – unaufhaltsam.
Ein für eine Kulturstadt und für eine Kulturszene schwer zu verdauender Wandel hat eingesetzt, der erst verstanden werden muß. Smartphone-User bewegen sich zu Fuß nur über überschaubare Distanzen. Das eingeschränkte Sichtfeld einer Google-Map oder einer Navigations-App favorisiert Orte, die im Umkreis von 1-2 Kilometern liegen.
Überall dort, wie es Hot-Spots mit hoher Besucher-Frequenz gibt, bewegen sich auch viele viele aktive, „suchende“ und „kommunizierende“ Kulturbesucher“ mit Smartphones und finden sich auch relativ spontan zusammen. Wird eine Veranstaltung überfüllt, tritt „Dispersion“ ein: der Schwarm wandert zur nächstgelegenen Location, bis entweder alle beim „Bier“ angelangt sind, oder frustriert in Tram, U-Bahn, S-Bahn, BUS und Auto umsteigen.
Prenzlauer Berg ist deshalb kein Selbstläufer mehr!
Die Ausgangssituation früherer Jahre, mit einer weit vernetzten „Kulturszene“ hat sich gewandelt. Das lokale Netz von Kulturorten, Kneipen und Bars hat sich geweitet. In der Kultursphäre sind inzwischen gute Empfehlungen zur knappen Ware geworden.
Das einst kostengünstige Onlinemarketing funktioniert nicht mehr, weil die Information zuerst die Köpfe der Smartphone-User erreichen muß, bevor sie sich informieren. Das Phänomen „Gorilla-Glas-Wall“ wird uns noch nachhaltig beschäftigen.
Überangebot und Bilderflut in der Kunst, fehlende Synergien und fehlende Aufenthaltsqualitäten sorgen für einen bedrohlich hohen Aufwand für verbleibende Kulturveranstalter:
Die Verarbeitung von E-Mails ist zu teuer geworden. Der Mindestlohn erfordert nun eine radikale Konsequenz: die gute alte Presse-Mail muss abgelöst werden – schon das Lesen der Mails mit Veranstaltungsanzeigen wird zum „Bezahljob“. Kuratierte Inhalte werden plötzlich sehr teuer.
Kulturorte, die früher Selbstläufer waren, finanzieren heute mit viel Geld Plakat- und Rundfunkwerbung, deren Wirksamkeit jedoch fraglich ist: wilde Plakate werden zum Teil täglich mehrfach überklebt.
Ob der Radiospot morgens um 7 Uhr noch spontane Abendaktivitäten auslöst ist fraglich. Problematisch auch, wenn die Radiowerbung in der falschen Hörerzielgruppe landet, nur weil die Auftraggeber der Radiowerbung ihre Lieblingssender bevorzugen: öffentlich-rechtlich – statt etwa populäre Internetradios oder Streaming-Portale.
Gleichzeitig sind Flyer-Werbung und öffentliche Plakatwerbung zu teuer geworden, um noch kleinere Formate und spezialisierte Kulturangebote zu bewerben. Der Kulturbezirk Pankow steckt in einer Kostenfalle – die Uhr zeigt 10:59.
Fortsetzung mit folgenden Themen:
Strukturwandel: digitale Öffentlichkeit #2
– Wie kommt der Mindestlohn in Kunst & Kultur?
– Wieviele Sprachen passen in ein Smartphone?
– Die „Gorilla-Glas-Wall“ – bremsen Smartphones die Kunst- und Kulturstadt aus?
– Kulturszene 4.0: „Scheiss auf Kalifornien, das neue Web kommt aus Berlin und den Alpen!“
Hinweis für Kulturveranstalter und Sponsoren:
KULTUR IN PANKOW – www.kultur-in-pankow.de wird am 2.2.2015 geschlossen.
(Neustart: nur mit Mindestlohnregelung auf gemeinnütziger Basis oder als Sponsoring möglich).
Für Kulturveranstalter mit „Hauptstadtreichweite“ gibt es KULTUREINS.
Für Veranstalter im Kiez und in den Ortsteilen sind örtliche Blogs, Zeitungen & Anzeigen eine Alternative.
Nähere Informationen:
kulturpartner@kultureins.de